Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.08.2013, Az.: 8 K 111/13
Steuerlich rückwirkende Behandlung von zunächst als Krankengeld gezahlten und nachträglich als Rente behandelten Beiträgen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.08.2013
- Aktenzeichen
- 8 K 111/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 57025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2013:0809.8K111.13.0A
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 1 SGB X
- § 22 EStG
Amtlicher Leitsatz
Werden zunächst als Krankengeld gezahlte Beträge nachträglich als Rente behandelt, ist dies steuerlich rückwirkend zu beachten. An der grundsätzlichen Beurteilung des BFH, den von der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X umfassten Betrag nach § 22 EStG der Besteuerung zu unterwerfen, hat sich durch das Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes zum 1.1.2005 nichts geändert.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Streitjahr (2010) Einkünfte aus einer Rente zu versteuern hat und in welcher Höhe Krankengeld dem Progressionsvorbehalt unterliegt.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Beide erzielten Einkünfte aus Versicherungsvertretungen. Der Kläger erklärte für das Streitjahr den Erhalt für Lohnersatzleistungen (Krankengeld) für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 10.11.2010 in Höhe von 13.981 €. Der vom Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung gestellte Antrag auf Zahlung einer Rente wurde zunächst abgelehnt. Auf den Widerspruch des Klägers erteilte die Deutsche Rentenversicherung unter dem 27.1.2011 einen Rentenbescheid und entschied, dass der Kläger für den Zeitraum vom 1.5.2010 bis 28.2.2011 eine Nachzahlung in Höhe von 6.880,30 € beanspruchen könne (...). Die Anspruchsvoraussetzungen auf Erhalt einer Rente wegen voller Erwerbsminderung seien bereits ab dem 6.4.2010 erfüllt gewesen. Durch Schreiben vom 3.3.2011 teilte die Deutsche Rentenversicherung dem Kläger mit, dass hinsichtlich des Rentennachzahlungsanspruches in Höhe von 6.880,30 € ein Betrag in Höhe von 2.519,86 € an den Kläger ausgezahlt werde. In Höhe von 4.360,44 € habe die Betriebskrankenkasse... einen Erstattungsanspruch geltend gemacht, der verrechnet werde (...). Die Rentenversicherung übermittelte an das Finanzamt für das Streitjahr Rentenzahlungen in Höhe von 4.836 €.
Die gezahlten Lohnersatzleistungen betragen nach dem Schreiben der Betriebskrankenkasse vom 18.6.2013 insgesamt 9.621,16 € (13.981,60 € abzüglich des Erstattungsanspruch an die Deutsche Rentenversicherung in Höhe von 4.360,44 €).
Der Kläger erklärte in der am 17.8.2011 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung (Anlage N) Lohnersatzleistungen in Höhe von 13.981 EUR (...). Das Finanzamt unterwarf im Steuerbescheid vom 20.10.2011 zunächst einen Rentenbetrag in Höhe von 4.836,83 € bei einem zugrunde gelegten Rentenbeginn 1.5.2010 der Besteuerung und setzte eine Betrag in erklärter Höhe von 13.981 € (Krankengeld) als dem Progressionsvorbehalt unterliegend an.
Der hiergegen erhobene Einspruch, mit dem die Kläger geltend machten, der Kläger habe im Streitjahr keine Rente erhalten und auf den Rentenbescheid vom 17.3.2011 verwiesen (...), blieb erfolglos. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück, da die Rente mit dem für das Jahr 2010 (Streitjahr) ermittelten Rentenbetrag anzusetzen sei. Die Rentenversicherung habe für das Streitjahr eine gezahlte Rente in Höhe von 4.836,83 € übermittelt (4.360,44 € zzgl. 382,09 € für Krankenversicherung sowie 94,30 € für Pflegeversicherung). Der Ansatz von Lohnersatzleistungen blieb der Höhe nach bestehen.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Kläger geltend machen, dass der Kläger im Streitjahr keine Rente erhalten habe. Eine erste Zahlung sei erst im März 2011 erfolgt. Im Streitjahr habe der Kläger lediglich Lohnersatzleistungen in Höhe von 13.981 € erhalten. Es sei nicht zulässig und widerspreche den Wortlaut des § 11 EStG, eine genau bestimmte und im Streitjahr geleistete Zahlung nachträglich zu Lasten der Kläger um zu qualifizieren. Im Übrigen sei (hilfsweise) die Revision zuzulassen.
Die Kläger beantragen,
den Steuerbescheid für das Streitjahr vom ...2013 dahingehend zu ändern, dass lediglich Krankengeld mit Progressionsvorbehalt nach dem Splittingtarif zu versteuern ist und keine Rente als sonstige Einkünfte.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt ist nach wie vor der Auffassung, dass die Festsetzung zutreffend erfolgt sei. Die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Lohnersatzleistungen betragen nach Auffassung des Finanzamts und dem Schreiben der ... Betriebskrankenkasse vom ...2013 9.621,16 € (...).
Das Finanzamt hat dementsprechend im Laufe des Klageverfahrens den Einkommensteuerbescheid durch Bescheid vom ...2013 geändert und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen (Krankengeld), lediglich noch in Höhe von 9.621,16 € angesetzt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Steuerakten verwiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Das Finanzamt hat die Einkommensteuer zutreffend im Änderungsbescheid vom 2.8.2013 ermittelt und festgesetzt.
1. Die Rentenzahlungen waren dem Grunde nach in Höhe von 4.836 € anzusetzen, so dass nach Berücksichtigung des Besteuerungsanteils -- vor Abzug des Werbungskosten-Pauschbetrages (§ 9a EStG) -- ein Betrag von 2.901 € zu versteuern war.
Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen (Krankengeld), waren lediglich - wie vom Beklagten im Änderungsbescheid vom 2.8.2013 vollzogen - in Höhe von 9.621,16 € anzusetzen.
a) Leistungen aus einer Krankenversicherung und damit auch Krankengeld sind nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerbefreit. Sie sind jedoch nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 b EStG bei der Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Soweit dem Kläger das Krankengeld auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften aus diesem Rechtsgrund endgültig zusteht, verbleibt es bei der Rechtsfolge des § 3 Nr. 1 a EStG im jeweiligen Jahr des Zuflusses.
Erwerbsminderungsrenten der gesetzlichen Rentenversicherung gehören dagegen zu den Leibrenten und sonstigen Leistungen, die gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu besteuern sind. Daher bestimmt sich der Besteuerungsanteil der Rente nach der Tabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG.
b) Soweit die Krankenkasse Krankengeld gezahlt hat und der Anspruch hierauf durch die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrenten nachträglich entfallen ist, stehen dem Kläger die geleisteten Zahlungen endgültig aufgrund Sozialversicherungsrechts zu. Der "Austausch" des sozialversicherungsrechtlichen Rechtsgrundes --Erwerbsunfähigkeitsrente statt Krankengeld-- wird betragsmäßig konkretisiert durch den Erstattungsanspruch, der im Falle einer zeitlichen Überschneidung zweier Leistungen dem vorleistenden Versicherungsträger auf der Rechtsgrundlage des § 103 SGB X zusteht. In Höhe der Überzahlung durch die KK gilt der Anspruch des Klägers gegen die BfA als eigentliche Leistungsträgerin als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X). Mit dieser Erfüllungsfiktion hat sich der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie für eine unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche Form des internen Ausgleichs von Leistungsbewilligungen entschieden. Damit soll eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger und Leistungsberechtigtem (hier: dem Kläger) sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger und Leistungsberechtigtem vermieden werden (vgl. BSG-Urteil vom 29. April 1997 8 RKn 29/95, SozR 3-1300, § 107 Nr. 10, m.w.N.). Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen (hier: Krankengeld) erbracht und ist der Anspruch des Berechtigten auf diese infolge der Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mit den Wirkungen entfallen, dass der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig ist (§ 103 Abs. 1 SGB X) und der Rentenanspruch des Berechtigten als erfüllt gilt (§ 107 Abs. 1 SGB X), unterliegt die Rente im Umfang dieser Erfüllungsfiktion als (abgekürzte) Leibrente nach der bis 2004 geltenden Rechtslage mit ihrem Ertragsanteil der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 10.7.2002, X R 46/01, BStBl. II 2003, 391 zur Rechtslage bis 2004). An dieser grundsätzlichen Beurteilung, den von der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X umfassten Betrag nach § 22 EStG der Besteuerung zu unterwerfen, hat sich durch das Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes zum 1.1.2005 (Gesetz vom 5.7.2004, BGBl. I S. 1427) nichts geändert. Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a, Doppelbuchst. aa EStG ist lediglich anstelle des Ertragsanteils der sog. Besteuerungsanteil zu unterwerfen, soweit Rentenzahlungen als Basisversorgung geleistet werden.
c) Der Ansatz eines negativen Betrags an Krankengeld im Folgejahr mit der Folge der Anwendung eines negativen Progressionsvorbehalts kommt hiernach -- darauf sei lediglich klarstellend hingewiesen -- nicht in Betracht. Denn die später verwirklichte Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ändert nichts daran, dass der Zufluss des Krankengeldes beim Kläger bereits im Streitjahr stattgefunden hat und der "Austausch" der Rechtsgrundlage sich daher in diesem Veranlagungszeitraum (Streitjahr) nur insoweit auswirkt, als ein Teil des im Streitjahr zugeflossenen Krankengeldes nunmehr im Umfang der Erstattung (4.360 EUR) --rückwirkend-- als Erwerbsunfähigkeitsrente behandelt wird. Hinsichtlich der Differenz von 9.621,16 € verbleibt es bei der steuerlichen Behandlung als Krankengeld. Demnach waren 4.836,83 € dem Grunde nach anzusetzen und mit dem Besteuerungsanteil zu versteuern (4.360,44 € zzgl. 382,09 € vom Kläger zu tragender Krankenversicherungsbeitrag sowie 94,30 € Pflegeversicherungsbeitrag).
2. Die Kostenfolge beruht auf den §§ 136, 137 FGO. Einem Beteiligten können die Kosten gem. § 137 FGO ganz oder teilweise auch dann auferlegt werden, wenn er (teilweise) obsiegt hat, die Entscheidung aber auf Tatsachen beruht, die er früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen. Dies war hier der Fall. Die Lohnersatzleistungen wurden zunächst i.H.v. 13.891 € erklärt und vom Beklagten angesetzt. Die Kläger haben lediglich auf den Rentenbescheid vom ...2010 hingewiesen, in dem die Rentenhöhe ab dem 1.5.2011 erläutert wurde (...). Erst durch Schriftsatz vom 10.6.2013 übersandten die Kläger die Bescheinigung der Betriebskrankenkasse vom 26.4.2013, aus der sich ergab, dass die Rente in Höhe von 4.360 € mit dem Krankengeld verrechnet worden ist.
3. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 FGO) sind nicht ersichtlich, da der BFH die Rechtsfrage für die bis zum Jahre 2004 geltende Rechtslage entschieden hat und nicht erkennbar ist, dass ab 2005 andere Maßstäbe als vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes gelten.