Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 07.10.2005, Az.: L 3 KA 139/05 ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 07.10.2005
- Aktenzeichen
- L 3 KA 139/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 42594
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:1007.L3KA139.05ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 16 KA 115/05 ER
In dem Rechtsstreit
...
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 7. Oktober 2005 in Celle
durch den Richter am Landessozialgericht Pilz,
den Richter am Landessozialgericht Goos und
die Richterin am Landessozialgericht Ludewigs
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auf 5 000,- € festgesetzt.
GRÜNDE:
I.
Der Antragsteller ist Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Am 24. März 2005 hat er vor dem Sozialgericht (SG) Hannover den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, seine Honorarabrechnung ab dem 2. Quartal 2005 unter Anwendung des bis zum 31. März 2005 geltenden Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM) und des bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Antragsgegnerin vorzunehmen. Zur Begründung hat er angeführt, der ab dem 1. April 2005 geltende Honorarverteilungsvertrag (HVV) in C. stehe mit höherrangigem Recht nicht in Übereinstimmung, insbesondere soweit er vorsehe, dass für Arztgruppen mit einer Arztzahl von mindestens 20 Ärzten jeweils drei Untergruppen zur Festlegung der Regelleistungsvolumina zu bilden seien. Auch der mit Beginn des Quartals II/2005 in Kraft getretene "EBM 2000plus" sei rechtswidrig. Ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung drohten ihm schon jetzt schwere und unzumutbare Nachteile. Denn die in seinem Fall angekündigte Einstufung in die Untergruppe "U1" würde bei ihm voraussichtlich zu einem Verlust aus vertragsärztlicher Tätigkeit in Höhe von 54 580,44 € führen. Damit sei die Insolvenz und Schließung seiner Praxis zu befürchten.
Das SG Hannover hat den Antrag mit Beschluss vom 7. Juli 2005 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch liege nicht vor, weil der der Einführung von Regelleistungsvolumina zu Grunde liegende Beschluss des Bewertungsausschusses den gesetzlichen Vorgaben entspreche und der Antragsteller den HVM als untergesetzliche Rechtsnorm nicht losgelöst von einer anfechtbaren Honorarabrechnung überprüfen könne. Auch ein Anordnungsgrund sei zu verneinen, weil dem Antragsteller grundsätzlich zuzumuten sei, die endgültige Honorarabrechnung abzuwarten, die er mit dem entsprechenden Rechtsbehelf anfechten könne. Der nach seinen Angaben zu befürchtende Verlust von 54 580,44 € sei im Übrigen fiktiv und könne einer Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden.
Gegen diesen Beschluss, der ihm am 11. Juli 2005 zugestellt worden ist, hat der Antragsteller am 27. Juli 2005 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Das SG habe das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verkannt. Er könne nicht auf Rechtsbehelfe gegen den zu erwartenden Honorarbescheid für das Quartal II/2005 verwiesen werden, weil frühestens im Quartal II/2007 mit einem Urteil im Klageverfahren gerechnet werden könne; bis dahin drohe die Anwendung des neuen HVV mit der Folge erheblicher Honorareinbußen, die zur Insolvenz seiner Praxis führen würden.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des SG Hannover vom 7. Juli 2005 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine Honorarabrechnungen ab dem 2. Quartal 2005 unter Anwendung des bis zum 31. März 2005 geltenden EBM und des bis zum 31. März 2005 geltenden HVM der Antragsgegnerin durchzuführen.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und vertritt dabei die Auffassung, der Antragsteller könne kein Rechtsschutzinteresse für sich in Anspruch nehmen. Bereits am 15. Oktober d.J. werde im Übrigen der Honorarbescheid für das Quartal II/2005 erteilt werden. Darüber hinaus sei keine Beschwer gegeben, weil der Antragsteller ab 1. Oktober 2005 in Gemeinschaftspraxis mit Dr. D. tätig sei; die Gemeinschaftspraxis sei nunmehr in die Untergruppe "U2" der Arztgruppe "Fachärzte für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde" eingestuft.
Gründe
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Der Antrag ist bereits unzulässig.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Neben dem Vorliegen dieser besonderen Voraussetzungen hängt die Zulässigkeit eines derartigen Antrags auch davon ab, ob die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b RdNr. 26). Dies ist vorliegend schon deshalb erheblich, weil der Antragsteller in der Sache vorbeugenden Rechtsschutz für sich in Anspruch nimmt. Denn sein Antrag ist so zu verstehen, dass er die Antragsgegnerin zum Erlass eines Honorarbescheids nach bestimmten inhaltlichen Vorgaben verpflichten will, bevor diese selbst einen entsprechenden Verwaltungsakt erlassen hat.
Eine derartige vorbeugende Klage (bzw. ein diesbezüglicher Antrag gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) ist aber prinzipiell unzulässig, weil die Verfahrensordnungen (hier: § 54 Abs. 1 SGG) vom Grundsatz des nachgehenden Rechtsschutzes durch Anfechtungs- (und Verpflichtungs)klage ausgehen (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, Vorb § 40 RdNr. 33). Etwas anderes kann nur gelten, wenn ausnahmsweise ein besonderes Bedürfnis für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes vorliegt (Keller a.a.O., § 54 RdNr. 42a; Kopp/Schenke a.a.O.). Dies kann im Einzelfall z.B. gegeben sein, wenn ohne vorbeugenden Rechtsschutz vollendete Tatsachen geschaffen würden oder ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstünde (Kopp/Schenke a.a.O., RdNr. 34 mwN).
Ein derartiger Fall kann hier nicht angenommen werden. Der Antragsteller ist vielmehr schon deshalb darauf zu verweisen, den Erlass des noch ausstehenden Honorarbescheids abzuwarten, weil erst dann ersichtlich ist, inwieweit er durch eine seinen Erwartungen möglicherweise nicht entsprechende Honorarfestsetzung beschwert ist. Wenn er demgegenüber darauf verweist, mit einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache sei frühestens im Quartal II/2007 zu rechnen, übersieht er, dass er gegen eine bescheidmäßige Honorarfestsetzung, die existenzgefährdend niedrig wäre, vorläufigen Rechtschutz gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Anspruch nehmen könnte. Hierbei wäre allerdings zu berücksichtigen, dass es nunmehr auf die Sicherung der Existenz der neu gegründeten Gemeinschaftspraxis ankäme, so dass die wirtschaftliche Lage dieser Praxis und ihrer Inhaber zu untersuchen wäre, wobei auch von der Antragsgegnerin eventuell erbrachte Sicherstellungsleistungen zur Abwendung von Nachteilen berücksichtigt werden müssten, die mit der Einführung von Regelleistungsvolumina eintreten könnten.
Der Antrag könnte schließlich auch nicht durch Umdeutung in ein Begehren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des ab 1. April 2005 geltenden HVV oder des "EBM 2000plus" zulässig werden. Denn eine Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 SGG kann nicht mit dem Ziel einer abstrakten Normenkontrolle erhoben werden (Keller a.a.O., § 55 RdNr. 10a), worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Streitwertbeschluss:
Die Streitwertbemessung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 4, 52 Abs. 2 und 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).