Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.03.2002, Az.: 15 U 63/01

Ausgleichspflicht; Betriebsgefahr; Einmündung; Fahrerhaftung; Gegenverkehr; Haftungsverteilung; Halterhaftung; Kfz-Unfall; Rechtsfahrgebot; Schadensersatzanspruch; Schrittgeschwindigkeit; verkehrsberuhigter Bereich; Verkehrsunfall; Verschulden; Vorfahrtstraße; Vorfahrtverletzung; Wartepflicht; Überholen; Überholverkehr

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
04.03.2002
Aktenzeichen
15 U 63/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43729
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 19.10.2001 - AZ: 2 O 2152/01

Tenor:

Auf die Anschlußberufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Berufung des Klägers - das am 19. Oktober 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg - in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 14. November 2001 - geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.759,03 Euro (3.440,37 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.06.2001 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten der ersten Instanz werden zu ¾ dem Kläger und zu ¼ den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Wert der Beschwer übersteigt für beide Parteien 30.677,51 Euro nicht.

Gründe

1

Gegen das am 19. Oktober 2001 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg - in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 14. November 2001 - hat der Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrage,

2

das angefochtene Urteil zu ändern und

3

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 1.544,66 DM zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.06.2001 zu zahlen;

4

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm den Höherstufungsschaden aus der Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung zur Beseitigung der Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 15.05.2001 in Wardenburg zu 75 % zu erstatten.

5

Die Beklagten haben beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

7

Sie haben unselbständige Anschlußberufung eingelegt mit dem Antrage,

8

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, an den Kläger mehr als 3.440,37 DM nebst Zinsen zu zahlen.

9

Der Kläger hat beantragt,

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die Anschlußberufung zurückzuweisen.

11

Die Parteien wiederholen ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszuge und ergänzen es in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Auf den Inhalt der im zweiten Rechtszuge gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen wird verwiesen.

12

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

13

Die Anschlußberufung der Beklagten führt zur Änderung des angefochtenen Urteils in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang (Quote ¼/¾ zu Lasten des Klägers).

14

Soweit die Fahrzeughalterhaftung (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 Satz 2 StVG) zu beurteilen ist, für die die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer nach § 3 PflVersG einzustehen hat, geht der Senat mit dem Landgericht davon aus, dass von keiner Seite der Unabwendbarkeitsbeweis (§ 7 Abs. 2 StVG) geführt worden ist. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) als Fahrzeugführerin gilt gemäß § 18 Abs. 1 StVG eine Haftung für vermutetes Verschulden, wobei bei den Ansprüchen aus § 18 Abs. 1 StVG über § 18 Abs. 3 StVG ebenfalls § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG als Haftungsminderungsnorm eingreift.

15

Nach dem Ergebnis der protokollierten Beweisaufnahme in der ersten Instanz ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) zwar gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 1 StVO) verstoßen hat, weil sie ohne berechtigten Anlass zu weit links gefahren ist. Ein unfallursächliches Verschulden ist ihr aber dennoch nicht anzulasten, weil das Rechtsfahrgebot nur den berechtigten Gegen- und Überholverkehr, nicht aber den Einbiegeverkehr schützt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 2 StVO Rdnr. 33). Bei der Abwägung ist auf Beklagtenseite jedoch eine erhöhte Betriebsgefahr zu berücksichtigen, denn der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöht die Gefahr von Zusammenstößen im Einmündungsbereich typischerweise (vgl. OLG Köln NZV 1989, 437).

16

Dass die Beklagte zu 1) die in verkehrsberuhigten Zonen einzuhaltende Schrittgeschwindigkeit (vgl. § 42 Abs. 4 a Nr. 2 StVO) nicht beachtet hat, steht nicht fest. Wie langsam Schrittgeschwindigkeit sein muss, kann nicht einheitlich beurteilt werden. Um dem Recht der Kinder zum Spielen auf der Fahrfläche gerecht zu werden, ist Schrittgeschwindigkeit im verkehrsberuhigten Bereich als eine - freilich nach oben begrenzte - Variable anzusehen, die den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen ist und unter Umständen auch unter 4 km/h liegen kann (vgl. Fuchs/Wissemann, DAR 99, 42). Die in erster Instanz vernommenen Zeugen konnten keine konkreten Angaben zu der von der Beklagten zu 1) eingehaltenen Geschwindigkeit machen. Die Zeugen B... und v... S... sind erst nach dem Zusammenstoß auf den Unfall aufmerksam geworden. Die Aussagen der Zeugin B..., die Beklagte zu 1) sei in der gegebenen Verkehrssituation zu schnell gefahren, reicht nicht aus, um von einem Verstoß gegen das Schrittfahrgebot auszugehen. Auch diese Zeugin hat keine konkreten näheren Angaben machen können. Sie hat das gesamte Unfallgeschehen in seiner Entwicklung nicht verfolgt. Unter anderem konnte sie nicht angeben, ob die Zeugin S... noch vor der Einmündung angehalten hat.

17

Bei der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung muss sich der Kläger nicht nur die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges, sondern auch das Verschulden seiner Ehefrau als Fahrerin zurechnen lassen. Die Zeugin S... hat eine Vorfahrtsverletzung begangen (§ 8 StVO), weil sie das Vorfahrtsrecht der Beklagten zu 1) nicht beachtet hat, das sich auf die ganze Straßenbreite bezog und nicht dadurch verloren ging, dass die Vorfahrtsberechtigte nicht die rechte Straßenseite benutzte. Auch in verkehrsberuhigten Bereichen gilt für Fahrzeuge der Grundsatz rechts vor links. Der Kläger hat den Anschein schuldhafter Verkehrsverletzung durch seine Ehefrau als Fahrerin gegen sich (vgl. BGH NJW 82, 2668 [BGH 15.06.1982 - VI ZR 119/81]; OLG Düsseldorf VRS 47, 87 [OLG Düsseldorf 20.03.1974 - 12 U 34/73]). Dieser kann nur durch bewiesene Tatsachen ausgeräumt werden, aus denen folgt, dass die Zeugin S... auch bei Anwendung größter Sorgfalt die vorfahrtsberechtigte Beklagte zu 1) nicht sehen konnte. Insoweit fehlt bereits jeder konkrete Vortrag dazu, ab wann die Beklagte zu 1) zu sehen war und wo sich die beteiligten Fahrzeuge zu diesem Zeitpunkt befanden. Die Bekundung der Zeugin B..., die Zeugin S... habe sich vorsichtig um die Kurve herumgetastet, reicht zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht aus.

18

Bei der nach § 17 Abs. 1 StVO vorzunehmenden Abwägung ist somit auf Beklagtenseite nur die durch den Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöhte Betriebsgefahr in Ansatz zu bringen. Die Abwägung führt unter Berücksichtigung des Verschuldens der Ehefrau des Klägers und der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dazu, dass die Beklagten dem Kläger jedenfalls nicht mehr als ¼ seines entstandenen Schadens zu ersetzen haben. Entsprechend dem Antrag in der Anschlußberufungsschrift war das angefochtene Urteil zu ändern.

19

Die Berufung des Klägers hat auch keinen Erfolg, soweit er mit seinem erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Antrag die Verpflichtung der Beklagten erstrebt, ihm den Höherstufungsschaden aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung zu erstatten. Da dem Kläger gegen die Beklagten - wie ausgeführt - die geltend gemachten weitergehenden Ansprüche nicht zustehen und die Beklagten i.ü. schon vor Inanspruchnahme des Kaskoversicherers Zahlungen geleistet haben, besteht kein Anspruch auf Erstattung des behaupteten Höhergruppierungsschadens. Die Feststellungsklage ist unbegründet.

20

Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 284,288 BGB.

21

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.