Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 06.03.2002, Az.: 2 U 284/01
3 Jahre; abschließende Beurteilung; Differenzbetrag; Dreijahresfrist; endgültige Festsetzung; Erstbemessungspflicht; Ersterklärung; Erstfeststellungserklärung; Fälligkeit Versicherungsleistung; Gesundheitszustand; Invaliditätsbemessung; Invaliditätsentschädigung; Invaliditätsfeststellung; Nichtabgabe; positive Vertragsverletzung; Schadensersatzanspruch; Unfallversicherung; Verweisung; Verzinsungspflicht; Vorauszahlungsangebot; Änderungsmöglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 06.03.2002
- Aktenzeichen
- 2 U 284/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43740
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG - 21.11.2001 - AZ: 9 O 2070/01
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 1 AUB
- § 11 Abs 4 AUB
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. November 2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück teilweise geändert und wie folgt gefaßt:
Die Beklagte wird unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 22.773,79 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 30.000,-- € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Der Streitwert für den zweiten Rechtszug und der Wert der Beschwer betragen 22.773,79 €.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Kläger macht einen Anspruch aufgrund einer bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung geltend, der die AUB 88 zugrunde liegen.
Am 27.10.1997 erlitt er einen Arbeitsunfall, der bei ihm zur Invalidität führte. Am 18.01. 1999 zahlte die Beklagte zunächst einen Vorschuß auf die Invaliditätsentschädigung in Höhe von 50.000,-- DM. Nachdem sie einen von ihr angeforderten Folgebericht des Dr. ... vom Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus H... vom 16.02. 1999 erhalten hatte, kündigte sie am 18.03.1999 die Zahlung eines weiteren Vorschusses in Höhe von 150.000,-- DM an; ferner wies sie darauf hin, daß die begutachtenden Ärzte eine Nachuntersuchung zur endgültigen Feststellung der Dauerfolgen zum Ablauf des 3. Unfalljahrs vorgeschlagen hätten und sie sich diesen Termin notiert habe. Auf das Schreiben vom 18.03.1999 sowie die vorgenannte Begutachtung des Dr. F... wird wegen aller Einzelheiten Bezug genommen.
Am 21.03.1999 zahlte die Beklagte den angekündigten weiteren Vorschuß von 150.000,-- DM. Mit Schreiben vom 05.03.2001 errechnete sie eine Gesamtinvaliditätsentschädigung von 650.000,-- DM. Am 09.03.2001 zahlte sie die restliche Invaliditätsentschädigung von 450.000,-- DM.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Zinsen für die Zeit vom 18.03.1999 bis zum 08.03. 2001. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift nebst Zinsberechnung Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf das am 21.11.2001 verkündete Urteil wird verwiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zur Zahlung von 22.773,79 € (= 44.541,67 DM) zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Berufung hat Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung i.V.m. § 11 IV Abs. 3 AUB 88 in Höhe von 22.773,70 € (= 44.541,67 DM).
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 18.03.1999 lediglich die Zahlung eines weiteren Vorschusses von 150.000,-- DM angekündigt. Darin liegt ein pflichtwidriges Verhalten, denn sie hätte gemäß § 11 I AUB 88 eine Erstfeststellungserklärung abgeben müssen. Nach den genannten Vertragsbedingungen ist der Versicherer nach dem Zugang der notwendigen Unterlagen verpflichtet, innerhalb von drei Monaten zu erklären, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennen will. Die notwendigen Unterlagen und die Erklärung über den Abschluß des für die Bemessung der Invalidität notwendigen Heilverfahrens lagen der Beklagten spätestens mit dem bei ihr am 24.02.1999 eingegangenen Folgebericht des Arztes Dr. ... vom 16.02.1999 vor. Dabei spielt es für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 11 I AUB 88 keine Rolle, ob der Versicherungsnehmer selbst die Unterlagen beibringt oder der Versicherer sie einholt (OLG Hamm VersR 1991, 686). In dem genannten Bericht hat Dr. F... insbesondere den Abschluß der Heilbehandlung zum 30.09.1998 (!) bestätigt, den Eintritt der Invalidität des Klägers bejaht und den Grad nach der Gliedertaxe mit 6/10 des Beinwerts beziffert. Anhand des im Bericht enthaltenen ausführlichen medizinischen Gutachtens und der eindeutigen Invaliditätsbemessung wäre es der Beklagten - wie sie selbst in der Klageerwiderung ausdrücklich mehrfach eingeräumt hat (vgl. S. 3 Mitte sowie S. 4 unten und S. 5 oben) - möglich gewesen, eine Erstfeststellungserklärung gemäß § 11 I AUB 88 abzugeben. Dem stand nicht die Tatsache entgegen, daß Dr. F... - juristisch zutreffend - auf die Möglichkeit der Nachuntersuchung gemäß § 11 IV AUB 88 hingewiesen hatte. Die Tatsache, daß auch nach der Feststellung der Invalidität gemäß § 11 I AUB 88 nach einem gewissen Zeitraum Änderungen des Gesundheitszustands des Versicherten eintreten können und ein Überprüfungsverfahren gemäß § 11 IV AUB eine abweichende endgültige Invaliditätsbemessung vorsieht, steht der Möglichkeit und der Pflicht der Erstfeststellung gemäß § 11 I AUB 88 nicht entgegen. Anderenfalls wäre die bedingungsgemäße Regelung sinnlos, daß grundsätzlich eine - später ggf. abänderbare - Erstfeststellung zu erfolgen hat, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Entscheidend für die Möglichkeit und Pflicht zur Erstfeststellung ist nur, daß überhaupt aufgrund ärztlicher Gutachten die Invalidität auf der Grundlage des § 7 I AUB 88 in einer gewissen Schwankungsbreite bemessen werden kann (OLG Düsseldorf VersR 1994, 1460). Daß dies anhand des Gutachtens vom 16.02.1999, in welchem eine exakte Invaliditätsbemessung vorhanden ist, möglich war, ist nicht zweifelhaft.
Der sich aus § 11 I AUB 88 ergebenden Pflicht zur Erstbemessung kann sich der Versicherer nicht dadurch entziehen, daß er - wie es vorliegend geschehen ist - Vorauszahlungen anbietet und im übrigen auf die Möglichkeit verweist, daß sich innerhalb der Dreijahresfrist gemäß § 11 IV AUB 88 der für eine abschließende Beurteilung maßgebliche Gesundheitszustand noch ändern kann (OLG Hamm r + s 1998, 302; OLG Düsseldorf r + s 2001, 524). Gemäß § 11 I AUB 88 wäre die Beklagte vielmehr gehalten gewesen zu erklären, ob und in welcher Höhe sie anerkennen wollte. Eine solche Ersterklärung hätte dazu geführt, daß der Differenzbetrag zu der späteren, endgültig festgesetzten Invaliditätsentschädigung gemäß § 11 IV Abs. 3 AUB 88 mit 5 % jährlich zu verzinsen gewesen wäre. Der Kläger ist im Wege des Schadensersatzes mithin so zu stellen, als ob die Beklagte sich bedingungskonform verhalten hätte.
In diesem Fall hätte die Beklagte die entsprechende Ersterklärung gemäß § 11 I AUB 88 unter dem 18.03.1999 abgegeben. Zwar räumt § 11 I AUB 88 dem Versicherer für diese Ersterklärung eine Frist von drei Monaten nach dem Eingang der vollständigen Unterlagen ein, und diese Frist war am 18.03.1999 noch nicht verstrichen. Eine dem § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG konforme Auslegung dieser Bedingung ergibt jedoch, daß der Versicherer nach dem tatsächlichen Abschluß seiner Ermittlungen auch vor Ablauf der Frist erklärungspflichtig ist. Denn nach dem Abschluß der Ermittlungen besteht kein rechtfertigender Grund dafür, abweichend vom Grundgedanken des § 11 Abs. 1 VVG dem Versicherer entgegen der gesetzlichen Regelung eine Stundung zuzubilligen (vgl. auch Martin, VersR 1984, 1107, 1109 kritisch zur Zweiwochenfrist des § 17 AFB 30, sowie Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 17 AFB 30 Rdn. 6).
Der Kläger hat danach ausgehend von einer Invaliditätsentschädigung in Höhe von 650.000,-- DM unter Berücksichtigung der gezahlten Abschläge einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 5 % Zinsen auf 600.000,-- DM vom 18.03. bis zum 22.03.1999 und auf 450.000,-- DM vom 23.03.1999 bis zum 08.03.2001. Nach der von der Beklagten nicht beanstandeten Berechnung des Klägers ist damit der geltend gemachte Anspruch in Höhe von 44.541,67 DM entsprechend 22.773,79 € gerechtfertigt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11 und 711 ZPO a.F. und 543 ZPO n.F.