Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 03.06.2019, Az.: 1 Ws 39/19
Vollstreckung von Strafen im Maßregelvollzug
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 03.06.2019
- Aktenzeichen
- 1 Ws 39/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 25904
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 17.09.2018
Rechtsgrundlagen
- StGB § 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1
- StGB § 67 Abs. 6 S. 1
- StGB § 67 Abs. 6 S. 4
- StGB § 67d
Amtlicher Leitsatz
§ 67 Abs. 5 S. 2 Hs.1 StGB ist keine Grundlage für die Vollstreckung von Strafen im Maßregelvollzug. Die Vorschrift ermöglicht lediglich unter den Voraussetzungen des § 67 Abs. 5 StGB die Fortsetzung der Maßregelvollstreckung, deren Dauer durch die einzelnen Erledigungstatbestände des § 67 d StGB begrenzt wird.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kassel wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 17. September 2019 aufgehoben, soweit unter Ziffer 4 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Kassel vom 28. März 2011 (260 Ls 3620 Js 10880/09) und vom 16. August 2012 (264 Ls 2840 Js 4631/12) im Maßregelvollzug angeordnet wurde.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Der Verurteilte (nachfolgend auch Beschwerdegegner) wurde am 15. Juli 2015 vom Amtsgericht Hannover wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Erschleichens von Leistungen mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten belegt. Auf die Berufung des Angeklagten änderte das Landgericht Hannover durch Urteil vom 15. Dezember 2015 (Az. 60 Ns 109/15), das am selben Tag rechtskräftig wurde, den Rechtsfolgenausspruch ab. Es verurteilte den Beschwerdegegner unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 8. Dezember 2014 (Az. 242 Ds 7432 Js 77933/14) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten und 2 Wochen. Zudem ordnete die Kammer seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an (Az. 7432 Js 24382/15 StA Hannover).
Außerdem wurde der Beschwerdegegner, soweit es für das vorliegende Verfahren von Bedeutung ist, wie folgt verurteilt:
Durch Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 28. März 2011 (Az. 260 Ls 3620 Js 10880/09), rechtskräftig seit dem 5. April 2011, wurde er wegen räuberischen Diebstahls mit einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten belegt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt (StA Kassel Az. 3620 Js 10880/09).
Das Amtsgericht Kassel verurteilte ihn zudem am 16. August 2012 (Az. 264 Ls 2840 Js 4631/12), rechtskräftig seit dem 26. November 2012, wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren (StA Kassel 2840 Js 4631/12). Diese Verurteilung führte dazu, dass die Strafaussetzung, die das Amtsgericht Kassel dem Beschwerdegegner am 28. März 2011 gewährt hatte, durch Beschluss vom 11. Januar 2013 widerrufen wurde.
Die auf § 36 BtMG beruhende Aussetzung der Reststrafen aus den vorgenannten Urteilen des Amtsgerichts Kassel vom 28. März 2011 (durch Beschluss vom 16 September 2014) und vom 16. August 2012 (durch Beschluss vom 29. September 2014) wurde jeweils am 16. August 2015 wegen des Urteils des Amtsgerichts Hannover vom 15. Juli 2015 widerrufen.
Ferner wurde der Beschwerdegegner durch das Amtsgericht Hannover am 25. September 2013 (Az. 242 Ds 7432 Js 49314/13), rechtskräftig seit dem selben Tag, wegen Diebstahls in 4 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.
Außerdem verhängte das Amtsgericht Neustadt am Rübenberge gegen ihn mit Urteil vom 9. November 2015 (Az. 64 Ds 2873 Js 64480/15) wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von 2 Monaten. Die Rechtskraft dieses Urteils trat am selben Tag ein.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 17. September 2018, auf dessen Einzelheiten verwiesen wird (VH 7432 Js 24382/15 Bd. II Bl. 11 ff.), hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zunächst die Fortdauer der Unterbringung bis zum Erreichen der verlängerten Höchstfrist angeordnet und festgestellt, dass die Unterbringung mit dem Ablauf der verlängerten Höchstfrist (am 9. Oktober 2018) erledigt ist. Darüber hinaus hat sie es abgelehnt, sowohl den Strafrest aus der Anlassverurteilung als auch die Vollstreckung der übrigen - verfahrensfremden - Strafen zur Bewährung auszusetzen. Die Kammer hat keine Anrechnungsentscheidung nach § 67 Abs. 6 S. 1 StGB getroffen, aber dennoch gemäß §§ 67 Abs. 6 S. 4, 67 Abs. 5 S. 2 StGB angeordnet, dass nicht nur die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Dezember 2015 (Ziffer 3 des Tenors), sondern zudem "die (Rest-)strafen" aus den übrigen vier Erkenntnissen "bis auf weiteres im Maßregelvollzug zu vollziehen" seien (Ziffer 4 des Tenors).
Der Beschluss ist dem Verurteilten am 19. Oktober 2018 zugestellt worden. Eine Zustellung ist zudem nur im Verfahren 7432 Js 24382/15 an die Staatsanwaltschaft Hannover, die kein Rechtsmittel eingelegt hat, veranlasst worden. Der Staatsanwaltschaft Kassel ist der Beschluss hingegen nicht zugestellt worden. Sie hat erstmals am 17. Dezember 2018 im Verfahren 3620 Js 10880/09 formlos eine Abschrift des angefochtenen Beschlusses zur Kenntnis erhalten. Mit Verfügung vom 28. Januar 2019, eingegangen bei dem Landgericht Göttingen am 31. Januar 2019, hat die Staatsanwaltschaft Kassel unter dem Aktenzeichen 2840 Js 4631/12 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hat die Verfahrensakten 2840 Js 4631/12 und 3620 Js 10880/09 an die Strafvollstreckungskammer gesandt und ihr Rechtsmittel ausdrücklich auf "Ziffer 4. des Beschlusses, wonach die Reststrafen bis auf weiteres im Maßregelvollzug zu vollziehen" seien, beschränkt.
Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt, die das Landgericht Hannover durch Urteil vom 15. Dezember 2015 angeordnet hatte, ist vom 11. Juli 2016 bis zum Erreichen der verlängerten Höchstfrist im Maßregelvollzugszentrum in Moringen vollstreckt worden. Seit dem 9. Oktober 2018 (Ablauf der verlängerten Höchstfrist) erfolgt die Vollstreckung der Strafen im Maßregelvollzug. Aktuell befindet sich der Verurteilte im "Probewohnen" in einer Diakonischen Einrichtung in K.
Die Reststrafen in den jeweils von der Staatsanwaltschaft Hannover vollstreckten Verfahren 7432 Js 24382/15 (bis 23.11.2018) und 7432 Js 49314/13 (bis 23.01.2019) sind zwischenzeitlich vollständig verbüßt. Seit 24. Januar 2019 wird der Strafrest von insgesamt 320 Tagen aus dem Urteil des Amtsgericht Kassel vom 16. August 2012 (Az. 264 Ls 2840 Js 4631/12) vollstreckt. Aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 28. März 2011 steht die Vollstreckung von noch 82 Tagen aus.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
Der Verteidiger hat mit Schriftsätzen vom 27. März 2019 und vom 5. April 2019 unter anderem die Ansicht vertreten, dass sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kassel nur auf das Verfahren 2840 Js 4631/12, nicht aber auf das Verfahren 3620 Js 10880/09 beziehe. In der Sache hat er zudem für den Verurteilten ausgeführt, dass § 67 Abs. 5 S. 2 StGB die Vollstreckung des Restes der Parallelstrafe im Maßregelvollzug ermögliche. Über § 67 Abs. 6 S. 4 StGB sei diese Vorschrift auch in Bezug auf die verfahrensfremden Strafen anwendbar. Die Vollstreckung der Strafen im Maßregelvollzug sei im Fall des Beschwerdegegners auch sinnvoll. Ein Vollzug der Reststrafen im Strafvollzug stelle demgegenüber eine unbillige Härte im Sinne von § 67 Abs. 6 S. 1 StGB dar. Der Verurteilte sei zwischenzeitlich gut in der Diakonischen Einrichtung in K angekommen und könne inzwischen dorthin entlassen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Schriftsätze verwiesen.
Die Maßregelvollzugseinrichtung betont in einer Stellungnahme vom 24. April 2019 ebenfalls die positive Entwicklung des Verurteilten; sie regt deshalb die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafen zur Bewährung an. Die Verbüßung der Reststrafen in einer Justizvollzugsanstalt würde - so die Stellungnahme der Einrichtung - das bisher Erreichte grundsätzlich in Frage stellen.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kassel ist gemäß §§ 463 Abs. 6 S. 1, 462 Abs. 3 S. 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig.
Das Rechtsmittel ist am 31. Januar 2019 fristgerecht bei der Strafvollstreckungskammer angebracht worden. Zwar ist die Beschwerde gemäß § 311 Abs. 2 StPO binnen einer Woche nach Bekanntmachung einzulegen. Allerdings hat die Bekanntmachung gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 StPO durch Zustellung zu erfolgen, woran es bisher fehlt. Da die Strafvollstreckungskammer die angefochtene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Kassel nicht förmlich zugestellt hat, wurde die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegenüber dieser nicht in Gang gesetzt.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kassel bezieht sich ferner auf beide bei ihr anhängigen Vollstreckungsverfahren. Es ist nicht entscheidend, ob die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel ausdrücklich als solches bezeichnet, solange sich ihr Wille zur Einlegung eines Rechtsmittels ergründen lässt (vgl. Paul in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 300 Rn. 1 m.w.N.). Der Wille der Staatsanwaltschaft Kassel ging erkennbar dahin, die Vollstreckung beider Reststrafen im Maßregelvollzug anzugreifen. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Kassel nur unter dem Aktenzeichen 2840 Js 4631/12 sofortige Beschwerde eingelegt, sie hat jedoch zugleich mit den Akten dieses Verfahrens auch die Akten des Verfahrens 3620 Js 10880/09 übersandt, wozu es keinen Anlass gegeben hätte, wenn sich das Rechtsmittel auf das zweite Verfahren nicht auch hätte beziehen sollen. Darüber hinaus verwendet die Staatsanwaltschaft Kassel in der Verfügung, mit der sie das Rechtsmittel begründet, den Plural, indem sie auf die "erheblichen noch zu vollstreckenden Strafen" hinweist und ausführt, dass sich die sofortige Beschwerde gegen Ziffer 4 des Beschlusses wende, wonach "die Reststrafen" bis auf weiteres im Maßregelvollzug zu vollziehen seien. Dies spricht ebenfalls dafür, dass sie Ziffer 4 des Tenors insoweit angreifen will, als sie für die Vollstreckung zuständig ist. Diese Auslegung ist nach Auffassung des Senats schließlich deshalb geboten, weil in der Akte 3620 Js 10880/09 in einem Vermerk (Bl. 265 R) festgehalten ist, dass die beiden Vollstreckungshefte "zusammen" dem zuständigen Dezernenten zur Beschwerdeeinlegung vorgelegt werden sollen.
Dass die Staatsanwaltschaft Kassel nur in denjenigen Verfahren, in denen sie Vollstreckungsbehörde ist, sofortige Beschwerde angebracht hat, gegen den angefochtenen Beschluss von den übrigen Staatsanwaltschaften sonst aber kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Anders als bei den Strafvollstreckungskammern existiert für die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften als Vollstreckungsbehörden keine dem § 462a Abs. 4 StPO entsprechende Zuständigkeitskonzentration (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.1994, 3 Ws 310/94, MDR 1995, 194).
2.
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil die Strafvollstreckungskammer zu Unrecht die Vollstreckung der verfahrensfremden Restfreiheitsstrafen im Maßregelvollzug angeordnet hat. Ob die Vollstreckung von Reststrafen nach Erledigung einer Unterbringung grundsätzlich bis zur vollständigen Verbüßung der Strafe in direkter oder entsprechender Anwendung von § 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 StGB im Maßregelvollzug möglich ist, ist umstritten.
Nach einer Ansicht, der sich der Senat jeweils für Fälle der Erledigung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeschlossen hatte (OLG Braunschweig, Beschluss vom 31.07.2017, 1 Ws 166/17, juris, Rn. 36 ff.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.02.2018, 1 Ws 260/17, juris, Rn. 99), gestattet § 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 StGB nach Erledigung der Unterbringung grundsätzlich die Vollstreckung von Strafen im Maßregelvollzug bis zu deren vollständiger Verbüßung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.2013, 2 Ws 576/13, juris, Rn. 26 ff. [Erledigung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB]; OLG Hamm, Beschluss vom 12.01.2017, III-4 Ws 372/16, juris, Rn. 9 [Erledigung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB]; OLG Hamm, Beschluss vom 01.03.2018, 3 Ws 472/17, juris, Rn. 55 ff. [Erledigung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB]; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 67 Rn. 54; Maier in Münchner Kommentar, StGB, 3. Aufl., § 67 Rn. 148). Für eine direkte oder entsprechende Anwendung werden die Materialien (BT-Drucks. 16/1110) zum "Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt" vom 16.07.2007 (BGBl. I S. 1327) ins Feld geführt. Diesen lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 67 Abs. 5 StGB Gesichtspunkten der Spezialprävention Vorrang vor den zeitlichen Begrenzungen des § 57 Abs. 1 StGB geben und insbesondere dafür habe sorgen wollen, dass ein schon erreichter Therapieerfolg nicht wieder gefährdet werde (Senat, Beschluss vom 31.07.2017, 1 Ws 166/17, juris, Rn. 40 unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/1110, S. 17). Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich zudem, dass der Gesetzgeber ein weites Verständnis von § 67 Abs. 5 S. 2 StGB habe. Denn dem Gesetzentwurf habe hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB die Ansicht zugrunde gelegen, dass die Unterbringung ggf. über die hierfür in § 67d Abs. 1 S. 3. StGB bestimmte Höchstfrist hinaus weiter vollzogen werden dürfe (Senat, a.a.O., Rn. 40 unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/1110, S. 14). Die Norm berücksichtige das "allgemeine Vollzugsprinzip", dass die Therapieanstalten möglichst wenig gewechselt werden sollten (Senat, a.a.O., Rn. 36; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 67 Rn. 52). Im Falle der Erledigung der Maßregel werde die Strafe und nicht die (erledigte) Unterbringung vollstreckt, was ausnahmsweise in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs geschehe (Senat, a.a.O., Rn. 37).
Demgegenüber lehnt eine andere Ansicht die Anwendung von § 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 StGB auf Fälle der Vollstreckung von Strafen im Maßregelvollzug ab (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.06.2018, 2 Ws 42/18, juris, Rn. 20 ff.; KG, Beschluss vom 18.03.2014, 2 Ws 77/14, juris, Rn. 7 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 09.03.2015, 1 Ws 91/15, juris, Rn. 4 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 10.05.2017, 3 Ws 240/17, juris, Rn. 4; Veh in Münchner Kommentar, StGB, 3. Aufl., § 67 d Rn. 11). Der Senat schließt sich dieser Ansicht unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung an. § 67 Abs. 5 S. 2 Hs.1 StGB ist, wie der gesetzlichen Überschrift zu entnehmen ist, eine Spezialregelung zur Reihenfolge der Vollstreckung (OLG Hamburg, a.a.O. Rn. 41). Sie regelt nicht die allein durch ihre vollständige Verbüßung begrenzte Vollstreckung einer Strafe im Maßregelvollzug, sondern knüpft die Fortsetzung des Maßregelvollzugs an weitere Voraussetzungen und lässt sie nur in den Grenzen der übrigen Vorschriften (insbesondere § 67 d StGB) zu.
Für die Annahme, dass auch Strafen im Maßregelvollzug vollstreckt werden könnten, bietet der Wortlaut, der allerdings auch nicht ausdrücklich die Fortsetzung der Maßregelvollstreckung bestimmt, keinen Anhalt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist der "Vollzug der Maßregel" und nicht der Vollzug der Strafe fortzusetzen, sofern eine im Erkenntnisverfahren zugleich verhängte Strafe nicht gemäß § 67 Abs. 5 S. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird. Wie eine systematische Betrachtung zeigt, ist unter "Vollzug der Maßregel" deren Vollstreckung zu verstehen. Das folgt zunächst daraus, dass § 67 ausweislich seiner Überschrift die "Reihenfolge der Vollstreckung" regeln will. Wenn in den einzelnen Absätzen des § 67 StGB darüber hinaus von "vollzogen" (§ 67 Abs. 1 und Abs. 4 StGB), "vollziehen" (§ 67 Abs. 2 S. 1, 2 und 4 StGB), "Vollziehung" (§ 67 Abs. 2 S. 3 StGB) oder "Vollzug" (§ 67 Abs. 6 S. 1 StGB) die Rede ist, meint die Vorschrift immer nicht nur den Vollzug, sondern auch die Vollstreckung der Maßregel oder der Strafe.
Ferner liefen die einschlägigen Erledigungsvorschriften - bei Ablauf der verlängerten Höchstfrist ist § 67 d Abs. 4 StGB einschlägig - leer, wenn der Maßregelvollzug trotz Erledigung der Unterbringung zur Vollstreckung von Strafen fortgesetzt werden könnte (dazu: OLG Hamburg, a.a.O., Rn. 34 ff.). Auch die Anrechnungsregelung des § 67 Abs. 4 StGB spricht maßgeblich für eine Begrenzung der Maßregel, weil die Zeit des Maßregelvollzugs nicht mehr auf die Strafe anrechenbar ist, nachdem durch Anrechnung zwei Drittel der Strafe verbüßt ist. Die von der Gegenauffassung gewählte Konstruktion der Vollstreckung der Strafe im Maßregelvollzug stellt sich als Umgehung dieses Anrechnungsverbots dar (OLG Hamburg, a.a.O., Rn. 47).
§ 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 StGB geht systematisch davon aus, dass die Maßregel nicht erledigt ist (OLG Hamburg, a.a.O., Rn. 35). Die Spezialregelung will eine erleichterte Aussetzung der Reststrafe (zum Halbstrafenzeitpunkt) ermöglichen. Nur für den Fall, dass eine solche Aussetzung nicht erfolgt, wird angeordnet, dass der Maßregelvollzug fortgesetzt werden soll. Das ergibt sich aus § 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 StGB, wonach die Rechtsfolge (Fortsetzung des Maßregelvollzugs) ausdrücklich unter der Voraussetzung steht, dass "der Strafrest nicht ausgesetzt" wird.
In diesem Kontext trifft es - wie die Gegenauffassung mit Recht bemerkt - zu, dass nach dem Willen des Gesetzgebers bereits erzielte Therapieerfolge durch ein Überwechseln in den Strafvollzug nicht wieder gefährdet werden sollen. Dieser Gedanke hat auch, was der Gegenauffassung zuzugeben ist, Eingang in den durch Gesetz vom 8. Juli 2016 angefügten § 67 Abs. 6 StGB gefunden. Daraus lässt sich aber kein entsprechender Wille des Gesetzgebers ableiten, Gefährdungen von bereits erzielten Therapieerfolgen, die mit dem Überwechseln in den Strafvollzug verbunden sein können, generell zu verhindern. § 67 Abs. 6 StGB setzt (nur) die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Anrechnung von überschießenden Unterbringungszeiten auf verfahrensfremde Strafen in Härtefällen um. Einen darüber hinaus gehenden Willen des Gesetzgebers, dass nicht durch eine Anrechnung nach § 67 Abs. 4 StGB oder § 67 Abs. 6 StGB erledigte Strafreste zur Abwendung der Gefährdung eines Therapieerfolges (regelmäßig) im Maßregelvollzug vollstreckt werden sollen, lässt sich dagegen nicht begründen.
Die Argumente aus der Begründung des Gesetzes "zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt" (Drucksache 16/1110) tragen, wie das Oberlandesgericht Hamburg ebenfalls nachvollziehbar dargelegt hat (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.06.2018, 2 Ws 42/18, juris, Rn. 49 ff.), nicht, um die Vollstreckung von Strafen im Maßregelvollzug zu rechtfertigen. Weder durch die Materialien dieses Gesetzes, auf die sich die Gegenauffassung beruft, noch durch das Gesetz "zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften" vom 08.07.2016 (BGBl. I S. 1610), der letzten Befassung des Gesetzgebers mit dem Normenkomplex, wurde § 67 Abs. 5 StGB verändert. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass zur Abwendung von Gefährdungen erreichter Therapieerfolge auch nicht aussetzungsfähige Strafen generell im Maßregelvollzug vollstreckt werden sollen, hätte er - gerade angesichts der Befassung mit § 67 StGB (Einfügung von § 67 Abs. 6 StGB) im letztgenannten Gesetzgebungsverfahren - § 67 Abs. 5 StGB neu fassen können. Das hat er indes nicht getan, obgleich die Rechtsprechung zur Problematik der Vollstreckung von (Parallel-)Strafen nach Erledigung der Maßregel zu dieser Zeit bereits bekannt war (vgl. nur KG, Beschluss vom 18.03.2014, 2 Ws 77/14, juris, Rn. 6; OLG Koblenz, Beschluss vom 09.03.2015, 1 Ws 91/15, juris, Rn. 4 ff.).
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Gegenauffassung ferner nicht darauf stützen, dass die Gesetzesmaterialen (Drucksache 16/1110) den Hinweis auf eine Literaturstelle enthalten, nach welcher ein Weitervollzug der Maßregel nicht nur bis zum Ende der verlängerten Höchstfrist zulässig sei, sondern "ggf. darüber hinaus". Die zitierte Literaturstelle verhält sich zu der besagten Frage bereits sehr kritisch. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber sich damals mit der Frage eines solchen Weitervollzugs nach Beendigung der Vollstreckung der Maßregel letztlich auch nicht befasst und - wie ausgeführt - bis heute eine entsprechende Regelung nicht geschaffen hat.
§ 67 Abs. 5 StGB wurde schon durch das zweite Strafrechtsreformgesetz vom 04.07.1969 eingeführt und ist seit 01.01.1975 in Kraft. Aus dem zweiten Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Drucksache V/4095) ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit § 67 Abs. 5 StGB das Ziel verfolgte, Strafaussetzungen vor dem in § 57 Abs. 1 StGB bestimmten Zeitpunkt (also vor Vollstreckung von zwei Dritteln) zu ermöglichen. Nach Ansicht des Ausschusses sei es "nicht einzusehen, warum der Verurteilte, obwohl der Maßregelzweck erreicht ist, in solchen Fällen anschließend noch stets im Vollzug zurückbehalten werden soll, bis zu zwei Drittel der Strafe verbüßt sind." Der Gesetzgeber wollte damals die Möglichkeit schaffen, bei erfolgreicher Behandlung eine frühere Aussetzung der Strafe zu ermöglichen, die nach dem Wortlaut der damaligen Vorschrift noch nicht einmal von der Vollstreckung der Hälfte der Strafe (durch Anrechnung) abhängig war. Wenn aber die Reststrafe dennoch nicht ausgesetzt werden konnte (beispielsweise wegen negativer Prognose trotz erfolgreicher Heilbehandlung), sollte der Maßregelvollzug, dessen Zweck bereits erreicht war, fortgesetzt werden, bis eine Aussetzung der Reststrafe vorgenommen werden kann. Das ist der Sinn des § 67 Abs. 5 S. 2 StGB. Die Grenze bilden aber allgemein die Erledigungsvorschriften und im konkreten Fall der Ablauf der verlängerten Höchstfrist.
Ein anderes Ergebnis folgt bei den von der Staatsanwaltschaft Kassel zu vollstreckenden verfahrensfremden Strafen auch nicht aus dem Verweis auf § 67 Abs. 5 StGB in § 67 Abs. 6 S. 4 StGB. Eine (von der Kammer gar nicht vorgenommene) Anrechnung der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf verfahrensfremde Strafen (§§ 67 Abs. 4, Abs. 6 S. 1 StGB), ändert nichts am bereits eingetretenen Ablauf der verlängerten Höchstfrist und der damit zwingend einhergehenden Beendigung des Maßregelvollzugs. Die verlängerte Höchstfrist hängt gemäß § 67 d Abs. 1 S. 3 StGB von der Dauer der neben der Maßregel angeordneten Freiheitsstrafe ab und wird unabhängig von der Anrechnung nicht zusätzlich durch die Dauer verfahrensfremder Strafen verlängert. Eine Anrechnungsentscheidung gemäß § 67 Abs. 6 S. 1 StGB, die Voraussetzung für die Anwendung von § 67 Abs. 5 StGB ist (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 03.09.2018, 1 Ws 164/18, juris, Rn. 6 unter Hinweis auf BT-Drucks. 18/7244, S. 29), könnte darüber hinaus bei den von der Staatsanwaltschaft Kassel zu vollstreckenden Strafen nicht getroffen werden, weil sie gemäß § 67 Abs. 4 StGB nur erfolgt, bis zwei Drittel der Strafe erledigt ist (vgl. dazu auch BT-Drucks. 18/7244, S. 27). Daran fehlt es, weil schon zum Zeitpunkt der Kammerentscheidung zwei Drittel der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 28. März 2011 verbüßt waren und inzwischen auch zwei Drittel der Strafe aus dem Urteil des Amtsgericht Kassel vom 16. August 2012 vollstreckt sind. Denn der Beschwerdegegner verbüßt den Strafrest von 320 Tagen aus dem letztgenannten Urteil (ursprünglich 2 Jahre Gesamtfreiheitsstrafe) seit 24. Januar 2019.
3.
Die Staatsanwaltschaft Kassel hat ihr Rechtsmittel ferner wirksam auf die Anfechtung von Ziffer 4. des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer beschränkt. Auf die Teilanfechtung von Beschlüssen sind die allgemeinen Grundsätze über die Beschränkung von Rechtsmitteln (§§ 318, 344 StPO) anzuwenden. Die Beschränkung ist daher nur wirksam, wenn der angefochtene Teil der Entscheidung gegenüber dem nichtangefochtenen derart selbständig ist, dass er eine gesonderte Prüfung und Beurteilung erlaubt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 16.05.2017, 1 Ws 68/17, juris, Rn. 29; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 304 Rn. 4). An dieser Selbständigkeit fehlt es unter anderem dann, wenn der angefochtene und der nichtangefochtene Teil der Entscheidung in rechtlich unzulässiger Weise miteinander verknüpft sind (so für die Verknüpfung von Strafmaß- und Strafaussetzungsentscheidung im Urteil: BGHSt 19, 46, 48; OLG Braunschweig, a.a.O., Rn. 30). Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Rechtsmittelbeschränkung wirksam. Bei der Frage, ob Reststrafen nach Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen Erreichens der verlängerten Höchstfrist im Maßregelvollzug vollstreckt werden können, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die losgelöst von den übrigen Teilen der Entscheidung beantwortet werden kann (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.06.2018, 2 Ws 42/18, juris, Rn. 18). Soweit der Senat im Beschluss vom 16.05.2017 (1 Ws 68/17, juris, Rn. 27 ff.) eine solche Beschränkung nicht für wirksam erachtet und einen Zusammenhang mit der Bewährungsaussetzung der Reststrafen hergestellt hat, hält er hieran ebenfalls nicht fest. Die bisherige Senatsrechtsprechung war auf der Grundlage, dass Reststrafen nach Ablauf der verlängerten Höchstfrist im Maßregelvollzug vollstreckt werden können, konsequent. Für eine Verknüpfung mit der Aussetzungsfrage besteht indes auf der Basis der aktuellen Senatsrechtsprechung kein Anlass mehr, weil das Gesetz - wie dargelegt - unabhängig von etwaigen tatsächlichen Umständen die Vollstreckung von Strafen im Maßregelvollzug nicht vorsieht.
Weil eine Anrechnungsentscheidung gemäß § 67 Abs. 6 S. 1 StGB nicht möglich ist, hatte der Senat auch keinen Anlass, eine Verknüpfung der Anrechnungsentscheidung mit der Entscheidung der Kammer, die Reststrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Kassel vom 28. März 2011 und vom 16. August 2012 gemäß §§ 67 Abs. 6 S. 4, Abs. 5 StGB im Maßregelvollzug zu vollstrecken, anzunehmen.
III.
Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten des zu Ungunsten des Verurteilten eingelegten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft gehören zu den Verfahrenskosten, die dieser nach § 465 Abs. 1 S. 1 StPO zu tragen hat (vgl. BGHSt 19, 226; KG, Beschluss vom 17.03.2017, 5 Ws 67/17, juris, Rn. 8, wistra 2017, 363; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 473 Rn. 15). Von den dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet (vgl. BGH a. a. O.; KG a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O).
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer angesichts der positiven Stellungnahmen der Maßregelvollzugseinrichtung zeitnah die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafen aus den beiden von der Staatsanwaltschaft Kassel zu vollstreckenden Entscheidungen zu prüfen haben wird.
Bis zu einer solchen Entscheidung bietet es sich an, zunächst die - wegen § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB nicht aussetzungsfähige - Freiheitsstrafe von 2 Monaten aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Neustadt am Rübenberge auf der Basis der insoweit nicht angegriffenen Kammerentscheidung vom 17.09.2018 im Maßregelvollzug zu vollstrecken. Wenn sich die zuständige Staatsanwaltschaft dieser Anregung nicht anschließen will, sollte alternativ in Bezug auf diese Entscheidung ernsthaft eine Strafaussetzung im Gnadenverfahren erwogen werden.