Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.06.2019, Az.: 1 Ws 292/18
Auslagenerstattung für zwei Wahlverteidiger nach Freispruch
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.06.2019
- Aktenzeichen
- 1 Ws 292/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 25905
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 25.10.2018
Rechtsgrundlagen
- ZPO § 91 Abs. 2 S. 2
- StPO § 464a Abs. 2 Nr. 2
Fundstellen
- AGS 2020, 204-208
- JurBüro 2020, 29-32
- RVGreport 2019, 391-393
- StRR 2019, 2
- StraFo 2019, 437-439
Amtlicher Leitsatz
Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO, die im Strafverfahren über § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO zur Anwendung kommt, sieht zwar regelmäßig eine Erstattung von Kosten mehrerer Wahlverteidiger nur insoweit vor, als diese die Kosten eines Wahlverteidigers nicht übersteigen.
Einem Freigesprochenen sind aber dann die notwendigen Auslagen, die er für zwei Wahlverteidiger gezahlt hat, zu ersetzen, wenn seine Verteidigung ausnahmsweise im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität des Strafverfahrens durch nur einen Wahlverteidiger schlechterdings nicht zu bewältigen war.
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgericht Göttingen vom 25.10.2018 teilweise abgeändert.
Die Landeskasse hat dem Freigesprochenen über die mit Beschluss vom 25.10.2018 bereits festgesetzten Kosten hinaus weitere notwendigen Auslagen in Höhe von 81.162,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.08.2017 zu erstatten.
Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
2. Die Kosten der sofortigen Beschwerde und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse.
3. Der Beschwerdewert wird auf 83.539,19 € festgesetzt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde hat überwiegend Erfolg. Dem Freigesprochene sind weitere 81.162,52 € (insgesamt also 165.983,59 €) nebst Zinsen zu erstatten.
I.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig warf dem Beschwerdeführer mit einer 156 Seiten umfassenden Anklageschrift vom 29.05.2013 die Begehung von 11 Straftaten des versuchten Totschlags gemäß §§ 212, 22, 23 StGB sowie von 3 Straftaten der Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB (Behandlung ohne medizinische Indikation) vor. Bereits im Ermittlungsverfahren bestellten sich Rechtsanwalt Dr. H. (am 07.06.2012) und Rechtsanwalt Prof. Dr. S. (am 15.06.2012) als Wahlverteidiger. Beide Rechtsanwälte sind Fachanwälte für Strafrecht. Rechtsanwalt Prof. Dr. S. ist ein in Revisionssachen erfahrener Fachanwalt für Strafrecht mit dem Spezialgebiet Mord- und Totschlagsverfahren. Rechtsanwalt Dr. H. ist nicht nur Fachanwalt für Strafrecht, sondern auch Fachanwalt für Medizinrecht. Er vertrat den Freigesprochenen vor seiner Mandatierung im vorliegenden Verfahren bereits gegenüber seinem Arbeitgeber, der Universitätsmedizin Göttingen, und gegenüber der Bundesärztekammer im berufsrechtlichen Verfahren. Beide Verteidiger arbeiteten im Strafverfahren arbeitsteilig zusammen. Während Dr. H. vorrangig die sog. Indikationsfälle bearbeitete, wandte sich Prof. Dr. S. primär den sog. Manipulationsfällen (Einflussnahme auf das Zuteilungsverfahren) zu.
Das zuständige Landgericht Göttingen sprach den Beschwerdeführer, der sich vom 11.01.2013 bis zum 16.12.2013 in Untersuchungshaft befand, am 06.05.2015 nach 64 Hauptverhandlungstagen frei. Der Bundesgerichtshof verwarf die von der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen das 1.232 Seiten umfassende Urteil eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision am 28.06.2017 (5 StR 20/16, juris). Die Kosten beider Instanzen und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers wurden gemäß § 467 Abs.1 StPO der Staatskasse auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 09.08.2017 hat Rechtsanwalt Prof. Dr. S. namens und in Vollmacht des Beschwerdeführers gemäß §§ 464 b StPO, 104 ZPO beantragt, die notwendigen Auslagen festzusetzen und diese ab Eingang bzw. Rechtskraft mit 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Den zu erstattenden Betrag hat er im Antrag auf 163.099,86 € (1. Instanz) sowie auf 5.260,40 € (Revisionsinstanz) beziffert und entsprechende Honoraraufstellungen beigefügt. Darin sind die notwendigen Auslagen für beide Wahlverteidiger enthalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die erstinstanzlichen Honoraraufstellungen des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. über 78.340,56 € (BeH Bl.7 ff.) und des Rechtsanwalts Dr. H. über 84.759,30 € (BeH Bl. 14 ff.) sowie die zweitinstanzlichen Honoraraufstellungen des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. über 2.883,73 € (BeH Bl. 22) und des Rechtsanwalts Dr. H. über 2.376,67 € (BeH Bl. 23) verwiesen.
Zwar seien - so Rechtsanwalt Prof. Dr. S. - die Kosten mehrerer Wahlverteidiger im Regelfall nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Die Rechtsprechung lasse aber über den Wortlaut des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO (seit 01.07.2014: § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO) hinaus Ausnahmen zu. Denn die Vorschrift sei lediglich als Grundsatz zu verstehen. Das Kammergericht habe schon 1994 mit Recht in exzeptionellen Fällen bei zwei Wahlverteidigern nicht nur die Kosten eines Wahlverteidigers, sondern für den zweiten Wahlverteidiger auch die hypothetischen Kosten eines Pflichtverteidigers für ersatzfähig erachtet, wenn die Mitwirkung von zwei Verteidigern aus Gründen der gerichtlichen Fürsorge oder zur Sicherung des Verfahrensfortganges notwendig gewesen wäre. Die Vergütung für den zweiten Wahlverteidiger könne in der Höhe der eines Wahlverteidigers entsprechen, wenn ein Pflichtverteidiger einen Anspruch auf Festsetzung einer Pauschgebühr gehabt hätte. Ein freigesprochener Angeklagter, bei dem für die finanzielle Haftung nicht an dessen vorangegangenes deliktisches Verhalten angeknüpft werden könne, sei von Kosten zu entlasten, die durch Umstände verursacht wurden, die er nicht zu vertreten habe.
Dieser Gedanke greife auch im Fall des Beschwerdeführers ein, weil das Strafverfahren exzeptionelle fachlich-intellektuelle und administrative Anforderungen an die Verteidigung gestellt habe. Prof. Dr. S. habe den Freigesprochenen mehr als 65 Mal und Rechtsanwalt Dr. H. über 50 Mal in der JVA aufgesucht. Zudem hätten die Verteidiger mit dem Angeklagten an mindestens 100 Tagen gemeinsame Besprechungen durchgeführt. Weitere zahllose Besprechungstermine hätten die beiden Wahlverteidiger unter vier Augen durchgeführt. Die Verteidigung habe mehr als 500 englischsprachige Studien über Transplantationen und andere einschlägige Krankheitsbilder gelesen und archiviert. Insgesamt seinen mehr als 700 überwiegend in englischer Sprache abgefasste medizinische Fachaufsätze zu beschaffen und auszuwerten gewesen.
Die Schwurgerichtskammer habe wegen des extremen Umfangs der Sache Ersatzberufsrichter sowie Ersatzschöffen bestellt. Auch habe die Staatsanwaltschaft immer zwei Sitzungsvertreter entsandt. Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer habe schon bei der Terminierung fest eingeplant, dass keiner der beiden Verteidiger an allen Hauptverhandlungsterminen zur Verfügung stehe und die Verteidiger sich deshalb an einzelnen Tagen wechselseitig vertreten müssten.
Mit Beschluss vom 25.10.2018, der Rechtsanwalt Prof. Dr. S. am 30.10.2018 zugestellt worden ist, hat die zuständige Rechtspflegerin beim Landgericht Göttingen nach Anhörung der Bezirksrevisorin die von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 84.821,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.08.2017 festgesetzt. Im Übrigen hat sie die begehrte Kostenfestsetzung abgelehnt. Nach der gesetzlichen Regelung (§§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO) seien lediglich die Kosten für einen Wahlverteidiger zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung, auf die sich der Beschwerdeführer berufen habe, sei nicht einschlägig oder - Fall des Kammergerichts - nicht bindend. Zur Gewährung eines rechtstaatlichen Verfahrens genüge ein Verteidiger. Die Kosten für zwei Verteidiger seien nur ersatzfähig, wenn in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste, dessen Ursache der Freigesprochene nicht zu vertreten habe. Außerdem seien Reisekosten eines Anwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen sei und dort auch nicht wohne, nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nur zu erstatten, wenn das zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig sei.
Da der Freigesprochene mit Prof. Dr. S. bereits über einen in Göttingen ansässigen Fachanwalt für Strafrecht mit dem Spezialgebiet "Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren" verfügt habe, sei die Mitwirkung von Dr. H. nicht erforderlich gewesen. Dem Freigesprochenen seien daher nur die erst- und zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. (78.340,56 € und 2.883,73 €) sowie Wahlanwaltsvergütung in Höhe von 3.596,78 € für 3 Termine (19.11.2013, 02.02.2015 und 27.03.2015) zu erstatten, die Dr. H. in Abwesenheit von Prof. Dr. S. wahrgenommen habe.
Hiergegen richtet sich die nach Zustellung des Beschlusses (am 30.10.2018) mit Schriftsatz vom 13.11.2018 eingelegte sofortige Beschwerde, die noch am selben Tag beim Landgericht Göttingen eingegangen ist. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 13.11.2018 (BeH Bl. 51 ff.) sowie die Schriftsätze vom 06.12.2018 (BeH Bl. 76 ff.) und vom 28.05.2019 (BeH Bl. 96 ff.) verwiesen.
Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Göttingen hat am 23.04.2019 Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen. Wenn die Mitwirkung von zwei Verteidigern aus Gründen der gerichtlichen Fürsorge oder zur Sicherung des Verfahrensfortgangs notwendig gewesen sein sollte, sei nicht zu verstehen, weshalb der Kammervorsitzende eine solche Beiordnung nicht vorgenommen habe. Jedenfalls hätte zur Vertretung des Freigesprochenen im Revisionsverfahren ein Wahlverteidiger ausgereicht.
Dem hat der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 28.05.2019 entgegengehalten, dass sich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wäre sie erfolgt, auf das Revisionsverfahren erstreckt hätte. Die Erwiderung auf die Revision der Staatsanwaltschaft habe zudem auf den gemeinsamen Überlegungen und Anstrengungen beider Verteidiger beruht. Soweit es die Revisionshauptverhandlung betreffe, sei nicht vorhersehbar gewesen, welche Fragen der Bundesgerichtshof, der auch schon mehrere Pflichtverteidiger gemäß § 350 StPO beigeordnet habe, zum prozessualen und historischen Sachverhalt, insbesondere zu Details aus den Patientenakten, in der Revisionshauptverhandlung stellen würde.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Celle G. eingeholt, der damals den Vorsitz der Schwurgerichtskammer des Landgericht Göttingen geführt hat. Wegen des Inhalts dieser Stellungnahme vom 08.04.2019 wird auf Bl. 88 f. des Beschwerdeheftes verwiesen.
II.
Gegen den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.10.2018 ist gemäß §§ 464 b S. 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO§ 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Beschwerde statthaft. Das Rechtsmittel, über das der Senat in der Besetzung des § 122 Abs. 1 GVG zu entscheiden hat (OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.11.2017, 1 Ws 196/17 [unveröffentlicht]; OLG Hamburg, Beschluss vom 26.02.2018, 1 Ws 140/17, juris, Rn. 9 m.w.N.; Meyer-Goßner StPO, 61. Auflage, § 464 b Rn. 7 m. w. N.; vgl. auch BGH NJW 2003, S. 763 ff), ist auch sonst zulässig, insbesondere binnen der Frist des § 464 b S. 4 StPO eingelegt. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache überwiegend Erfolg.
1.
Die erstinstanzlichen Kosten, die durch die Mitwirkung von Rechtsanwalt Dr. H. entstanden sind, sind neben den Kosten für die Beauftragung von Rechtsanwalt Prof. Dr. S. ersatzfähig. Zwar sind die Kosten mehrerer Anwälte nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 S. 2 Var. 1 ZPO, der über § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO zur Anwendung kommt, nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Die grundsätzlich verfassungskonforme (dazu: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2004, 2 BvR 1436/04, juris, Rn. 5) Vorschrift ist im vorliegenden Sonderfall jedoch im Wege der Rechtsfortbildung teleologisch zu reduzieren. Eine solche telelogische Reduktion ist den Gerichten über die Grenze des Wortsinns hinaus gestattet (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23.05.2016, 1 BvR 2230/15, juris, Rn. 50), sofern sie ihre Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle jener des Gesetzgebers setzen, sondern sich stattdessen darauf beschränken, eine planwidrige Regelungslücke zu füllen. Zu der verfahrensgegenständlichen Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO (seit 01.07.2014: § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO) hat das Bundesverfassungsgericht bereits in einem Beschluss vom 28.03.1984 darauf hingewiesen, dass eine großzügigere Handhabung gerade im Strafprozess, der im Gegensatz zum Zivilverfahren vom Offizialprinzip geprägt werde, in Betracht komme (BVerfG, 2 BvR 275/83, juris, Rn. 28). Die Regelung sei als "Grundsatzregel" zu verstehen, die Ausnahmen zulasse (BVerfG, a.a.O.).
Dass eine durch einen Erstattungsanspruch zu schließende Regelungslücke vorliegt, ist bei einem Freigesprochenen, bei dem zur Begründung der finanziellen Haftung nicht an die begangene Straftat angeknüpft werden kann, inzwischen anerkannt, wenn ihm zuvor ein Sicherungsverteidiger beigeordnet wurde (OLG Celle, Beschluss vom 10.09.2018, 1 Ws 71/18, juris, Rn. 19, 17 m.w.N.; KG, Beschluss vom 02.05.1994, 4 Ws 1-2/94 = NStZ 1994, S. 451). Eine vergleichbare Regelungslücke liegt aber ebenso bei einem Freigesprochenen, der zwei Wahlverteidiger beauftragt hat, vor, wenn seine Verteidigung im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität durch nur einen Wahlverteidiger nicht möglich war. Dass eine solche Sonderkonstellation im vorliegenden Fall, der als "Göttinger Transplantationsskandal" auch in den Medien ein breites Echo gefunden hat, hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten ausnahmsweise gegeben war, folgt aus der Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Celle G. vom 08.04.2019, der damals den Vorsitz der Schwurgerichtskammer des Landgericht Göttingen geführt hat. Er hat ausgeführt, dass die Verteidigung im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens schlechterdings nur durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von zwei Wahlverteidigern zu bewältigen war. Die besonderen Anforderungen in tatsächlicher Hinsicht seien zunächst darin begründet gewesen, dass die Kammer schon unmittelbar nach Eingang der Anklage, als das Verfahren bereits 33 Umzugskartons gefüllt habe, umfänglich Beweis erhoben hätte, etwa durch diverse Anfragen bei Eurotransplant zu den Transplantationslisten und zu möglichen Auswirkungen der Manipulationen, die dem Freigesprochenen zur Last gelegt wurden. Zudem habe die Kammer mit Prof. Dr. B. einen weiteren Sachverständigen hinzugezogen, um sowohl die sogenannten Manipulationsfälle als auch die Indikationsfälle zu begutachten. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den von Prof. Dr. B. sukzessive vorgelegten Gutachten habe eine wiederholte Aufarbeitung der Patientenakten, die ihrerseits teilweise den Umfang mehrerer Umzugskartons eingenommen hätten, erfordert. Außerdem habe das Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen mit dem Gutachten des Sachverständigen abgeglichen werden müssen, der im Ermittlungsverfahren herangezogen worden sei. Wenn der Freigesprochene lediglich einen Wahlverteidiger mandatiert hätte, hätte er - so der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht G. - "definitiv" für das gesamte Verfahren einen zweiten Verteidiger als Sicherungsverteidiger bestellt.
Der Höhe nach orientiert sich der Erstattungsanspruch des Freigesprochenen im Gegensatz zu der Entscheidung des Kammergerichts vom 02.05.1994 (KG, Beschluss vom 02.05.1994, 4 Ws 1-2/94 = NStZ 1994, S. 451) nicht an den hypothetischen Kosten eines Pflichtverteidigers (die das Kammergericht dann über § 51 RVG erhöht hat), sondern unmittelbar an den Wahlverteidigergebühren. Dies folgt wiederum aus dem Grundsatz, dass bei einem Freigesprochenen nicht an die strafrechtliche Verurteilung angeknüpft werden kann, wie das Oberlandesgericht Celle wegen der Regelung des § 52 Abs.1 S. 1 RVG zutreffend nach Freispruch für die Kosten des Sicherungsverteidigers entschieden hat (OLG Celle, Beschluss vom 10.09.2018, 1 Ws 71/18, juris, Rn. 19). In gleicher Weise müssen aber die Kosten des - wie hier - zur Verteidigung unerlässlichen zweiten Wahlverteidigers von der Landeskasse ersetzt werden, weil dieser ohnehin die Wahlverteidigergebühren vom Freigesprochenen fordern kann.
Es sind ferner auch die Mehrkosten zu ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass Dr. H. seinen Kanzleisitz in Hannover hatte. Zwar sind die jeweiligen Reisekosten und das jeweilige Abwesenheitsgeld eines Rechtsanwalts, dessen Kanzlei sich nicht im Bezirk des Prozessgerichts befindet und der dort auch nicht wohnt, nach § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nur zu erstatten, wenn das zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig ist. Das war hier allerdings der Fall. So legt die Rechtsprechung bei besonders schwerwiegenden Vorwürfen, insbesondere in Schwurgerichtssachen, einen großzügigeren Maßstab an (OLG Celle, Beschluss vom 28.10.1991, 3 Ws 226/91). Ebenso kommt dem Gesichtspunkt des Vertrauensverhältnisses zu dem Verteidiger nach der Rechtsprechung besonderes Gewicht zu, wenn der Tatvorwurf massiv in die berufliche und wirtschaftliche Existenz des Angeklagten eingreift (OLG Braunschweig, Beschluss vom 17.09.2013, 1 Ws 255/13 [unveröffentlicht]; OLG Naumburg, StraFo 2009, S. 128). Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt und es kommt noch hinzu, dass sich die Mehrkosten durch die Beauftragung von Rechtsanwalt Dr. H., der den Freigesprochenen zuvor sowohl gegenüber dem Arbeitgeber als auch im berufsrechtlichen Verfahren vertreten hatte, angesichts der Entfernung von Hannover nach Göttingen nur maßvoll erhöht haben.
2.
Eine Erstattung der Auslagen von zwei Wahlverteidigern kommt indes in Bezug auf die im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen nicht in Betracht, so dass es insoweit bei den vom Landgericht festgesetzten Kosten verbleibt. Eine Erstattung scheidet deshalb zunächst in Bezug auf die Terminsgebühr für die Revisionshauptverhandlung in Höhe von 560,- € (Nr. 4132 des Vergütungsverzeichnisses), die Fahrtkosten nach Leipzig in Höhe von 157,20 € (Nr. 7003 des Vergütungsverzeichnisses), das Abwesenheitsgeld in Höhe von 150,- € (Nr. 7005 des Vergütungsverzeichnisses) sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 164,77 €. Diese Auslagen (insgesamt: 1.031,97 €) des Rechtsanwalts Dr. H. sind neben jenen des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. nicht zu ersetzen, weil der Prüfungsumfang des Revisionsgerichts durch die von der Staatsanwaltschaft nur erhobene Sachrüge in diesem Zeitpunkt feststand (§§ 344, 352 StPO). Ein auf das Revisionsrecht spezialisierter Wahlverteidiger - wie hier Prof. Dr. S. - konnte sich auf die Verhandlung allein vorbereiten, weil klar war, dass die Urteilsgründe lediglich in sachlich rechtlicher Sicht geprüft werden. Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers war nicht damit zu rechnen, dass der Bundesgerichtshof unerwartete Fragen zu Details aus Patientenakten, die nicht Prüfungsgegenstand waren, stellen würde.
Dass die Urteilsgründe mit 1.232 Seiten äußerst umfangreich waren und die Revisionserwiderung, die auf den gemeinsamen Überlegungen und Anstrengungen beider Verteidiger beruht hat, im "Tandem" möglicherweise leichter zu fertigen war, ändert an dieser Bewertung nichts. Maßgeblich ist allein, dass ein Verteidiger den Stoff des Revisionsverfahrens, mag er auch umfangreich sein, allein hätte bewältigen können. Das ist hier der Fall, weil es darum ging, die Urteilsgründe gegenüber der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft, die keine Verfahrensrüge erhoben hatte, zu verteidigen. Eines Rückgriffs auf die umfangreichen Akten bedurfte es insoweit nicht. Würde der Senat hier anders entscheiden, würde er nicht lediglich im Wege der teleologischen Reduktion eine planwidrige Regelungslücke schließen, sondern sich über die klare Regelung des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO hinwegsetzen.
Kein anderes Ergebnis ergibt sich für die Verfahrensgebühr in Höhe von 1.110,- € (Nr. 4130 des Vergütungsverzeichnisses). Zwar entsteht die Verfahrensgebühr nebst Auslagenpauschale in Höhe von 20,- € (Nr. 7002 des Vergütungsverzeichnisses) sowie Umsatzsteuer in Höhe von 214,70 (insgesamt also 1.344,70 €) bereits mit der ersten Tätigkeit des Verteidigers im Revisionsverfahren (Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG, VV 4130, Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Rn.14), so dass sie bei der Einlegung einer staatsanwaltlichen Revision nicht von der Kenntnis der Revisionsanträge oder deren Begründung abhängt. Es gab in diesem frühen Verfahrensstadium, in dem der Freigesprochene lediglich über die Konsequenzen der Revisionseinlegung zu beraten war, aber keinen Anlass für die Mitwirkung von zwei Verteidigern.
Dass sich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auf das Revisionsverfahren erstreckt hätte, mag zutreffen, führt aber nicht zur Ersatzfähigkeit der Auslagen für zwei Wahlverteidiger. Denn diese waren nicht notwendig. Dem Freigesprochenen war gerade kein Pflichtverteidiger beigeordnet und er hätte die Verteidigung nach dem erstinstanzlichen Freispruch jederzeit durch Kündigung des zweiten Mandats auf einen Wahlverteidiger beschränken können. Er hätte dann zunächst abwarten können, ob das Revisionsverfahren (beispielsweise durch eine äußerst umfangreiche Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft mit einer Vielzahl von Verfahrensrügen) wiederum nur durch zwei Wahlverteidiger zu bewältigen war.
3.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 464 b S.2 und S. 3 StPO, 104 Abs. 1 S. 2 ZPO.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Angesichts des erheblichen Erfolges wäre es unbillig, den Beschwerdeführer mit einem Teil der Kosten zu belasten.
IV.
Der Beschwerdewert von 83.539,19 € errechnet sich aus der Differenz zwischen dem insgesamt geforderten Betrag von 168.360,26 € und dem erstinstanzlich zugesprochenen Betrag von 84.821,07 €.