Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.04.2019, Az.: 1 Ss 5/19

Angaben zum Fälligkeitszeitpunkt bei Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt; Bildung von Rückstellungen zur Erstellung des Jahresabschlusses zur Vermeidung einer Verurteilung wegen Verletzung der Buchführungspflicht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
08.04.2019
Aktenzeichen
1 Ss 5/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 25902
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 29.10.2018

Fundstellen

  • FA 2019, 240
  • GmbH-Stpr. 2019, 383
  • GmbH-Stpr. 2019, 279
  • GmbHR 2019, 776-778
  • NZWiSt 2019, 402-404
  • ZInsO 2019, 1423-1425
  • wistra 2019, 471-472

Amtlicher Leitsatz

1. Bei der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt ist es - sofern das Urteil nicht auf Beitragsnachweisen (§ 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV) beruht - regelmäßig erforderlich, für die einzelnen Fälligkeitszeitpunkte (§ 23 Abs. 1 S. 2 oder S. 3 SGB IV) Feststellungen zu der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung der jeweiligen sozialversicherungspflichtig Beschäftigen und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen zu treffen.

2. Bei § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB (Verletzung der Buchführungspflicht) handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, so dass die Strafbarkeit entfällt, wenn der zur fristgerechten Bilanzierung Verpflichtete die Liquidität für die Einschaltung eines sachkundigen Dritten nicht aufbringen kann, sofern er selbst nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügt.

3. Allerdings ist der für die Erstellung der Bilanz Verantwortliche gehalten, bereits zum Ende des Geschäftsjahres eine Rückstellung für die Erstellung des Jahresabschlusses zu bilden und sachkundige Dritte dann so rechtzeitig zu beauftragen, dass die Bilanz fristgerecht erstellt werden kann. Um einem Buchführungspflichtigen die Unmöglichkeit der Pflichterfüllung nach den Grundsätzen der omissio libera in causa zuzurechnen, bedarf es dann aber Feststellungen dazu, wann sachkundige Dritte - angesichts der Verhältnisse der konkreten Gesellschaft - spätestens hätten beauftragt werden müssen, um die rechtzeitige Erstellung der Bilanz sicherzustellen.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29.10.2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es die Fälle C. II. 1. bis 24. und 26. der Urteilsgründe sowie den Ausspruch über die Gesamtstrafe betrifft. Im Übrigen (Fall C. II. 25) wird die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 18.07.2018 hat das Amtsgericht Bad Gandersheim den Angeklagten wegen Verletzung der Buchführungspflicht in zwei Fällen sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 24 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt.

Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Braunschweig mit dem angefochtenen Urteil vom 29.10.2018 als unbegründet verworfen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ihr Rechtsmittel auf das Strafmaß beschränkt hat, hat die Kammer das Urteil des Amtsgerichts Bad Gandersheim vom 18.07.2018 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten wegen Verletzung der Buchführungspflicht in zwei Fällen sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 24 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte gemeinsam mit seiner Mutter im Jahr 2013 die P. mbH (im Folgenden: Gesellschaft) mit Sitz in B. G. erworben habe; Geschäftsführer sei der Angeklagte gewesen. Der Angeklagte führte nach den Feststellungen des Landgerichts für die im Urteil benannten Arbeitnehmer der Gesellschaft für den Zeitraum Januar 2014 bis Oktober 2015 absichtlich die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht ab. Das Landgericht hat zu den einzugsberechtigten Krankenkassen, den einzelnen Beitragsmonaten, den betroffenen Arbeitnehmern und den (allerdings jeweils nur als Summe angegebenen) Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung Feststellungen getroffen. Die Kammer habe nicht feststellen können, dass die Gesellschaft schon vor Mitte Oktober 2015 nicht mehr liquide und zahlungsunfähig gewesen sei. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass das jeweilige Geschäftsjahr der Gesellschaft am 01.06. eines jeden Jahres beginne. Weder für das Geschäftsjahr 2013 noch für das Geschäftsjahr 2014 seien Jahresabschlüsse der Gesellschaft aufgestellt worden. Über das Vermögen der Gesellschaft sei aufgrund eines Insolvenzantrages des Angeklagten vom 27.11.2015 durch Beschluss des Amtsgerichts Goslar vom 28.12.2015 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner am 29.10.2018 eingelegten und am 29.11.2018 begründeten Revision, mit der er unter anderem eine Nachprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt, gegen das am 29.10.2018 in seiner Gegenwart verkündete und ihm am 13.11.2018 zugestellte Urteil des Landgerichts Braunschweig.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.

Die Revision ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache auf die Sachrüge hin im tenorierten Umfang - vorläufig - Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen war sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

1.

Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen 24 Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB (Fälle C. II. 1. bis 24. der Urteilsgründe) nicht.

Es fehlen zu den einzelnen Fälligkeitszeitpunkten (§ 23 Abs. 1 S. 2 oder S. 3 SGB IV) die erforderlichen Feststellungen zu der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung der einzelnen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen. Dies ist erforderlich, um dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Urteils zu ermöglichen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (BGH, Beschl. v. 05.07.2018, 1 StR 111/18, juris, Rn. 12, und Beschl. v. 20.04.2016, 1 StR 1/16, juris, Rn. 6; OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2015, 1 Ss 14/15, juris, Rn. 7).

Die Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkassen sowie der Beitragsmonate allein genügt demgegenüber nur dann, wenn das Urteil auf Beitragsnachweisen (§ 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV) beruht (vgl. BGH, Beschl. v. 20.04.2016, 1 StR 1/16, juris, Rn. 8 und Beschl. v. 07.10.2010, 1 StR 424/10, juris = NStZ 2011, 161; OLG Braunschweig, a. a. O., Rn. 8). Ob dem Urteil solche Beitragsnachweise, also Berechnungen der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber, zugrunde liegen, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.

Das Urteil kann auch nicht deswegen Bestand haben, weil sich der Angeklagte insoweit geständig eingelassen hat (S. 8 UA unter D. I.), da die rechtlich relevanten Tatsachen unabhängig vom Vorliegen eines Geständnisses darzustellen sind (vgl. OLG Braunschweig, a. a. O., Rn. 10).

2.

Die Verurteilung wegen Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB) hält im Fall unter C. II. 26. der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

Zutreffend geht das Landgericht zwar davon aus, dass der Angeklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft zur Aufstellung der Bilanz verpflichtet war (§ 41 GmbHG, §§ 242 Abs. 1, 264 HGB). Dieser Verpflichtung kam der Angeklagte innerhalb der vorgeschriebenen Zeit nicht nach. Nach § 264 Abs. 1 S. 4 HGB muss der Abschluss bei kleinen Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) - wie hier - spätestens innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres vorliegen. Da das Geschäftsjahr der Gesellschaft am 31.05. eines jeden Jahres endete, war der Abschluss und damit die Bilanz (§ 242 Abs. 3 HGB) für das abgelaufene Geschäftsjahr bis spätestens zum 30.11. des jeweiligen Kalenderjahres zu erstellen. Soweit das Landgericht jeweils auf den 31.05. abgestellt hat, beschwert dieser Rechtsfehler den Angeklagten nicht, da die erforderliche Bilanz nach den Urteilsfeststellungen bis heute nicht erstellt worden ist (S. 8 UA).

Da es sich bei § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB aber um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, entfällt die Strafbarkeit, wenn die rechtzeitige Erfüllung der Pflicht unmöglich ist. Dies ist anzunehmen, wenn der Verpflichtete selbst nicht über die notwendigen Fachkenntnisse verfügt, gleichzeitig aber auch die Mittel für die Einschaltung eines kompetenten Dritten entweder überhaupt nicht aufbringen kann oder für vorrangige öffentliche Zahlungspflichten aufwenden muss (vgl. BGH, Beschl. v. 30.01.2003, 3 StR 437/02, juris, Rn. 11; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 283 Rn. 61 m.w.N.; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 283 Rn. 47a m.w.N.; SK-Hoyer, 9. Aufl., § 283 Rn. 90; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 283 Rn. 29b m.w.N.). Für das Geschäftsjahr 2014/2015 tragen die bislang getroffenen Feststellungen diese Annahme nicht. Der Senat kann anhand der Feststellungen zumindest nicht ausschließen, dass der Angeklagte selbst nicht in der Lage war, die Bilanz zu erstellen. Das Landgericht hat aber auch nicht festgestellt, dass der Gesellschaft ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung standen, um die Pflicht noch mit sachverständiger Hilfe zu erfüllen. Die Gesellschaft war nach den Urteilsfeststellungen vielmehr spätestens seit Mitte Oktober 2015 zahlungsunfähig und der Angeklagte stellte am 27.11.2015 - mithin 3 Tage vor Fristablauf - einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft.

Die Anwendung der Grundsätze über die omissio libera in causa führt zu keinem anderem Ergebnis. Danach kann sich der Buchführungspflichtige zwar nicht auf Unmöglichkeit berufen, wenn ihm die Unmöglichkeit der Pflichterfüllung zuzurechnen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30.08.2011, 2 StR 652/10, juris, Rn. 14 = NJW 2011, 3733; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 283 Rn. 29c; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 283 Rn. 47, jeweils m.w.N.). Ob dies vorliegend der Fall ist, kann nicht beurteilt werden. Den Geschäftsführer trifft die Pflicht, Rückstellungen für die Erstellung des Jahresabschlusses zu bilden (vgl. BFH, Urt. v. 21.12.2017, IV R 44/14, juris, Rn. 30 f.) und dann sachkundige Dritte so rechtzeitig zu beauftragen, dass die Bilanz fristgerecht erstellt werden kann. Entsprechende Feststellungen hierzu fehlen, insbesondere dazu, wann angesichts der Verhältnisse der konkreten Gesellschaft sachkundige Dritte hätten beauftragt werden müssen, um die rechtzeitige Erstellung der Bilanz sicherzustellen, und wie sich die subjektive Seite - die Kammer hat wegen vorsätzlichen Verhaltens verurteilt - darstellt.

3.

Aufgrund der dargelegten Rechtsfehler war das Urteil des Landgerichts Braunschweig - mit Ausnahme der Verurteilung unter C. II. 25. der Urteilsgründe wegen Verletzung der Buchführungspflicht für das Geschäftsjahr 2013/2014 - mitsamt den zugehörigen Feststellungen gemäß § 353 Abs. 2 StPO im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.