Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 04.10.2021, Az.: 1 A 295/18

Datenerhebung; Datenerhebung, verdeckte; Observation, kurzfristige

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.10.2021
Aktenzeichen
1 A 295/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70704
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass seine Beobachtung durch Polizeibeamte am 11.03.2015 rechtswidrig war.

Der Kläger lebte früher in B-Stadt und betätigt sich politisch.

Im Rahmen der Akteneinsicht in ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft B-Stadt (XX Js XXXX/XX) erhielt der Klägervertreter, der den Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren vertrat, davon Kenntnis, dass der Kläger in einer E-Mail vom 11.03.2015 genannt worden war. Einen Ausdruck dieser E-Mail sowie einer weiteren E-Mail vom Mai 2015 sowie Kopien aus Unterlagen der Beklagten über sog. „linksmotivierte“ Personen in B-Stadt hatte der Beschuldigte, ein pensionierter Polizeibeamter, privat vorgehalten und Dienstvorgesetzten mit dem Hinweis auf fehlende Verfahrensbeschreibungen vorgelegt.

Die E-Mail vom 11.03.2015 hatte ein Polizeibeamter, KHK D., über einen Verteiler den weiteren Angehörigen des 4. Fachkommissariats (Staatsschutz) der Polizeiinspektion B-Stadt (im Folgenden: FK 4) geschrieben, die der Polizeidirektion B-Stadt zugeordnet ist und der auch der Beschuldigte in o.g. Ermittlungsverfahren angehörte. Gegenstand der E-Mail waren Stichworte zu einzelnen Beobachtungen und aktuellen Hinweisen, darunter der Satz:

„Um 18.30 h ging A. und zweite unbekannte Person (evtl. der Doc) aus der Roten 3 zum E. und nach ca. 10 Minuten zurück in die Nr. 3. Doc = der neue F.??“

Der Kläger erhob wegen der Speicherung personenbezogener Daten am 18.06.2017 Klage, die unter dem Aktenzeichen 1 A 180/17 anhängig ist.

Am 10.04.2018 hat er wegen der Datenerhebung die vorliegende Klage gegen die Polizeidirektion B-Stadt erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, er sei nicht zufällig von dem KHK D. begleitet, sondern kurzfristig verdeckt observiert worden. Die Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor.

Der Kläger beantragt sinngemäß

festzustellen, dass seine verdeckte polizeiliche Beobachtung am 11.03.2015 durch Polizeibeamte im Dienste des Beklagten rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und tritt der Annahme des Klägers entgegen, er sei für kurze Zeit verdeckt beobachtet worden. KHK D. versehe in der Regel Dienst in ziviler Kleidung. Es handele sich aber nicht um eine zielgerichtete Tarnung. Vielmehr habe er am fraglichen Tag nur einen Streifengang unternommen. Die Datenerhebung sei auf der Rechtsgrundlage des § 31 Nds. SOG (jetzt NPOG) erfolgt. Am 11.03.2015 sei der jährliche Fukushima-Gedenktag gewesen, zu dem in der G. Innenstadt bis mindestens 18 Uhr verschiedene Aktionen und Demonstrationen stattgefunden hätten. Außerdem hätten an diesem Tag Mobilisierungsveranstaltungen in Bezug auf den Protest gegen die Europäische Zentralbank stattgefunden. Es habe Anlass zur Annahme bestanden, dass der Kläger daran teilnehmen könnte. Er sei als Kontakt- und Begleitperson zu politisch motivierten Straf- und/oder Gewalttätern polizeibekannt gewesen. Die Adresse H. sei die Anschrift des Klägers gewesen. Die Häuserzeile Rote Reihe 1 bis 5 habe in zahlreichen Fällen als Flucht- und Rückzugsraum unbekannter Täterinnen und Täter nach Gewaltdelikten gedient. Das sei Anlass gewesen, den Bereich zu beobachten. Dabei sei die Beobachtung aber nicht gezielt erfolgt, sondern im Rahmen der täglichen und üblichen Aufklärungsarbeit. Der Kläger sei kurzfristig und zufällig beobachtet worden. KHK D. habe sich selbständig und situativ entschieden, die Zielrichtung des Klägers zu eruieren. Ob die Erkenntnisse aus der E-Mail vom 11.03.2015 durch eine einzelne Beobachtung oder durch mehrere Erkenntnisgewinne gewonnen worden seien, lasse sich wegen des Zeitablaufs nicht mehr sagen.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 23.08.2021 die Sache der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Gerichtsakte mit dem Aktenzeichen 1 A 180/17 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Einzelrichterin entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

Richtiger Gegner der ursprünglich gegen die Polizeidirektion B-Stadt erhobenen Klage ist der Beklagte als deren Rechtsträger. Ist der Beklagte falsch bezeichnet, aber erkennbar, gegen wen sich die Klage richten soll, ist das Passivrubrum von Amts wegen zu berichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.03.1989 - 8 C 98.85 -, juris Rn. 12). Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Polizeidirektion B-Stadt vertritt hier lediglich den Beklagten (Gem. RdErl. d. StK u. sämtl. Min. v. 12.07.2012, Ziff. V.2 c), Nds. MinBl. S. 578).

1.

Die Klage ist zulässig.

Statthafte Klageart ist die Feststellungsklage. Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Frage, ob die behauptete Datenerhebung am 07.05.2015 durch eine Rechtsgrundlage gedeckt ist, begründet ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis (vgl. VG Hannover, Urt. v. 12.12.2017 - 10 A 4036/16 -, n.v., S. 4 des Urteilsumdrucks). Eine Fortsetzungsfeststellungsklage wäre demgegenüber nicht statthaft, weil die Datenerhebung ein Realakt ist und ihr auch kein Verwaltungsakt vorausgeht (Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 35 Rn. 102). Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO. Für den maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse jedenfalls mit einer Wiederholungsgefahr begründen, die zu den im Fall einer erledigten Maßnahme anerkannten Fallgruppen gehört. Für die Begründung einer Wiederholungsgefahr ist nicht nur die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig eine vergleichbare Maßnahme ergeht. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (BVerwG, Urt. v. 12.10. 2006 - 4 C 12.04 -, juris Rn 8). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger lebt zwar in A-Stadt, hält sich aber aus familiären Gründen weiter häufig in B-Stadt auf (GA 1 A 180/17, Bl. 74). Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das FK 4 die Beobachtung des städtischen Raums um die Liegenschaften I. eingestellt haben könnte. Da die Feststellungsklage nicht fristgebunden ist und kein Fall der Verwirkung vorliegt, ist der zeitliche Abstand zwischen der Maßnahme und der Klageerhebung rechtlich unbeachtlich.

2.

In der Sache hat die Klage Erfolg. Die Erhebung der personenbezogenen Daten des Klägers durch KHK D. am 11.03.2015 war rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Maßnahme ist §§ 31 Abs. 2, 30 Abs. 2 Satz 2 NPOG. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bestimmt sich bei der Feststellungsklage nach dem Klageantrag und der Klagebegründung, in denen der Kläger den Zeitpunkt, zu dem das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses festgestellt werden soll, selbst bestimmt (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 18). Hier ist danach auf den Zeitpunkt der Durchführung der streitgegenständlichen Maßnahme am 07.05.2015 abzustellen. Anwendbar ist damit das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG, früher Nds. SOG, Überschrift geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20.05.2019, Nds. GVBl. S. 88) in der Fassung vom 19.01.2005 (Nds. GVBl. S. 9), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 16.12.2014 (Nds. GVBl. S. 436).

Im vorliegenden Fall liegen zwar die Voraussetzungen für eine Datenerhebung vor (a.), nicht aber die weiteren Voraussetzungen für eine verdeckte Datenerhebung (b.).

a.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 NPOG darf die Polizei Daten über Personen erheben, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe nach § 1 Abs. 4 oder 5 NPOG erforderlich ist. Darüber hinaus darf sie nach Absatz 2 der Regelung, wenn dies zur Verhütung von Straftaten erforderlich ist, auch Daten erheben über (1.) Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie künftig Straftaten begehen werden, (2.) Kontakt- oder Begleitpersonen, (3.) Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Opfer von Straftaten werden, (4.) Personen, die sich im engen räumlichen Umfeld einer Person aufhalten, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder ihrer Stellung in der Öffentlichkeit besonders gefährdet erscheint, soweit dies zum Schutz von Leib, Leben oder Freiheit der gefährdeten Person erforderlich ist, und (5.) Zeuginnen oder Zeugen, Hinweisgeberinnen oder Hinweisgeber oder sonstige Auskunftspersonen, die dazu beitragen können, den Sachverhalt aufzuklären.

Es liegt eine Datenerhebung i.S.d. § 30 ff. NPOG vor. Unter einer Datenerhebung ist das Beschaffen von personenbezogenen Daten Betroffener zu verstehen, wobei das Beschaffen eine gewisse zielgerichtete Aktivität zur Erlangung der Informationen voraussetzt, durch welche die verantwortliche Stelle willentlich Kenntnis von den Daten erhält oder die Verfügungsmöglichkeit über sie begründet (Petri, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Kap. G, Rn. 479; in diesem Sinne auch Böhrenz/Siefken, Nds. SOG, 9. Aufl. 2014, § 30 Rn. 3: „gezielte Aufnahme von Informationen“). Abzugrenzen ist die Datenerhebung durch Polizeibeamte von Wahrnehmungen auf einem allgemeinen Streifengang, die sich in einem bloßen kurzen Hinschauen oder Ausschauhalten, um sich allgemein zu informieren, erschöpfen. Solche Wahrnehmungen greifen nach allgemeiner Auffassung nicht in Grundrechte Betroffener ein und bedürfen deshalb keiner Rechtsgrundlage (vgl. Kamp, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK POR NRW, 18. Ed. 01.03.2021, PolG NRW § 16a Rn. 41). Sie können aber in eine Datenerhebung übergehen (Kamp, ebd.: „kippen“), wenn sie nicht mehr in einem für den Streifengang typischen Umherblicken gewonnen werden, sondern durch gezielten Hinsehen.

Selbst wenn man vorliegend dem Vortrag der Beklagten folgt, nach dem KHK D. nur eine Wahrnehmung auf einem Streifengang entlang nicht näher bezeichneter gefährdeter Objekte und durch die Innenstadt Göttingens gemacht habe, hat er jedenfalls den ihm bekannten Kläger gezielt für kurze Zeit beobachtet, als er ihn in der Innenstadt von B-Stadt sah. Der Beklagte geht folgerichtet selbst davon aus, dass eine Datenerhebung vorliegt, nämlich im Sinne von § 31 Abs. 2 NPOG, also zum Zwecke der Verhütung von Straftaten. Hierzu führt der Beklagte aus, der Kläger sei polizeibekannt, weil er wiederholt als Kontakt-und Begleitperson von politisch motivierten Straf- und/oder Gewalttätern festgestellt worden sei. Im Jahr 2013 sei der Kläger Beschuldigter in einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung („Auseinandersetzung zweier Personen – links/rechts – unter Einsatz 30 cm langer Holzstücke“) gewesen, im Jahr 2014 Betroffener in einem OWi-Verfahren wegen Anbringens von Plakaten der Antifaschistischen Linke International in B-Stadt. Er habe außerdem im Haus H. gewohnt, das Teil eines Gebäudezusammenhangs sei, der regelmäßig als Rückzugsort von Tätern nach der Begehung auch gewalttätiger Straftaten diene. Das hat der Kläger nicht bestritten. Für eine gezielte Beobachtung spricht auch, dass KHK D., der dem FK 4 zugewiesen war und auch heute noch dort tätig ist, nicht wie ein Beamter des polizeilichen Streifendienstes im Raum der Innenstadt Göttingens Gänge unternimmt. Sein Ziel war und ist vielmehr, Erkenntnisse über Angehörige von Gruppierungen wie der linken Szene zu erhalten, für die das FK 4 der Polizeiinspektion B-Stadt fachlich zuständig ist.

Eine auf § 31 NPOG gestützte Datenerhebung setzt weiter voraus, dass die Kenntnis der Daten zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich ist. Von der Erforderlichkeit ist nicht erst auszugehen, wenn ohne die Daten die betreffende polizeiliche Aufgabe nicht erfüllt werden kann. Von der Erforderlichkeit ist nicht erst auszugehen, wenn ohne die Daten die betreffende polizeiliche Aufgabe nicht erfüllt werden kann. Erforderlich ist eine Datenerhebung vielmehr dann, wenn sie zur Zweckerreichung – hier der Verhütung von Straftaten – geeignet ist und kein ähnlich geeignetes, für die Betroffenen weniger einschneidendes Mittel zur Erfüllung des Zwecks zur Verfügung steht (Nds. OVG, Urt. v. 06.10.2020 - 11 LC 149/16 -, NordÖR 2021, 200, 205 [OVG Hamburg 05.11.2020 - 2 Bs 156/20]; Petri, in: Lisken/Denninger, a.a.O., Rn. 774, jeweils zur Videoüberwachung durch die Polizei). Die Datenerhebung ist geeignet, wenn die erhobenen Daten für sich genommen oder im Zusammenhang mit anderen Informationen die Aufgabenerfüllung – also die Gefahrenabwehr nach Absatz 1 oder die Verhütung von Straftaten nach Absatz 2 – ermöglichen (Ogorek, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK POR NW, 18. Ed. 01.06.2021, PolG NRW § 9 Rn. 9; vgl. auch Weiner, in: Möstl/Weiner, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, 20. Ed. 01.08.2021, Rn. 14; Böhrenz/Siefken, a.a.O., § 31 Rn. 5).

Hier diente die Maßnahme nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Beklagten der Verhütung von Straftaten, wobei offen ist und bleiben kann, ob der Kläger eine Person i.S.d. § 31 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 5 NPOG war. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Maßnahme am 11.03.2015, wie ausgeführt, polizeibekannt als Mitglied, mindestens aber Kontaktperson der gewaltbereiten linken Szene in B-Stadt. Ausgehend von der Aufgabe des Fachkommissariats 4, nämlich der Verhütung und Verfolgung von Staatsschutzdelikten, insbesondere politisch motivierten Straftaten einschließlich der linksmotivierten Straftaten (vgl. hierzu https://www.lka.polizei-nds.de/kriminalitaet/deliktsbereiche/polizeilicher_staatsschutz/polizeilicher-staatsschutz-224.html; https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/pmk_node.html, jeweils abgerufen am 15.09.2021), diente die streitgegenständliche Datenerhebung der Erfüllung dieser Aufgabe, weil sie ein – wenn auch sehr kleiner – Baustein eines tagesbezogenen Lagebildes war. Solche Lagebilder sind jedenfalls in Deliktsfeldern wie politisch motivierten Straftaten, die von festen Szenen und wiederholter deliktischer Betätigung gewaltbereiter Akteure geprägt sind, geeignet, der Polizei Erkenntnisse über mögliche zukünftige Straftaten zu erlangen (vgl. Kölbel, MüKo zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 163e, Rn. 1: „[…] Daraus soll sich insbes. ein individualisiertes Bewegungsbild ergeben, das auf Lebens- und Reisegewohnheiten schließen lässt, realiter aber nur selten Fahndungs- oder auch Aufklärungsrelevanz hat (allenfalls bei wiederholter oder dauerdeliktischer Betätigung). Hinweise auf die strafprozessuale Funktionalität der polizeilichen Beobachtung und ein ausgeprägtes, kriminalpraktisches Bedürfnis gibt es daher nicht.“). Unerheblich ist, dass der Beklagte wegen der Dauer des Verfahrens einen konkreten Zusammenhang zwischen der Beobachtung des Klägers und Ereignissen am 11.03.2015 sowie im zeitlichen Zusammenhang mit der Eröffnung des EZB-Gebäudes in Frankfurt nicht mehr sicher annehmen kann.

b.

Die Datenerhebung war deshalb rechtswidrig, weil sie in unzulässiger Weise gegen den polizeirechtlichen – in Abgrenzung zur Tätigkeit der Geheimdienste – Grundsatz der offenen Datenerhebung verstieß, § 30 Abs. 2 Satz 1 NPOG. Nach § 30 Abs. 2 Satz 2 NPOG ist eine Datenerhebung, die nicht als Maßnahme der Gefahrenabwehr erkennbar sein soll (verdeckte Datenerhebung), nach § 30 Abs. 2 Satz 2 NPOG nur zulässig (1.) in den Fällen des § 32 Abs. 2 und 5, (2.) in den Fällen der §§ 33a bis 37 (besondere Mittel oder Methoden), (3.) in den Fällen des § 37a, (4.) wenn andernfalls die Aufgabenerfüllung erheblich gefährdet würde oder (5.) wenn dies dem Interesse der betroffenen Person entspricht.

Hier liegt nach Überzeugung der Einzelrichterin ein Fall der (kurzfristigen) verdeckten Datenerhebung vor. Merkmal der verdeckten Datenerhebung ist nach dem Wortlaut von § 30 Abs. 2 Satz 2 NPOG, dass sie nicht als polizeiliche Maßnahme erkennbar sein „soll“. Daraus ergibt sich das Erfordernis eines entsprechenden Willens, das polizeiliche Handeln durch Dritte nicht als solches erkennen zu lassen. Allein der Umstand, dass ein Polizeibeamter nicht in Dienstkleidung, sondern „in Zivil“ unterwegs ist, genügt dem für sich genommen noch nicht (Böhrenz/Siefken, a.a.O., § 31 Rn. 5). Erst wenn der Polizeibeamte diesen Umstand nutzt, um zu einer Datenerhebung zu kommen, geschieht sie verdeckt. Demgegenüber sind der Regelung weder nach dem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck die weiteren Voraussetzungen zu entnehmen, von denen der Beklagte ausgeht, namentlich einerseits eine „zielgerichtete Tarnung“ und andererseits einen Auftrag zur Observation einer bestimmten Person. Auch eines Plans zur verdeckten Datenerhebung bedarf es nach dem Wortlaut und Sinn und Zweck des § 30 Abs. 2 Satz 2 NPOG nicht. Vielmehr kann – wie auch der Streifengang in eine Datenerhebung „kippen“ kann (s.o. unter 2.a.) – eine Datenerhebung aufgrund eines spontanen Willensentschlusses eines Polizeibeamten als verdeckte Datenerhebung durchgeführt werden.

Nach dieser Maßgabe liegt hier eine verdeckte Datenerhebung vor, weil KHK D. „in Zivil“ die Innenstadt von B-Stadt am 11.03.2015 beging und darüber hinaus diesen Umstand auch nutzte, um die streitgegenständlichen Beobachtungen zu machen. Nach dem Inhalt der E-Mail vom 11.03.2015 sah KHK D. den Kläger aus dem Haus H. kommen und zu einer Buchhandlung („J.“) gehen, wo der Kläger 10 Minuten verweilte, um dann zu dem Haus H. zurückzugehen. Nach den Kenntnissen der Einzelrichterin ist ein Fußweg von der K. zur Adresse der Buchhandlung am L. in etwa 10 Minuten zu bewältigen, so dass KHK D. für seine Beobachtungen etwa 30 Minuten aufgewandt haben dürfte. Ausweislich des Gedächtnisprotokolls des KHK D. vom 04.08.2021 (GA Bl. 47 f.) erkannte er den Kläger in Begleitung einer unbekannten Person beim Verlassen des Hauses H. und „begleitete“ ihn durch die Innenstadt. Ob er ihn bis zur Buchhandlung begleitete oder ihn zunächst aus dem Blick verlor und dann im Bereich L. wieder sah, will KHK D. nicht mehr erinnerlich sein. Das ist auch unerheblich. Denn er ging dem Kläger nach dem eigenen Bericht durch die Innenstadt nach und sah ihn jedenfalls dann wieder bei der Buchhandlung am L.. Allein die Beobachtung, dass sich der Kläger 10 Minuten in der Buchhandlung aufhielt, ist nicht zufällig zu machen. Sie spricht dafür, dass KHK D. vor der Buchhandlung wartete und dem Kläger dann wieder folgte. Der Umstand, dass sich der Kläger nicht beobachtet fühlte und die Beobachtung zuließ, ist hier nach der Lebenserfahrung maßgeblich darauf zurückzuführen, dass KHK D. nicht in polizeilicher Dienstkleidung ihm 30 Minuten (ggf. unterbrochen für wenige Minuten) hinterherlief, sondern in ziviler Kleidung. Einem Polizeibeamten ist dies bekannt, so dass aus dem äußeren Geschehen auf die Willensrichtung des KHK D. geschlossen werden kann, die Datenerhebung zu verdecken i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 NPOG.

Es kann offenbleiben, ob die Regelung, die nach ihrem Wortlaut nur im Aufgabenbereich der Gefahrenabwehr die verdeckte Datenerhebung zulässt, entsprechend auf die verdeckte Datenerhebung im Aufgabenbereich der Verhütung von Straftaten anwendbar ist. Jedenfalls lagen die weiteren Voraussetzungen von § 30 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 NPOG nicht vor. Da die Nummern 1 bis 3 nicht einschlägig sind und auch ein Fall der Nummer 5 offensichtlich nicht vorliegt, kommt hier nur § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 NPOG in Betracht. Dass hier die Aufgabenerfüllung, also die Verhütung von Straftaten, „erheblich gefährdet“ worden wäre, wenn KHK D. den Kläger nicht beobachtet hätte, ist nicht vorgetragen oder anderweitig ersichtlich. Auf die Aufklärungsverfügung der Einzelrichterin zur Frage der Anwendbarkeit von § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 NPOG (GA Bl. 35) hat der Beklagte nicht Stellung genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.