Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.07.2019, Az.: 11 K 107/19
Stehen der Festsetzung der Umsatzsteuer und der Nachzahlungszinsen als selbstständig nebeneinander durch Verbindung miteinander in einem Bescheid; Getrennte Anfechtung der jeweiligen Festsetzungen der Steuer und der Zinsen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 03.07.2019
- Aktenzeichen
- 11 K 107/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 42596
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2019:0703.11K107.19.00
Rechtsgrundlage
- § 233a Abs. 4 AO
Amtlicher Leitsatz
Die Festsetzung der Umsatzsteuer und der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO stehen selbstständig nebeneinander und sind lediglich in einem Bescheid miteinander verbunden. Die jeweiligen Festsetzungen der Steuer und der Zinsen müssen unabhängig von einander angefochten werden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob zulässige Einsprüche gegen die Zinsfestsetzungen zur Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2015 vorliegen.
Die Klägerin betreibt ein Hotel mit Gastwirtschaft in X. Im Anschluss an eine Außenprüfung für die Jahre 2010 bis 2015 hat der Beklagte (das Finanzamt - FA -) am 12.9.2018 geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen. Da es aufgrund der Außenprüfung zu Nachforderungen der Umsatzsteuer gekommen war wurden neben den Steuernachzahlungen auch Nachzahlungszinsen festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 12.10.2018 legte die Klägerin vertreten durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten gegen u.a. gegen die Änderungsbescheide zur Umsatzsteuer Einspruch ein, den sie wie folgt formulierte:
"(...) Gegen die Umsatzsteuerbescheide (Steuernummer ...) ... der Jahre 2010 bis einschließlich 2015, jeweils vom 12.9.2018, legen wir hiermit auftragsgemäß und in Vollmacht Einspruch ein" (...).
Mit Schriftsatz vom 22.11.2018 ergänzten die Prozessbevollmächtigten das Einspruchsschreiben dahingehend, dass die Einsprüche auch die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Nachzahlungszinsen betreffe. Insofern solle das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 1 BvR 2237/14 ruhen. Zur Begründung verwies die Klägerin auf die neuere Rechtsprechung des BFH, in der für den Zeitraum ab 1.4.2012 verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO von 6% geäußert werden (Hinweis auf BFH-Beschl. v. 3.9.2018 - VIII B 15/18).
Das FA wies mit Einspruchsbescheid vom 7.3.2019 den Einspruch der Klägerin als unzulässig (verspätet) zurück. Im Einspruchsbescheid verwies das FA darauf, dass unter dem 12.9.2018 sog. Sammelbescheide ergangen seien, die nicht nur über die Festsetzung der Umsatzsteuer, sondern - gesondert - auch über die Zinsfestsetzung ergangen seien. Die Einsprüche der Klägerin hätten sich lediglich gegen die jeweilige Steuerfestsetzung gerichtet, nicht jedoch auch gegen die Zinsfestsetzung. Dies sei erst mit Schriftsatz vom 22.11.2018 - nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist - geschehen.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin verweist zunächst darauf, dass von Anfang an auch gegen die Zinsfestsetzungen Einspruch eingelegt werden sollte. Dies sei auch Bestandteil des Einspruchsschreibens vom 12.10.2018 gewesen. Man habe seinerzeit ausdrücklich gegen die "Umsatzsteuerbescheide" Einspruch eingelegt. Dieser Begriff erfasse mehrere Verwaltungsakte. Erkennbar habe man mit dem Schreiben vom 12.10.2018 gegen alle Bescheide vom 12.9.2018 Einspruch eingelegt. Nur das Wort "Umsatzsteuer" im Einspruchsschreiben könne nicht dazu führen, dass dieses Wort exakt der Überschrift durch das FA entspreche, obwohl im Bescheid vom 12.9.2018 auch Zinsen festgesetzt würden. Die nachgereichte Erklärung (Schriftsatz vom 22.11.2018) stelle die erste inhaltliche Konkretisierung des Einspruchs vom 12.10.2018 dar und wende sich ausdrücklich auch gegen die Zinsfestsetzung.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ergänzend auf die Entscheidung des BFH v. 28.11.2001 - I R 93/00 verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Zinsfestsetzungen in den Bescheiden betreffend die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer 2010 bis 2015 jeweils vom 12.9.2019 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA verweist zur Begründung auf seinen Einspruchsbescheid vom 7.3.2019. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Einspruchsschreiben der Klägerin vom 12.10.2018 nicht um ein auslegungsbedürftiges Schriftstück handele.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet
Zu Recht hat das beklagte FA die Einsprüche der Klägerin gegen die Zinsfestsetzungen in den Bescheiden über Zinsen zur Umsatzsteuer 2010 bis 2015 jeweils vom 12.9.2018 als unzulässig zurückgewiesen.
Bei den Umsatzsteueränderungsbescheiden 2010 bis 2015 vom 12.9.2018 handelt es sich- wie bei allen Steuerbescheiden - um sog. Sammelbescheide. Die Festsetzung der (Umsatz-) Steuer und der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO stehen selbständig nebeneinander und sind lediglich in einem Bescheid verbunden. Die jeweiligen Festsetzungen können und müssen daher unabhängig voneinander angefochten werden (BFH-Urt. v. 28.11.2001 - I R 93/00, BFH/NV 2002, 613; BFH-Urt. v. 18.1.2007 - IV R 35/04, BFH/NV 2007, 1509; BFH-Urt. v. 8.5.2008 - VI R 12/05, BStBl II 2009, 116).
Die von einem Rechtsanwalt stammende Formulierung in dem Schreiben vom 12.10.2018, es werde gegen den Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2015 jeweils vom 12.9.2018 Einspruch eingelegt, kann nicht als Einspruch auch gegen den Bescheid über die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer 2010 bis 2015 ausgelegt werden. Die Erklärung ist eindeutig und nicht auslegungsbedürftig. Mit ihr wurden nur die Umsatzsteueränderungsbescheide und damit die Umsatzsteuerfestsetzungen angefochten, die Teil der Sammelbescheide vom 12.9.2018 waren. Die von der Finanzverwaltung regelmäßig vorgenommene Verbindung von Steuer- und Zinsfestsetzung ist in § 233a Abs. 4 AO ausdrücklich vorgesehen. Danach sollen die jeweiligen Festsetzungen miteinander verbunden werden. Soweit die Klägerin ergänzend vorbringt, sie habe ausdrücklich die "Umsatzsteuerbescheide" angefochten, mit der Folge, dass sich bereits aus der Verwendung des Plurals ergebe, dass auch die Zinsfestsetzung gemeint gewesen sei, folgt das Gericht diesem Vorbringen nicht. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass mit der Verwendung des Plurals gemeint war, dass die Klägerin sich gegen die Festsetzungen der Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2015 wendet. Auch im Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das FA vom 16.10. 2018 hat die Klägerin nicht darauf verwiesen, dass sie sich auch gegen die Zinsfestsetzungen wende. Dies erfolgte vielmehr erstmals mit Schreiben an das FA vom 22.11.2018, nachdem das FA mit Bescheid vom 29.10.2018 die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte. Auch der Hinweis der Klägerin auf die E-Mail des Prozessbevollmächtigten vom 10.10.2018 - also zwei Tage vor Einlegung des Einspruchs - führt zu keiner abweichenden Betrachtung der Sach- und Rechtslage. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte dort seine Mandantin - die Klägerin - darauf hingewiesen, dass der Einspruch "sowieso wegen der Zinsfestsetzungen" erfolgen müsse. Diese Absichtserklärung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sodann jedoch in seinem Einspruchsschreiben nicht ansatzweise zum Ausdruck gebracht.
Auch aus der Entscheidung des BFH vom 28.11.2001 - I R 93/00 (BFH/NV 2002, 613) ergibt sich nichts Anderes. Der BFH hat dort unter der Tz. 2.a) ausgeführt, dass möglicherweise ein Einspruch auch als Einspruch gegen eine Zinsfestsetzung auszulegen sei, wenn der Stpfl. ausdrücklich auf die Überschrift des Sammelbescheides (im entschiedenen Fall "Bescheid für 1991 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag") verwiesen hätte. Die hier fraglichen Umsatzsteuerbescheide enthalten die Überschrift "Bescheid für ... über Umsatzsteuer". Auf diese konkrete Überschrift hat sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in seinem Einspruchsschreiben vom 12.10.2018 nicht bezogen, vielmehr ausdrücklich Einspruch eingelegt gegen die "Umsatzsteuerbescheide (Steuernummer ...)". Das Gericht hat im Übrigen erhebliche Bedenken, ob eine Bezeichnung wie sie der BFH in der Entscheidung I R 93/00 dargestellt hat ausreichend gewesen wäre. Der BFH selbst hat dies in dieser Entscheidung offen lassen können, weil die dortige Klägerin ihren Einspruch anders bezeichnet hatte. Im Übrigen hat der BFH auch in dieser Entscheidung darauf verwiesen, dass die jeweiligen Festsetzungen in einem Bescheid jeweils gesondert angefochten werden müssen.
Die Zinsfestsetzungen in den Bescheiden betr. Umsatzsteuer 2010 bis 2015 sind mithin bestandskräftig. Zutreffend hat das FA die Einsprüche der Klägerin als verspätet zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Im Hinblick auf die oben zitierte Rechtsprechung des BFH hat die Streitsache insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.