Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.05.2008, Az.: 1 OB 87/08
Rechtmäßigkeit eines Bauvorbescheids zur Errichtung von landwirtschaftlichen Stallanlagen; Frage der Befangenheit der Landwirtschaftskammer
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.05.2008
- Aktenzeichen
- 1 OB 87/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 17898
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0509.1OB87.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 01.04.2008 - AZ: 4 A 4981/04
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- AUR 2008, 387-388 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 2008, 1441-1442 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Befangenheitsantrag gegen Landwirtschaftskammer
Amtlicher Leitsatz
Soweit der Landwirtschaftskammer gesetzlich die Aufgabe zugewiesen ist, u.a. Gerichte in Fachfragen der Landwirtschaft durch Erstattung von Gutachten zu unterstützen (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 12 LwKG), kann sie nicht generell für befangen erklärt werden, weil sie "verlängerter Arm der Landwirtschaft" sei.
Gründe
Der Kläger wendet sich im Hauptsacheverfahren gegen einen dem Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid für landwirtschaftliche Stallanlagen. Unter dem 23. Januar 2008 hat das Verwaltungsgericht einen Beweisbeschluss folgenden Inhalts gefasst:
"Es soll darüber Beweis erhoben werden, ob ausgehend von der Sachlage am 31. Mai 1999 für das Grundstück des Klägers ... und das darauf befindliche Wohngebäude bei Verwirklichung des vom Bauvorbescheid des Beklagten vom 31. Mai 1999 erfassten Vorhabens des Beigeladenen (...) mit unzumutbaren Umwelteinwirkungen, insbesondere Gerüchen, zu rechnen ist, durch Einholung einer amtlichen Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen - Geschäftsbereich Landwirtschaft ..."
Der Kläger machte daraufhin geltend, dass die Landwirtschaftskammer - insbesondere ein in früheren Verfahren tätig gewordener Mitarbeiter - voreingenommen sei und stellte "Befangenheitsantrag".
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Antrag sowohl gegen die Beauftragung der Landwirtschaftskammer als auch gegen eine mögliche Befassung des benannten Mitarbeiters mit der Erstellung des Gutachtens richte, und hat seinen Antrag im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt:
Anhaltspunkte für die Annahme des Klägers, die Landwirtschaftskammer stehe rechtlich und faktisch im Lager des Beigeladenen und des Beklagten und könne die Geruchssituation deshalb nicht neutral beurteilen, bestünden nicht. Die Landwirtschaftskammer sei nach § 1 Abs.2 des Gesetzes über die Landwirtschaftskammern (LwKG) eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Pflichtaufgabe es nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 12 LwKG u.a. sei, die Behörden und Gerichte in Fachfragen der Landwirtschaft, vor allem auch durch Erstattung von Gutachten, zu unterstützen. Das Vorbringen, ein Gutachten der Landwirtschaftskammer sei landwirtfreundlich und lasse deshalb die Unparteilichkeit vermissen, bedürfe nach der Rechtsprechung des Senates (Beschl. v. 9.4.2003 - 1 LA 171/02 -) einer konkreten Untermauerung durch nachprüfbare Tatsachen; daran fehle es. Vorgänge aus den Jahren 1983/1984 ließen schon wegen des langen Zeitablaufs keine Schlüsse auf ein Verhalten im vorliegenden Rechtsstreit zu. Soweit die frühere Landwirtschaftskammer Weser-Ems seinerzeit eine Fehleinschätzung eingeräumt habe, belege dies kein parteiliches Verhalten, das bis heute nachwirken könne. Im Übrigen berufe sich der Kläger in anderem Zusammenhang selbst auf Fachbeiträge der Landwirtschaftskammer.
Die Umstände, die der Kläger in Bezug auf den Mitarbeiter anführe, seien ebenfalls nicht geeignet, diesen als befangen erscheinen zu lassen oder die Annahme der Voreingenommenheit der Landwirtschaftskammer selbst zu bestätigen. Allein daraus, dass er sich in einem früheren Verfahren zu der ihm bekannten Situation auf dem Hofgrundstück des Beigeladenen geäußert habe, ergäben sich keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit. Im Übrigen gebe der Kläger Aussagen dieses Mitarbeiters nach der Erinnerung des Mitglieds der Kammer, das an der fraglichen mündlichen Verhandlung mitgewirkt habe, unzutreffend wieder.
Mit seiner Beschwerde vertieft der Kläger u.a. sein Vorbringen, die Landwirtschaftskammer sei "verlängerter Arm der Landwirte"; das sei vergleichbar der Stellung der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Sie ist allerdings zulässig. Der Beschwerdeausschluss nach § 146 Abs. 2 a.E. VwGO greift nicht ein, weil Sachverständige nicht als "Gerichtspersonen" im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind (vgl. VGH München, Beschl. v. 4.8.2003 - 1 C 03.950 -, NJW 2004, 90; VGH Mannheim, Beschl. v. 21.7.1997 - 9 S 1580/97 -, NVwZ-RR 1998, 689; OVG Münster, Beschl. v. 18.9.2007 - 19 E 826/06 -).
Im Übrigen beschränkt sich die Beschwerdebegründung zwar ohne eigene rechtliche Durchdringung des Streitstoffes durch den Prozessbevollmächtigten auf eine Bezugnahme auf eine E-Mail des Klägers. In Verfahren, die dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO unterliegen, kann eigenes Vorbringen des Beteiligten grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 22.1.1999 - 7 S 2408/98 -, NVwZ 1999, 429). Der Senat hat jedoch entschieden, dass für die Beschwerde gegen einen Beschluss, durch den die Ablehnung eines Sachverständigen für unbegründet erklärt wird, der Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO nicht gilt (Beschl. v. 4.7.1997 - 1 O 3046/97 -, NdsRpfl. 1997, 293). Ob er daran gegenwärtig noch festhalten würde, bedarf im Hinblick auf die demnächst in Kraft tretende Neufassung des § 67 VwGO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I 2007, 2840) keiner grundsätzlichen Entscheidung mehr, kann aber auch offen bleiben.
Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass das Verwaltungsgericht nach seinem Beweisbeschluss eine "amtliche Auskunft" einholen will. Jedenfalls aus dem Anschreiben des Kammervorsitzenden an die Landwirtschaftskammer vom 23. Januar 2008 ergibt sich, dass ein "Gutachten" gemeint ist. Soll eine amtliche Auskunft an die Stelle eines Sachverständigengutachtens treten, so sind die Ablehnungsgründe der §§ 406 ZPO, 54 Abs. 2, 3 VwGO zu beachten (BVerwG, Beschl. v. 11.1.1988 - 4 B 256.87 -, NJW 1988, 2491; Lang, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2005, § 98 Rdnrn. 269 ff, 276).
Das stößt bei "Behördengutachten" jedoch auf Grenzen. Die Bestimmungen der §§ 402 ff. ZPO sind auf natürliche Personen zugeschnitten, nicht auf Behörden oder Institutionen (vgl. Jessnitzer/Frieling/Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl.2007, Rdnr. 49). Fachbehörden als solchen und sonstigen öffentlichen Stellen kann deshalb die Abgabe auch gutachtlich oder als Sachverständigengutachten zu wertender Auskünfte nur übertragen werden, wenn der betreffenden Stelle diese Aufgabe spezialgesetzlich übertragen ist (BGH, Urt. v. 3.3.1998 - X ZR 1067/96 -, NJW 1988, 3355; Jessnitzer/Frieling/Ulrich, a.a.O., Rdnrn. 91 ff.). Das ist nicht nur bei den vom Kläger ebenfalls angesprochenen Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern der Fall, sondern auch bei den Landwirtschaftskammern, wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat.
Ist einer Körperschaft - wie hier - die Unterstützung der Behörden und Gerichte in Fachfragen der Landwirtschaft, u.a. durch Erstattung von Gutachten und Benennung von Sachverständigen, als Pflichtaufgabe nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 12 LwKG zugewiesen, ist kein Raum für ihre Erklärung als befangen mit der vom Kläger angestrebten Begründung, dass die Landwirtschaftskammer einseitige Interessenvertretung betreibe. Denn zum einen passen die Bestimmungen über die Befangenheit nicht auf Behörden oder andere öffentliche Stellen (vgl. zum Gutachterausschuss: BGH, Urt. v. 23.1.1974 - IV ZR 92/72 -, BGHZ 62, 93 [BGH 21.01.1974 - PatAnwSt R 3/73] = NJW 1974, 701; OLG Oldenburg, Beschl. v. 9.12.1991 - 12 WF 138/91 -, FamRZ 1992, 451); in Bezug auf § 22 VwVfG hat das Bundesverwaltungsgericht deshalb auch formuliert, die Rechtsordnung kenne die "institutionelle Befangenheit" einer Behörde nicht (Beschl. v. 31.3.2006 - 8 B 2.06 -). Zum anderen würde mit der Erklärung der Befangenheit einer öffentlichen Stelle gerade und prinzipiell für ihren gesetzlichen Aufgabenbereich in Wahrheit die Gesetzesnorm für ungültig erklärt, mit der die Aufgabe übertragen worden ist. Für eine derartige Korrektur des Gesetzgebers bietet das Befangenheitsverfahren keine Handhabe. Etwa vorhandene Anzeichen von Befangenheit sind deshalb bei "Behördengutachten" (nur) im Rahmen der freien Beweiswürdigung des vorgelegten Gutachtens zu berücksichtigen (vgl. Jessnitzer/Frieling/Ulrich, a.a.O., Rdnr. 200; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 98 Rdnr. 141), und zwar nach den vom Senat im Beschluss vom 9 April 2003 (- 1 LA 171/02 -) benannten Kriterien:
"Für die Annahme der Kläger, die Landwirtschaftskammer Weser-Ems stehe rechtlich und faktisch im Lager des Beigeladenen und des Beklagten und könne deshalb die Geruchssituation nicht neutral begutachten, liegen greifbare Anhaltspunkte nicht vor. Die Landwirtschaftskammern sind landwirtschaftliche Fachbehörden. Die Wahrnehmung der ihnen nach § 2 Abs. 2 LwKG obliegenden Pflichtaufgaben stellt grundsätzlich die Ausübung eines öffentlichen Amtes dar (BGH, Beschl. v. 4.7.1991 - III ZR 119/90 -, in [...]). Soweit sie die Gerichte nach § 2 Abs. 2 i LwKG 1986 (vgl. auch § 2 Abs. 2 Nr. 12 LwKG i.d.F. der Bekanntmachung v. 10.2.2003, NdsGVBl. S. 61) durch die Erstattung von Gutachten unterstützen, werden sie als sachverständige Stelle tätig. Die fachgutachtlichen Stellungnahmen der Landwirtschaftskammer sind deshalb im Regelfall wegen des besonderen Sachverstandes dieser Behörde eine geeignete Entscheidungshilfe. Das Vorbringen, ein Gutachten der Landwirtschaftskammer sei landwirtefreundlich und lasse deshalb die Unparteilichkeit vermissen, bedarf deshalb einer konkreten Untermauerung durch nachprüfbare Tatsachen."
Auch hinsichtlich des Mitarbeiters der Landwirtschaftskammer hat die Beschwerde keinen Erfolg. Nach § 54 VwGO i.V.m. § 406 ZPO kann zwar ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass überhaupt ein "Sachverständiger" ausgewählt und ernannt ist.
Insoweit war - was das Verwaltungsgericht noch offen gelassen hat - der Befangenheitsantrag verfrüht. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beweisbeschluss dahingehend gefasst, dass eine amtliche Stellungnahme der Landwirtschaftskammer eingeholt werden soll; eine personale Zuordnung war damit nicht getroffen. Die Landwirtschaftskammer selbst hat in ihrer Stellungnahme vom 13. März 2008 erklärt, in Abhängigkeit vom Arbeitsanfall und Terminplan könne es durchaus möglich sein, dass die Beurteilung auf einen anderen als den vom Kläger benannten Mitarbeiter übertragen werde. Bis zur Auswahl des Bearbeiters ist für einen - vorsorglichen - Befangenheitsantrag kein Raum (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.7.2007 - 2 B 55.07 -, [...]; VGH Mannheim, Beschl. v. 21.7.1997, a.a.O.). Anders als in dem vom VGH Mannheim entschiedenen Fall besteht hier auch kein Anlass, gleichwohl in der Sache zu entscheiden, weil sich das Verwaltungsgericht - anders als offenbar das erstinstanzliche Gericht im Fall des VGH Mannheim - nicht auf einen bestimmten Gutachter festgelegt hat und auch nicht die Gefahr besteht, dass es sich mit einer Sachentscheidung über einen eventuellen weiteren Ablehnungsantrag hinwegsetzen könnte. Denn angesichts der Anforderung eines schriftlichen Gutachtens bleibt auf jeden Fall genug Zeit für die Durchführung eines weiteren Beschwerdeverfahrens.
Im Übrigen ist zu dem bisherigen Vorbringen in der Sache auch zu bemerken, dass es wenig schlüssig ist. Auf seinen wesentlichen Kern reduziert beschränkt es sich darauf, dass die Landwirtschaftskammer früher bereits durch unterschiedliche Mitarbeiter in dem vorliegenden, offenbar schon Jahre andauernden Nachbarschaftskonflikt tätig war, dass dabei Fehler geschehen sind, für die die Landwirtschaftskammer sich entschuldigt hat, und dass Positionen vertreten worden sind, die nicht den Beifall des Klägers gefunden haben. Das reicht für die Annahme von Befangenheit nicht aus. Es liegt in der Natur der Tätigkeit von Sachverständigen (wie auch der Gerichte), dass nicht jeder Betroffene mit ihrem Ergebnis zufrieden ist.