Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.05.2008, Az.: 5 LA 46/04
Antrag auf Zulassung der Berufung durch einen nicht i.S.v. § 67 Abs. 1 S. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vertretungsberechtigten Bediensteten einer Behörde; Anforderungen an fehlendes Verschulden für das Fristversäumnis auf Seiten der Behörde i.R.d. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.05.2008
- Aktenzeichen
- 5 LA 46/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 17251
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0508.5LA46.04.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs. 1 VwGO
- § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO
- § 67 Abs. 1 S. 3 VwGO
- § 85 Abs. 2 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Amtlicher Leitsatz
Zum Antrag auf Zulassung der Berufung durch einen nicht im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO vertretungsberechtigten Bediensteten einer Behörde und zu den Anforderungen fehlendes Verschuldens für die Fristversäumnis im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO auf Seiten der Behörde.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung unterliegt dem Vertretungserfordernis (§ 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO), d. h. er kann nur wirksam gestellt werden, wenn dieses Rechtsmittel von einer nach Maßgabe von § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähigen Person eingelegt wird. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war bei Einlegung des Berufungszulassungsantrags nicht ordnungsgemäß vertreten. Nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO können sich juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden, die nicht im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule vertreten sind, vor dem Bundesverwaltungsgericht oder Oberverwaltungsgericht durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Der Bedienstete der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der den Zulassungsantragsschriftsatz vom 12. Januar 2004 unterzeichnet hat, erfüllt keine der genannten Voraussetzungen. Er hat weder die Befähigung zum Richteramt inne noch handelt es sich um einen Diplomjuristen im höheren Dienst.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Antrag auf Zulassung der Berufung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 67 Abs. 1 VwGO auch nicht ausnahmsweise gleichwohl als zulässig zu erachten, weil die streitentscheidende Frage eine Vielzahl von gleichgelagerten Fällen betreffe und es sich bei dem Antrag um einen Musterantrag handele, der von einem Beamten mit der Befähigung zum Richteramt erarbeitet worden sei und daher die geordnete Führung des Rechtsstreits vor dem Oberverwaltungsgericht nicht gefährdet werde. Die gebotene Klarheit über die Wirksamkeit der Stellung eines Berufungszulassungsantrags würde beeinträchtigt, wenn es hierfür nicht auf die Vertretungsberechtigung des Unterzeichners des Schriftsatzes, sondern darauf ankäme, ob der Schriftsatz behördenintern von einem vertretungsberechtigten Bediensteten gebilligt wurde oder auf einer von einem solchen Bediensteten erteilten Weisung beruht. Hinzu kommt, dass die Behörde intern selbst bestimmen dürfen soll, wer sie vor einem dem Vertretungszwang unterliegenden Gericht vertritt. Der von ihr hierzu bestimmte Bedienstete soll für die Stellung des Berufungszulassungsantrags die fachliche und rechtliche Verantwortung unmittelbar wahrnehmen und dies auch für andere offen legen. Das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen aus der Antragsschrift entnehmen können, wer die Behörde vor Gericht vertritt. Ist der Unterzeichner nicht vertretungsberechtigt, ist die Stellung des Berufungszulassungsantrags mangels Vertretungsbefugnis unzulässig. Dass die Stellung dieses Antrags durch einen vertretungsberechtigten Bediensteten der Behörde gedeckt ist, kann die fehlende Vertretungsberechtigung des Unterzeichners nicht ersetzen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.4.2005 - BVerwG 7 B 1.05 -, Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 105 = NVwZ 2005, 827 f. = DVBl. 2005, 855 m. w. N.).
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat gegen das ihr am 23. Dezember 2003 zugestellte und mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Urteil durch einen nicht postulationsfähigen Bediensteten am 15. Januar 2004 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Sie hat es versäumt, innerhalb der nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO geltenden und am 23. Januar 2004 endenden Monatsfrist die Zulassung der Berufung in einer den Formerfordernissen genügenden Weise zu beantragen.
Der vorsorglich gestellte Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO ist unbegründet, da die Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Versäumung der Antragsfrist unverschuldet war. Ein unverschuldetes Fristversäumnis ist anzunehmen, wenn dem Betroffenen nach den gesamten Umständen kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass er die Frist versäumt hat, ihm die Einhaltung der Frist mithin nicht zumutbar war. Das in § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO normierte Behördenprivileg führt insoweit nicht dazu, dass die Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht der mit der Vertretung beauftragten Bediensteten zu stellen sind, geringer sind als bei einem bevollmächtigten Anwalt. Denn die genannte Vorschrift bezweckt keine Besserstellung der Behörde gegenüber einer anwaltlich vertretenen Privatperson. Vielmehr hat sich die Behörde das Verschulden ihres Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt in Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO ebenso zurechnen zu lassen wie ein Beteiligter sich das Verschulden eines von ihm eingeschalteten Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss. Zwar bleibt es dem Bediensteten, der die Behörde in Anwendung von § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO vertritt, unbenommen, sich juristischer Hilfspersonen zu bedienen. Es ist ihm dann aber verwehrt, sich selbst im Falle einer eigenen Fehlleistung gewissermaßen in diese Position "zurückzuziehen", damit seine Behörde für die Fehlleistung nicht einzustehen braucht (vgl.: BVerwG, Gb. v. 10.6.1997 - 11 A 10.97 -, Buchholz 310 § 67 Nr. 89; siehe auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 21.10.2005 - 1 L 51/05 -, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 11).
Gemessen hieran kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob die Behörde selbst oder aber ihr vertretungsberechtigter Bediensteter unverschuldet die Frist versäumt hat (so auch: v. Albedyll, in: Bader u. a. <Hrsg.>, VwGO, 4. Aufl. 2007, § 60, Rn. 13). Schaltet der zur Vertretung der Behörde im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO vertretungsberechtigte Bedienstete Hilfspersonen ein, ist die Fristversäumnis nur dann unverschuldet, wenn ihn bei der Fristeneinhaltung und -überwachung weder ein eigenes Verschulden noch ein Organisationsverschulden trifft (vgl. dazu auch: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.8.2006 - 4 S 2288/05 -, NVwZ-RR 2007, 137). Soweit sich die Beklagte auf das fehlende Verschulden des Unterzeichners der Antragsschrift vom 12. Januar 2004 beruft, ist ihrem Vorbringen zu entnehmen, dass dieser im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 VwGO als Hilfsperson für die zur Vertretung der Behörde berechtigten Person tätig geworden ist, sein Verhalten der Behörde also nicht zugerechnet wird und daher für die Frage des Verschuldens nicht maßgeblich ist (vgl. auch: Bayer. VGH, Beschl. v. 30.5.2005 - 14 B 03.2539 -, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 7).
Vorliegend hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass die von ihr bzw. ihrem vertretungsberechtigten Bediensteten eingeschaltete Hilfsperson, die den Berufungszulassungsschriftsatz vom 12. Januar 2004 unterzeichnet hat, grundsätzlich die Befugnis inne hat, gerichtliche Schriftsätze zu unterzeichnen. In Anbetracht dieses Umstandes kann nur dann von einem fehlenden Verschulden der Beklagten bzw. ihres im Sinne § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO vertretungsberechtigten Bediensteten ausgegangen werden, wenn glaubhaft gemacht worden ist, dass ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen wurden, die verhindern, dass die grundsätzlich zeichnungsberechtigten und nicht die Anforderungen des § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO erfüllenden Bediensteten solche gerichtlichen Schriftsätze, die dem Vertretungszwang unterfallen, unterzeichnen. Hieran fehlt es. Dem Vortrag der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass und wie sie gewährleistet hat, dass ein Vorgang der hier vorliegenden Art umgehend zu einem zur Prozessvertretung befugten Bediensteten gelangt und wie dieser dafür Sorge trägt, dass die Einlegung des Rechtsmittels den Formerfordernissen entspricht.
Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt mithin wegen der fehlenden Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 72 Nr. 1 1. HS. GKG, 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 und 3, 15 GKG a. F.. Der Senat legt bei der Streitwertberechnung auf der Grundlage der sog. Teilstatusrechtsprechung in den Fällen der vorliegenden Art pauschalierend - da auch die versorgungsrechtlichen Auswirkungen in den Blick zunehmen sind - den 26-fachen Betrag der geltend gemachte Besoldungsdifferenz bezogen auf das Endgrundgehalt der betreffenden Besoldungsgruppe - hier A 12 BBesO - zugrunde (vgl. Senat, Beschl. v. 26. Juli 2001 - 5 OA 2323/01 -; Beschl. v. 26.10. 2007 - 5 OA 238/02). Damit errechnet sich der Streitwert vorliegend bei einer Stundenzahl von 22,5/28 Wochenstunden (= 80,36 %) zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des Rechtsmittels wie folgt:
19,64 % von 3.452,85 EUR = 678,14 EUR x 26 = 17.631,64 EUR.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F.).