Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.05.2008, Az.: 4 LA 150/07

Rechtmäßigkeit des Beendens eines Pflegeverhältnisses durch Einstellung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gegenüber dem Personensorgeberechtigten; Einstellung bisher gewährter Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege auf Wunsch eines personensorgeberechtigten Amtspflegers; Anspruchsberechtigter hinsichtlich eines Anspruchs auf Leistungen zum Unterhalt eines Kindes in Vollzeitpflege als "Annex-Anspruch" zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.05.2008
Aktenzeichen
4 LA 150/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 20440
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2008:0520.4LA150.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 24.10.2006 - AZ: 13 A 3852/06

Fundstellen

  • JAmt 2008, 541-543
  • Jugendhilfe 2009, 104

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Beenden eines Pflegeverhältnisses durch Einstellung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gegenüber dem Personensorgeberechtigten

Gründe

1

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Denn die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

2

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die auf die Feststellung, dass das Pflegeverhältnis zwischen den Klägern und A. B. bis Ende November 2005 fortbestanden hat, gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dass das Pflegeverhältnis mit Ablauf des 8. April 2005 wirksam beendet worden sei. Die vom Beklagten gewährte Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege durch die Kläger sei auf Wunsch des personensorgeberechtigten Amtspflegers zu diesem Zeitpunkt eingestellt worden. Der der Hilfegewährung zugrunde liegende Verwaltungsakt habe sich durch den erklärten Willen des Amtspflegers, die Hilfe nicht weiter in Anspruch nehmen zu wollen, gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Diese Erledigung habe zugleich die Beendigung des Pflegeverhältnisses bewirkt. Die Gewährung von Jugendhilfe gegen den erklärten Willen des Personensorgeberechtigten sei rechtswidrig. Personensorgeberechtigt für A. sei der Landkreis Wittmund - Jugendamt - als Pfleger. Im Wege der internen Geschäftsverteilung sei grundsätzlich Herr C. mit den Aufgaben des Personensorgeberechtigten betraut. In Einzelfällen werde er durch den Leiter des Jugendamtes, Herrn D., vertreten. Sowohl Herr C. als auch Herr D. hätten als Amtspfleger die Einstellung der Vollzeitpflege durch die Kläger mit Ablauf des 8. April 2008 gefordert. Sofern die Kläger Zweifel an der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der Entscheidung des Personensorgeberechtigten gehabt hätten, hätten sie gegen diese Entscheidung durch einen Antrag beim Familiengericht vorgehen müssen. Sie hätten jedoch weder eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB beantragt noch ein förmliches Verfahren mit dem Ziel eingeleitet, dem Landkreis Wittmund - Jugendamt - die Personensorge zu entziehen.

3

Die im Zulassungsantrag angeführten Erwägungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.

4

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen dann nicht vor, wenn lediglich einzelne Rechtssätze, tatsächliche oder unterlassene Feststellungen zu Zweifeln Anlass geben, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838). Denn der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO soll Richtigkeit im Einzelfall gewährleisten; die maßgebliche Frage geht also dahin, ob die Rechtssache richtig entschieden worden ist. Deshalb müssen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze, tatsächlicher oder unterlassener Feststellungen, auf welchen das Urteil beruht, zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich jedenfalls im Ergebnis als offensichtlich richtig.

5

Zunächst ist fraglich, ob das für die Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse überhaupt gegeben ist. Zweifel am Vorliegen eines berechtigten Interesses an der begehrten Feststellung bestehen deshalb, weil sich die Kläger insofern lediglich auf einen Anspruch auf Pflegegeld gegen den Beklagten sowie auf mögliche Amtshaftungsansprüche des Kindes und damit auf Ansprüche berufen haben, die sie nicht geltend machen können. Denn auch der Anspruch auf Leistungen zum Unterhalt eines Kindes in Vollzeitpflege nach § 39 Abs. 1 i.V.m. §§ 27, 33 SGB VIII steht als "Annex-Anspruch" zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung dem Personensorgeberechtigten - und nicht der Pflegeperson - zu (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.1997 - 5 C 11.96 -, FEVS 48, 289 u. Urt. v. 12.9.1996 - 5 C 31.95 -, FEVS 47, 433; Bay. VGH, Beschl. v. 17.5.2001 - 12 ZB 00.1589 -, FEVS 52, 565).

6

Die Frage nach der Zulässigkeit der Feststellungsklage kann aber offen bleiben, weil die Klage jedenfalls unbegründet ist.

7

Das Pflegeverhältnis zwischen den Klägern und A. B. ist, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat, im April 2005 wirksam beendet worden und hat nicht bis Ende November 2005 fortbestanden.

8

Die dem personensorgeberechtigten Amtspfleger für A. gewährte Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach §§ 27, 33 SGB VIII durch Unterbringung bei den Klägern ist von dem Beklagten dadurch konkludent eingestellt worden, dass er dem Personensorgeberechtigten mit Bescheid vom 19. April 2005 Hilfe zur Erziehung in Form der Bereitschaftspflege bei einer anderen Familie und damit eine neue Hilfeleistung gewährt hat. Durch die Gewährung dieser neuen Hilfe ist der der vorangegangenen Hilfegewährung zugrunde liegende Verwaltungsakt gemäß § 39 Abs. 2 SGB X unwirksam geworden, da er - was offen bleiben kann - entweder konkludent aufgehoben worden ist oder sich auf andere Weise erledigt hat, weil aufgrund der Hilfe zur Erziehung in Bereitschaftspflege durch Unterbringung bei einer neuen Familie eine - gleichzeitige - Unterbringung von A. bei den Klägern tatsächlich unmöglich geworden ist. Dass mit der neuen Hilfegewährung nicht lediglich eine Unterbrechung der bisherigen Hilfe beabsichtigt war, ergibt sich schon aus dem Antrag des Personensorgeberechtigten vom 12. April 2005, mit dem dieser deutlich gemacht hat, dass das Pflegeverhältnis mit den Klägern zu beenden und A. in einer anderen Pflegefamilie in der Nähe ihres Internats unterzubringen sei. Auch die in der Folgezeit gegenüber dem Amtspfleger ergangenen Bescheide des Beklagten dokumentieren, dass eine Rückkehr von A. zu den Klägern nicht vorgesehen war. So ist zunächst mit Bescheiden vom 23. Mai, 7. Juni, 15. Juni, 30. Juni und 14. Juli 2005 die Bereitschaftspflege in der anderen Familie jeweils weitergewährt worden, bis dann mit Bescheid vom 14. Juli 2005 ab dem 11. Juli 2005 Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII und damit wiederum eine neue Hilfeform bewilligt worden ist. Durch die Einstellung der dem Personensorgeberechtigten für A. gewährten Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege durch die Kläger ist das Pflegeverhältnis zwischen ihnen und A. beendet worden.

9

Soweit die Kläger geltend machen, die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie sei willkürlich gewesen, da es keine Erkenntnisse des Beklagten gegeben habe, die eine Auflösung des Pflegeverhältnisses nahe gelegt hätten, insbesondere beruhe sie nicht auf dem Wunsch des Personensorgeberechtigten und auch nicht auf dem des Kindes, dessen angeblicher Wunsch wegen des langjährigen Pflegeverhältnisses und der seelischen Behinderung des Kindes hätte hinterfragt werden müssen, begründet dieses Vorbringen schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, weil es für die erhobene Feststellungsklage rechtlich unerheblich ist. Die genannten Einwendungen betreffen allein die Rechtmäßigkeit der geänderten Hilfegewährung, auf die es im vorliegenden Verfahren aber nicht ankommt, da die Wirksamkeit des der Änderung der Hilfegewährung zugrunde liegenden Verwaltungsakts dessen Rechtmäßigkeit nicht voraussetzt. Im Übrigen übersehen die Kläger, dass ihnen als Pflegeeltern in Bezug auf die geänderte Hilfeleistung keine Klagebefugnis zusteht. Anspruchsberechtigter der für A. gewährten Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII ist der Amtspfleger als Personensorgeberechtigter. Dementsprechend ist auch nur diesem gegenüber die Hilfe zu bewilligen und einzustellen und steht auch nur ihm das Recht zu, sich gegen eine Änderung der Hilfe zu wenden, wovon er hier jedoch keinen Gebrauch gemacht hat.

10

Die Kläger können die Zulassung der Berufung auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erreichen. Insofern fehlt es bereits an einer im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrundes. Eine Rechtssache weist besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Die Kläger haben aber weder angegeben, ob die Rechtssache Schwierigkeiten tatsächlicher und/oder rechtlicher Art aufweisen soll, noch haben sie dargelegt, auf welche konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage sich die besonderen Schwierigkeiten beziehen und worin diese bestehen sollen. Ihre sich auf die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung beziehenden Ausführungen reichen nicht aus, um dem Darlegungserfordernis hinsichtlich des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu genügen.

11

Die Berufung kann zudem nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: September 2007, § 124 Rn. 30 ff.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, welche Maßnahmen ein Jugendamt nach angeblichem Erhalt eines Wunsches des Amtsvormunds nach Beendigung des langjährigen Aufenthaltes eines seelisch behinderten, in der Pubertät befindlichen Kindes in einer Pflegefamilie treffen muss, wenn erkennbar keine tragfähigen Feststellungen zur Motivation des Kindes zu seinem angeblichen Beendigungswunsch getroffen worden sind, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich, sondern nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beantworten. Zudem wäre die Frage für den vorliegenden Fall, in dem über eine Feststellungsklage der Pflegeeltern über das Fortbestehen des Pflegeverhältnisses zu entscheiden ist, auch nicht entscheidungserheblich.

12

Die Berufung ist weiterhin nicht aufgrund eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen (vgl. auch §§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO) und verpflichtet das Gericht darüber hinaus, das entscheidungserhebliche Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse zu stützen, zu denen die Beteiligten sich zuvor äußern konnten, und die Gründe in dem Urteil anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Dass diese Grundsätze hier verletzt worden sind, ist bereits nicht in dem erforderlichen Maße dargelegt worden.

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Soweit die Kläger geltend machen, das Verwaltungsgericht habe ihr Vorbringen weitgehend übergangen, haben sie nicht hinreichend dargelegt, aus welchen Umständen sich im Einzelnen ergeben soll, dass das Gericht ihren Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht berücksichtigt haben soll.