Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.02.2005, Az.: 1 A 281/03
Anliegergebrauch; Gewerbebetrieb; Grundstückszufahrt; Rangiermaßnahme; schlichter Gemeingebrauch; Straßenbau; Straßenrecht; Werkstatt; Zufahrt
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.02.2005
- Aktenzeichen
- 1 A 281/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50640
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 14 GG
- § 14 Abs 1 StrG ND
- § 20 Abs 1 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bleibt ein Betriebsgrundstück für den durch die Grundstücksnutzung bestimmten Kraftfahrzeugverkehr über das öffentliche Straßennetz erreichbar, stellt eine Veränderung der Zufahrtssituation im Zuge einer Straßenumgestaltung keine Beeinträchtigung des Anliegergebrauchs dar. Ein erhöhter Rangieraufwand für große Fahrzeuge ist ebenso zumutbar wie zusätzliche organisatorische Maßnahmen bei (Ent-)ladevorgängen. Hier: Teilweise Unterbrechung der bisher vollständig offenen Übergänge zwischen einer privaten Hoffläche und der öffentlichen Straße durch ein Pflanzbeet und Hochbord.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Wiederherstellung des Straßenzustands vor seinem Betriebsgrundstück in J. /K., der bestand, bevor die Beklagte dort im Sommer 2003 eine straßenbauliche Umgestaltung vorgenommen hatte.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Flur L., Flurstück M. in der Gemarkung K. Er betreibt auf diesem Eckgrundstück, das im Kreuzungsbereich der N. und der O. liegt, eine Kfz-Werkstatt, deren Neubau im Jahre 1991 genehmigt wurde, und eine Tankstelle sowie eine Schlosserei. Das Grundstück ist über zwei Zufahrten von der O. aus zu erreichen. Außerdem kann es von der N. aus angefahren werden. Als Grundstückszufahrt wurde in der Vergangenheit auch der gesamte Eckbereich N. /O. genutzt, der mit einem abgesenkten Bordstein versehen war.
Am 28. April 2003 begann die Beklagte, finanziert mit Fördermitteln aus dem Dorferneuerungsprogramm des Landes Niedersachsen, mit Baumaßnahmen zur Umgestaltung der N.. Hierzu wurde für alle Anwohner in K. am 18. Februar 2003 eine Informationsveranstaltung durchgeführt. Mit Schreiben vom 17. Juli 2003 an die Beklagte erklärte der Kläger, dass die Zufahrt zu seinem Grundstück praktisch unmöglich würde, wenn im Zuge der Umgestaltung im Kreuzungsbereich N. /P. ein Beet angelegt und ein Baum gepflanzt werde. Er forderte die Beklagte zur Mitteilung auf, dass die Zufahrt über den Eckbereich des Grundstücks weiterhin zur Verfügung stehen werde und nicht beabsichtigt sei, an dieser Stelle ein Blumenbeet anzulegen bzw. einen Baum zu pflanzen. Am 22. Juli 2003 begann die Beklagte im Kreuzungsbereich N. /O. im öffentlichen Straßenraum ein Pflanzbeet anzulegen und das Beet mit einem Granithochbord auf einer Länge von 10,15 m (Kreisbogenlänge) einzufassen, um die Fläche vor überfahrenden Kraftfahrzeugen zu schützen. Die Straßenbaumaßnahmen wurden zunächst am 5. August 2003 abgeschlossen. Entsprechend der Planungen wurde später auf dem Beet eine Linde gepflanzt. Die zusätzlich vorgesehene Unterbepflanzung ist noch nicht vorgenommen worden.
Der Kläger hat am 15. Oktober 2003 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, für die auf dem Grundstück N. 1 betriebene Kfz-Werkstatt und die Schlosserei erfolgten regelmäßig Lieferungen durch große Lkw, teils mit Anhänger, von regelmäßig sehr großen, meterlangen Eisen- und Stahlteilen. Diese Teile würden in der Schlosserei verarbeitet. So stelle er zum Beispiel Treppen her. Das Abladen großer Metallteile erfordere heute den Einsatz eines Treckers und eines Frontladers, mit denen die Teile von dem auf der Straße haltenden Lkw vor die Werkstatt transportiert würden. Außerdem betreibe er von der Schlosserei aus auch eine Landmaschinenwerkstatt. Die Arbeiten an Landmaschinen würden zwar nicht im Gebäude selbst durchgeführt, es sei jedoch erforderlich, mit den oft sehr großen Fahrzeugen wie Mähdreschern, großen Schleppern und Wagen nahe an die Werkstatt heranzufahren. Dies sei früher über den Kurvenbereich problemlos möglich gewesen. Seit der Umgestaltung im Sommer 2003 seien nun beim Heranfahren erhebliche Rangiermaßnahmen erforderlich. Der Abschnitt direkt hinter dem angelegten Pflanzbeet zur O. hin biete für die Lieferfahrzeuge nicht genügend Platz. Bei einer Informationsveranstaltung am 18. Februar 2003 sei eine definitive Planung für den Kurvenbereich nicht vorgelegt worden. Vielmehr sei auf eine spätere Anhörung der Anwohner verwiesen worden. Diese sei jedoch nicht mehr erfolgt. Durch die jetzige Ausgestaltung werde sein Eigentum beeinträchtigt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, die Zufahrt zu seinem Grundstück derart zu verbauen, dass das Grundstück über das öffentliche Verkehrsnetz nicht mehr zu erreichen sei. Insbesondere greife die Beklagte durch die Straßenbaumaßnahme in ungerechtfertigter Weise in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den ursprünglichen Zustand im Bereich der N. 1/Ecke O. in J. /K. wiederherzustellen und die dort befindliche Bordsteinkante auf die ursprüngliche Höhe sowie das dort angelegte Pflanzbeet zurückzubauen und den gepflanzten Baum zu entfernen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert, der Kläger könne die Zufahrten zu seinem Hof und der Schlosserei von der N. aus ohne Weiteres benutzen. Soweit eine gewisse Erschwernis eingetreten sei, weil lediglich für große Lkw mit Anhänger die Zufahrt zum Grundstück nicht mehr möglich sei, müsse der Kläger dies hinnehmen. Die Belieferung seines Betriebes bleibe z. B. durch kleine Lkw oder Lieferwagen oder durch Entladen der großen Lkw auf der Straße möglich. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Gestaltung des öffentlichen Verkehrsnetzes, die ihm bislang zu Gute gekommen sei, für immer erhalten bliebe. Die Umgestaltung des hier umstrittenen Kurvenbereichs entspreche den Vorgaben nach dem Dorferneuerungsprogramm und sei für die Gesamtmaßnahme von großer Bedeutung. Bei Nichteinhaltung dieser Vorgaben bestehe die Gefahr, dass gewährte Zuschüsse komplett zurückgefordert würden.
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Klägers in dieser Angelegenheit hat die Kammer durch Beschluss vom 23. September 2003 abgelehnt (1 B 239/03).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und in dem Verfahren 1 B 239/03 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig, sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederherstellung des vor den Baumaßnahmen im Juli/August 2003 bestehenden Straßenzustands vor seinem Grundstück. Insbesondere kann er den begehrten Rückbau des Hochbordes und des Pflanzbeetes sowie außerdem die Entfernung der mittlerweile gepflanzten Linde im Kreuzungsbereich von N. und O. nicht wegen der Verletzung seines straßenrechtlich garantierten Anliegergebrauchs erzwingen. Dem Kläger steht ein sog. Folgenbeseitigungsanspruch, der hier als materielle Rechtsgrundlage für sein Begehren allein in Betracht käme, nicht zu. Denn durch die vom Kläger beanstandete Straßenumgestaltung, die als schlichtes Verwaltungshandeln einen hoheitlichen Eingriff darstellt, ist ein subjektives Recht des Klägers nicht verletzt worden. Es ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, der noch andauert. Weder eine Beeinträchtigung des Anliegergebrauchs im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Straßengesetzes (Nds.StrG) noch eine Verletzung von in diesem Zusammenhang durch Art. 14 Grundgesetz (GG) geschützte Grundrechtspositionen sind für das Gericht feststellbar.
Auch nach Durchführung der Umgestaltungsmaßnahmen bestehen ausreichende Zufahrten zum Grundstück des Klägers im Sinne von § 20 Abs. 1 Nds.StrG. Danach ist eine Zufahrt die für die Benutzung mit Fahrzeugen bestimmte Verbindung von Grundstücken mit einer Straße. Dass derartige Verbindungen zwischen dem klägerischen Grundstück und den beiden angrenzenden Straßen nach wie vor tatsächlich bestehen, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung aus den von den Beteiligten eingereichten Lageplänen und Fotos. Danach bleiben sowohl die Kfz-Werkstatt als insbesondere auch die Schlosserei für den durch die Grundstücksnutzung bestimmten Kraftfahrzeugverkehr weiterhin im erforderlichen Umfang und in zumutbarer Weise über das öffentliche Straßennetz erreichbar.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nds.StrG ist jedermann im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften der Gebrauch der Straße zum Verkehr gestattet. Neben dem sogenannten schlichten Gemeingebrauch umfasst die Vorschrift als gesteigerten Gemeingebrauch den Anliegergebrauch. Dies ergibt sich im Wege verfassungskonformer Auslegung der Norm unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, der eine angemessene Nutzung des Grundeigentums und des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs gewährleistet (so schon BVerwG, Urteil v. 25. Juni 1969 - IV C 77.67, BVerwGE 32, 222, 225 f.). Hierzu gehört insbesondere der „Kontakt nach außen“, der über die Inanspruchnahme der Straße zur reinen Ortsveränderung hinausgeht. Das Grundrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass die Anlieger einer Straße auf den Gemeingebrauch in erhöhtem Maße angewiesen sind, um ihr Grundstück bestimmungsgemäß nutzen zu können. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vermittelt dem Grundeigentümer und dem Gewerbetreibenden insbesondere das Recht auf Anschluss an das öffentliche Straßen- und Wegenetz, d.h. auf Zufahrten und Zugänge. Vor diesem Hintergrund ist der auch im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nds.StrG zu beachtende Anliegergebrauch als subjektiv öffentliches Recht ausgestaltet (BVerwG, Urteil v. 25. Juni 1969 - IV C 77.67, BVerwGE 32, 222, 225). Der Einzelne hat einen Anspruch gegen den Träger der öffentlichen Gewalt, nicht rechtswidrig vom Anliegergebrauch ausgeschlossen zu werden, etwa durch Unterbrechung der Zufahrt mit der Folge, dass das Grundstück über das öffentliche Straßennetz nicht mehr zu erreichen ist.
Zwar ist durch die Umgestaltung der N. eine Zufahrt zum Grundstück des Klägers im direkten Bereich des Pflanzbeetes an der Kreuzung N. /O. nicht mehr möglich. Die von der Beklagten vorgelegten Lagepläne und Fotos lassen allerdings deutlich erkennen, dass der Kläger, seine Kunden und Lieferanten den Bereich der Kfz-Werkstatt an der O. wie bisher über die direkte Zufahrt von der O. aus erreichen können. Außerdem ergibt sich eine weitere Zufahrtsmöglichkeit über das angrenzende Tankstellengelände. Bei den beiden Zufahrten von der O. handelt es sich um die in der Baugenehmigung aus dem Jahre 1991 vorgesehenen Zufahrten zur Kfz-Werkstatt und Tankstelle des Klägers. Ebenso ergibt sich aus den Plänen und Fotos, dass der genannte Personenkreis von der N. aus grundsätzlich auch mit großen Fahrzeugen auf das Grundstück fahren kann, ohne dass dafür der hier umstrittene Kurvenbereich überfahren werden müsste. Insbesondere kann dies zu dem befestigten Hofgelände vor dem u. a. als Schlosserei genutzten Gebäude geschehen. Auf der an die N. angrenzenden Grundstücksseite befindet sich neben dem Kurvenbereich immer noch eine sehr lange, offene gemeinsame Grundstücks- bzw. Straßenfront, die zu der vollständig befestigten Hoffläche nach wie vor nahezu höhengleich ausgestaltet ist und so auf ihrer ganzen Länge eine Zu- und Abfahrt auch mit großen Fahrzeugen, wie die vom Kläger angeführten Landmaschinen, ermöglicht. Wie viel Rangierplatz vorhanden ist, zeigen besonders deutlich die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreichten Fotos von dem Hof- und Kreuzungsbereich, auf denen vor dem Wohn-/Schlossereigebäude ein parallel zur N. abgestellter Pkw Mercedes abgebildet ist.
Auch wenn hier durch die Umgestaltung der Straße im Kurvenbereich die Zufahrtsmöglichkeiten zum Grundstück im Bereich der Schlosserei gegenüber den früher vollständig offenen Übergängen zwischen privater Hof- und öffentlicher Straßenfläche erschwert sind und einen höheren Rangieraufwand erfordern, stellt dies nach Überzeugung des Gerichts in Bezug auf die Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks keine unzumutbare Beeinträchtigung dar. Der Anlieger kann nicht darauf vertrauen, dass der Verkehr so bleibt, wie er ist, und alle Vorteile unverändert fortbestehen, die sich aus einer bestimmten Verkehrslage ergeben (OVG Lüneburg, Urteil v. 9. Juni 1988 - 12 A 237/86, UPR 1989, 117, 118; Grote, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., 1999, Kap. 25 Rdnr. 25). Er hat grundsätzlich Maßnahmen, die den aus dem Gemeingebrauch abgeleiteten Anliegergebrauch tatsächlich oder rechtlich einschränken, hinzunehmen und keinen Anspruch darauf, dass Änderungen unterbleiben, insbesondere dass die Zufahrtsmöglichkeiten durch eine Umgestaltung der Straße nicht beeinträchtigt werden. Für eine gesicherte Zufahrt ist entscheidend, dass eine angemessene Grundstücksnutzung weiterhin möglich bleibt. Maßgebend ist, was aus dem Grundstück unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten als anerkennenswertes Bedürfnis hervorgeht (BverwG, Beschluss vom 11.05.1999 - 4 VR 7/99 - DVBl. 1999, 1513 f. m. w. N.). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Straße als öffentliche Einrichtung nicht allein der Erschließung der Anliegergrundstücke, sondern schwergewichtig auch dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen dient. Danach hat hier die Beklagte die Einhaltung der Vorgaben des Dorferneuerungsprogramms über das Interesse des Klägers gestellt, wie in der Vergangenheit über die gesamte Straßenfront zur N. und über den Kurvenbereich hinaus faktisch von jedem Punkt aus Zufahrtsmöglichkeiten zu seinem Grundstück zu behalten. So hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass nach dem Dorferneuerungsprogramm gerade auch die Umgestaltung des Kurvenbereichs N. /O. von besonderer Bedeutung war. Darin liegt nach Einschätzung des Gerichts keine unzumutbare Beschränkung für den Kläger. Soweit eine Zufahrt bis an das Schlossereitor für große Lkw mit einem Anhänger nicht in der früher üblichen Weise möglich ist, verhindert dies nicht die Belieferung des klägerischen Betriebs auch mit großen Metallteilen. Dass dies weiterhin erfolgen kann, zeigt bereits der Zeitablauf seit der Umgestaltungsmaßnahme. Dazu hat der Kläger dargestellt, wie dies derzeit geschieht. Insoweit teilt das Gericht die Auffassung der Beklagten, dass auch eine Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs des Klägers durch die von ihm schon ergriffenen organisatorischen Maßnahmen bei der Belieferung und Entladung in einer dem Kläger zumutbaren Weise zu vermeiden ist.
Darauf, ob dem Kläger bei der Informationsveranstaltung im Februar 2003 schon im Einzelnen die spätere Umgestaltung des hier umstrittenen Kurvenbereichs erläutert worden ist, kommt es danach für die Entscheidung ebenso wenig an, wie darauf, ob und in welchem Ausmaß die Beklagte bei einem Rückbau des Pflanzbeetes und des Hochbordes Fördermittel zurückzahlen müsste.