Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 24.02.2005, Az.: 2 A 424/03
Erziehung; Hilfe; Jugendhilfe; Pauschale; Personensorgeberechtigter; Pflegegeld; Pflegekind; Pflegeperson; Prozessführungsbefugnis; Vereinsbeitrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 24.02.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 424/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50993
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 38 SGB 8
- § 39 Abs 1 SGB 8
- § 39 Abs 4 SGB 8
- § 42 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein Pflegeelternteil ist für Ansprüche aus § 39 SGB VIII nicht prozessführungsbefugt, wenn er nicht zugleich personensorgeberechtigt ist.
2. Vereinsbeiträge sind nicht gemäß § 39 Abs. 4 SGB VIII gesondert erstattungsfähig, sondern durch das pauschale Pflegegeld abgegolten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme von Vereinsbeiträgen, die sie für ihre beiden Pflegekinder P. (geboren am... ) und Q. (geboren am ... ) R. aufbringt. Das Jugendamt der Beklagten war bis zum 15. September 2004 als Amtsvormund für die Kinder bestellt. Seitdem ist der Ehemann der Klägerin, Herr S. T., Vormund der Kinder.
P. und Q. erhalten von der Beklagten seit 1. Juni 1999 Jugendhilfeleistungen. Zunächst waren sie in einer Bereitschaftspflegestelle untergebracht. Ab dem 15. Oktober 1999 erhielten sie Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII durch die U. GmbH. Diese bediente sich der Klägerin als Erziehungsstelle. Seit dem 1. März 2003 fungiert die Klägerin nicht mehr als Erziehungsstelle, die Kinder befinden sich aber auch nach dem 1. März 2003 in Vollzeitpflege bei der Klägerin. Nachdem die Klägerin bis einschließlich September 2003 Pflegegeld in Höhe von 823,50 Euro je Kind und Monat erhalten hatte, weil sie zunächst als Bereitschaftspflegestelle angesehen wurde, erhält sie ab Oktober 2003 ein monatliches pauschaliertes Pflegegeld je Kind in Höhe von 666,00 Euro.
Mit Schreiben vom 17. März 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter anderem die Übernahme von Vereinsbeiträgen in Höhe von jeweils 45,- € jährlich für die beiden Pflegekinder aus Mitteln der Jugendhilfe. Die Kinder sind, wie das leibliche Kind der Klägerin, seit Dezember 1999 Mitglied im Reit- und Fahrverein E. e.V.. Sie erhalten dort Voltigierunterricht. Nach Stellungnahmen des Sozialpädagogischen Zentrums H. vom 2. August 2001 (betreffend P.) bzw. 9. April 2002 (betreffend Q.) ist die weitere Teilnahme am Voltigieren zur Förderung der Körperwahrnehmung und Körperselbstsicherheit sehr zu empfehlen. Diese Empfehlung spricht auch eine Innerdienstliche Mitteilung der Beklagten vom 29. Juli 2003 aus.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2003 übernahm die Beklagte die Kosten für die Übungsstunden pro Quartal und Kind in Höhe von 35,- € aus Mitteln der Jugendhilfe. Die Übernahme der Vereinsbeiträge lehnte sie ab.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2003 (zugestellt am 18. Oktober 2003) zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, die Vereinsbeiträge seien durch das der Klägerin gewährte pauschale Pflegegeld abgegolten. Dieses Pflegegeld sei für mittlere Einkommensschichten bemessen. In diesen Einkommensschichten sei die Aufbringung von Vereinsbeiträgen nicht unüblich. Es sei im übrigen auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt so, dass derartige Beiträge im Regelsatz enthalten seien. Wenn dies schon bei dem wesentlich geringerem Regelsatz der Hilfe zum Lebensunterhalt so sei, müsse es auch bei der Gewährung des Pflegegeldes gelten. Auf § 39 Abs. 4 SGB VIII könne sich die Klägerin nicht berufen; der Runderlass des MK vom 29.03.1996 (Nds. MinBl. Seite 593) führe Vereinsbeiträge nicht als gesondert abzugeltende Aufwendungen auf.
Hiergegen hat die Klägerin am 18. November 2003 im eigenen Namen Klage erhoben. Sie verweist darauf, dass derartige Vereinsbeiträge in der Leistungsbeschreibung des U. enthalten waren und deshalb dem Stift gegenüber auch erstattet worden seien. Sie selbst bemühe sich um den Erhalt einer Betriebserlaubnis für eine selbständige Erziehungsstelle, was ihr aber bisher versagt worden sei. Wenn die Kosten dem U. erstattet worden seien, müsse auch ihr ein entsprechender Anspruch zustehen. Die Vereinsbeiträge seien den Kosten für Nachhilfeunterricht vergleichbar, die auch gesondert abgegolten würden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30. Juli 2003 und ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2003 zu verpflichten, die Kostenübernahme für die Vereins-Jahresbeiträge zu bewilligen,
hilfsweise,
die genannten Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage für unzulässig und nimmt im Übrigen zur Begründung Bezug auf die angefochtenen Bescheide.
In der mündlichen Verhandlung hat Herr T., der Vormund der Kinder P. und Q. R., ein Schreiben überreicht, mit dem er genehmigt, dass die Klägerin Ansprüche auf Erstattung von Vereinsbeiträgen im Klagewege im eigenen Namen geltend macht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mangels Prozessführungsbefugnis der Klägerin unzulässig. Sie ist nicht Inhaberin des von ihr geltend gemachten Anspruchs.
Der Anspruch vermag sich allenfalls aus § 39 Abs. 4 SGB VIII zu ergeben. Gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII ist, wird Hilfe nach den §§ 32 - 35 oder nach § 35 a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 gewährt, auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des elterlichen Hauses sicherzustellen. Die Kinder P. und Q. R. befinden sich auf der Rechtsgrundlage des § 33 SGB VIII bei der Klägerin in Vollzeitpflege. Gemäß § 39 Abs. 2 S. 1 SGB VIII soll der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt werden. Nach § 39 Abs. 3 SGB VIII können einmalige Beihilfen oder Zuschüsse insbesondere zur Erstausstattung einer Pflegestelle, bei wichtigen persönlichen Anlässen sowie für Urlaubs- und Ferienreisen des Kindes oder des Jugendlichen gewährt werden. Um einen solchen einmaligen Bedarf geht es bei dem hier streitbefangenen, jährlich wiederkehrenden Aufwendungen für Vereinsbeiträge nicht. Nach § 39 Abs. 4 SGB VIII sollen die laufenden Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sollen diese Leistungen in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalles abweichende Leistungen geboten sind. Schließlich regelt § 39 Abs. 5 S. 1 SGB VIII, dass die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festgesetzt werden. Gemäß § 39 Abs. 5 S. 3 SGB VIII regelt das Landesrecht Näheres. Eine solche Regelung enthält der Runderlass des MK vom 29.03.1996 - 5013 - 51210 - (Nds. Ministerialblatt, 593). Diese Erlassregelung erfüllt die bundesrechtlichen Vorgaben (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 10.03.1999 - 4 L 2667/98 - FEVS 51, 80, 81 ff).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich bei dem Anspruch nach § 39 SGB VIII um einen Annexanspruch zu dem in § 27 Abs. 1 SGB VIII geregelten Anspruch auf Hilfe zur Erziehung. Da dieser Grundanspruch dem Personensorgeberechtigten zusteht, hat dieser auch den Anspruch nach § 39 SGB VIII (vgl. Urteile vom 12.09.1996 -5 C 31.95-, FEVS 47,433; vom 04.09.1997 - 5 C 11.96 - FEVS 48, 289, 290; Urteil vom 26.03.1999 - 5 B 129.98 -, FEVS 51, 10, 11; ebenso OVG Münster, Urteil vom 25.04.2001 - 12 A 924/99 -, 251, 253; VGH München, Urteil vom 17.05.2001 - 12 ZB 00.1589 -, FEVS 52, 565). Soweit der Gesetzgeber der Pflegeperson Ansprüche hat zuerkennen wollen, hat er dies, wie in § 23 SGB VIII, ausdrücklich getan.
Für die Pflegekinder der Klägerin bestand zunächst gemäß § 1791 b Abs. 1 BGB eine Amtsvormundschaft des Jugendamtes des Beklagten, seit dem 15. September 2003 eine Vormundschaft des Ehemannes der Klägerin. Hieraus folgt gemäß §§ 1793 Abs. 1, 1800 i.V.m. 1631 Abs. 1 BGB, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt personensorgeberechtigt für ihre Pflegekinder war, so dass sie einen Anspruch nach § 39 SGB VIII nicht hat.
Demgegenüber überzeugt es nicht, wenn in der Literatur (Schellhorn, SGB VIII / KJHG, § 39 Rdnr. 12; Hauck/Haines, SGB VIII, § 38 Rdnr. 19) und vom Nds. OVG (Urteil vom 10.03.1999, a.a.O., Seite 81), im Wesentlichen gestützt auf das Recht der Pflegeeltern, die Interessen des Pflegekindes wahrzunehmen und § 38 SGB VIII, die Prozessführungs- und Klagebefugnis der Pflegeperson bejaht wird. Gemäß § 1688 Abs. 1 BGB ist der Pflegeperson das Recht eingeräumt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens für das in seiner Familienpflege lebende Kind zu entscheiden sowie den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten. So ist die Pflegeperson gemäß § 1688 Abs. 1 S. 2 BGB befugt, den Arbeitsverdienst des Kindes zu verwalten sowie Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind geltend zu machen und zu verwalten. Diese Vorschriften lassen sich für den Anspruch nach § 39 SGB VIII nicht fruchtbar machen. Denn Anspruchsberechtigter der Leistungen nach §§ 27 ff. SGB VIII ist nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers der Personensorgeberechtigte, hier zunächst der Beklagte und danach der Ehemann der Klägerin, nicht jedoch das jeweilige Kind oder der Jugendliche. Soweit im SGB VIII nicht das Kind oder der Jugendliche ausdrücklich als leistungsberechtigt genannt werden, wie in § 6 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII, ist zu berücksichtigen, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zu förderst ihnen obliegende Pflicht sind (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, § 1 Abs. 2 S. 1 SGB VIII). Hiermit ist der Personensorgeberechtigte als Inhaber von Ansprüchen nach dem SGB VIII angesprochen.
Selbst wenn man aus § 1688 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 38 SGB VIII eine Prozessführungs- und Klagebefugnis ableiten wollte, dürfte man diese nicht der Pflegeperson zusprechen. Denn insoweit müsste die Pflegeperson ein Recht des Pflegekindes geltend machen. Da die Klägerin dies hier nicht tut, sondern vielmehr im eigenen Namen handelt und einen eigenen Anspruch gegen die Beklagte behauptet, wäre daher für die Zulässigkeit der Klage nichts gewonnen.
Auch die nachträgliche, in der mündlichen Verhandlung überreichte Genehmigung der Klageführung durch den derzeitigen Vormund der Kinder, den Ehemann der Klägerin, vermag die Prozessführungsbefugnis der Klägerin nicht zu begründen. Eine derartige Ermächtigung seitens des Rechtsinhabers zur Führung eines Prozesses durch einen nicht anspruchsberechtigten Dritten (gewillkürte Prozessstandschaft) ist dem Verwaltungsprozess fremd. Ihr steht § 42 Abs. 2 VwGO entgegen, wonach der Kläger im Verwaltungsprozess geltend machen muss, in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., vor § 40 Rdnr. 24 f.).
Zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten für Folgezeiträume weist die Kammer zusätzlich darauf hin, dass die Klage auch unbegründet wäre.
Die Besonderheiten des Einzelfalles rechtfertigen keine abweichende Leistung im Sinne von § 39 Abs. 4 S. 2 SGB VIII von dem der Klägerin gewährten monatlichen Pauschalbetrag für die laufenden Unterhaltsleistungen an ihre beiden Pflegekinder.
Der den Personensorgeberechtigten zustehende Anspruch auf Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Kindes einschließlich der Kosten der Erziehung ist der Höhe nach auf die nach § 39 Abs. 5 S. 1 SGB VIII festgesetzten Pauschalbeträge begrenzt (BVerwG, Beschluss vom 26.03.1999 - 5 B 129.98 -, FEVS 51, 10, 11). Diese beliefen sich im Jahr 2003 auf 823,50 bzw. 666,00 Euro pro Kind und Monat. Vereinsbeiträge, die hier in Höhe von monatlich 3,75 Euro je Kind geltend gemacht werden, sind durch diese Pauschale abgegolten. Die diesbezügliche Zahlungspflicht begründet keine Besonderheit des Einzelfalles. Dies zeigt der vergleichende Blick in das Recht der Hilfe zum Lebensunterhalt. Dort sind Aufwendungen für sportliche Aktivitäten als solche der Teilnahme am kulturellen Leben im Regelsatz enthalten (vgl. Hofmann in: LPK-BSHG, § 12 Rdnr. 62). Dieser betrug im Jahr 2003 für Kinder unter 8 Jahren 148,00 Euro und für Kinder über 8 Jahren 192,00 Euro. Umso mehr wird man bei einem zwei- bis dreifach höheren pauschalen Pflegegeld davon auszugehen haben, dass Vereinsbeiträge durch die Pauschale abgegolten sind. Diese Aufwendungen sind entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht mit den Kosten für Nachhilfeunterricht oder sonstige schulische Aktivitäten zu vergleichen, die nach Nr. 3 des Runderlasses des MK vom 29.3.1996 nicht mit dem Pauschalbetrag abgegolten sein sollen. Eine derartige Gleichstellung verbietet schon die Höhe des hier streitigen Aufwands.
Der Beklagten kann auch ein Ermessensfehler nicht vorgehalten werden, wenn sie die Übernahme der streitigen Vereinsbeiträge aus Mitteln der Jugendhilfe ablehnt, so dass auch der Hilfsantrag unbegründet gewesen wäre. Zwar können nach dem Erlass Sonderleistungen nach dem Ermessen des örtlichen Jugendhilfeträgers gewährt werden. Es ist jedoch nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte die Vereinsbeiträge, anders als die Kosten des Voltigierunterrichts selbst, auch in Anbetracht ihrer geringen Höhe grundsätzlich den Kosten der allgemeinen Lebensführung zuweist, die durch das Pflegegeld abgegolten sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 188 S. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.