Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.02.2005, Az.: 2 A 355/03

Abschiebung; absehbare Zeit; Aufenthaltserlaubnis; Libanon

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.02.2005
Aktenzeichen
2 A 355/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Auslegung des Begriffes "in absehbarer Zeit" in § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG

Tatbestand:

1

Der am ... A. K. geborene, geschiedene Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

Der Kläger reiste im September 1989 in das Bundesgebiet ein. Einen alsbald nach der Einreise gestellten Asylantrag nahm er im Dezember 1990 zurück und erhielt in der Folgezeit Aufenthaltsbefugnisse aufgrund einer Bleiberechtsregelung. Das Amtsgericht Bad Gandersheim verurteilte ihn am 26.02.1996 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten (Aktenzeichen 1 Ls 830 Js 47517/95). Der Landkreis L. wies den Kläger daraufhin mit Bescheid vom 13.02.1996 aus dem Bundesgebiet aus. Der Beklagte forderte ihn mit Bescheid vom 04.03.1998 zur Ausreise auf und drohte seine Abschiebung an. Beide Bescheide sind bestandskräftig. Die Abschiebung des Klägers in den Libanon konnte jedoch bisher nicht erfolgen, weil für ihn aus Gründen, die zwischen den Beteiligten streitig sind, bisher weder ein gültiger Reisepass noch Passersatzpapiere beschafft werden konnten. Der bis zum 18.10.2000 gültig gewesene Reisepass des Klägers befindet sich zur Zeit bei der ZAAB Oldenburg. Seit November 1997 hat der Kläger fortlaufend Duldungen erhalten.

3

Am 19.09.2001 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gem. § 30 Abs. 4 AuslG. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.09.2001 ab, weil der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden sei. Den rechtzeitig dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2003 zurück, weil der Kläger sich weigere, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen. Am 20.06.2002 schloss der Kläger die Ehe mit der am ... geborenen deutschen Staatsangehörigen M. N. geb. B. und führt seitdem den Familiennamen B.. Die Ehe ist seit dem ... geschieden.

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Der Kläger hat am 15.09.2003 Klage erhoben. Er trägt vor: Er habe in der Vergangenheit insgesamt drei mal bei dem Beklagten die notwendigen Formulare ausgefüllt und dem Beklagten auch gestattet, Heimreisedokumente für ihn zu besorgen; eine Mitarbeiterin des Beklagten habe sich jedoch geweigert, seinen abgelaufenen Reisepass bzw. eine Kopie davon herauszugeben; am 08.02.2005 habe er auch die von ihm erforderten Passfotos vorgelegt; mithin habe er es nicht zu vertreten, dass er bisher nicht in den Libanon habe abgeschoben werden können.

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Mit der Klageschrift hat der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 24.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 27.08.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

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Im Hinblick auf das zum 1.1.2005 geänderte Ausländerrecht beantragt der Kläger nunmehr,

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den Bescheid des Beklagten vom 24.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 27.08.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis (jetzt Aufenthaltserlaubnis) vom 19.09.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er trägt vor: der Kläger habe in der Vergangenheit keine ausreichenden Bemühungen unternommen, um sich einen Nationalpass oder ein Passersatzpapier zu beschaffen; am 16.12.2004 habe er jedoch auf Aufforderung des Beklagten einen neuen Vordruck betreffend die Ausstellung von Passersatzpapieren ausgefüllt und später Passfotos nachgereicht; der Vordruck sei an die Bezirksregierung Weser/Ems (deren Nachfolgebehörde für dieses Sachgebiet die ZAAB Oldenburg ist) geschickt worden; nunmehr sei damit zu rechnen, dass ca. binnen 3 Monaten Passersatzpapiere für den Kläger beschafft werden könnten; das liege daran, dass in Vorbereitung eines Rückübernahmeabkommens mit dem Libanon im Dezember 2004 Gespräche zwischen dem Bundesministerium des Inneren und dem libanesischen Innenministerium stattgefunden hätten, die zur Folge hätten, dass bereits jetzt in Abkehr von der bisherigen Handhabung Passersatzpapiere zügig (d. h. binnen 3-4 Monaten) ausgestellt würden, wobei auch gerade solche Personen berücksichtigt würden, die aufgrund von in Deutschland begangenen Straftaten abgeschoben werden sollten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Das es sich um eine Verpflichtungsklage (in Form der Bescheidungsklage, §§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) handelt, hat das Gericht seiner Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen. Es hat danach zum einen die erst kürzlich eingetretenen Veränderungen im Hinblick auf das Rücknahmeverhalten der libanesischen Behörden und zum anderen die Rechtslage zu berücksichtigen, die nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I, S. 1950) seit dem 1.1.2005 gilt. Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags vom 19.09.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

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Maßgeblich ist jetzt die Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll unter dieser Voraussetzung erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Hier liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach den Sätzen 1 und 2 dieser Bestimmung nicht vor.

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Allerdings ist der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig, weil die Ausweisungsverfügung des Landkreises L. vom 13.02.1996 bestandskräftig ist (§ 58 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AufenthG). Auch ist seine Ausreise zur Zeit aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, weil er nicht über ein Reisepapier verfügt, welches ihm den Grenzübertritt erlaubt. Jedoch ist - nunmehr - mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit zu rechnen. Was unter „absehbare Zeit“ zu verstehen ist, bedarf der Auslegung. Dabei ist auf den Zweck der Vorschrift abzustellen. Mit ihr soll bewirkt werden, dass im Regefall Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, bisher jedoch nicht ausreisen konnten und dieses auch in absehbarer Zeit nicht können, einen sicheren Aufenthaltsstatus in Form der Aufenthaltserlaubnis erhalten und nicht nur nacheinander mit offenem Ende mehrere Duldungen - die gemäß § 60a AufenthG nichts anderes sind als die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Ausweislich des Akteninhalts sind dem Kläger seit nahezu sieben Jahren fortlaufend, in letzter Zeit jeweils für drei Monate, Duldungen erteilt worden. Das Gesetz bezweckt diesen Zustand zu beenden. Dem Gericht erscheint deshalb ein vom Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an gerechneter Zeitraum von weiteren drei Monaten für die Beseitigung des Ausreisehindernisses in jedem Fall als ein absehbarer Zeitraum im Sinne der Vorschrift.

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Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegt, dass die Beschaffung von Heimreisepapieren für den Kläger vermutlich binnen 3 Monaten gelingen wird, und dazu zahlreiche Unterlagen vorgelegt, die seinen Vortrag stützen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Prognose zutrifft, und stellt insbesondere auf das Schreiben des Bundesministerium des Innern vom 23.12.2003 an die Innenministerien und Senatsverwaltungen des Inneren der Länder ab, aus dem sich ergibt, dass die libanesische Seite in bilateralen Verhandlungen die Zusicherung gegeben habe, Rückübernahmeanträge im Regelfall innerhalb von 2 Monaten zu bearbeiten, und dabei insbesondere die Rückführung von Personen zu ermöglichen, die aufgrund von in Deutschland begangenen Straftaten abgeschoben werden sollen. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger. Mittlerweile hat er auch die von ihm verlangte Mitwirkung erbracht. Die von dem Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwogene Möglichkeit - für die aber Anhaltspunkte zur Zeit nicht bestehen -, dass der Kläger den am 16.12.2004 ausgefüllten Vordruck nicht vollständig oder nicht richtig ausgefüllt hat, ändert an dieser Prognose nichts.

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Fehlen danach bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG, kann dem Kläger zur Zeit eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden und muss er sich bis zu seiner Ausreise mit Duldungen begnügen. Sollte sich herausstellen, dass die von dem Beklagten angestellte und vom Gericht bestätigte Prognose unrichtig ist, mag er erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen. Dann - und erst dann - hätte der Beklagte zu prüfen, ob der Kläger unverschuldet an der Ausreise gehindert ist, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für jeglichen Aufenthaltstitel im Sinne von § 5 AufenthG erfüllt sind oder ob von ihnen ganz oder im Einzelfall abgesehen werden kann oder muss. Dabei werden auch die generelle Passpflicht nach § 3 AufenthG und die in der Aufenthaltsverordnung vom 25.11.2004 - BGBl. I, S. 2955 - dazu im Einzelnen geregelten Ausnahmen eine Rolle spielen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

20

Das Gericht sieht keinen Grund, die Berufung gem. § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung eines höheren Gerichtes ab, denn solche Entscheidungen zu dem am 1.1.2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz sind dem Gericht nicht bekannt. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung; die Entscheidung beruht vielmehr auf einer konkreten Beurteilung der Situation, in der sich der Kläger persönlich befindet.