Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 04.07.2001, Az.: 21 UF 7/01

Zahlung höheren Kindesunterhalts und Ehegattentrennungsunterhalts; Einschränkung der Leistungsfähigkeit wegen massiver Überschuldung; Beschränkung des Unterhaltsanspruchs durch die gesetzliche Pfändungsfreigrenze

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.07.2001
Aktenzeichen
21 UF 7/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 31831
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2001:0704.21UF7.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 01.12.2000 - AZ: 606 F 2354/00

Fundstellen

  • FamRZ 2002, 887-888 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZfJ 2002, 239-240

Verfahrensgegenstand

Unterhalt

In dem Rechtsstreit
...
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2001
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 1. Dezember 2000 teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin

für die am 29. Oktober 1997 geborene Tochter ... für die Zeit vom 1. Juni 2000 bis 31. Dezember 2000 monatlich 270 DM, für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2001 monatlich 345 DM und ab 1. Juli 2001 monatlich 360 DM Kindesunterhalt, abzüglich für Juni 2000 bis einschließlich Juni 2001 laufend gezahlter 220 DM monatlich sowie

Ehegattentrennungsunterhalt für die Zeit vom 1. Juni 2000 bis 30. Juni 2001 in Höhe von 1.146 DM monatlich und ab 1. Juli 2001 in Höhe von 1.080 DM monatlich zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 7/10 und der Beklagte zu 3/10.

Die Kosten der Berufungsinstanz fallen der Klägerin zu 6/7 und dem Beklagten zu 1/7 zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für die erste Instanz wird in Abänderung der amtsgerichtlichen Festsetzung auf 70.013,69 DM für die Gerichtsgebühren sowie hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren für das Verfahren im allgemeinen

(Kindesunterhalt
Rückstand:2.538 DM + 846 DM =3.384,00DM
lfd. Unterhalt
(höhere Beträge aus der Klageerweiterung): 12 × 846 DM =10.152,00DM
Ehegattenunterhalt
Rückstand: (nur Juni 2000)2.912,13DM
lfd. Unterhalt:12 × 4.464,63 DM53.575,56DM)
und für die Verhandlungsgebühr auf 66.773,69 DM
(Kindesunterhalt
Rückstand:2.538 DM + 846 DM =3.384,00DM
lfd. Unterhalt
(Beträge aus dem SS vom 22.08.200) 12 × 576 =6.912,00DM
Ehegattenunterhalt
Rückstand: (nur Juni 2000)
2.912,13 DM
lfd. Unterhalt:12 × 4.464,63 DM53.575,56DM)

festgesetzt.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt

bis zur Berufungsrücknahme der Klägerin 52.353,78 DM, nämlich
Kindesunterhalt (7.128 DM)
Rückstand:2.538 DM + 846 DM3.960,00 DM
lfd. Unterhalt:6 × [576 DM ./. 270 DM] =1.836,00 DM
6 × [576 DM ./. 345 DM] =1.332,00 DM
Ehegattenunterhalt (45.225,78 DM)
Rückstand:
1.286,89 DM + 2.902,13 DM + 998,40 DM =3.190,62 DM
lfd. Unterhalt:6 × (4.463,83 DM ./. 998,40 DM) =20.792,58 DM
6 × (4.463,83 DM ./. 923,40 DM) =21.242,58 DM
und für die Zeit danach 19.263,80 DM, nämlich
Kindesunterhalt (5.093 DM)
Rückstand:
4 × 739 DM + 469 DM ./. 270 DM =3.155,00 DM
lfd. Unterhalt:
6 × [469 DM ./. 345 DM] sowie 6 × [469 DM ./. 345 DM] =1.938,00 DM
und
Ehegattenunterhalt (14.170,80 DM)
7 × 2.053,86 DM ./. 998,40 DM (inkl. 1 Monat Rückstand)=7.388,22 DM
6 × 2.053,86 DM ./. 923,40 DM =6.782,58 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung des Beklagten, mit der er sich für die Zeit bis Mai 2000 insgesamt gegen die Zahlung weiteren Unterhalts und für die Zeit ab Juni 2000 gegen die Zahlung höheren Kindes- und Ehegattentrennungsunterhalts als mit der Berufung zugestanden wehrt, ist überwiegend begründet und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

2

Der Beklagte schuldet der Klägerin dem Grunde nach für die gemeinsame Tochter ... gemäß §§ 1601, 1603, 1610 und 1612 BGB ebenso wie für die Klägerin selbst gemäß § 1361 BGB Unterhalt.

3

Trotz des überdurchschnittlichen Erwerbseinkommens von gegenwärtig monatlich 17.819 DM netto sowie einem erheblichen Immobilienbesitz (Mehrfamilienhaus Primavesistraße 11 in Leipzig, unbebautes Grundstück ... in ... und Eigentumswohnung in der ...) ist der Beklagte infolge völliger Überschuldung nur eingeschränkt leistungsfähig. Denn seine ehelichen Verbindlichkeiten aus den auf den voll finanzierten Immobilien ruhenden Lasten sowie sonstige - teils bereits titulierte - eheliche Verbindlichkeiten übersteigen seine Erwerbs- und Vermögenseinkünfte bei weitem. Insgesamt belaufen sich seine Verbindlichkeiten, wie der Beklagte in der Berufungsbegründung durch Bezugnahme auf die zu den Akten gereichten Aufstellungen und Unterlagen im Einzelnen dargestellt hat, auf über 4.000.000 DM. Sämtliche für die Grundstücksfinanzierung aufgenommenen Verbindlichkeiten, dies betrifft fast die gesamte Kreditlast, sind bereits wegen Zahlungsverzuges gekündigt, die Einnahmen aus dem Mehrfamilienhaus ... der einzigen Immobilie die noch Einnahmen erzielt, sind der finanzierenden Bank abgetreten. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es dem Beklagten auch nicht anzulasten, dass die Eigentumswohnung in der ... derzeit leer steht. Wie allgemein bekannt ist, ist der Immobilienmarkt, gerade hinsichtlich der sogenannten besseren Objekte in den ostdeutschen Großstädten derzeit übersättigt, was sowohl zu einem Verfall der Mieten als auch der Immobilienpreise geführt hat. Vor diesem Hintergrund ist es wirtschaftlich sinnvoll und deshalb auch unterhaltsrechtlich hinzunehmen, statt einer Vermietung zu einem weit unter Kostendeckung liegenden Mietzins die Veräußerung an einen Erwerber zum Zwecke des Eigengebrauchs anzustreben. Das gilt, da bei einer solchen Verwertung weitaus geringere Verluste zu erwarten sind.

4

Angesichts der vorgenannten Gesamtverbindlichkeiten langen die Erwerbseinkünfte, welche gegenwärtig ausschließlich wegen der durch die Immobilien anfallenden Verluste und die daraus resultierenden Steuerfreibeträge so hoch sind, auch zusammengenommen mit den derzeit noch anfallenden Mieterträgen - soweit diese nicht für die Hausverwaltung und Hausunterhaltung benötigt werden - nicht aus, auch nur die laufenden Zinslasten der fälliggestellten Grundstücksfinanzierungskredite und sonstigen Verbindlichkeiten zu decken. Noch ungünstiger gestaltet sich die wirtschaftliche Situation des Beklagten, wenn neben den laufend anfallenden Zinsen auch noch Tilgung berücksichtigt wird.

5

Anders stellt sich die Situation auch nicht dar, wenn der Beklagte, soweit ihm die Grundpfandgläubiger hierzu Handlungsspielraum lassen, den vorhandenen Grundbesitz veräußert. Denn wie das zuwartende, eine Verwertung im Wege der Zwangsversteigerung ersichtlich scheuende Verhalten der Grundpfandgläubiger belegt, ist bei der derzeitigen Situation auf dem ostdeutschen Immobilienmarkt der Immobilienbestand des Beklagten nur mit erheblichen Verlusten veräußerbar, sodass eine Unterdeckung von rund 1.000.000 DM, wie vom Beklagten vorgetragen, durchaus realistisch ist. Auch dann würde sich die Situation, dass Zins und Tilgung das Einkommen des Beklagten deutlich übersteigen, grundsätzlich nicht ändern. Denn nach Veräußerung des Immobilienbesitzes würden die gegenwärtig noch hieraus herrührenden erheblichen Steuervorteile entfallen und sich allein dadurch das Erwerbseinkommen des Beklagten in etwa halbieren.

6

Im Ergebnis bleibt daher festzustellen: Die Klägerin kann für sich und ihre Tochter unabhängig davon, in welchem Umfang während des ehelichen Zusammenlebens und auch jetzt die ehelichen Verbindlichkeiten bedient wurden bzw. werden, Unterhalt nur in einem Rahmen verlangen, wie er nach einem vernünftigen Tilgungsplan unter verantwortlicher Abwägung der Unterhaltsbelange und der Fremdgläubigerinteressen bei einer angemessen Schuldtilgung geleistet werden kann (vgl. BGH FamRZ 1982, 678 ff.). Wegen der massiven Überschuldung des Beklagten, d.h. dass im Ergebnis eine angemessene Zins- und Tilgungsleistung sämtliche verfügbaren Einkünfte übersteigt, kann die Klägerin für sich und ihr Kind daher Unterhalt unter Berücksichtigung auch der Fremdgläubigerinteressen nur im Rahmen der gesetzlichen Pfändungsfreigrenze verlangen. Diese beträgt im vorliegenden Fall 3.080 DM, nämlich entsprechend § 850 c Abs. 1 ZPO 1.209 DM zzgl. 468 DM für die erste unterhaltsberechtigte Person und 351 DM für die nächste unterhaltsberechtigte Person. Darüber hinaus sind nach § 850 c Abs. 2 ZPO von der Gesamtsumme des so ermittelten Freibetrages von 2.028 DM bei 2 Unterhaltsberechtigten insgesamt weitere 6/10 der Differenz (3.796 DM ./. 2.028 DM = 1.768 DM) des vorstehend ermittelten Betrages zu 3.796 DM (dem maximal pfändungsfreien Betrag), also insgesamt weitere 1.060,80 DM (1.768 DM × 6/10) pfändungsfrei. Mithin ergibt sich insgesamt ein pfändungsfreier Betrag von rechnerisch 3.088,80 DM (2.028 DM + 1.060,80 DM) oder gemäß § 850 c Abs. 3 ZPO nach unten (auf einen durch 20 DM teilbaren Betrag) gerundet ein insgesamt pfändungsfreier Betrag von 3.080 DM. Infolge seines Selbstbehalts von 1.500 DM für die Zeit bis zum 30. Juni 2001 könnte der Beklagte daher insgesamt Kindes- und Ehegattenunterhalt von 1.580 DM leisten (3.080 DM einsetzbares Einkommen - 1.500 DM Selbstbehalt) und für die Zeit ab 1. Juli 2001 1.440 DM (3.080 DM - 1.640 DM Selbstbehalt).

7

Für die Zeit von März 2000 bis einschließlich Mai 2000 ist der Unterhalt der Klägerin und ihrer Tochter durch die unstreitigen Leistungen des Beklagten (vgl. Aufstellung der Klägerin im Schriftsatz vom 26. Juni 2000/Bd. II Bl. 37 d.A.) bereits in voller Höhe getilgt.

8

Für die Zeit ab Juni 2000 schuldet der Beklagte bei einem entsprechend der Pfändungsfreigrenze von 3.080 DM zu berücksichtigenden Einkommen Kindesunterhalt nach der 3. Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle, mithin 405 DM monatlich. Für die Zeit bis Dezember 2000 ist hiervon das hälftige Kindergeld (135 DM) abzusetzen. Mithin verbleibt ein Zahlbetrag von 270 DM monatlich. Ab Januar 2001 erhöht sich der zu zahlende Kindesunterhalt wegen der nur noch eingeschränkten Kindergeldanrechnung gemäß der Neuregelung in § 1612 b Abs. 5 BGB auf 345 DM (480 DM = 135 % des Regelbetrages ./. 135 DM). Ab Juli 2001 erhöht sich der Tabellenbetrag mit der neuen Düsseldorfer Tabelle auf 418 DM. Nach teilweiser Anrechnung des anteiligen Kindergeldes verbleibt dann ein Zahlbetrag von 360 DM (495 DM = 135 % des Regelbetrages ./. 135 DM). Auf diese Beträge sind die ab Juni 2000 bis einschließlich Juni 2001 laufend in Höhe von 220 DM monatlich erbrachten Zahlungen abzusetzen.

9

Nach Abzug der vorgenannten Kindesunterhaltszahlbeträge verbleibt von dem bis zum Selbstbehalt einzusetzenden Einkommen für den Ehegattenunterhalt für die Zeit von Juni 2000 bis Dezember 2000 monatlich ein Betrag von höchstens 1.310 DM (1.580 DM ./. 270 DM), für die Zeit von Januar 2001 bis Juni 2001 monatlich höchstens 1.235 DM (1.580 DM ./. 345 DM) und für die Zeit ab Juli 2001 monatlich höchstens 1.080 DM (1.440 DM ./. 360 DM). Grundsätzlich schuldet der Beklagte an Ehegattenunterhalt jeweils 3/7 seines um den Tabellensatz für ... bereinigten Einkommens von (3.080 DM - 405 DM =) 2.675 DM bzw. (3.080 DM - 418 DM =) 2.662 DM, mithin monatlich 1.146 DM bzw. 1.141 DM. Die fraglichen monatlichen 1.146 DM Ehegattenunterhalt kann er ohne Beeinträchtigung seines Selbstbehalts von 1.500 DM bis einschließlich Juni 2001 zahlen. Ab Juli 2001 sind wegen des Selbstbehalts von nun 1.640 DM nur noch 1.080 DM monatlicher Ehegatten-Trennungsunterhalt geschuldet.

10

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 97, 708 Ziff. 10, 711 und 713 ZPO.