Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 10.03.2000, Az.: 18 UF 279/99
Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung; Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen; Voraussetzungen für die Gewährung des Kindesmindestunterhaltes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.03.2000
- Aktenzeichen
- 18 UF 279/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 31548
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2000:0310.18UF279.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Langen - 05.10.1999 - AZ: 11 F 106/99
Rechtsgrundlagen
- § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB
- § 1609 Abs. 1 BGB
- § 713 ZPO
Fundstelle
- FamRZ 2000, 1430-1431 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Kindesunterhalt
In der Familiensache
hat der 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterinnen am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Langen vom 5. Oktober 1999 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 5.128 DM festgesetzt.
Tatbestand
A.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Das Amtsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zur Zahlung des Kindesmindestunterhalts an den Kläger, der bei seinem, von der Beklagten geschiedenen Vater lebt, verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Zutreffend hat das Amtsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der ausgeurteilten Beträge an den Kläger ausgesprochen.
1.
Der Unterhaltsanspruch des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich aus §§ 1601 ff BGB. Die Beklagte trifft sogar eine gesteigerte Unterhaltsverpflichtung nach § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB, weil der ebenfalls unterhaltsverpflichtete Kindesvater zur Zahlung von Barunterhalt nicht leistungsfähig ist, er bezieht selbst Sozialhilfe.
2.
Die Beklagte ist neben der Unterhaltsverpflichtung dem Kläger gegenüber einem weiteren Sohn, ... geboren am ..., zum Unterhalt verpflichtet.
Die Unterhaltsverpflichtung der Beklagten gegenüber ihren beiden Kindern ist gemäß § 1609 Abs. 1 BGB uneingeschränkt gleichrangig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ... außerehelich geboren ist.
..., der weder vom Vater des Klägers, noch vom neuen - jetzigen - Ehemann der Beklagten abstammt, lebt im Haushalt der Beklagten und ihres neuen Ehemannes und wird von der Beklagten versorgt. Die Beklagte kommt ihrer Unterhaltsverpflichtung ... gegenüber also durch die von ihr geleistete Betreuung und Versorgung nach. Zwar behauptet die Beklagte, auch für den Barunterhalt ... aufkommen zu müssen, weil der leibliche Vater keinen Unterhalt zahle. Unterhaltsrechtlich kann diese Behauptung jedoch keine Berücksichtigung finden. Abgesehen davon, dass selbst dann, wenn die Beklagte auch für den Barunterhalt ... aufkommen müsste, sich keine Veränderung im Hinblick auf die Gleichrangigkeit der Unterhaltsverpflichtungen ergibt, reicht der Vortrag der Beklagten nicht einmal dazu aus, eine Barunterhaltsverpflichtung unterhaltsrechtlich anzuerkennen. Es geht vorliegend um den Mindestunterhalt für den minderjährigen Kläger im Rahmen einer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung. Der Beklagten obliegt es insoweit, Einschränkungen in ihrer Leistungsfähigkeit substantiiert vorzutragen und zu belegen.
Grundsätzlich sind beide Elternteile zu Unterhaltsleistungen verpflichtet. Da der Kläger und ... unterhaltsrechtlich gleichstehen, kann sich die Beklagte auf eine zusätzliche Barunterhaltsverpflichtung ... gegenüber allenfalls in - einem hier nicht hinreichend dargelegten - Ausnahmefall berufen. Zur Annahme eines solchen Ausnahmefalles wäre es mindestens erforderlich, dass sich die Beklagte intensiv aber dennoch erfolglos bemüht hat, den Barunterhalt vom Vater zu erlangen. Auf alleinige "Bemühungen" des Jugendamtes darf sie sich dabei nicht verlassen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, was sie bzw. das Jugendamt unternommen hat, um den Barunterhalt gegen den Vater ... durchzusetzen. Sie hat auch nicht vorgetragen, aus welchen Gründen die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gescheitert ist. Ihre Mitteilung im Schriftsatz vom 29. Februar 2000, gegen den Vater werde erfolglos vollstreckt, ist schon deshalb nicht beachtlich, weil der Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung einging und nicht nachgelassen war, führt aber auch in der Sache nicht weiter. Die Anerkennung einer Verpflichtung zur Zahlung von Barunterhalt kann neben der Unterhaltsverpflichtung der Beklagten, die sie ... durch Betreuung zu leisten hat, deshalb jedenfalls im Verhältnis zum Kläger nicht anerkannt werden.
Die Beklagte ist deshalb auch beiden Kindern gegenüber gleichsam zu Unterhaltsleistungen verpflichtet. Sie darf sich nicht auf die Unterhaltsleistungen zu Gunsten des einen Kindes beschränken. Vielmehr haben beiden Kinder ein gleiches Recht, Unterhaltsleistungen von der Beklagten zu empfangen (vgl. hierzu die grundlegenden Entscheidungen des BVerfG FamRZ 1985, 143 ff, 145; und des BGH FamRZ 1980, 43 ff, 44).
3.
a)
Die Beklagte ist zur Zahlung des Mindestunterhalts auch leistungsfähig, auf Leistungsunfähigkeit kann sie sich nicht berufen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die Beklagte bis einschließlich November 1999 eine Teilzeittätigkeit inne hatte, die sie auf Grund einer Kündigung allerdings zum Ende November 1999 aufgeben musste. Aus dieser Teilzeittätigkeit erwirtschaftete sie ein Einkommen von rd. 1.400 DM brutto monatlich, was zunächst einem Nettoeinkommen von rund 1.100 DM entsprach und später - nach Wechsel der Steuerklasse in Steuerklasse V/0 - einem solchen von rund 736 DM. Dabei ist zu beachten, dass unterhaltsrechtlich die von der Beklagten gewählte, für sie ungünstige Steuerklasse V, nicht beachtlich ist. Unterhaltsrechtlich obliegt es ihr nämlich, ihr Einkommen so günstig wie möglich zu gestalten (vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2000, 311 f). Mit dem genannten Einkommen ist die Beklagte zur Zahlung des Kindesmindestunterhalts an den Kläger leistungsfähig.
b)
Auf die Einhaltung eines Selbstbehalts, der aus diesem Einkommen zu wahren ist, kann sich die Beklagte nicht berufen (vgl. hierzu BGH FamRZ 1998, 287; BGH FamRZ 1982, 590, 592;). Denn die Beklagte ist neu verheiratet und ihr Eigenbedarf ist auf Grund des, Einkommens ihres neuen Ehemannes bereits gedeckt. Dabei ist davon auszugehen, das die Eheleute sich darauf verständigt haben, dass der Ehemann im Wesentlichen die Arbeitstätigkeit verrichtet und das zum Leben notwendige Geld verdient, während die Beklagte in erster Linie den Haushalt führt, ohne dass ausgeschlossen ist, dass sie einer eigenen Berufstätigkeit nachgeht. Für die Beurteilung der Deckung des Eigenbedarfs durch die Einkünfte des neuen Ehemannes ist es unerheblich, dass der neue Ehemann nicht der Vater ... ist, denn unabhängig von der Frage, ob gemeinsame Kinder vorhanden sind oder nicht, besteht eine Verpflichtung zur Beitragung zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360 a BGB (vgl. auch BGH FamRZ 1982, 590). Während die Beklagte in erster Linie durch Versorgung des Haushalts zum Familienunterhalt beiträgt, wovon der neue Ehemann profitiert, erbringt ihr neuer Ehemann den Beitrag zum Familienunterhalt durch seinen Arbeitsverdienst, an dem wiederum die Beklagte partizipiert. Auf die Unterhaltspflichten gegenüber Kindern aus früherer Ehe hat der neue Ehepartner dabei Rücksicht zu nehmen (vgl. BGH FamRZ 1981, 341 ff, 343).
Zur Leistung des Familienunterhalts ist der neue Ehemann der Beklagten auch leistungsfähig. Der neue Ehemann der Beklagten hat eine feste Anstellung, bei der er monatlich brutto rund 6.500 DM verdient. Er ist allerdings derzeit krank und erhält seit dem 20. September 1999 Krankengeld, das den vorgelegten Unterlagen zufolge rund 3.260 DM monatlich beträgt.
Trotz des von der Beklagten behaupteten fortdauernden Krankengeldbezuges verfügt er damit immer noch über ein Einkommen, das ihn in die Lage versetzt, sich selbst mit einem angemessenen Selbstbehalt und die Beklagte finanziell zu versorgen und auch noch seiner Verpflichtung zur Zahlung von Barunterhalt seinem eigenen Kind gegenüber nachzukommen. Die hiesige Rechtsprechung zum Selbstbehalt beim Unterhalt minderjähriger Kinder steht in vollem Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH FamRZ 82, 590 f, FamRZ 98, 287 f). Der Entscheidung OLG Hamm FamRZ 2000, 311 f lag offenkundig ein anderer - leider nicht angegebener - Sachverhalt zu Grunde (wie sich bereits aus den dort zitierten Entscheidungen ergibt (vgl. z.B. OLG Frankfurt FamRZ 1991, 594)), bei dem nämlich der Eigenbedarf des unterhaltsverpflichteten Elternteils durch seinen neuen Ehegatten nicht gesichert wurde, bzw. die ehelichen Lebensverhältnisse von einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit beider Ehegatten geprägt war.
Ob sich vorliegend die Einkommensverhältnisse des neuen Ehemannes der Beklagten infolge der nun schon mehrere Monate andauernden Erkrankung in Zukunft so halten werden, ist derzeit noch nicht abzusehen und kann vom Senat deshalb nicht berücksichtigt werden. Abweichenden erheblichen Entwicklungen kann mit einem Abänderungsbegehren begegnet werden.
c)
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, auf Grund der erforderlichen Betreuung des weiteren Kindes nicht berufstätig sein zu müssen oder zu können. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass ihr neuer Ehemann bezüglich des außerehelich geborenen Kindes, das auch nicht von ihm abstammt, nicht verpflichtet ist, Betreuungsleistungen zu übernehmen (insoweit liegt der hiesige Sachverhalt tatsächlich anders als die einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs). Auf diese Frage kommt es vorliegend jedoch gar nicht an. Zu beachten ist nämlich, dass das Stiefgeschwisterkind des Klägers, .... bereits am ... geboren wurde, ... geht längst zur Schule, in dieser Zeit fällt eine Betreuung ... durch die Beklagte nicht an und muss deshalb auch nicht durch eine andere Person sichergestellt werden. Die Beklagte ist deshalb mindestens in der Schulzeit ... in der Lage, einer Nebentätigkeit nachzugehen, die ihr einen Verdienst sichert, mit dem sie den Mindestunterhalt des Klägers sicherstellen könnte, wie es die Beklagte ja auch schon bei ihrer auch bis November 1999 durchgeführten Arbeitstätigkeit bereits getan hat. Diese Tätigkeit konnte die Beklagte im Übrigen sogar ausüben, obwohl sie zusätzlich zu den Betreuungsleistungen für ... auch noch den Kläger zu versorgen hatte.
Da der Kläger und ... unterhaltsrechtlich gleichrangig sind, kann sich die Beklagte dem Kläger gegenüber also nicht darauf berufen, nicht arbeiten zu müssen, weil ... noch "voll" betreuungsbedürftig ist. Die Beklagte verkennt hierbei, dass die unterhaltsrechtlichen Grundsätze, die diesbezüglich beim Ehegattenunterhalt gelten, wonach eine Erwerbsobliegenheit in der Regel erst ab Ende des Grundschulalters besteht, bei der Beurteilung der Fragen zum Kindesunterhalt (gar zum Kindesmindestunterhalt bei gesteigerter Unterhaltsverpflichtung) nicht gelten. Strikt zu trennen sind hier die Bereiche Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen gleichrangige Unterhaltsverpflichtung gegenüber Kindern aus verschiedenen Ehen bzw. Verbindungen in zahlreichen bereits genannten Entscheidungen ausdrücklich bejaht. In BGH FamRZ 1982, 25 ff hat er sogar eine Arbeitsverpflichtung bei Versorgung eines Säuglings bejaht. Dass der Bundesgerichtshof im dortigen Verfahren die Betreuung des Säuglings durch dessen Vater und neue Ehemann voraussetze, ändert nichts daran, dass eine Arbeitsverpflichtung der barunterhaltsverpflichteten Mutter festgestellt wurde. Auf die Frage der Betreuung ... während der Zeit in der die Beklagte arbeitsbedingt abwesend ist, kommt es aus oben dargelegten Gründen vorliegend nicht an.
d)
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass sie jedenfalls ab Dezember 1999 nicht leistungsfähig ist, weil ihr ihre Anstellung gekündigt worden ist. Die Beklagte erhält Arbeitslosengeld von wöchentlich 108,85 DM, dass ihr die Zahlung des Kindesmindestunterhalts von ausgeurteilten monatlichen 314 DM bzw. 299 DM bereits voll ermöglicht. Hinzukommt, dass eine eventuelle Verringerung des Arbeitslosengeldes auf Grund der zuvor gewählten - unterhaltsrechtlich nicht zu beachtenden - ungünstigen Steuerklasse ebenfalls nicht anzuerkennen ist.
Darüber hinaus ist die Beklagte unterhaltsrechtlich gehalten, auch eine Nebentätigkeit aufzunehmen, um den Kindesmindestunterhalt sicherzustellen.
II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 5.128 DM festgesetzt.