Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.11.2012, Az.: L 6 U 92/07
Anerkennung einer Krebserkrankung der Nasenscheidewand eines Schweißers als Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 15.11.2012
- Aktenzeichen
- L 6 U 92/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 34845
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:1115.L6U92.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 27.03.2007 - AZ: S 22 U 297/05
Rechtsgrundlagen
- Anl. 1 Nr. 1103 BKV
- Anl. 1 Nr. 4109 BKV
- § 9 Abs. 1 SGB VII
- § 9 Abs. 2 SGB VII
Fundstelle
- Breith. 2013, 405-412
Redaktioneller Leitsatz
1. Bei einer Krebserkrankung ohne ein berufstypisches Krankheitsbild kann die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen (Mit)Verursachung auch nur im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne allein anhand der Bestimmung einer Erhöhung des Erkrankungsrisikos durch die berufliche Belastung als Dosis gefährender Stoffe beurteilt werden.
2. Hier im Einzelfall wegen Nikotinkonsum bei einem Schweißer verneint.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 27. März 2007 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung von Verletztenrente. Streitig ist, ob eine Krebserkrankung der Nasenscheidewand wahrscheinlich wesentlich beruflich mitverursacht ist. Im Vordergrund stehen die Berufskrankheiten (BKen) Nummern (Nrn) 1103 (Erkrankung durch Chrom oder seine Verbindungen) und 4109 (bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lunge durch Nickel oder seine Verbindungen) der Anlage (Anl) 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Bei dem im Jahr H. geborenen Kläger wurde im Jahr 2003 ein Plattenepithelcarcinom (PEC) des Nasenseptums, das operativ behandelt wurde, diagnostiziert (Krankenbericht vom 31. Juli 2003). Die Untersuchung des entfernten Gewebematerials zeigte ein ulceriertes verhornendes PEC der Nase mit Excision im Gesunden (pathologisches Gutachten vom 28. Juli 2003). Festgehalten wurde die anamnestische Angabe des Klägers über einen täglichen Konsum von 5 bis 10 Zigaretten (Mitteilung des Chefarztes der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Klinikums I., J. vom 28. Juni 2012). Dr K. erstattete die ärztliche Anzeige über eine BK vom 11. September 2003, in der er die Erkrankung auf eine berufliche Nickel-Chrom-Einwirkung zurückführte. Der Kläger arbeitete nach der Ausbildung zum Bauschlosser seit dem Jahr 1971 in der Kesselschmiede der L ... Gegenüber Dipl-Ing M. berichtete er am 18. Dezember 2003, in der Ausbildung zum Bauschlosser vorwiegend niedriglegierte Baustähle bearbeitet und gelegentlich Schweißarbeiten mit Stabelektrode ausgeführt zu haben. In den Jahren 1967 bis Anfang des Jahres 1970 habe er als Geselle in der Abteilung Operationstischbau durchschnittlich 2 Stunden in der Woche vorwiegend leichte Bleche aus nicht rostenden Stählen mit Stabelektrode geheftet. Vom 2. Februar 1970 bis 8. Mai 1971 habe er als Maschinenschlosser bei N. und O. niedriglegierte Stähle bearbeitet und täglich ungefähr 1 Stunde geschweißt. Bei der P. sei er zunächst bis zum 31. Oktober 1979 als Apparatebauer im Bereich der Kesselschmiede tätig gewesen. Er habe Profile und Bleche aus verschiedenen Stählen bearbeitet. Heft- und Brennschneidarbeiten habe er durchschnittlich täglich ungefähr 1 bis 2 Stunden verrichtet. Ab dem 1. November 1979 sei er in die sog Terminabteilung gewechselt. Er habe sich 2/3 des Tages in Hallen und 1/3 des Tages in einem Büro aufgehalten. Der Aufenthalt in der mechanischen Werkstatt habe durchschnittlich 1 Stunde am Tag betragen (s auch die Mitteilung der Q. vom 6. Januar 2004). Der die Beklagte beratende Facharzt für Arbeits- und Innere Medizin Dr R. wies darauf hin, dass sowohl sechswertige Chromverbindungen als auch Nickel, gegenüber denen der Kläger beruflich exponiert gewesen sei, außer Bronchialkarzinomen auch im Bereich der Nase lokalisierte Malignome verursachen könnten und schlug vor, zunächst das Ausmaß der Exposition zu erfassen und danach eine arbeitsmedizinische Zusammenhangsbegutachtung durchzuführen (Stellungnahme vom 22. Januar 2004). Dipl-Ing M. errechnete eine kumulative Belastung von 550 µ/m3 x Jahre für Chrom VI-Verbindungen sowie von 779 µ/m3 x Jahre für Nickel und seine Verbindungen. In der Stellungnahme vom 8. März 2004 wies er darauf hin, dass es keine Informationen über die Exposition gebe. Deshalb habe er auf Messergebnisse über branchenübergreifende Arbeitsbereiche aus dem BIA-Report 2/96 "Zur Expositionssituation krebserzeugender Gefahrstoffe am Arbeitsplatz" zurückgegriffen. Bei der Tätigkeit in dem Unternehmen N. sei eine Chrom(VI)-/Nickel-Einwirkung nicht zu vermuten, weil CrNi-Stähle nicht verarbeitet worden seien. Für die Zeit ab dem 1. November 1979 habe er eine Bystander-Exposition mit 10 % der erhaltenen Werte angesetzt. Anschließend erstatteten die Direktorin der Abteilung Arbeitsmedizin der S. Prof Dr T. und Assistenzarzt Dr U. das arbeitsmedizinische Gutachten vom 18. Juni 2004.
Die Gutachter wiesen darauf hin, dass konsistente epidemiologische Studien, die ein signifikant erhöhtes Lungenkrebsrisiko für Schweißer beim Umgang mit chrom- und nickellegierten Zusatzwerkstoffen belegten, nicht existierten. Im Sinne einer Konsensusbildung habe die Empfehlung von Norpoth und Popp aus dem Jahre 1994 Akzeptanz gefunden. In einer arbeitsmedizinisch-toxikologischen und epidemiologischen Metaanalyse empfahlen die Autoren, als kausalanalytisch relevante Verdoppelungsdosis für Bronchialkarzinome bei Edelschweißern eine kumulative Chromatdosis von 2000 µ/m3 x Jahre und eine kumulative Dosis für oxidische Nickel-Verbindungen von 5000 µ/m3 x Jahre zugrunde zu legen. Die Gutachter fassten zusammen, dass der Kläger zwar einer Nickel- und Chromexposition in geringem Umfang ausgesetzt gewesen sei. Es ließe sich aber keine Studie finden, die das vermehrte Auftreten von Tumoren im Nasenbereich bei Schweißern belegte. Als außenberuflicher Risikofaktor seien die Rauchgewohnheiten anzusehen. Eine BK sei nicht wahrscheinlich.
Anschließend legte die Beklagte die Akten dem gewerbeärztlichen Dienst des V. Landesamtes für Ökologie vor. Dr W. wies im gewerbeärztlichen Gutachten vom 30. August 2004 auf die Seltenheit der Krebserkrankung des Klägers hin, die der Grund dafür sei, dass in Kohorten-Studien eine ausgeprägte berufliche Überhäufigkeit nicht entdeckt werden könne. Eine geeignetere Überprüfung sah er über Fall-Kontroll-Studien. Diese gäben zumindest Hinweise auf eine Risikoerhöhung für Nasenkrebse bei Schweißern. Die von Dipl-Ing M. zugrunde gelegten Daten aus dem BIA-Report hielt er nicht für repräsentativ zur Beurteilung der Belastung an den früheren Arbeitsplätzen des Klägers. Denn die Messwerte seien in den Jahren 1989 bis 1992 zu einem Zeitpunkt erhoben worden, zu dem ein deutlich besserer Arbeitsschutzstandard als in den früheren Jahren der Tätigkeit des Klägers bestanden habe. Darüber hinaus erschien es Dr W. als willkürlich, die Bystander-Exposition mit 10 % der fiktiven Belastung am Arbeitsplatz anzunehmen. Des Weiteren müsse davon ausgegangen werden, dass Chrom und Nickel sich in ihrer krebserzeugenden Wirkung ergänzten. Als außerberuflicher Risikofaktor komme zwar der Konsum von Tabakrauch in Frage. Es erscheine aber bei dem Aufnahmeweg von Tabakrauch über die Mundhöhle schwer vorstellbar, dass ein Effekt nur lokal eintrete. Deshalb empfahl Dr W. die Anerkennung als BK.
Dr R. hielt in seiner Stellungnahme vom 19. September 2004 eine Klärung der arbeitstechnischen Ermittlungen für erforderlich. Daraufhin veranlasste die Beklagte die weitere arbeitstechnische Stellungnahme des Dr X. vom 7. Februar 2005. Dieser stimmte Dr W. darin zu, dass die zur Bewertung herangezogenen Messwerte des BIA-Reports eine geringere Expositionshöhe auswiesen als in den 1970er Jahren bestanden habe. Indes sei zu berücksichtigen, dass der Kläger keine Schweiß- sondern Brenn- und Heftarbeiten verrichtet habe und dass die Exposition bei diesen Tätigkeiten erheblich geringer sei als bei Schweißarbeiten. Die geschätzte Bystander-Exposition mit 10 % von der Exposition desjenigen, der die Arbeit ausführe, werde durch stationäre Messsysteme bestätigt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass ab dem Jahr 1989 das WIG-Schweißverfahren eingeführt worden sei. Aufgrund des sehr geringen Emissionsverhaltens bei diesem Schweißverfahren sei von keiner Bystander-Exposition mehr auszugehen. Dr X. fasste zusammen, dass die Expositionsabschätzungen in den durchgeführten Dosis-Berechnungen keinen Anlass zur Korrektur geben würden. Die angenommenen Expositionshöhen seien für einen Schlosser, der zeitweise Heft- und Brennarbeiten ausführe, eher als obere Grenze anzusehen. Die Expositionshöhen lägen erheblich unter denen, die in der Chromat herstellenden Industrie und bei der Raffination von Nickel vorkommen würden und bei denen ein vermehrtes Auftreten von Tumoren beobachtet worden sei.
Nach Einholung der weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr R. vom 22. Februar 2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 2005 die Anerkennung einer BK oder einer Erkrankung wie eine BK ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. September 2005).
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die am 20. September 2005 erhobene Klage nach Anhörung der Beteiligten und gestützt auf das arbeitsmedizinische Gutachten vom 18. Juni 2004 durch Gerichtsbescheid vom 27. März 2007 abgewiesen.
Mit der am 24. April 2007 eingelegten Berufung hat der Kläger die Ermittlungen zu der beruflichen Belastung gerügt.
Nach der Darstellung der Arbeitsbedingungen in den Schriftsätzen vom 23. Dezember 2008 und 6. März 2009 hat Dipl-Ing M. in einem weiteren Gespräch mit dem Kläger in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten am 26. Juni 2009 die berufliche Exposition neu erfasst. Die überarbeitete Tätigkeitsbeschreibung vom 25. August 2009 wurde von einem Betriebsrat und 2 ehemaligen Mitarbeitern der P. bestätigt (Stellungnahme des Dipl-Ing M. vom 18. November 2009). Danach verrichtete der Kläger während seiner Beschäftigung in der Kesselschmiede bis in das Jahr 1979 Heftarbeiten 5 bis 6 Stunden täglich in der Hälfte aller Arbeitstage und zu 30 % in Strahlpumpenkörpern. Den durchschnittlichen Aufenthalt in der Kesselschmiede in der Zeit danach gab der Kläger mit einem zeitlichen Umfang von 7 Stunden täglich an. Wesentliche Änderungen in der Berechnung der kumulativen Dosis der Exposition gegenüber Chrom(VI)-Verbindungen sowie gegenüber Nickel und seinen Verbindungen resultieren daraus allerdings nicht (488,2 µ/m3 sowie 779 µ/m3 x Jahre - Stellungnahme des Dipl-Ing M. vom 29. April 2010), weil sich eine geringere Zahl der Jahre für Arbeiten mit Stabelektroden und eine höhere Zahl der Jahre, in denen nach dem schadstoffärmeren WIG-Verfahren gearbeitet wurde, ergaben.
Der Kläger kritisiert weiterhin die Annahme einer Bystander-Exposition von 10 % und die fehlende Berücksichtigung erschwerter Expositionsbedingungen im Großanlagenbau (s im Einzelnen die Ausführungen im Schriftsatz vom 8. April 2011). Insgesamt hält er - gestützt auf die Beurteilung des Dr W. - an seiner Auffassung einer wahrscheinlich wesentlich beruflich mitverursachten Erkrankung fest.
Der Kläger beantragt, 1. den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 27. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2005 aufzuheben, 2. die BKen Nrn 1103 und 4109 der Anl 1 zur BKV festzustellen, hilfsweise festzustellen, dass die Krebserkrankung der Nasenscheidewand von der Beklagten wie eine BK anzuerkennen ist, 3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 27. März 2007 zurückzuweisen.
Der Senat hat nach Abschluss der Ermittlungen der Beklagten das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr Y. vom 24. Oktober 2011 eingeholt. Der Sachverständige hat die Wertung im arbeitsmedizinischen Gutachten vom 18. Juni 2004 bestätigt, dass eine berufliche Mitverursachung nicht wahrscheinlich sei und dass dem Nikotinkonsum besondere Bedeutung zukomme. Schließlich hat der Senat medizinische Befundunterlagen der hausärztlichen Praxis des Klägers beigezogen und die Auskunft des Chefarztes der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Klinikums I., Z., vom 28. Juni 2012 über die anamnestische Angabe des Klägers eines täglichen Zigarettenkonsums von 5 bis 10 Zigaretten eingeholt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Ihr Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Auch nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Berufungsverfahren kann die Erkrankung des Klägers nicht als BK (dazu unter 1.) oder als Krankheit, die von der Beklagten wie eine BK anzuerkennen ist (dazu unter 2.), festgestellt werden. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente, § 56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII - gesetzliche Unfallversicherung -). Diese Beurteilung stützt der erkennende Senat auf die überzeugend sowie differenzierend begründete und nach umfassender Recherche des medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes gewonnene Wertung des Sachverständigen Dr Y. (dazu unter 3). Demgegenüber vermögen die Ausführungen des Gewerbearztes Dr W. nicht zu überzeugen (dazu unter 4).
1. BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Einschlägig sind die BKen Nrn 1103 und 4109 der Anl 1 zur BKV. Nach der st Rspr des BSG (s zusammenfassend Spellbrink BPUVZ 2012, 360/362) ist für ihre Feststellung erforderlich, dass die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit zu Einwirkungen auf den Körper geführt hat und diese eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Während für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit genügt, müssen die ihr zugrundeliegenden Tatsachen - somit auch die Einwirkungen - voll, dh mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Die Zuordnung einer Erkrankung zu einer beruflichen Einwirkung erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Grundlage der juristischen Wesentlichkeitstheorie ist ein dem Recht vorgegebener allgemein erkenntnistheoretischer Ursachenbegriff. Die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie besagt, dass Ursache jede Bedingung ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog conditio-sine-qua-non, dazu ausführlich KassKomm-Ricke SGB VII § 9 Rn 2, § 8 Rn 4 ff). Erst wenn feststeht, dass eine Einwirkung durch einen Arbeitsstoff eine naturwissenschaftlich-philosophische Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung durch die Einwirkung sowohl bei isolierter Betrachtung des Arbeitsstoffes als auch beim notwendigen Zusammenwirken mehrerer Einwirkungen (näher BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 17 Rn 36 ff).
Schon angesichts der allgemeinen Umweltbelastung genügt eine Exposition gegenüber gefährlichen Arbeitsstoffen als solche, dh unabhängig von ihrer Größe zur Feststellung als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne nicht. Wie schon Paracelsus erkannte, sind alle toxischen Wirkungen von Fremdstoffen relativ von der Dosis abhängig (Dekant/Vamfaker Toxikologie 2. Aufl 2006 S 12). Der Sachverständige hat im Einzelnen (S 91 ff des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011) den medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand dargestellt, nach dem die kumulative Exposition über ein Arbeitsleben zur Beurteilung eines Karzinomrisikos von besonderer Bedeutung ist, auch wenn unter präventiven Gesichtspunkten ein Grenzwert, unterhalb dem eine genetische Schädigung ausgeschlossen werden kann, nicht begründbar ist. Die Listen-BKen sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass Versicherte über einen längeren Zeitraum schädigenden Einwirkungen ausgesetzt sind und erst diese längerfristige Belastung zu der Erkrankung führt (BSGE 103, 45/48 [BSG 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R] Rn 18). Bei der Krebserkrankung des Klägers, die kein berufstypisches Krankheitsbild aufzeigt, kann die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen (Mit)Verursachung auch nur im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne allein anhand der Bestimmung einer Erhöhung des Erkrankungsrisikos durch die berufliche Belastung beurteilt werden.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Feststellung einer BK über den Beweis des ersten Anscheins nicht zulässig. Zwar gelten die Grundsätze des prima-facie-Beweises auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Sie setzen aber aus Erfahrungssätzen abgeleitete typische Geschehensabläufe voraus, wie sie die Rspr für die als BK anzuerkennenden Meniskusschäden idF der Nr 26 der Anl zur 5. BKV vom 26. Juli 1952 ("Meniskusschäden bei Bergleuten nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit Untertage") bzw der Nr 42 der Anl zur 6. BKV vom 28. April 1961 ("Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit Untertage") bejaht hat (BSG Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - Rn 16) und die hier fehlen. Allein das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale einer BK genügt nicht (ebd). Deshalb ist es für die Feststellung als BK nicht ausreichend, dass der Kläger kanzerogenen Arbeitsstoffen ausgesetzt war und dass das Krankheitsbild eines PEC sowie die Expositions- und Latenzzeit mit einer beruflichen Verursachung vereinbar sind (S 120 ff des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011).
Das Erkrankungsrisiko wird bei Krankheiten mit einem breiten, nicht bevorzugt beruflichen Ursachenspektrum durch epidemiologische Daten zur Erkrankungshäufigkeit quantifiziert. Der Sachverständige Dr Y. hat im arbeitsmedizinischen Gutachten vom 24. Oktober 2011 (S 88 f) im Einzelnen begründet, dass weder akute noch chronische noxenspezifische Schäden nach Chromatexposition aufgetreten sind, die als mögliche Brückensymptome für eine arbeitsmedizinisch-toxikologisch relevante Exposition herangezogen werden könnten. Die gehörten Ärzte haben darauf hingewiesen, dass maligne Tumoren der Atemwege durch eine länger andauernde Einwirkung von sechswertigen Chromaten überwiegend in den Chromat herstellenden Betrieben sowie in der Chromatpigmentindustrie und ein erhöhtes Auftreten von Erkrankungen im Bereich des Bronchialsystems, der Nasenhaupt- und der Nasennebenhöhlen sowie des Kehlkopfes in Nickelraffinerien beobachtet wurden. Nach der aktuellen und umfangreichen Datenbankrecherche des Sachverständigen (S 94, 126 des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011) liegen belastbare epidemiologische Daten für die Beurteilung einer beruflichen Verursachung von Nasenkrebs bei Schweißern nicht vor, was mit der Seltenheit der Krebserkrankung zusammenhängen mag. Um überhaupt eine weitere Prüfung als BK zu ermöglichen, hat der Sachverständige hilfsweise die für Lungenkrebs vorliegenden Daten herangezogen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Vorgehensweise rechtlich günstig. Denn ansonsten wäre die Prüfung einer BK schon an dieser Stelle wegen Beweislosigkeit zu Lasten des Klägers abgeschlossen. Denn es bestehen - wie ausgeführt - Erkenntnisse nur über Belastungen in Chromat herstellenden Betrieben, in der Chromatpigmentindustrie sowie in Nickelraffinerien und ein Anscheinsbeweis über eine Exposition gegenüber kanzerogenen Stoffen ist rechtlich unzulässig.
Im erforderlichen Vollbeweis gesichert sind eine kumulative Dosis für Chrom (VI)-Verbindungen von 488,2 µm/m3 x Jahre sowie für Nickel und seine Verbindungen von 779 µm/m3 x Jahre. Der Sachverständige hat im Einzelnen die Berechnung der kumulativen Dosiswerte durch Dipl-Ing M. geprüft und für überzeugend gehalten (S 103, 164 ff des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011). Der Beklagte ist im Berufungsverfahren im Einzelnen den Angaben des Klägers nachgegangen. Entgegen der Behauptung des Klägers wurden Schweißarbeiten in Rohren berücksichtigt (s die Berechnung für Schweißen in engen Räumen in der Stellungnahme vom 29. April 2010) und den fehlenden Einfluss der Galvanik hat Dipl-Ing M. in der Stellungnahme vom 18. November 2009 (S 2 Mitte) erläutert.
In der arbeitsmedizinischen Wissenschaft wird als verlässliches Kriterium für eine erhebliche Erhöhung des Erkrankungsrisikos in einem belasteten Kollektiv im Vergleich zu einem unbelasteten Kontrollkollektiv der Faktor 2 (Risikoverdopplung) gesehen. Dieses Kriterium liegt auch den Lungenkrebsberufskrankheiten der Nrn 4104 (3. Alt) und 4113 f der Anl 1 zur BKV zugrunde (s zuletzt die wissenschaftliche Begründung für die BK Nr 4114 - GMBl 2007, 475/486). Der Grund dafür liegt darin, dass relative Risiken unter 2 keinen verlässlichen Aufschluss geben (Wilde/Schulte SGb 2004, 559/604 mwN). Allerdings setzt die Anwendung des Grenzwertes eines Verdopplungsrisikos arbeitsmedizinisch-epidemiologisch belastbare Dosis-Wirkungs- bzw Dosis-Häufigkeits-Beziehungen voraus. Daran fehlt es indes bei einer Exposition gegenüber Chrom und Nickel. Die aus Studien abgeleiteten Dosis-Wirkungs-Beziehungen sind nicht konsistent. Bei den arbeitsmedizinisch genannten Grenzwerten von 2.000 µm/m3 x Jahre (für sechswertige Chromverbindungen) und von 5.000 µm/m3 x Jahre (für Nickel und seine Verbindungen) nach einer Metaanalyse aus dem Jahre 1994 von Norpoth und Popp handelt es sich deshalb um eine Konvention, um Orientierungswerte (S 93, 125 des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011 - s auch die Stellungnahme von Schneider, Raithel, Pesch/Brüning und Zschieße zum Lungenkrebsrisiko bei Edelstahlschweißern aufgrund einer Exposition gegenüber Chrom-VI-Verbindungen und Nickeloxid in: ArbeitsmedSozialmedUmweltmed 2008, 326 ff). Die hier ermittelten Werte liegen aber so deutlich von den genannten Orientierungswerten entfernt, dass sie die Feststellung einer beruflichen Mitverursachung schon im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne auch unter Berücksichtigung des Konventionscharakters nicht zu tragen vermögen. Denn die Belastung durch Nickel liegt um den Faktor 6,5 unter dem Orientierungswert und die Belastung durch Chrom(VI)-Verbindungen liegt auch bei Berücksichtigung der nach neuen epidemiologischen Daten in Betracht zu ziehenden Chromatdosis in einer Größenordnung von 1.000 bis 1.500 µm/m3 x Jahre um den Faktor 2 bis 3 unter dem Orientierungswert (S 104, 135 f des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011).
2. Die von Dr W. in dem gewerbeärztlichen Gutachten vom 30. August 2004 angenommene synkanzerogene Wirkung - dh ein Zusammenwirken der kanzerogenen Chrom(VI)- und Nickelverbindungen - läuft auf die Feststellung einer neuen Gesamt-BK (wie der mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 eingefügten Nr 4114: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen) hinaus, die der Bezeichnung durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates vorbehalten ist (§ 9 Abs 1 SGB VII, BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 17 Rn 17 ff). Die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der BKV ergebenden Regelungslücken schließt die "Öffnungsklausel" des § 9 Abs 2 SGB VII. Sie stellt jedoch keine allgemeine Härteklausel dar, sondern ermöglicht die Anerkennung als "Wie-BK", wenn die Voraussetzungen für die Bezeichnung einer BK vorliegen (aaO. Rn 31). Die sog BK-Reife liegt hier nach der Recherche des aktuellen arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes durch den Sachverständigen Dr Y. indes nicht vor.
Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung als BK erfüllt sind. Das ist auch nach erneuter Literaturrecherche nicht der Fall. Für ein vermehrtes Auftreten von PEC der Nase/des Nasenseptums bei Schweißern liegen belastbare epidemiologische Daten nicht vor (S 140 des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011). Auch die hier hilfsweise heranzuziehenden neuen Erkenntnisse zu einem erhöhten Lungenkrebsrisiko sind inkonsistent und erbringen nicht den Nachweis einer signifikanten Risikoerhöhung (um den Faktor 2, S 140 ff). Insofern liegt eine Änderung in der Beurteilung des medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes seit der die Feststellung einer "Wie-BK" aufgrund einer synkanzerogenen Wirkung von Chrom und Nickel ablehnenden Entscheidung des BSG vom 12. Januar 2010 (aaO. Rn 31 f) nicht vor.
3. Vor diesem Hintergrund überzeugt die auf sorgfältigen und differenzierenden Überlegungen beruhende Wertung des Sachverständigen, dass für die Entstehung der Krebserkrankung die berufliche Belastung wegdenkbar ist (S 157 f des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011). Da die berufliche Einwirkung somit schon als naturwissenschaftlich-philosophische Ursache der Krebserkrankung nicht festgestellt werden kann, kommt es auf eine Gewichtung mit dem außerberuflichen Risiko durch den Nikotinkonsum nicht an. Doch selbst wenn die berufliche Exposition als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne bejaht würde, wäre kein für den Kläger günstiges Ergebnis die Folge. Denn den Senat überzeugt auch die weitere Wertung des Sachverständigen, dass der beruflichen Einwirkung gegenüber der feststehenden Ursache des Nikotinkonsums keine wesentliche Bedeutung zukommt. Rechtserheblich sind nur solche Ursachen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zur konkreten Krankheitsentstehung zum Eintritt des Erfolgs wesentlich mitgewirkt haben (BSG aaO. Rn 36).
Gesichert ist ein Konsum von täglich 5 bis 10 Zigaretten (Auskunft des Chefarztes der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Klinikums AA. Z., vom 28. Juni 2012) über einen Zeitraum von ungefähr 37 Jahren (S 116 ff des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 24. Oktober 2011). Unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen mitgeteilten Risikoerhöhung um 1,7 bei 5 Zigaretten täglich und um 2,1 bei 20 Zigaretten täglich ist eine signifikante Risikoerhöhung jedenfalls annähernd erreicht. Demgegenüber liegt die berufliche Exposition deutlich, dh für Nickel um den Faktor 6,5 sowie für Chrom bezogen auf die konservative Berechnung um den Faktor 4 und um den Faktor 2 bis 3 bei Berücksichtigung der neueren Erkenntnis, unter den für die Risikobeurteilung heranzuziehenden Werten.
4. Die entgegenstehende Beurteilung des Dr W. vom 30. August 2004 vermag vor dem Hintergrund der weiteren Erläuterungen zu der Berechnung der beruflichen Exposition, der fehlenden sicheren Datenbasis über eine synkanzerogene Wirkung von Chrom(VI)- sowie Nickel-Verbindungen und den nicht genügenden Hinweisen in Fall-Kontroll-Studien nicht zu überzeugen. Der Sachverständige Dr Y. hat betont, dass eine BK-Reife aus diesen Studien nicht abzuleiten ist. Schließlich hat der Sachverständige den medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand über den Risikofaktor des Nikotinkonsums auch für die Verursachung von PEC der Nase und Nasennebenhöhlen, den Dr W. allenfalls angerissen hat, im Einzelnen recherchiert und dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegt nicht vor.