Landgericht Oldenburg
Urt. v. 11.10.1994, Az.: 7 O 1451/94
Schmerzensgeld, wegen Badeunfall, der zu Hörverlust geführt hat und nun die Ausübung des Berufs "Musiklehrer" unmöglich macht; Zeitliche Begrenzung eines Schmerzensgeldanspruches; Haftung des Landes für Handlungen eines Beamten durch deklaratorisches Schuldanerkenntnis
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 11.10.1994
- Aktenzeichen
- 7 O 1451/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 16651
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1994:1011.7O1451.94.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Oldenburg - 20.01.1995 - AZ: 6 U 226/94
Rechtsgrundlagen
- § 839 Abs. 1 BGB
- Art. 34 GG
- § 781 BGB
- § 847 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- VersR 1995, 1495-1496 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 20.09.1994
durch
den VRiLG Dr. Erting, den Richter Jackisch und den RiLG Jaspert
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Das ... wird verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20.04.1994 zu zahlen.
- 2.
Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 27.10.1988 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits werden dem Kläger zu 3/5 und dem ... zu 2/5 auferlegt. Ferner hat der Kläger die durch die Verweisung entstandenen Mehrkosten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.000,00 DM. Der Kläger kann die Vollstreckung des beklagten Landes durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500,00 DM abwenden, wenn nicht das ... vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Badeunfall in einem Schwimmbad in Wildeshausen geltend, den ein Polizeibeamter des beklagten Landes während einer dienstl. Schwimmstunde am 27.10.1988 verursacht hat.
An dem 27.10.1988 erteilte der Kläger als Lehrer Schwimmunterricht und führte seinen Schülern, die zu diesem Zeitpunkt am Beckenrand standen, einen Kopfsprung (Startsprung) vor. Dieser Teil des Schwimmbeckens war durch eine Leine abgetrennt, ohne daß gekennzeichnet war, welcher der Bereiche für den Sportunterricht genutzt und damit für andere Schwimmgäste gesperrt war. Der Polizeibeamte Spille schwamm entlang der Leine in die Richtung des am Kopfende am Beckenrand stehenden Klägers; und zwar in dem Bereich, der für den Sportunterricht abgesperrt war. Als der Kläger nach seinem Kopfsprung etwa auf halber Höhe der Bahn wieder auftauchen wollte, wurde er von dem Fuß des Polizeibeamten am Kopf im Bereich des linken Ohres getroffen.
Durch den Unfall erlitt der Kläger ein Trauma des linken Ohres, einen Defekt des Trommelfelles und eine konsekutive Entzündung der Paukenhöhle. Die Verletzungen sind verbunden mit einem therapieresistenten, sehr lauten und störenden Ohrgeräusch links. Er müßte mehrfach operiert werden. Die Operationen waren mit insgesamt sechs längeren Krankenhausaufenthalten verbunden. Nach der ersten Operation kam es beim Kläger zu einer temporären Lähmung der linken Gesichtsnerven. Auch zahlreiche ambulante Behandlungen erfolgten, ohne daß der Kläger seine Hörfähigkeit zu 100 % wiedererlangte. Bis heute ist ein Hörverlust links von 30 % vorhanden, der den Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit zu 10 % mindert.
Der Kläger ist als Lehrer im Bereich der Fächer Mathematik, Sport und Musik tätig. Insbesondere die Tätigkeit als Musiklehrer ist durch den Hörverlust stark eingeschränkt. Außerdem ist der Kläger selbst aktiver Musiker. Er spielt konzertant Geige und ist Leiter eines Chors des Männergesangsvereins.
Wegen des Hörverlustes und der Auswirkungen auf seine berufl. und private Tätigkeit befand sich der Kläger in einer Privatklinik für psychosomatische Erkrankungen (4.11.90-15.12.90).
Die ambulanten ärztlichen Behandlungen des Klägers dauern bis heute an. Eine weitere Verschlechterung der Beschwerden, verbunden mit evtl. weiteren Operationen, ist nach der Stellungnahme des behandelnden Arztes ... vom 21.10.1993 wahrscheinlich.
Das beklagte Land hat die Haftung dem Grunde nach anerkannt und auf den Schmerzensgeldanspruch des Klägers vorprozessual 5.000,00 DM gezahlt.
Der Kläger ist der Auffassung, daß ihm ein weit höheres Schmerzensgeld in einer Größenordnung von etwa 22.000,00 DM zustehe.
Er beantragt,
- 1.
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld für die sich auf den Zeitraum von Oktober 1988 bis 31. März 1994 beziehenden Folgen aus dem Unfall vom 27.10.1988 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- 2.
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 27.10.1988 - soweit sie nach dem 30.03.1994 entstehen - zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf ... Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Auffassung, daß bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ein nicht unerhebliches Mitverschulden des Klägers zu berücksichtigen sei, so daß er mit den bereits gezahlten 5.000,00 DM ausreichend abgefunden sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.
I.
Der Zulässigkeit des Schmerzensgeld- und des Feststellungsantrages steht nicht die zeitliche Begrenzung des Schmerzensgeldanspruches (bis zum 31.03.1994) entgegen. Eine (willkürliche) zeitliche Begrenzung des Schmerzensgeldanspruches ist zwar grundsätzlich nicht zulässig (vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1988, 615 [OLG Oldenburg 20.10.1987 - 12 U 36/87]). Die Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs unter Berücksichtigung aller im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bekannten Umstände verbietet ein gesonderte Bemessung nach abgrenzbaren Zeitabschnitten (Palandt (Thomas), 53. Aufl. 1994, § 847 Rdn. 11 m.w.N.). Entscheidender Zeitpunkt ist deshalb die letzte mündliche Verhandlung. Die Anträge des Klägers können aber dahin ausgelegt werden, daß sie nicht auf den (willkürlichen) Zeitpunkt des 31.03.1994, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beziehen. Denn Hintergrund der vom Kläger gewählten zeitlichen Begrenzung ist offensichtlich der Feststellungsantrag hinsichtlich künftiger materieller und immaterieller Schäden. Für die Zulässigkeit des Feststellungsantrages ist aber eine willkürliche Zerlegung in bestimmte Zeitabschnitte nicht erforderlich, da insoweit (allein) auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist. Dementsprechend waren die Anträge des Klägers auszulegen, so daß die Klage zulässig ist.
II.
Die Klage ist aber nur zum Teil begründet.
Dem Kläger steht gegen das beklagte Land gem. §§ 839 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG ein weiterer Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 5.000,00 DM zu.
Aufgrund der oben geschilderten Unfallfolgen hält die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 10.000,00 DM für angemessen. Abzüglich der bereits gezahlten 5.000,00 DM bleibt somit ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 DM.
Dabei kann dahinstehen, ob den Kläger an dem Unfall tatsächlich ein Mitverschulden trifft. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes kann im vorliegenden Fall ein eventuelles Mitverschulden des Klägers auch bei der Höhe des Schmerzensgeldanspruches nicht mehr berücksichtigt werden.
Das beklagte Land hat unstreitig bereits vorprozessual eine (uneingeschränkte) Haftung dem Grunde nach anerkannt (vgl. Schreiben der Bezirksregierung Weser-Ems vom 25.04.1990, Bl. 51 d.A.). Die Höhe des Schmerzensgeldanspruches hat das beklagte Land - wie sich aus dem vorgenannten Schreiben vom 25.04.1990 ergibt - nur deshalb (noch) nicht anerkannt, da der Umfang der eingetretenen Dauerschäden noch nicht absehbar gewesen sei. Eine Einschränkung wegen eines etwaigen Mitverschuldens des Klägers ist weder dem Schreiben noch anderen Umständen zu entnehmen. Mit diesem Schreiben hat das beklagte Land ein sogenanntes deklaratorisches Schuldanerkenntnis i.S.d. § 781 BGB abgegeben. Ein solches deklaratorisches Anerkenntnis bildet zwar keine vom Schuldgrund losgelöste, selbständige Verpflichtung wie bei einem sog. konstitutiven Schuldanerkenntnis. Es hat aber den Sinn und Zweck, das Schuldverhältnis dem Streit der Parteien zu entziehen, indem es dem Anerkennenden "alle Einwendungen tatsächlicher oder rechtlicher Art abschneidet, die dieser zur Zeit des Vertragschlusses kannte, oder mit denen er rechnete" (BGH, NJW 1973, 620). Diesem Sinn und Zweck eines Anerkenntnisses würde es zuwiderlaufen, wenn derjenige, der den Grund eines Schadensersatzanspruches anerkennt, in der Folge noch damit gehört werden könnte, daß den Geschädigten ein (Mit-)Verschulden treffe. Denn dann wäre es in einem (unter Umständen erst einige Zeit nach dem Unfall stattfindenden) Gerichtsverfahren erforderlich, auch noch zum Hergang des Unfalles Beweis zu erheben, was ja durch das Anerkenntnis (dem Grunde nach) gerade vermieden werden sollte. Nichts anderes kann auch für den Schmerzensgeldanspruch gelten, der ja seinem Wesen nach ebenfalls ein Schadensersatzanspruch ist (Palandt (Thomas), 53. Aufl. 1994, § 847 Rdn. 4). Dem beklagten Land ist zwar darin zuzustimmen, daß ein evtl. Mitverschulden des Geschädigten im Rahmen eines Schmerzensgeldanspruches nicht quotenmäßig, sondern nur als ein Berechnungsfaktor zu berücksichtigen ist. Dies rechtfertigt nach Auffassung der Kammer aber keine andere Beurteilung. Zum einen müßte auch hier in einem späteren Gerichtsverfahren unter Umständen noch zum Unfallhergang Beweis erhoben werden, was durch das Anerkenntnis gerade vermieden werden sollte. Zum anderen wäre es dem beklagten Land aber auch möglich gewesen, einen Vorbehalt im Hinblick auf ein eventuelles Mitverschulden des Klägers zu machen. Insoweit können die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Frage von Grundurteilen (§ 304 ZPO) herangezogen werden, wonach der Ausspruch für zulässig gehalten wird, ein angemessenes Schmerzensgeld unter Berücksichtigung eines bestimmten prozesualen Mithaftungs- bzw. Mitverschuldensanteils zuzuerkennen (vgl. Palandt (Thomas), § 847 Rdn. 16 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Einen solchen Vorbehalt hat das beklagte Land nicht gemacht, obgleich ihm die Umstände des Unfallherganges bekannt waren. Hinzu kommt noch ein weiteres Argument. Bei Abwägung der verschiedenen (Mit-)Verschuldensanteile der Beteiligten wäre es ja möglich, das Mitverschulden des Geschädigten als so schwerwiegend anzusehen, daß das Mitverschulden des Schädigers dahinter vollkommen zurücktreten würde. In diesem Fall dürfte dem Geschädigten gar kein Schmerzensgeld mehr zugesprochen werden, auch wenn der Schädiger den Schmerzensgeldanspruch zuvor dem Grunde nach anerkannt hat. Dann aber würde das Anerkenntnis ins Leere laufen.
Da mithin ein etwaiges Mitverschulden des Klägers nicht zu berücksichtigen war, kam es für die Bemessung des Schmerzensgeldanspruches allein auf das Ausmaß und die Schwere der Verletzungen des Klägers sowie deren physischen und psychischen Auswirkungen an. Aufgrund der dargestellten Unfallfolgen hält die Kammer ein Schmerzensgeld von insgesamt 10.000,00 DM für angemessen. Dabei fiel insbesondere ins Gewicht, daß der Kläger durch den teilweisen Hörverlust (30 %) und das dauerhaft verbleibende Hörgeräusch nicht nur in seinem Beruf als Musiklehrer (MdE von 10 %), sondern in besonderem Maße in seinem Hobby als Musiker beeinträchtigt ist. Andererseits sind die festgestellten Verletzungen und Beeinträchtigungen aber nicht so schwer, daß ein noch höheres Schmerzensgeld gerechtfertigt wäre. Die Vorstellungen des Klägers in einer Größenordnung von 22.000,00 DM sind als übersetzt anzusehen. Abzüglich des gezahlten Betrages von 5.000,00 DM waren mithin weitere 5.000,00 DM zuzusprechen.
Dem Feststellungsantrag war wegen der nach der ärztlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes ... vom 21.10.1993 (Bl. 9 d.A.) wahrscheinlichen Verschlechterung des Krankheitszustandes, verbunden mit weiteren Operationen stattzugeben. Dem Feststellungsbegehren des Klägers ist das beklagte Land auch nicht entgegengetreten.
Die Zinsforderung des Klägers ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1 Satz 1, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709 Satz 1, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Jackisch
Jaspert