Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.09.1994, Az.: 8 T 516/94
Unmittelbarer Erstattungsanspruch des bestellten anwaltlichen Verfahrenspflegers gegen die Staatskasse bei Aufwendungsersatzanspruch gegen den Betroffenen ; Erstattungsanspruch bei Feststellung der Mittellosigkeit des Betroffenen; Entsprechende Anwendung der im Prozesskostenhilferecht geltenden Grundsätze bei der Feststellung der Mittellosigkeit ; Heranziehen der Prozesskostenhilfesätze als Indizien zur Beurteilung der Mittellosigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 20.09.1994
- Aktenzeichen
- 8 T 516/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 23261
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1994:0920.8T516.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg - 08.03.1994
Rechtsgrundlagen
- § 70b FGG
- § 1835 BGB
- § 1836 BGB
- § 1 Abs. 2 BRAGO
- § 112 Abs. 4 BRAGO
- § 118 BRAGO
- § 92 Abs. 1 S. 1 KostO
- § 114 ZPO
Fundstellen
- BtPrax 1994, 215-216 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 1995, 494-495 (Volltext mit amtl. LS)
- Rpfleger 1995, 504 (amtl. Leitsatz)
In dem Unterbringungsverfahren
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
durch
die unterzeichnenden Richter ...
am 20. September 1994
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Oldenburg vom 26.04.1994 wird der Beschluß des Amtsgerichts Oldenburg vom 08.03.1994 aufgehoben. Das Amtsgericht wird angewiesen, nach Maßgabe der Gründe dieses Beschlusses über den Antrag des Verfahrenspflegers vom 21.06.1993 erneut zu entscheiden.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Der Beteiligte zu 1. wurde in einem Unterbringungsverfahren nach dem Nds. PsychKG gemäß § 70 b FGG vom Amtsgericht Oldenburg zum Verfahrenpfleger bestellt.
Am 21.06.1993 beantragte er gemäß §§ 1835, 1836 BGB in Verbindung mit einer analogen Anwendung des § 112 Abs. 4 BRAGO die Erstattung seiner Aufwendungen aus der Staatskasse in Höhe von 194,70 DM, Durch Beschluß vom 27.09.1993 wies die Rechtspflegerin am Amtsgericht den Antrag des Beteiligten zu 1. mit der Begründung zurück, daß ein Anspruch gegen die Staatskasse gemäß § 1835 Abs. 4 BGB nur im Falle der Mittellosigkeit des Betroffenen in Betracht komme und im vorliegenden Falle in Anlehnung an die Grundsätze zur Gewährung von ... Prozeßkostenhilfe der Pflegling des Beteiligten zu 1. nicht als mittellos angesehen werden könne. Auf die dagegen eingelegte Erinnerung des Beteiligten zu 1. hat das Amtsgericht den angefochtenen Beschluß vom 08.03.1994 erlassen, in dem es die Rechtpflegerin anweist, den Antrag des Beteiligten zu 1. auf Erstattung seiner Aufwendungen aus der Staatskasse erneut zu bescheiden, und zwar unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung, daß der bestellte anwaltliche Verfahrenspfleger einen unmittelbaren Vergütungsanspruch aus § 112 BRAGO in Verbindung mit § 118 BRAGO gegen die Staatskasse hat.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Bezirksrevisors ist zulässig (§§ 19, 20 FGG) und auch begründet.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts steht dem nach § 70 b FGG bestellten Verfahrenspfleger kein unmittelbarer Erstattungsanspruch gemäß § 112 BRAGO gegen die Staatskasse zu. Nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung der Kammer hat der Verfahrenspfleger lediglich einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 1835, 1836 BGB in Verbindung mit einer analogen Anwendung des § 112 Abs. 4 BRAGO (grundlegende Entscheidung der Kammer vom 27.10.1992 8 T 852/92; Barth/Wagenitz, Unentgeltlichkeit und Vergütung im neuen Betreuungsrecht, FamRZ 1994, S. 71 ff m.w.N.). Dies ergibt sich schon aus § 1 Abs. 2 BRAGO, der die Tätigkeiten eines Rechtsanwaltes als Betreuer, Vormund, Pfleger pp. ausdrücklich von den gebührenrechtlichen Regelungen der BRAGO ausnimmt und in § 1 Abs. 2 Satz 2 BRAGO insoweit auf § 1835 BGB verweist. Unter diese Reglung fallen insbesondere auch die nach § 70 b FGG zum Verfahrenspfleger bestellten Rechtsanwälte, da eine Beiordnung als Rechtsanwalt, wie sie § 19 Nds. PsychKG a.F. vorsah, bei Einführung des neuen Betreuungsrechts gerade nicht übernommen wurde.
Der dem Verfahrenspfleger zustehende Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 1835, 1836 BGB richtet sich grundsätzlich gegen den Betroffenen. Nur unter den Voraussetzungen des § 1835 Abs. 4 BGB steht ihm ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zu.
Entgegen der Auffassung des Bezirksrevisor sind die Voraussetzungen eines solchen Erstattungsanspruchs gegen die Staatskasse, daß heißt die Feststellung der Mittellosigkeit des Betroffenen, nicht vom Verfahrenspfleger darzulegen und zu beweisen. Dies obliegt im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 12 FGG vielmehr dem Amtsgericht, (vgl. insoweit die grundlegende Entscheidung der Kammer vom 16.05.1994 8 T 1163/94). Es wäre nämlich völlig unverhältnismäßig, dem von Amts wegen bestellten und in ein Verfahren, das er bis dahin überhaupt nicht kennt, einbezogenen Verfahrenspfleger ggf. umfangreiche Ermittlungen zur Mittellosigkeit des Pfleglings aufzubürden.
Ebenfalls nicht zutreffend ist die Ansicht des Bezirksrevisor, die ... Mittellosigkeit sei an Hand der zur Zeit gültigen Grundsätze zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe, insbesondere der in der Tabelle zu § 114 ZPO festgelegten Einkommenssätze, zu beurteilen. Die im Prozeßkostenhilferecht geltenden Grundsätze können keine entsprechende Anwendung bei der Feststellung der Mittellosigkeit im Sinne von § 1835 Abs. 4 BGB finden. Der Ersatz der Aufwendungen des Vormundes Pflegers stellt nämlich keine Sozialleistung für das Mündel dar. Es handelt sich um eine subsidiäre Entschädigung für den kraft, seiner staatsbürgerlichen Pflicht in Anspruch genommenen Vormund bzw. Verfahrenspfleger (vgl. LG Frankfurt/M. FamRZ 1990, S. 1036 [LG Frankfurt am Main 20.02.1990 - 2 T 146/90]; LG Göttingen, Nds. Rpfl. 1994, S. 249). Eine auch nur entsprechende Anwendung des § 115 ZPO kommt daher nicht in Betracht. Im Gegensatz zu demjenigen, der auf Kosten des Staates einen Prozeß führen will, kann vom Pflegling eben nicht verlangt werden sich in seinen Ausgaben zu beschränken, damit vorrangig der Vormund/Verfahrenspfleger "bezahlt" werden kann. Denn auch der Pflegling hat gerade im Rahmen eines Unterbringungsverfahrens keinen Einfluß auf die Bestellung des Verfahrenspflegers. Aus diesen Gründen können auch die Grundsätze des Bundessozialhilfegesetzes keine Anwendung finden (vgl. Palandt-Diederichsen, § 1835 Rn. 16).
Das Amtsgericht wird daher bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß der Begriff der Mittellosigkeit im Sinne von § 1835 Abs. 4 BGB nicht an Hand der starren prozeßkostenhilferechtlichen Tabellen oder des Bundessozialhilferechts zu bestimmen ist. Dies folgt aus den obigen Ausführungen, denn dem Mündel oder Pflegling soll nur zugemutet werden, vorhandenes Vermögen bzw. ein ... überdurchschnittliches Einkommen zur Erstattung der dem Pfleger entstandenen Aufwendungen einzusetzen; nicht hingegen soll er sich in seinen Ausgaben einschränken müssen, wie ihm dies bei der Prozeßführung auf Staatskosten oder der Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen durchaus angesonnen werden kann (vgl. Palandt-Diederichsen a.a.O.).
Danach kann zur Feststellung der Mittellosigkeit im Sinne von § 1835 Abs. 4 BGB, soweit Vermögenswerte vorhanden sind, zurückgeriffen werden auf die Regelung des § 92 Abs. 1 Satz 1 KostO. Nach § 92 Abs. 1 KostO sind Kosten bei Vormundschaften pp. dann nicht zu erheben, wenn das Vermögen des Fürsorgebedürftigen nach Abzug der Verbindlichkeiten nicht mehr als 50.000,00 DM beträgt.
Soweit der Pflegling über eigenes Einkommen verfügt, verkennt die Kammer nicht die Schwierigkeiten, denen sich die Gerichte bei der Feststellung des jeweiligen Nettoeinkommes und der Bemessung der Wertgrenzen, die zur Beurteilung der Mittellosigkeit im Sinne von §§ 1835, 1836 BGB herangezogen werden sollen, ausgesetzt sehen.
Trotz der grundsätzlichen Ungeeignetheit der zur Zeit geltenden Prozeßkostenhilfesätze können diese mangels anderer rechtlicher Vorgaben jedoch als Indizien zur Beurteilung der Mittellosigkeit im Sinne von § 1835 Abs. 4 BGB herangezogen werden, wenn man die jeweiligen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt und einen sehr großzügigen Bewertungsmaßstab anlegt (vgl. LG Göttingen a.a.O.). Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, daß auch bei fehlender Bedürftigkeit nach Prozekostenhilfegrundsätzen eine Mittellosigkeit gemäß § 1835 Abs. 4 BGB gegeben sein kann. Insoweit erachtet die Kammer es für gerechtfertigt und den Ansprüchen der Gerichte nach einer praktikablen Lösung genügend, wenn zur Feststellung der Mittellosigkeit im Sinne von § 1835 Abs. 4 BGB der in der Tabelle zu § 114 ZPO genannte Satz, um einen um das dreifache erhöhten Betrag herangezogen wird. Im Ergebnis bedeutet dies, daß bei einem nicht unterhaltspflichtigen Betroffenen (einfacher PKH-Satz 850,00 DM) bei einem Nettoeinkommen bis zu 2.550,00 DM von einer Mittellosigkeit im Sinne von § 1835 Asb. 4 BGB auszugehen ist.
Dies gibt den mit der Beurteilung der Mittellosigkeit nach § 1835 Abs. 4 BGB betrauten Gerichten eine praktikable Lösung zur Erledigung ihrer Aufgaben an die Hand und stellt einen der Sach- und Rechtslage angemessenen großzügigen Bewertungsmaßstab dar.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 13 a FGG, 11 KostO.