Landgericht Oldenburg
Urt. v. 09.02.1994, Az.: 4 S 1175/93

Abstellen auf grobe Fahrlässigkeit beiÜberfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel nach den Umständen des Einzelfalls ; Sinn und Zweck eines Kasko-Versicherungsvertrages; Entfallen des Versicherungsschutzes bei Verursachung von Schäden durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers ; Einzelfallentscheidungen bei Rotlichtverstößen im Verkehr

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
09.02.1994
Aktenzeichen
4 S 1175/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 23260
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1994:0209.4S1175.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Oldenburg - 23.09.1993

Fundstellen

  • DAR 1995, 293-294 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 1994, 1415-1416 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
die Richterin ... und
den Richter ...
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 1994
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 23. September 1993 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Gründe

2

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

3

Die Berufung hat in der Sache aber keinen Erfolg.

4

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz des ihm durch den Unfall vom 21.10.1992 an seinem Pkw entstandenen Schadens aus dem Versicherungsvertrag gegen die Beklagte zu.

5

Die Beklagte ist nicht gemäß § 61 VVG von ihrer Leistung befreit. Es ist nicht bewiesen, daß der Kläger, den Versicherungsfall durch Vorsatz oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat.

6

Zur Feststellung der Fahrlässigkeit ist neben dem Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eine subjektive Vorwerfbarkeit erforderlich. Grobe Fahrlässigkeit liegt nur dann vor, wenn zu dem objektiv schweren Verstoß ein subjektiv gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden hinzukommt. Voraussetzung ist ein subjektiv unentschuldbares Verhalten, eine unverständliche Leichtfertigkeit oder Gedankenlosigkeit. Hieran fehlt es vorliegend.

7

Das überfahren einer. Rotlicht zeigenden Ampel kann sowohl objektiv wie auch subjektiv grob fahrlässig erfolgen. Zwingend ist dies aber nicht. Es ist vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Entscheidend ist, wie es zu dem Rotlichtverstoß gekommen ist und auf welchem konkreten Fehlverhalten des Verkehrsteilnehmers er beruht.

8

Eine - subiektive - grobe Fahrlässigkeit ist dem Kläger aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht nachzuweisen. Zwar mag ein Rotlichtverstoß objektiv grob fahrlässig sein. Dies mag auch den Schluß auf innere Vorgange zulassen. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, daß der. Kläger nicht etwa noch versucht hat, den Einmündungsbereich zu überqueren, solange die Ampel noch grün oder gelb zeigte. Ein solches Verhalten würde es durchaus rechtfertigen, auch subjektiv von grober Fahrlässigkeit zu sprechen. Er hat vielmehr - unwiderlegt - angegeben, die Ampel einfach nicht wahrgenommen zu haben. Dies ist auch glaubhaft, denn nach der Aussage der Zeugin ... der anderen Unfallbeteiligten, habe auch sie das Gefühl gehabt, der Kläger habe "die Ampel gar nicht zur Kenntnis genommen."

9

Es handelt sich um einen Verkehrsverstoß, der "nicht passieren darf, aber immer mal passieren kann". Ein fahrlässiges Verhalten ist dem Kläger vorzuwerfen, wenn er die Ampel nicht ausreichend beachtet hat. Die Kammer kann eine subjektiv grobe Fahrlässigkeit hingegen nicht feststellen.

10

Im übrigen folgt die Kammer den Gründen der angefochtenen Entscheidung, soweit diese auf den Grundsatz der Versicherung und der Versichertengemeinschaft abstellt. Es handelt sich vorliegend um einen typischen Versicherungsfall, für den gerade ein Kaskoversicherungsvertrag geschlossen wird. Nach dem Sinn und Zweck eines Kasko-Versicherungsvertrages soll der Versicherer für diejenigen Schäden einstehen, die dem Versicherungsnehmer an dessen Fahrzeug unfallbedingt entstehen. Nur ausnahmsweise soll diese Verpflichtung dann entfallen, wenn der Schaden durch ein - vorsätzliches oder grob fahrlässiges - Verhalten des Versicherungsnehmers entstanden ist. Es wäre unangemessen die Versichertengemeinschaft für Schäden einstehen zu lassen, die auf einem solchen dem Versicherten auch subjektiv zurechenbaren groben Fehlverhalten beruhen. Eine solche Wertung erfaßt das vorliegende Verhalten des Klägers nicht, dessen einziges zurechenbares Fehlverhalten darin liegt, eine Ampel nicht wahrgenommen zu haben.

11

Auch aus der von der Beklagten angeführten Entscheidung des OLG Hamm. VersR 88, 1260, ergibt sich nichts anderes. Zunächst ist auch in dieser Entscheidung festgestellt, daß es sich bei der Bewertung von Rotlichtverstössen im Verkehr um Einzelfallentscheidungen handelt, die eine Generalisierung ausschließen. Der dort entschiedene Fall lag insofern anders, als der Versicherungsnehmer die Ampel wohl wahrgenommen hatte, sie dann allerdings über einen Zeitraum von mehr als 7 Sekunden - entsprechend einer Fahrtstrecke von über 77 Metern - nicht mehr beachtet hatte. In einem solchen Fall liegt eine nicht mehr verständliche Unaufmerksamkeit vor. Mit dem vorliegenden Fall, in dem der Kläger die ganze Ampelanlage als solche gar nicht wahrgenommen hat, ist jener Fall, in dem eine erkannte Ampelanlage nicht mehr beachtet wird, nicht vergleichbar.

12

Ein entsprechender Fall lag auch der weiteren von der Beklagten angeführten Entscheidung BGH VersR 92, 1085, zugrunde. Auch dort hatte der Versicherungsnehmer die Ampel erkannt, im Laufe der Annäherung aber nicht mehr mit der gebotenen Aufmerksamkeit beobachtet. Aus den genannten Gründen ist ein solcher Fall mit dem hier zu entscheidenden nicht zu vergleichen.

13

Die Nebenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.