Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 06.11.2020, Az.: 10 E 1/20

Aussetzung; Aussetzung Disziplinarverfahren; Disziplinarverfahren; Fristsetzung Disziplinarverfahren; Hemmung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.11.2020
Aktenzeichen
10 E 1/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71876
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Aussetzung des Disziplinarverfahrens (§ 23 NDiszG/§ 22BDG) vermag die Frist, um einen Antrag auf gerichtliche Fristsetzung für den Abschluss eines Disziplinarverfahrens stellen zu können (§ 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG/§ 62 Abs. 1 Satz 1 BDG), nur dann zu hemmen, wenn sie rechtmäßig ergangen ist.

Eine Aussetzung des Disziplinarverfahrens nach § 23 Abs. 1 Satz 3 NDiszG (bzw. § 22 Abs. 3 Satz 1 BDG) kann erfolgen, wenn in dem "anderen gesetzlich geordneten Verfahren" über Aspekte oder zumindest Teilaspekte des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens zu entscheiden ist, etwa die Tatbestandsmäßigkeit des vorgeworfenen Dienstvergehens, die Rechtswidrigkeit des Handelns, über Verschulden oder Schuldfähigkeit des Beamten.

Ist eine Aufklärung solcher Aspekte nicht zu erwarten, sondern erscheint mit dem Abwarten einer Entscheidung in dem anderen Verfahren allein eine (verfahrensmäßige) Erledigung des Disziplinarverfahrens durch Einstellung möglich, rechtfertigt dies nicht eine Aussetzung des Disziplinarverfahrens.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Setzung einer Frist für den Abschluss des gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahrens.

Sie war in der Zeit von Oktober 1991 bis Juli 1999 als Polizeivollzugsbeamtin beim Bundesgrenzschutz, zuletzt als Polizeimeisterin tätig. Mit Wirkung vom 1. August 1999 wurde sie unter Fortsetzung ihres Beamtenverhältnisses auf Probe an die Bezirksregierung Lüneburg versetzt. Im Dezember 1999 wurde sie zur Polizeiobermeisterin ernannt und im Juni 2000 wurde ihr die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Im Wege des Praxisaufstiegs wurde sie im Juni 2008 zur Polizeikommissarin, sodann im Juni 2018 zur Polizeioberkommissarin befördert. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern (geboren C., D. und E.). Seit Januar 2019 ist sie als Sachbearbeiterin im Fachkommissariat (F.) im Zentralen Kriminaldienst der Polizeiinspektion L-/L.-D-/U. tätig.

Aufgrund von Strafanzeigen verschiedener Zollbehörden bestand der Verdacht eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Ehemann der Antragstellerin, einen Beamten der Bundespolizei. Am G. durchsuchten Beamte des Kriminalermittlungsdienstes H. das von der Familie der Antragstellerin bewohnte Einfamilienhauses. Hinsichtlich des Ergebnisses der Durchsuchung wird auf den Durchsuchungsbericht (Bl. 7 - 26 der Beiakte 1) verwiesen.

Mit Einleitungsverfügung vom 13. Februar 2020, zugestellt am 17. Februar 2020, ordnete die Antragsgegnerin die Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen die Antragstellerin wegen des Verdachts an, gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und damit ein außerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG begangen zu haben. Ihr wurde vorgeworfen, sich in unverantwortlicher Weise nicht um die vorschriftsmäßige Aufbewahrung von Munition in einem Privathaushalt gekümmert zu haben, zudem geduldet zu haben, dass nach dem Waffengesetz verbotene Gegenstände sowie Betäubungsmittel im Haus gelagert worden seien und dass ihre Söhne Marihuana konsumiert hätten. Zudem könne die Antragstellerin eine innerdienstliche Pflichtverletzung gegen ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG dadurch begangen haben, dass sie ihrem Vorgesetzten und einer Bediensteten vorgeworfen hätte, sie nicht über die Ermittlungen gegen ihren Ehemann informiert bzw. sie nicht gewarnt zu haben, mithin ihre Kollegen zum Verrat von Dienstgeheimnissen aufgefordert zu haben.

Mit Schreiben vom 8. März 2020 verzichtete die Antragstellerin nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten zunächst auf die ihr gewährte Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

Im Rahmen der weiteren Ermittlungen bat die Antragsgegnerin den die Hausdurchsuchung leitenden Kriminalhauptkommissar I. unter dem 17. März 2020 um eine Stellungnahme zu dem Verhalten der Antragstellerin während der Durchsuchung. Am 14. April 2020 ging die erbetene Stellungnahme ein.

Die Sachbearbeiterin im behördlichen Disziplinarverfahren führte am 18. Mai 2020 die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen in einem Abschlussbericht zusammen und würdigte darin das Verhalten der Antragstellerin disziplinarrechtlich. Daraufhin teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter dem 27. Mai 2020 mit, dass die Ermittlungen beendet seien, und gab der Antragstellerin unter Vorlage des Abschlussberichts Gelegenheit, sich abschließend hierzu zu äußern.

Nachfolgend ging die Akte der Staatsanwaltschaft Lüneburg zum Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin ein und wurde zum Gegenstand der disziplinarischen Ermittlungen gemacht. Hierüber wurde die Antragstellerin nicht in Kenntnis gesetzt. Von der Übersendung einer Kopie dieser Ermittlungsakte sah die Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin mit der Erwägung ab, dem Bevollmächtigten der Antragstellerin sei der Inhalt der Akte bereits aufgrund seiner Vertretung des Ehemanns der Antragstellerin im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bekannt.

Unter dem 10. Juni 2020 ließ die Antragstellerin mitteilen, dass die bisherigen Ermittlungsbemühungen unzureichend seien und die rechtliche Bewertung in dem Abschlussbericht oberflächlich geraten sei. Auf einer solchen Grundlage könne eine rechtmäßige Disziplinarverfügung nicht ergehen. Es werde daher die Vernehmung des Beamten I. beantragt. Unter dem 20. Juli 2020 lehnte die Antragsgegnerin die Vernehmung dieses Beamten ab.

Unter dem 5. August 2020 nahm die Antragstellerin ergänzend Stellung. Sie machte geltend, die Ermittlungen seien voreingenommen durchgeführt und der Sachverhalt tendenziös dargestellt worden. Die in der Einleitungsverfügung erhobenen Vorwürfe wies sie zurück und beantragte hierzu die Vernehmung mehrerer Zeugen.

Da die Antragstellerin seit dem 20. Mai 2019 durchgehend erkrankt ist und keinen Dienst mehr verrichtet, verfügte die Antragsgegnerin unter dem 20. Mai 2020 eine Überprüfung der Dienstfähigkeit nach § 43 NBG. Das Ergebnis der Überprüfung steht aus. Die Antragsgegnerin setzte daraufhin durch Verfügung vom 11. August 2020 das Disziplinarverfahren nach § 23 Abs. 1 Satz 3 NDiszG aus, um den Ausgang des Verfahrens zur Überprüfung der Polizeidienstfähigkeit abzuwarten. Zur Begründung führte sie aus, dass nicht unerhebliche Zweifel an der Polizeidienstfähigkeit der Antragstellerin bestünden. Ihr sei bewusst, dass ein anhängiges Disziplinarverfahren immer auch eine zusätzliche Belastung für den Betroffenen darstelle. Sollte sich herausstellen, dass die Antragstellerin nicht polizeidienstfähig sei und würde sie deshalb vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen sein, wäre das Disziplinarverfahren voraussichtlich nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 NDiszG einzustellen.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin unter dem 21. August 2020 und machte geltend, dass es zweifelhaft erscheine, ob die Ermittlungsführerin befugt sei, die Aussetzung des Disziplinarverfahrens anzuordnen. Im Übrigen seien die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht gegeben. Nach wie vor sei die Antragsgegnerin verpflichtet, in der Sache unverzüglich durchzuermitteln und sie zu einem Abschluss zu bringen. Sollte die Antragsgegnerin weiterhin untätig bleiben, werde sie eine gerichtliche Klärung herbeiführen.

Die Antragstellerin hat am 21. September 2020 den Antrag gestellt, der Antragsgegnerin eine Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens zu setzen. Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Sie halte die von der Antragsgegnerin verfügte Aussetzung des Disziplinarverfahrens für gesetzeswidrig. Die Antragsgegnerin scheine zu glauben, mit der willkürlich verfügten Aussetzung habe sie den Anspruch auf Aufklärung des Sachverhalts innerhalb angemessener Zeit so lange blockiert, wie sie es wolle. Das verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG und gegen das im Disziplinarrecht geltende Beschleunigungsgebot. Insbesondere könne es für eine Beamtin psychisch belastend sein, eine unangemessen lange Verfahrensdauer erdulden zu müssen. Eine rechtswidrige Aussetzungsverfügung könne entgegen dem Wortlaut von § 57 Abs. 1 Satz 2 NDiszG einen Stillstand des Verfahrens nicht rechtfertigen. Das Gericht habe zu prüfen, ob die Aussetzung des Disziplinarverfahrens zu Recht erfolgt sei.

Die Antragstellerin beantragt,

der Antragsgegnerin eine Frist zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahren zu setzen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß

den Antrag abzulehnen.

Sie erwidert auf den Antrag im Wesentlichen: Die Aussetzung des Disziplinarverfahrens sei mit der Erwägung verfügt worden, dass unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit maximal eine Geldbuße als mögliche Disziplinarmaßnahme für das in Rede stehende Dienstvergehen zu verhängen wäre. Würde die Dienstunfähigkeit der Antragstellerin festgestellt und die Beamtin in den Ruhestand versetzt werden, entfiele eine Disziplinarmaßnahme gemäß § 6 Abs. 2 NDiszG und das Disziplinarverfahren wäre einzustellen. Der krankheitsbedingten Abwesenheit der Beamtin seit Mai 2019 bis zur Entscheidung über die Aussetzung des Disziplinarverfahrens am 11. August 2020 sei eine wesentliche Bedeutung beigemessen worden, die zu dieser Entscheidung geführt habe. Es sei eingehend abgewogen worden, ob die Aussetzung des Disziplinarverfahrens im Sinne der Fürsorgepflicht für die Beamtin zu treffen sei, bis die Überprüfung der Dienstfähigkeit abgeschlossen werden könne. Im für die Beamtin - disziplinarrechtlich betrachtet - besten Fall sei bei Versetzung in den Ruhestand eine Einstellung des Disziplinarverfahrens die Folge. Daher sei die Aussetzung sachgerecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag, der Antragsgegnerin eine Frist zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens zu setzen, hat Erfolg.

1. Der nach § 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG statthafte Antrag ist zulässig. Nach dieser Vorschrift kann die Beamtin oder der Beamte, gegen die oder den ein Disziplinarverfahren eingeleitet ist, die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen, wenn dieses nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten seit Einleitung des Verfahrens abgeschlossen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da nach Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen die Antragstellerin am 13. Februar 2020 dieses Verfahren, mithin nach Ablauf von mehr als acht Monaten noch nicht abgeschlossen worden ist. Maßgeblich für den Beginn der Frist ist der Tag der Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens, wie er nach § 18 Abs. 1 Satz 3 NDiszG aktenkundig zu machen ist, nicht erst mit der nachfolgenden Zustellung der Einleitungsverfügung an den Beamten (vgl. Weiß, in: GKÖD, M § 62 Rn. 21; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 62 Rn. 5; Urban, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 62 Rn. 5).

Dem steht die Regelung in § 57 Abs. 1 Satz 2 NDiszG nicht entgegen. Hiernach ist die Frist des Satzes 1 gehemmt, solange das Disziplinarverfahren nach § 23 NDiszG ausgesetzt ist. Zwar hat die Antragsgegnerin das Disziplinarverfahren durch Verfügung vom 11. August 2020 und damit noch vor Ablauf der Frist von sechs Monaten nach dessen Einleitung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 NDiszG für die Dauer des Verfahrens auf Feststellung der Dienstunfähigkeit und der begrenzten Dienstfähigkeit nach § 43 NBG ausgesetzt. Diese Aussetzung des Disziplinarverfahrens vermag die Frist des § 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG aber nicht zu hemmen, weil sie sich als rechtswidrig erweist.

Für die Frage, ob eine Aussetzung des Disziplinarverfahrens nach § 23 NDiszG die Frist nach § 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG hemmt, ist nicht allein auf deren Wirksamkeit, sondern auf ihre Rechtmäßigkeit abzustellen (ebenso: VG Magdeburg, Urt. v. 5.10.2009 - 8 B 16/09 -, juris Rn. 11; Weiß, a.a.O., M § 62 Rn. 22; Köhler, in: Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, BDG, 6. Aufl. 2016, § 62 Rn. 5; vgl. auch: VG Wiesbaden, Beschl. v. 25.6.2012 - 25 L 248/12.WI.D -, juris Rn. 30; a. A. Urban, a.a.O., § 62 Rn. 6; Gansen, a.a.O., § 62 Rn. 5). Für diese Auslegung sprechen Sinn und Zweck der Norm. Sie zielt darauf, dass das behördliche Disziplinarverfahren beschleunigt betrieben und einer Entscheidung zugeführt wird. Der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass ein behördliches Disziplinarverfahren in aller Regel innerhalb von sechs Monaten nach Einleitung des Verfahrens beendet werden soll. Auch wenn diese Frist keine absolute ist, konkretisiert sie doch den das Disziplinarrecht beherrschenden Beschleunigungsgrundsatz und soll sie die für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständige Dienstbehörde veranlassen, das Verfahren ohne unangemessene Verzögerungen durchzuführen. Es soll sie insbesondere daran hindern, nach Einleitung des Verfahrens untätig zu bleiben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.8.2009 - 2 AV 3.09 -, juris Rn. 2). Nur bei Vorliegen zureichender Gründe, etwa weil sich die Aufklärung des Sachverhalts als schwierig oder umfangreich gestaltet, soll eine längere Verfahrensdauer gerechtfertigt sein. Liegen solche Gründe aber nicht vor, eröffnet § 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG dem betroffenen Beamten die Möglichkeit, eine gerichtliche Fristsetzung für den Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens zu beantragen. Hierdurch soll dem betroffenen Beamten selbst ermöglicht werden, einen zeitnahen Verfahrensabschluss mit Hilfe des Gerichts zu erwirken. Der betroffene Beamte soll mit Rücksicht auf die mannigfachen Nachteile, die ein Disziplinarverfahren mit sich bringt, einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens entgegentreten können. Zu diesen Nachteilen zählen neben den psychischen Belastungen etwa die Behinderung im beruflichen Fortkommen (so ist der Dienstherr berechtigt, einen Beamten bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens von einer Beförderung auszuschließen; vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.9.1996 - 1 WB 20.96, 1 WB 21.96 -, juris Rn. 12; Beschl. v. 24.9.1992 - 2 B 56.92 -, juris Rn. 4; VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 15.7.2015 - VGH B 19/05 -, juris Rn. 30; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 28.2.1994 - 2 M 221/94 -, juris Rn. 1) sowie nachteilige Nebenentscheidungen wie die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung eines Teils von Bezügen, § 38 Abs. 1 und 2 NDiszG (vgl. Weiß, a.a.O., M § 62 Rn. 2). Mit diesem gesetzgeberischen Ziel wäre es nicht vereinbar, wenn die Disziplinarbehörde das Disziplinarverfahren nach § 23 NDiszG aussetzt, ohne das insoweit eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme möglich wäre. Denn die Aussetzung des Disziplinarverfahrens ist als Verfahrenshandlung nicht selbstständig anfechtbar, § 4 NDiszG, § 44a Satz 1 VwGO (Gansen, a.a.O., § 22 Rn. 32; Weiß, a.a.O., M § 22 Rn. 64; Urban, a.a.O., § 22 Rn. 5). Wollte man dies anders beurteilen, hätte die Disziplinarbehörde die Möglichkeit, durch eine rechtswidrige, gar erkennbar willkürliche Aussetzung des Disziplinarverfahrens dem betroffenen Beamten das Recht auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens zu nehmen. In einem solchen Fall hätte der Beamte nicht mehr die Möglichkeit, seinerseits auf einen zeitnahen Abschluss des Disziplinarverfahrens hinzuwirken und damit die o.a. nachteiligen Folgen der Einleitung eines Disziplinarverfahrens auch mit einem Antrag auf gerichtliche Fristsetzung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 NDiszG zu verhindern. Ein derart weites Verständnis der Vorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 2 ließe sich nicht mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) in Einklang bringen. Denn eine offenkundige Verschleppung eines Disziplinarverfahrens verstößt gegen das rechtsstaatliche Gebot der Gewährung eines effektiven Gerichtsschutzes (BVerfG, Beschl. v. 4.10.1977 - 2 BvR 80/77 -, juris Rn. 42; vgl. auch Weiß, a.a.O., M § 62 Rn. 2).

War die Aussetzung des Disziplinarverfahrens rechtswidrig oder hat die Disziplinarbehörde die ihr obliegende Pflicht zur unverzüglichen Fortsetzung des Disziplinarverfahrens (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 3 NDiszG in Verbindung mit dem das Disziplinarrecht beherrschenden Gebot der beschleunigten Durchführung des Disziplinarverfahrens) verletzt, bleibt die so vertane Zeit nicht außer Ansatz (Weiß, a.a.O., M § 62 Rn. 22).

Hier erweist sich die am 13. August 2020 verfügte Aussetzung des Disziplinarverfahrens aus mehreren Gründen als rechtswidrig. Zum einen liegen bereits die Voraussetzungen für eine Aussetzungsentscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 NDiszG nicht vor. Zum anderen war die Ausübung des behördlichen Ermessens fehlerhaft.

Die Disziplinarbehörde kann nach der letztgenannten Vorschrift das Disziplinarverfahren aussetzen, wenn in einem gesetzlich geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Eine Aussetzung setzt nach dieser Vorschrift eine Vorgreiflichkeit in der Sache voraus, die anzunehmen ist, wenn in dem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über Aspekte oder zumindest Teilaspekte des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens zu entscheiden ist, etwa über die Tatbestandsmäßigkeit des vorgeworfenen Dienstvergehens, die Rechtswidrigkeit des Handelns, über Verschulden und Schuldfähigkeit des Beamten (vgl. VG Wiesbaden, Beschl. v. 25.6.2012 - 25 L 248/12.WI.D -, juris Rn. 30; Gansen, a.a.O., § 22 Rn. 23; Weiß, a.a.O., M § 22 Rn. 55; Hermann, in: Hermann/Sandkuhl, Bundesdisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, Rn. 612 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn eine Aufklärung der vorgenannten Aspekte nicht zu erwarten ist, sondern mit dem Abwarten einer Entscheidung in dem anderen Verfahren allein eine (verfahrensmäßige) Erledigung des Disziplinarverfahrens durch dessen Einstellung möglich erscheint. Die Antragsgegnerin erwartet in dem Verfahren zur Überprüfung der Dienstfähigkeit der Antragstellerin nicht, dass neue Erkenntnisse über das vorgeworfene Dienstvergehen zu Tage treten. Vielmehr könnte bei Abwarten des anderen Verfahrens und bei Eintritt der Beamtin in den Ruhestand die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme entbehrlich werden. Dieses allein verfahrensökonomische Ziel rechtfertigt aber nicht eine nicht unerhebliche Verzögerung des Abschlusses des Disziplinarverfahrens, vielmehr steht es erkennbar im Widerspruch zu dem Gebot, dass Disziplinarverfahren beschleunigt zu betreiben, um die o.a. nachteiligen Wirkungen eines Disziplinarverfahrens für den Beamten so gering wie möglich zu halten.

Unabhängig davon war die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin über die Aussetzung des Disziplinarverfahrens rechtswidrig.

Die Entscheidung über die Aussetzung des Disziplinarverfahrens nach § 23 Abs. 1 Satz 3 NDiszG steht im Ermessen der Disziplinarbehörde. Gemäß § 3 NDiszG in Verbindung mit § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht in einem solchen Fall auch, ob die Entscheidung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Hier hat die Antragsgegnerin ermessenfehlerhaft das Disziplinarverfahren ausgesetzt, weil sie von ihrem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Eine rechtmäßige Ermessensausübung setzt u.a. voraus, dass die Behörde alle Erwägungen anstellen muss, die nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm von ihr gefordert werden. Dies verlangt Vollständigkeit und Richtigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte. Zudem sind diese Aspekte nicht nur anzuführen, sondern zueinander in Beziehung zu setzen und nach „Für und Wider“ abzuwägen. Fehlen wesentliche Gesichtspunkte in der Abwägung, so sind die Ermessenserwägungen unvollständig und damit rechtswidrig (Ermessensdefizit - vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 24). Diesen Anforderungen genügt die Aussetzungsentscheidung der Antragsgegnerin nicht. Wesentliche Aspekte wurden nicht berücksichtigt, wie die voraussichtliche Dauer des anderen Verfahrens (ggf. bis zum Ergehen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung) und die damit verbundenen Folgen für das Disziplinarverfahren, das Beschleunigungsgebot im Disziplinarrecht, die zusätzlichen o.a. nachteiligen Wirkungen für die Beamtin eines infolge der Aussetzung erheblich länger laufenden Disziplinarverfahrens (Gebot, die nachteiligen Wirkungen eines laufenden Disziplinarverfahrens so gering wie möglich zu halten), das Interesse der Beamtin an einer Aufklärung in der Sache, um sich vom Verdacht eines Dienstvergehens entlasten zu können (zur Berechtigung eines solchen Interesse vgl. § 19 Abs. 1 NDiszG) sowie die fehlende Gewissheit der (von der Antragsgegnerin angenommenen) Förderlichkeit des anderen Verfahrens für das Disziplinarverfahren.

2. Der Antrag auf gerichtliche Fristsetzung ist auch begründet, weil ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht vorliegt (dazu nachfolgend unter a.). Das Gericht erachtet eine Frist von 3 Monate nach Eintritt der Rechtskraft seiner Entscheidung für geboten, um das behördliche Disziplinarverfahren abzuschließen (dazu nachfolgend unter b.).

a. Nach § 57 Abs. 2 Satz 1 NDiszG bestimmt das Gericht eine Frist, in der das Disziplinarverfahren abzuschließen ist, wenn ein zureichender Grund für das Überschreiten der Frist von sechs Monaten nicht vorliegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Frist von sechs Monaten keine absolute Frist ist. Sie ist vielmehr Ausdruck des das Disziplinarrecht beherrschenden Beschleunigungsgrundsatzes und soll die für die Durchführung des Disziplinarverfahrens zuständige Dienstbehörde veranlassen, das Verfahren ohne unangemessene Verzögerungen durchzuführen; es soll sie insbesondere daran hindern, nach Einleitung des Verfahrens untätig zu bleiben. Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermitteln (§ 22 NDiszG) und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, die Möglichkeit zur Äußerung zu geben, § 21 Abs. 4 Satz 1 NDiszG (vgl. zu den inhaltsgleichen Regelungen des Bundesdisziplinargesetzes: BVerwG, Beschl. v. 11.8.2009 - 2 AV 3.09 -, juris Rn. 2). Daher kann ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens aus dem Umfang des Verfahrensstoffes, dessen Schwierigkeitsgrad, Umfang und Art der zu erhebenden Beweise oder aus sonstigen verfahrensmäßig relevanten Umständen folgen, etwa Erreichbarkeit von Zeugen, Notwendigkeit der Einholung von Sachverständigengutachten, Ausdehnung des Disziplinarverfahrens nach § 20 Abs. 1 Satz 1 NDiszG. Hingegen fehlt es an einem zureichenden Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens, wenn die Disziplinarbehörde das Verfahren in einer ihr zurechenbaren Weise säumig betreibt. In diesem Zusammenhang ist konkret zu ermitteln, ob die Disziplinarbehörde unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, vor allem des Umfangs des konkret erforderlichen Anhörungs- und Ermittlungsaufwands sowie des Grades der Mitwirkung des beschuldigten Beamten, die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um das Disziplinarverfahren beschleunigt zum Abschluss zu bringen (vgl. Gansen, a.a.O., § 62 Nr. 10 f.). Hingegen fehlt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens innerhalb der in § 57 Abs. 2 Satz 1 NDiszG vorgesehenen Frist - wie vorstehend ausgeführt - für die Dauer einer unrechtmäßigen Aussetzung des Disziplinarverfahrens.

Da hier das Disziplinarverfahren aufgrund dessen rechtswidriger Aussetzung nicht in der vorgesehenen Zeit abgeschlossen worden ist, liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Verfahrensabschluss nicht vor. Diese Säumnis ist der Antragsgegnerin aufgrund der von ihr zu verantwortenden Aussetzung des Verfahrens anzulasten.

b. Nach dem Vorstehenden hat das Gericht der Antragsgegnerin eine angemessene Frist zu setzen, in der sie das behördliche Disziplinarverfahren abzuschließen hat. Es hält hier eine Frist von drei Monaten für ausreichend, um das Disziplinarverfahren in geordneter Weise abschließen zu können.

Bei der Bemessung der der Disziplinarbehörde gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 NDiszG zu setzenden Frist hat das Gericht nach den Umständen des Einzelfalls den Zeitraum zugrunde zu legen, in dem im Rahmen einer geordneten Untersuchung der Abschluss der Sachaufklärung erreicht werden kann. Dabei ist den gegenläufigen Interessen nach den Besonderheiten des Falls Rechnung zu tragen, in dem einerseits eine ordnungsgemäße abschließende Bearbeitung durch die Disziplinarbehörde gewährleistet, andererseits das Interesse des betroffenen Beamten an einem baldigen Verfahrensabschluss berücksichtigt wird. Zweck der Fristsetzung kann es demnach nicht sein, auf die am Verfahren Beteiligten derart Druck auszuüben, dass eine, auch im Interesse des Beamten liegende sorgfältige Sachaufklärung bei Fristeinhaltung möglicherweise unterbleiben müsste (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.07.1998 - 1 DB 2.98 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Andererseits soll die Frist vor dem Hintergrund des im Disziplinarrecht geltenden Beschleunigungsgrundsatzes im Zweifelsfall durchaus knapp bemessen sein, zumal die Disziplinarbehörde die Möglichkeit der Fristverlängerung nach § 57 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 49 Abs. 4 Satz 2 NDiszG hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.8.2015 - DL 13 S 1432/15 -, juris Rn. 9; Gansen, a. a. O., § 62 Rn. 14; Weiß, a.a.O., M § 62 Rn. 35). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin weiterhin einen erheblichen Aufklärungsbedarf sieht und bereits mehrere Beweisanträge gestellt hat (s. Schriftsätze des Bevollmächtigten vom 10. Juni 2020 und 5. August 2020). Bereits im Schriftsatz vom 10. Juni 2020 kündigte der Bevollmächtigte der Antragstellerin an, an den die Hausdurchsuchung leitenden Kriminalhauptkommissar I. eine „große Anzahl von Fragen“ richten zu wollen, verbunden mit dem Hinweis, weitere Beweisanträge nach der Vernehmung dieses Beamten stellen zu wollen. Bei der Bemessung der Frist ist zu gewährleisten, dass es der Disziplinarbehörde möglich ist, den von der Antragstellerin für notwendig erachteten Aufklärungsmaßnahmen nachkommen und die in Betracht kommenden Zeugenvernehmungen durchführen zu können. Ob die von der Antragstellerin benannten Zeugen noch vernommen werden, hat der die Untersuchung leitende Beamte zu entscheiden.

Sollte die Antragsgegnerin das Disziplinarverfahren nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist abschließen, wird es durch Beschluss des Gerichts eingestellt (§ 57 Abs. 3 NDiszG). Gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 49 Abs. 4 Satz 2 NDiszG kann die Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens durch das Gericht verlängert werden, wenn die Disziplinarbehörde dies vor Ablauf der Frist beantragt und die Beendigung der Ermittlungen aus Gründen, die die Disziplinarbehörde nicht zu vertreten hat, innerhalb der Frist nicht möglich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 69 Abs. 1, 71 Abs. 3 Satz 2 NDiszG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 71 Abs. 1 und 2 NDiszG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Hier ist es in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordöR 2014, 11) ermessensgerecht, den hälftigen Wert nach § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen.