Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.04.2002, Az.: 2 K 651/00

Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen bei freiwilliger Vorauszahlung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
24.04.2002
Aktenzeichen
2 K 651/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 14078
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0424.2K651.00.0A

Fundstellen

  • DStRE 2003, 570-571
  • EFG 2003, 135-136
  • KÖSDI 2003, 13632

Tatbestand

1

Streitig ist, ob den Klägern im Streitjahr 1998 Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer zu erlassen sind.

2

Der Kläger war im Streitjahr 1998 an der X-GmbH wesentlich im Sinne des § 17 EStG beteiligt. Aus der Veräußerung dieser Beteiligung ergab sich im Streitjahr ein Gewinn aus Gewerbebetrieb von zunächst x DM, der sich nach Ausfall einer Restkaufpreisforderung im Jahr 2001 auf x DM reduzierte. Der Kläger erzielte weiterhin Gewinne aus Spekulationsgeschäften. Die Kläger hatten im Übrigen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Kapitalvermögen.

3

Die Kläger gaben am 28. April 2000 ihre Einkommensteuererklärung ab. Gleichzeitig leisteten sie eine freiwillige Vorauszahlung auf die zu erwartende Abschlusszahlung in Höhe von 1.096.874 DM. Der Beklagte veranlagte erklärungsgemäß. Aus dem am 29. Mai 2000 erlassenen Einkommensteuerbescheid ergab sich eine Einkommensteuernachzahlung von 1.040.894 DM. Gleichzeitig setzte der Beklagte Nachzahlungszinsen von 10.408 DM fest.

4

Im Juni 2000 beantragten die Kläger den Erlass der Nachzahlungszinsen in Höhe von 10.399 DM aus sachlichen Billigkeitsgründen. Der Beklagte erließ die Nachzahlungszinsen aber nur in Höhe von 5.199 DM, den weiteren Erlass von 5.200 DM lehnte er ab.

5

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Kläger meinen, ihnen stehe ein weiterer Erlass in Höhe von 5.200 DM zu. Aufgrund ihrer freiwilligen Vorauszahlung sei der Nachzahlungsbetrag am 28. April 2000 nahezu vollständig geleistet gewesen, auch wenn ein mit dem Einkommensteuerbescheid verbundenes Leistungsgebot noch nicht bestanden habe. Die Kläger dürften aber nicht schlechter gestellt werden, als ein Steuerpflichtiger, der aufgrund eines Leistungsgebots unter Ausnutzung des Zahlungsziels seine Einkommensteuerschuld begleiche. So fielen z.B. bei einem Steuerpflichtigen, der einen Steuerbescheid mit Datum vom 28. März 2000 erhalte, bei Zahlung am 28. April 2000, dem Tag der Zahlung durch die Kläger, keine Nachzahlungszinsen an. Im Übrigen hätten die Kläger auch keine Zinsvorteile erzielt, da die Abschlusszahlung vom Kontokorrentkonto stamme.

6

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 6. September 2000 weitere Nachzahlungszinsen von 5.200 DM zu erlassen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er hält an seiner Auffassung fest, weitere Nachzahlungszinsen seien den Klägern nicht zu erlassen. Zu erlassen seien den Klägern die Nachzahlungszinsen nämlich nur, soweit sie für den Zeitraum vom 28. April 2000 bis 1. Juni 2000, dem Tag der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids, entfallen. Nur insoweit widerspreche die Festsetzung der Zinsen den Wertungen des Gesetzgebers, so dass ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen gerechtfertigt wäre. Ob die Kläger Zinsvorteile gezogen hätten, sei unerheblich.

Gründe

9

Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht den weiteren Erlass von Nachzahlungszinsen abgelehnt.

10

Nach § 227 AO kann die Finanzbehörde Ansprüche aus dem Schuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach §§ 3 Abs. 3, 37 Abs. 1 AO auch die Nachzahlungszinsen des § 233 a AO.

11

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971, GmS-OGB 3/70, BStBl. II 1972, 603). Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheids und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

12

Nach § 233 a AO sind Nachzahlungszinsen dann zu entrichten, wenn sich nach Ablauf der Karenzzeit des § 233 a Abs. 2 AO durch die Festsetzung von u.a. Einkommensteuer ein "Unterschiedsbetrag" zuungunsten des Steuerpflichtigen ergibt. Dieser Unterschiedsbetrag ergibt sich nach Abs. 3 der Vorschrift aus der festgesetzten Steuer vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen. Freiwillige Zahlungen des Steuerpflichtigen wirken sich nicht auf den Unterschiedsbetrag aus (BFH-Urteil vom 27. August 1998, III R 243/94, BFH/NV 1999, 288).

13

Im Streitfall ergab sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1998 vom 29. Mai 2000 ein Unterschiedsbetrag zuungunsten der Kläger von 1.040.894 DM. Da der Zinslauf am 1. April 2000 begonnen hatte, setzte der Beklagte Nachzahlungszinsen für den Zeitraum 1. April 2000 bis zum 1. Juni 2000 fest. Der Zinslauf endete nämlich nach § 233 a Abs. 2 Satz 3 AO mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Dies ist nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO der Tag der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids. Da der Beklagte diesen Bescheid am 29. Mai 2000 mittels einfachen Briefs zur Post gegeben hatte, gilt der Bescheid nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 1. Juni 2000 als bekannt gegeben. Der Beklagte setzte die Nachzahlungszinsen nach § 238 AO fest. Es ergaben sich Zinsen für zwei volle Monate jeweils 0,5 v.H. des auf volle 100 DM abgerundeten Unterschiedsbetrags von 1.040.800 DM, mithin 10.408 DM. Diese Zinsfestsetzung wurde bestandskräftig.

14

Der Beklagte hätte jedoch von den festgesetzten Zinsen 10.399 DM aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen müssen. Dies hat er jedoch nicht getan.

15

Ein Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn die Erhebung der Nachzahlungszinsen nicht den gesetzlichen Wertungen des § 233 a AO entspricht (BFH-Urteil vom 24. Juli 1996, X R 23/94, BFH/NV 1997, 92).

16

Ein Erlass ist aber noch nicht deshalb geboten, weil die Kläger, wie sie behaupten, keine Zinsvorteile durch das Vorhalten des Unterschiedsbetrags erzielt haben. Sinn und Zweck der Verzinsung ist nämlich nicht nur die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen auf Seiten des Steuerpflichtigen, die Verzinsung soll auch Liquiditätsnachteile auf Seiten des Steuergläubigers ausgleichen. Bei der Verzinsung nach § 233 a AO kommt es auf eine konkrete Berechnung der eingetretenen Zinsvor- und nachteile nicht an (BFH-Urteile vom 19. März 1997, I R 7/96, BStBl. II 1997, 446).

17

Die Nachzahlungszinsen waren aber zu erlassen, soweit sich die Kläger durch die freiwillig Zahlung am 28. April 2000 ihrer vom Gesetzgeber unterstellten Liquiditätsvorteile begeben und dem Steuergläubiger haben zukommen lassen. Denn soweit ein Steuerpflichtiger auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Forderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht und das Finanzamt diese Leistungen angenommen und behalten hat, sind Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen (BFH-Urteil vom 26. Januar 2000, IX R 11/96, BFH/NV 2000, 1177). Dies sieht auch die Verwaltung im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) i.d.F. vom 15. Juli 1998 (BStBl. I 1998, 630) zu § 233 a AO Nr. 70 ausdrücklich so vor. Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch im Ergebnis, hierauf und auf die gleichlautende Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover AO-Kartei Karte 1 zu § 233 a AO gestützt.

18

Der Beklagte hat zwar Nachzahlungszinsen in Höhe von 5.199 DM erlassen. Für den von den Klägern begehrten weiteren Erlass von 5.200 DM sah der Beklagte kein Ermessen, weil insoweit die Erlassvoraussetzungen nicht erfüllt seien.

19

Die Ermittlung des Beklagten zur Höhe des Erlasses ist ermessensfehlerhaft. Der Beklagte hatte die Nachzahlungszinsen nämlich nur insoweit erlassen, wie durch die freiwillige Zahlung der Kläger "fiktive Erstattungszinsen" entstanden waren. Danach ergaben sich für den Zeitraum vom 28. April 2000 bis zum 1. Juni 2000, in dem dem Beklagten das Geld zur Verfügung stand, "Erstattungszinsen" von 5.199 DM, weil dies nur ein voller Monat war. Zugleich verblieben mit 5.200 DM die Nachzahlungszinsen für einen vollen Monat. Der Beklagte hätte aber auch diesen Betrag aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen müssen. Dies hat er jedoch nicht getan. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Nachzahlungszinsen nämlich der Höhe nach nur für volle Monate erhoben werden. Der Steuergläubiger verzichtet damit zugunsten einer Vereinfachung bewusst auf eine taggenaue Berechnung. Am 28. April 2000, dem Tag der freiwilligen Zahlung durch die Kläger, war zwar die Karenzzeit des § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO abgelaufen, mithin hatte der Zinslauf bereits begonnen. Bei einer Zinsfestsetzung an diesem Tag wären die Zinsen aber nach § 238 Abs. 1 AO noch mit 0 DM festzusetzen gewesen, da ein voller Monat noch nicht erreicht war.

20

Im Ergebnis sind die Kläger aber durch den Erlass so zu stellen, als wären die Nachzahlungszinsen auf den Tag der freiwilligen Zahlung durch die Kläger festgesetzt worden. Es entspricht nicht den Wertungen des Gesetzes, wenn der Beklagte durch die Verrechnung mit "fiktiven Erstattungszinsen" einerseits die Zeit, in der die Kläger bereits gezahlt hatten, auf volle Monate abrundet, andererseits gerade dadurch Nachzahlungszinsen für einen vollen Monat verbleiben, obwohl ein Nachzahlungstatbestand gar keinen vollen Monat bestanden hat. Insoweit hatte der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung keinen Ermessensspielraum, sondern war durch die Wertungen des Gesetzgebers gebunden. Die gegenteilige Auffassung im AEAO zu § 233 a AO Nr. 70 ist abzulehnen.

21

Das Gericht durfte die Verpflichtung zum Erlass aussprechen, da insoweit das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert ist.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.