Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.04.2002, Az.: 5 K 801/99

Möglichkeit eines Verzichts auf die Steuerbefreiung von Vermietungsumsätzen; Vorsteuerabzug aus Bauleistungen ( Sanierung eines Altbaus ); "Gepräge -Rechtsprechung"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.04.2002
Aktenzeichen
5 K 801/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 14063
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0418.5K801.99.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 05.06.2003 - AZ: V R 32/02

Fundstellen

  • DStRE 2003, 817-819
  • EFG 2003, 649-650
  • UStB 2003, 195

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die seit dem 01.01.1994 geltende Einschränkung der Optionsmöglichkeit gilt nach Abschn. 148a Abs. 6 Satz 2 UStR auch, wenn ein Gebäude nachträglich durch Herstellungsarbeiten so umfassend saniert oder umgebaut wird, dass ertragsteuerlich gesehen ein anderes Wirtschaftsgut entsteht.

  2. 2.

    Das Entstehen eines "anderen" (neuen) Wirtschaftsguts richtet sich bei Umbauten nach der umsatzsteuerlichen Rspr. zur Selbstverbrauchssteuer. Entscheidend ist daher, ob die Alt- oder die Neubauteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben. Dabei sind in erster Linie die Größen- und Wertverhältnisse der in das einheitliche Wirtschaftsgut eingegangenen Teile zueinander maßgebend.

  3. 3.

    Die strenge BFH-Rspr. zu § 7 Abs. 5 EStG kann die zur Selbstverbrauchssteuer ergangene "Gepräge"-Rspr. nicht relativieren.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob durch die umfassende Sanierung eines Altbaus ein "anderes" neues Wirtschaftsgut entstanden ist, für welches der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze nach § 9 Abs. 2 UStG ausgeschlossen ist.

2

Mit Kaufvertrag vom 16. Dezember 1994 erwarb die Klägerin ein Grundstück mit mehreren Gebäuden in der Stadt B. von der Bundesrepublik Deutschland (ehem. Bundeseisenbahnvermögen) zum Preis von 595.000,00 DM.

3

Am 20. Dezember 1994 schloss die Klägerin einen Generalunternehmervertag über die schlüsselfertige Erstellung eines Büro- und Schulungszentrums sowie mehrerer Wohnungen auf dem zuvor erworbenen Grundstück. Als Werklohn war ein Preis von 5.277.500,00 DM vereinbart. Hinsichtlich der Einzelheiten der Baumaßnahmen wird auf die Baubeschreibung vom 7. Juni 1995 Bezug genommen, die in der Einspruchsbescheidung des Beklagten vom 12. November 1999 wiedergegeben ist.

4

Nach Fertigstellung der Umbauarbeiten des Gebäudes "B-straße"erzielte die Klägerin folgende Vermietungsumsätze:

Name des Mieters Mietbeginn monatl. Mietumsatz qm-Zahl qm-Preis
X GmbH 01.07.1996 24.859,40 DM 1.603,80 15,50 DM
Dr. U. F. 01.10.1996 4.528,00 DM 283 16,00 DM
Hausmeister E. 01.10.1996 874,00 DM 85,40 10,40 DM.
5

Aus dem Gebäude "F-straße" erzielte die Klägerin bereits Mieteinnahmen ab Erwerb durch Übernahme eines bestehenden Mietverhältnisses. Insgesamt wurden aus diesem Gebäude folgende Mieten erzielt:

Name des Mieters Mietbeginn monatl. Mietumsatz qm-Zahl qm-Preis
X GmbH 01.07.1996 176,00 DM 22 8,00 DM
Hans H. 01.09.1995 (1950) 379,07 DM 74 5,10 DM.
6

Mit der Umsatzsteuervoranmeldung 12/95 verzichtete die Klägerin nach § 9 Abs. 2 UStG a.F. (Geltung bis zum 31.12.1993) auf die Steuerfreiheit der Mietumsätze der Fa. X GmbH (Fortbildungs- und Schulungsinstitut) und des Arztes Dr. U. F. nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG.

7

Die Klägerin behandelte die Mieterträge des Hausmeisters E., der Privatperson Hans H. und der Fa. X GmbH in Höhe eines Anteils von 10 v.H. der monatlichen Mieten für die Nutzung des Anbaus und der Pausenhalle des Nebengebäudes"B-straße" als umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG.

8

Die Klägerin machte für die Streitjahre Vorsteuern in Höhe von insgesamt 633.470,65 DM geltend, die sich wie folgt zusammensetzen:

Vorsteuern auf Baukosten des Generalunternehmers 683.367,40 DM
+ Zahlungen direkt GbR 4.442,47 DM
+ VoSt zurück (Kto. 1406-1996) 454,16 DM
688.264,03 DM
./. VoSt-Kürzung
Wohnung "F-straße" - 2.727,45 DM
Wohnung Hausmeister - 24.144,60 DM
Anbau Nebengebäude - 17.674,02 DM
Pausenhalle
Insgesamt 633.470,65 DM
9

Im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung versagte der Beklagte den begehrten Vorsteuerabzug. Als Begründung führte er an, dass § 9 Abs. 2 UStG in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung (geändert durch das StMBG vom 21.12.1993 - BGBl I 1993, 2310 -) anzuwenden sei, da die Klägerin mit der Baumaßnahme erst nach dem in der Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 2 UStG genannten Zeitpunkts (10. November 1993) begonnen habe. Demzufolge sei ein Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Vermietungsumsätze der Fa. X GmbH und des Arztes Dr. U. F. nicht möglich, da diese Umsätze vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen seien.

10

Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage. Sie trägt vor, für das vor dem 11. November 1993 errichtete Altgebäude bestehe für die Vermietungsumsätze die Optionsmöglichkeit nach § 9 Abs. 2 UStG a.F. Die Neufassung des § 9 Abs. 2 UStG komme vorliegend nicht zur Anwendung, da es bei dem modernisierten Gebäude in der Stadt B. lediglich um ein gleichwertiges und damit nicht um ein neues anderes Wirtschaftsgut handele.

11

Bei Sanierungsarbeiten und damit zusammenhängenden Umbauten und Abbrucharbeiten handele es sich nicht um die Herstellung eines neuen Gebäudes, sofern die tragenden Teile und die Fundamente des bisherigen Gebäudes weiter Verwendung fänden (BFH-Urteile vom 28. Juni 1977, BStBl II 1977, 725 [BFH 28.06.1977 - VIII R 115/73]; vom 31. März 1992, BStBl II 1992, 808 [BFH 31.03.1992 - IX R 175/87]). Die Höhe der Aufwendungen für die Maßnahmen und der Wert des bisherigen Gebäudes sei dabei ohne Bedeutung.

12

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer 1994 auf ./. 43.817,00 DM,

die Umsatzsteuer 1995 auf ./. 402.709,40 DM und

die Umsatzsteuer 1996 auf ./. 165,221,80 DM herabzusetzen.

13

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Er trägt vor, durch die Umbaumaßnahmen der Klägerin sei ein anderes neues Wirtschaftsgut entstanden. Die Neubauteile hätten dem Gebäude das"Gepräge"gegeben, weil sie größen- und wertmäßig die Altbauteile überwogen hätten. Für dieses andere neue Wirtschaftsgut sei die Optionsmöglichkeit durch die Neufassung des § 9 Abs. 2 UStG vorliegend ausgeschlossen.

15

Der Beklagte hat während des gerichtlichen Verfahrens eine Stellungnahme des Bausachverständigen des Finanzamts eingeholt. Wegen der Einzelheiten der von der Klägerin durchgeführten Baumaßnahmen und deren Bewertung durch den Bausachverständigen wird auf dessen Stellungnahmen vom 8. März 2001 und vom 10. Juli 2001 Bezug genommen.

Gründe

16

Die Klage ist unbegründet.

17

Der Vorsteuerabzug aus den Bauleistungen scheitert daran, dass die Klägerin nicht auf die Steuerfreiheit der hier streitigen Vermietungsumsätze verzichten kann.

18

Nach § 9 Abs. 2 UStG in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung durch das StMBG vom 21 Dezember 1993 ist der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze der Fa. X GmbH und des Arzt Dr. U. F. ist nicht möglich, weil beide das Grundstück für Umsätze verwenden, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. § 4 Nr. 21 bzw. § 4 Nr. 14 UStG).

19

Die Anwendung des § 9 Abs. 2 UStG in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung ist durch die Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG nicht ausgeschlossen. Nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG ist § 9 Abs. 2 UStG n.F. dann nicht anzuwenden, wenn mit der Errichtung des Gebäudes vor dem 11. November 1993 begonnen worden ist (vgl. Abschn. 148 a Abs. 5 UStR). Diese Einschränkung liegt hier nicht vor, weil die der insoweit maßgebende Generalunternehmervertrag vom 20. Dezember 1994 datiert und als Baubeginn den 1. November 1995 ausweist.

20

Die seit dem 1. Januar 1994 geltende Einschränkung der Optionsmöglichkeit gilt nach Abschnitt 148 a Abs. 6 Satz 2 UStR auch, wenn ein Gebäude nachträglich durch Herstellungsarbeiten so umfassend saniert oder umgebaut wird, dass nach ertragsteuerlichen Grundsätzen ein anderes Wirtschaftsgut entsteht.

21

Das Entstehen eines "anderen"(neuen) Wirtschaftsguts richtet sich bei Umbauten nach der umsatzsteuerlichen Rechtsprechung zur Selbstverbrauchssteuer (§ 30 UStG 1973; vgl. Paus, DStR 1994, 1638). Demzufolge ist die Frage, ob eine nicht steuerbare Erweiterungs- oder Verbesserungsinvestition oder eine Neuinvestition unter Einbeziehung bereits vorhandener Wirtschaftsgüter vorliegt, danach zu beurteilen, ob die Alt- oder die Neubauteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben. Dabei sind in erster Linie die Größen- und Wertverhältnisse der in das einheitliche Wirtschaftsgut eingegangenen Teile zueinander maßgebend (BFH-Urteil vom 10.10.1974 V R 123/73, BStBl II 1975, 424; vom 26. Januar 1978 V R 137/75, BStBl II 1978, 280; vom 26. Januar 1978 V R 154/74, BStBl II 1978, 363).

22

Die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des BFH zu § 7 Abs. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) ist hier nicht anwendbar. Zwar verlangt der BFH für die Anwendung der degressiven Gebäude-AfA nach § 7 Abs. 5 EStG, dass das Gebäude (Neubau) in "in bautechnischer Hinsicht"neu sein müsse, also insbesondere die verbrauchten Teile ersetzt werden müssen, die für die Nutzungsdauer des Gebäudes bestimmend sind, wie z.B. Fundamente, tragende Außen- und Innenwände, Geschoßdecken und Dachkonstruktionen (BFH-Urteil vom 31.03.1992 IX R 175/97, BStBl II 1992, 808 [BFH 31.03.1992 - IX R 175/87]; BFH-Urteil vom 25.11.1993 IV R 68/92, BFH/NV 1994, 705). Diese strengeren Maßstäbe des BFH zur Definition des Begriffs des"Neubaus"sind jedoch bereits nach dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift des § 7 Abs. 5 EStG (Förderung der Erneuerung der Gebäudesubstanz) auf die Anwendung der degressiven Gebäude-AfA begrenzt. Eine allgemeine Bedeutung zur Problematik der Abgrenzung, ob eine nicht steuerbare Erweiterungs- oder Verbesserungsinvestition oder eine Neuinvestition unter Einbeziehung bereits vorhandener Wirtschaftsgüter vorliegt kommt dieser Rechtsprechung nicht zu. Insbesondere vermag die Rechtsprechung des BFH zu § 7 Abs. 5 EStG die zur Selbstverbrauchssteuer ergangene "Gepräge"-Rechtsprechung nicht zu relativieren.

23

Diese Sichtweise wird durch den Gesetzeszweck der Neufassung des § 9 Abs. 2 UStG verstärkt. Durch das StMBG (BGBl I 1993, 2310) sollte die Optionsmöglichkeit weiter eingeschränkt werden; der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung insbesondere die sog. Vorschaltmodelle verhindern (Heidner, in: Bunjes/Geist, § 9, Rz. 12 m.w.N.). Die Verfolgung dieses Gesetzeszweck lässt sich unter Anwendung der hier vertretenen "Gepräge"-Rechtsprechung eher erreichen als unter Anwendung der strengeren Rechtsprechung des BFH zu § 7 Abs. 5 EStG.

24

Bei Anwendung der zur Selbstverbrauchssteuer ergangenen "Gepräge"-Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall gelangt der erkennende Senat zu der Überzeugung, dass ein Neubau vorliegt, weil die neu eingefügten Teile dem Gesamtgebäude das Gepräge geben. Durch die umfassenden Umbau und Sanierungsarbeiten ist aus dem ehemaligen Eisenbahnverwaltungsgebäude ein moderner Gebäudekomplex mit zeitgemäß hergerichteten Schulungs-, Arzt-, und Wohnräumen entstanden. Nach Abschluß der Bauarbeiten ist das Gebäude folglich einer weitgehend anderen Nutzung zugeführt worden als zuvor.

25

Die eingefügten bzw. umgebauten Neuteile bestimmen das Gepräge des Gebäudes als "Neubau". Am streitbefangenen Haupt- und Nebengebäude sind alle konstruktiven Gebäudeteile baulich verändert worden. Die Veränderungen erfolgten an Kellerwänden, Kellerdecken, übrigen Decken, Außenwänden, tragenden Innenwänden und dem Dachstuhl. Am Nebengebäude sind ausweislich der Stellungnahme des Bausachverständigen erhebliche konstruktive Veränderung vorgenommen worden (51,06 v.H.). Am Hauptgebäude beträgt der entsprechende Anteil der neuen konstruktiven Gebäudeteile zwar"nur" 15,39 v.H. Die vom Bausachverständigen genannten einzelnen Baumaßnahmen am Hauptgebäude sind jedoch aufgrund des Umfangs und der Größe bei wertender Betrachtung so bedeutend, dass sie dem Gebäude das Gepräge verleihen. Dies folgert der Senat aus der Gesamtschau der vom Bausachverständigen festgestellten Baumaßnahmen am Hauptgebäude:

26

Abbruch von 2 Schornsteinen und eines Sanitäranbaus an der Gebäuderückseite,

  • Entfernung der Freitreppe und der Anböschung (Kellergeschoss),
  • Abbruch des innenliegenden Treppenhauses,
  • Einbau eines neuen Haupteingangs mit neuem Treppenhaus mit Fahrstuhl sowei eines weiteren Treppenhauses als Nebeneingang bis ins 2. Obergeschoss (Treppen und neue Deckenteile in Stahlbetonbauweise),
  • Tieferlegung der Sohle im Kellergeschoss (Umnutzung der Lager- und Archivräume in Schulungs- und Sozialräume),
  • Einbau eines zweizügigen Schornsteins,
  • Anhebung des Fußbodenniveaus des linken Gebäudeteils im Erdgeschoss,
  • teilweise Einrichtung von neuen Innentreppen in allen Geschossen (andere Raumaufteilung),
  • Erneuerung des gesamten Innenausbaus (Fenster, Türen, Fußboden, Elektroanlage, Sanitärinstallation und Sanitärobjekte, Heizungsanlage, Malerarbeiten),
  • erstmaliger Ausbau des Dachgeschosses zu Wohnzwecken (linker Gebäudeteil, Entfernung der runden Dachgauben und Errichtung von Schleppgauben),
  • Erneuerung der Dacheindeckung und der Dachentwässerung.

27

Dass die Neubauteile dem Gebäude insgesamt das "Gepräge" geben, schließt der Senat zudem daraus, dass die Neubauteile mit einem Wert von insgesamt 5.388.424,00 DM den Wert der vorgefundenen Altbauteile in Höhe von 396.170,00 DM eindeutig überlagern. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass ausweislich der Stellungnahme des Bausachverständigen vom 10. Juli 2001 nach dem Umbau eine Steigerung der Mieteinnahmen von monatlich 11.610,82 DM auf 25.780,15 DM erfolgt ist. Demnach ist durch die umfangreichen Umbaumaßnahmen der Klägerin ein "anderes" neues Wirtschaftsgut entstanden.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

29

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).