Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 20.03.2024, Az.: 1 A 85/20

Anteile; Ermessensfehler; Kumulation; Mitteilungspflicht; Realverband; Realverbandliches Vorkaufsrecht hier: Fristversäumnis und ermessensfehlerhafte Ausübung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.03.2024
Aktenzeichen
1 A 85/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 14209
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2024:0320.1A85.20.00

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ausübung eines realverbandlichen Vorkaufsrechts zu seinem Nachteil.

Der Kläger lebt im Verbandsgebiet der Beklagten, der Gemeinde Harste. Die Beklagte ist ein Realverband mit 60 Anteilen. Davon hält der Kläger zwei Anteile. Mit notariellem Vertrag vom 19.10.2017 erwarb er zwei weitere Realverbandsanteile von der Beigeladenen zum Preis von 3.500 EUR (GA Bl. 36f.). Unter Ziff. 4 heißt es im letzten Satz: "Der Erwerber genehmigt den Vertrag zugleich als 1. Vorsitzender der Realgemeinde Harste." Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und bis Februar 2019 war der Kläger 1. Vorsitzender der Beklagten. Eine Übermittlung des Kauvertrages durch den Notar an die Beklagte unterblieb.

Der Kläger teilte bei der Vorstandssitzung am 03.01.2018 mit, dass er zwei Anteile von der Beigeladenen erworben hatte. Im Rahmen des Jahresrückblicks 2017 informierte er auch die Mitgliederversammlung auf der Sitzung vom 03.02.2018 darüber. Gegenstand der Mitgliederversammlung war der Kauf auch unter TOP 5 "Vorkaufsrecht von Verbandsanteilen". Ausweislich des Protokolls entbrannte Streit darüber, weil die Auffassung vertreten wurde, der Kläger hätte "im Vorfeld" den Vorstand über den Kauf informieren müssen. Es kam zu einer Abstimmung, bei der der Kläger die Sitzungsleitung an den 2. Vorsitzenden übergab. 14 Mitglieder stimmten für "kein Verzicht auf das Vorkaufsrecht", vier Mitglieder enthielten sich.

Am 07.01.2020 sandte der Notar, der als Verwahrer des aus dem Amt geschiedenen beurkundenden Notars wirkte, den Kaufvertrag auf deren Bitte hin an die Beklagte. Die Mitgliederversammlung der Beklagten beschloss am 14.02.2020, vom Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und die beiden Anteile der Beigeladenen für die Beklagte zu erwerben.

Mit Bescheid vom 05.03.2020 erklärte die Beklagte, vertreten durch den 1. und 2. Vorsitzenden, gegenüber dem Kläger und der Beigeladenen, ihr Vorkaufsrecht hinsichtlich der Verbandsanteile mit den Nummern 53 und 69 auszuüben. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sie erst im Januar 2020 von dem Kaufvertrag in Gänze erfahren habe, nachdem offenbar ein unter dem 20.10.2017 von dem beurkundenden Notar gefertigtes Übersendungsschreiben abgefangen worden sei. Sie verwies auf den Beschluss ihrer Mitgliederversammlung vom 14.02.2020 und führte aus, mit dem Erwerbs der Anteile durch sie selbst werde verhindert, dass ihre Funktionsfähigkeit und Arbeitsweise durch die Bündelung von Anteilen bei einem Mitglied leide, das in seiner Funktion als Vorsitzender des Verbandsvorstands den übrigen Mitgliedern wichtige Informationen vorenthalten habe, und damit die Beschlussfassung in einer Weise zu seinem Vorteil manipuliert habe, die sie, die Beklagte, absehbar auch künftig noch mit Streit belasten könne.

Der Kläger hat am 31.03.2020 Klage erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, die Beklagte habe zum einen ihr Vorkaufsrecht nicht fristgerecht innerhalb der Frist nach § 12 Abs. 3 Nds. RealvG ausgeübt. Sie habe bereits im Jahr 2018 Kenntnis von dem Kauf der Realverbandsanteile von der Beigeladenen gehabt, weil der Vorgang bei der Mitgliederversammlung am 03.02.2018 intensiv diskutiert worden sei. Er selbst habe davon beim Jahresrückblick berichtet und der Vertrag habe vorgelegen, so dass er von jedermann hätte eingesehen werden können. Damals sei auch beschlossen worden, dass der Verkauf von zwei Anteilen an ihn rückgängig gemacht werden solle und die Beklagte auf ihr Vorkaufsrecht nicht verzichten wolle. Zum anderen habe die Beklagte auch in der Sache kein Recht auf Ausübung ihres Vorkaufsrechts, weil ihr kein vorrangiges Interesse hieran zustehe. Insbesondere reiche es nicht aus, der Kumulation von Stimmrechten bei ihm entgegenwirken zu wollen, weil die Grenze des § 23 Abs. 3 Nds. RealvG lange nicht erreicht sei. Dem Vorwurf der Manipulation trete er entgegen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 05.03.2020 über die Ausübung des realverbandlichen Vorkaufsrechts aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertieft die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids. Zur Mitteilung über den Kaufvertrag über die beiden Anteile führt sie aus, dass der Kläger vor der Beurkundung den Vorstand und auch die anderen Mitglieder nicht über seine Kaufabsichten informiert habe. Der Kläger habe zwar auf der Vorstandssitzung am 03.01.2028 über den Kaufvertrag informiert, aber den Kaufpreis nicht genannt und auch den Vertrag nicht vorgelegt. Auf der Jahreshauptversammlung am 03.02.2018 habe der Kläger wiederum nur über den Kaufvertrag informiert, aber den Kaufpreis nicht mitgeteilt und den Vertrag nicht vorgelegt. Auf die Kenntnis des Klägers selbst könne es für den Fristbeginn für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 181 BGB, der auch auf Organe von juristischen Personen öffentlichen Rechts gelte, nicht ankommen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 18.01.2024 den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.03.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 12 Abs. 1 Nr. 2 Nds. RealvG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten vom 28.01.1972 (im Folgenden: Satzung). Danach steht der Beklagten beim Verkauf eines Anteils das Vorkaufsrecht zu. Ausgeschlossen ist die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 12 Abs. 2 Nds. RealvG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 2 der Satzung dann, wenn ein Grundstück und der dazugehörige Verbandsanteil gemeinsam verkauft werden. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nds. RealvG fristgebunden. Danach kann es nur bis zum Ablauf von zwei Monaten nach dem Empfang der Mitteilung über den Verkauf des Anteils ausgeübt werden.

Vorliegend liegt mit dem Kaufvertrag vom 19.10.2017 zwischen dem Kläger und der Beigeladenen über zwei selbständige Verbandsanteile ein Verkauf eines Anteils vor, der vom satzungsmäßigen Vorkaufsrecht der Beklagten erfasst ist.

Es spricht einiges dafür, dass hier schon die Zwei-Monats-Frist nicht gewahrt worden ist. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nds. RealvG i.V.m. § 464 Abs. 1 Satz 1 BGB erfolgt die Ausübung des Vorkaufsrechts durch Erklärung gegenüber dem Verpflichteten, hier also dem Beigeladenen. Maßgeblich ist also der streitgegenständlichen Bescheid, der sich an den Kläger und die Beigeladene richtet. Darauf, dass bereits in der Mitgliederversammlung vom 03.02.2018 diese unter TOP 5 mehrheitlich beschloss, auf das Vorkaufsrecht nicht zu verzichten, also das Vorkaufsrecht auszuüben (§ 10 Nr. 10 der Satzung), kommt es für die Fristwahrung nicht an.

Fristbeginn ist nach § 12 Abs. 3 Nds. RealvG i.V.m. § 469 BGB der Zeitpunkt, in dem der Verkäufer der Anteile (§ 469 Satz 1 BGB) der Realgemeinde den Inhalt des mit dem Dritten geschlossenen Vertrags mitteilt. Die Mitteilung des Verkäufers wird durch die Mitteilung des Käufers ersetzt (§ 469 Satz 2 BGB).

Der Beklagten ist zuzugeben, dass erst die Mitteilung des vollständigen Inhalts des Vertrages den Anforderungen genügt; die Mitteilung ist also nicht vollständig, wenn etwa der genaue Vertragsgegenstand, der Kaufpreis oder der Käufer mit vollständiger Anschrift nicht genannt werden. Zutreffend ist auch, dass es sinnvoll und nach Kenntnis der Einzelrichterin auch üblich ist, dem beurkundenden Notar im Kaufvertrag aufzugeben, diesen der Realgemeinde zuzusenden. Das ist hier unterblieben, vielmehr enthält der Kaufvertrag unter Ziff. 4 des Passus "Der Erwerber genehmigt den Vertag zugleich als 1. Vorsitzender" der Beklagten. Dadurch könnte bei der Beigeladenen als zur Mitteilung verpflichteten Verkäuferin wie bei dem Notar der Eindruck entstanden sein, dass die Mitgliederversammlung der Beklagten bereits auf die Ausübung des Vorkaufsrechts verzichtet habe.

Allerdings ist es für die Mitteilung und damit für den Fristbeginn entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, dass der Kaufvertrag der Realgemeinde tatsächlich vorliegt (vgl. (Mader/Schermaier, in: Staudinger, BGB, 2013, § 469 Rn. 10; OLG Stuttgart, Urt. v. 31.10.2012 - 3 U 18/12 -, juris Rn. 37; BGH, Urt. v. 23.06.2006 - V ZR 17/06 -, BGHZ 168, 152 ff., juris Rn. 18; zu eng Bay. VGH, Beschl. v. 15.10.2024 - 14 ZB 22.1667 -, juris Rn 3 f.; Urt. v. 08.12.2011 - 14 BV 10.559 -, juris Rn. 23, jeweils zu Art. 39 BayNatSchG). Das ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut von § 12 Abs. 3 Nds. RealvG i.V.m. § 469 BGB, der von einer Vorlage des Kaufvertrages nichts weiß. Zum anderen ergibt sich dies aus Sinn und Zweck der Regelungen, die eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des berechtigten Realverbandes über die Ausübung des Vorkaufsrechts ermöglichen wollen. Eine solche ist auch dann möglich, wenn der Inhalt des Kaufvertrages vollständig bekannt ist, ohne dass der Vertragstext selbst vorliegt.

Vorliegend spricht viel dafür, dass der Kläger den Vertragstext zur Mitgliederversammlung am 03.02.2018 mitgebracht hatte und die Einsichtnahme anbot, die Mitgliederversammlung den Text aber nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Protokoll der Mitgliederversammlung. Allerdings versichern sowohl der damalige 2. Vorsitzende als auch der damalige Schriftführer der Beklagten mit eidesstattlicher Versicherung vom 15.08.2021 (GA Bl. 108, 108R), dass der Vertragstext zur Mitgliederversammlung vorlag und er im Rahmen der Versammlung von allen hätte eingesehen werden können. Dem ist die Beklagte mit Verweis auf das Protokoll entgegengetreten. Der Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen ist damit nach Auffassung der Einzelrichterin nicht wiederlegt, weil das Protokoll nur den wesentlichen Inhalt und das Ergebnis der Durchführung der Mitgliederversammlung wiedergibt.

Geht man davon aus, dass die Mitteilung nach § 12 Abs. 3 Nds. RealvG am 03.02.3018 erfolgt ist, übte die Beklagte ihr Vorkaufsrecht zu spät aus.

Die Frage kann aber im Ergebnis offenbleiben, weil die Beklagte bei der Entscheidung, das Vorkaufsrecht auszuüben, ermessensfehlerhaft gehandelt hat (zur Begrenzung des Vorkaufsrechts im Ermessenswege vgl. Nds. OVG, Urt. v. 03.08.2016 - 10 LB 14/16 -, juris Rn. 54, dort aber dogmatisch offengelassen) und der Bescheid deshalb rechtswidrig ist.

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, § 40 VwVfG. Sinn und Zweck von § 12 Abs. 1 Nr. 2 Nds. RealvG ist es, dem Interesses eines Realverbandes an der Erhaltung eines geschlossenen und einheitlich zusammengesetzten Mitgliederbestandes - also eines mit örtlichem Bezug - Rechnung zu tragen (Nds. OVG, Urt. v. 03.08.2016 - 10 LB 14/16 -, juris Rn. 53 mit Hinweis auf das zu § 12 Abs. 1 Nr. 1 RealvG ergangene Urt. v. 17.06.2014 - 10 LC 81/12 -, juris Rn. 40). Nicht geschützt werden sollen der Einfluss und das Stimmgewicht der vorhandenen Mitglieder (ebd.).

Hier hat die Beklagte nicht im Rahmen des Zwecks von § 12 Abs. 1 Nr. 2 Nds. RealvG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 der Satzung gehandelt. Ausweislich der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids stand die Wahrung des örtlichen Bezugs der Beklagten nicht in Rede. Vielmehr zielte die Beklagte zum einen (und vordergründig) darauf ab, einer Kumulation von Anteilen beim Kläger entgegenzuwirken und zum anderen, ihre Funktionsfähigkeit und Arbeitsweise zu schützen, die durch die dem Kläger vorgeworfene unterbliebene Information und Manipulation gelitten hatte. Es ging also darum, den internen Streit zu neutralisieren, der sich daran entzündet hatte, dass der Kläger als 1. Vorsitzender entgegen der eingeübten Gewohnheit nicht vorab mitgeteilt hatte, dass er beabsichtige, die Anteile der Beigeladenen zu kaufen. Hierzu erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, er habe bei einer Fortbildung zum Realverbandsrecht davon erfahren, dass es eine derartige Pflicht zur Vorabinformation nicht gebe.

Es kann hier offenbleiben, ob ausnahmsweise die Ausübung des Vorkaufsrechts auch gerechtfertigt ist, um eine übermäßige Kumulation von Anteilen in einer Hand zu vermeiden. Dagegen spricht die Regelung des § 23 Abs. 3 Nds. RealvG, nach der in einem Realverband mit mehr als zwei Mitgliedern niemand mehr als zwei Fünftel aller Stimmanteile hat. Die an sich zulässige Häufung von Verbandsanteilen (§ 7 Abs. 3 Nds. RealvG) kann danach nur zu einer Beschränkung des Stimmrechts führen. Selbst wenn die Verhinderung einer Kumulation hier aber ein zu berücksichtigender Belang wäre, könnte er hier nicht das Vorkaufsrecht begründen. Der Kläger hatte vor dem Kauf zwei, danach vier von insgesamt 60 Verbandsanteilen, mithin weniger als 10 %. Von einer die Funktionsfähigkeit der Beklagten behindernden Kumulation kann also nicht die Rede sein. Auch die Befriedung eines internen Streits - an dem der Kläger, der einer Mediation zugestimmt hätte und sich in der mündlichen Verhandlung vergleichsbereit zeigte, ebenfalls Interesse hat - ist kein Belang, der dem Zweck des Vorkaufsrechts entspricht.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.