Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.03.2024, Az.: 3 A 201/21

Guinea; Vergewaltigung in der Ehe; Zwangsehe; Flüchtlingseigenschaft für eine zwangsverheiratete Frau aus Guinea

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.03.2024
Aktenzeichen
3 A 201/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 12536
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2024:0319.3A201.21.00

[Tatbestand]

Die am XX.XX.XXXX geborene Klägerin ist guineische Staatsangehörige und lebte vor ihrer Ausreise zuletzt in Conakry. Die Klägerin hatte zuvor in Paris studiert. Sie reiste am 02.08.2019 aus ihrer Heimat aus und, über Portugal und Frankreich kommend, am 12.08.2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte sie am 16.10.2019 einen Asylantrag, zu dessen Gründen sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 11.12.2019 angehört worden ist. Dabei gab sie zur Begründung ihres Antrags im Wesentlichen an, sie sei von ihrem Studienort Paris unter dem Vorwand, ihre Mutter sei schwer erkrankt, nach Guinea zurückgelockt worden. Hier sei sie am 14.07.2019 angekommen. Sie habe ihren Onkel besucht und dort habe man ihr offenbart, dass sie einen Mann, den sie bis dahin nicht gekannt habe, heiraten müsse. Die Hochzeit sei am 16.07.2019 gegen ihren Willen erfolgt. Ihre Eltern und Geschwistern seien bei dieser Zeremonie nicht zugegen gewesen. Sie habe dann zu diesem Mann ziehen und mit ihm zusammenleben müssen. Dort hätten noch zwei weitere Frauen gelebt, mit denen er verheiratet gewesen sei. Diese seien jedoch, ebenso wie der Mann, wesentlich älter gewesen als sie, die Klägerin. Sie sei von ihrem Ehemann mehrfach vergewaltigt und misshandelt worden. Sie habe bei ihm in der Zeit bis zum 30.07.2019 gelebt. Dann sei ihr während eines Einkaufs mit Hilfe einer Freundin die Flucht gelungen. Sie sei sehr krank gewesen und die Freundin habe ihr einen Arzt besorgt. Die Schwester der Freundin habe ihr das Geld für einen Flug nach Frankreich ausgelegt und sie sei dorthin geflohen. Hier habe sie sich zunächst in Paris vom 3. bis zum 12.08.2019 aufgehalten. Sie habe das Land dann aber verlassen, weil sehr viele Verwandte von ihr in Frankreich lebten. In Frankreich habe sie auch deshalb nicht bleiben können, weil die Studiengebühr für das kommende Semester 7.380,00 Euro gekostet hätte, die sie ohne die Unterstützung ihres Vaters nicht hätte aufbringen können. Ihr Vater habe sie nicht weiter unterstützen wollen, weil sie ihren Ehemann verlassen habe.

Darüber hinaus machte die Klägerin ein gesundheitliches Abschiebungsverbot geltend. Sie legte hierzu einen Entlassungsbrief des Asklepios Fachklinikums in C-Stadt vom 23.06.2020 sowie zwei Atteste derselben Einrichtung vom 15. und 16.07.2020 vor. Aus diesen Attesten ergibt sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Mit Bescheid vom 29.07.2021 lehnte es die Beklagte ab, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss ihres Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Guinea androhte. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Maßnahmen, denen die Klägerin ausgesetzt gewesen sei, seien nicht asylerheblich. Sie hätten nicht an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe angeknüpft. Dies gelte sowohl für die Zwangsheirat wie auch für die Vergewaltigung während der Ehe. Eine Genitalverstümmelung drohe der Klägerin ebenso wenig; diese habe bei ihr bereits im Jugendalter stattgefunden. Im Übrigen sei der Vortrag der Klägerin unglaubhaft. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Vater der Klägerin viel Geld in ein Studium stecke, um seine Tochter dann doch zwangszuverheiraten. Die Klägerin habe auch keine Erklärung dafür bieten können, warum ihre Eltern und Geschwister nicht bei ihrer Hochzeit anwesend gewesen seien. Es sei unklar geblieben, ob der Vater ihren Ehemann ausgesucht habe. Auch warum sie nicht bei ihrem Bruder, der den Vater doch überredet habe, die Klägerin in Frankreich studieren zu lassen, Schutz gesucht habe, sei unerklärlich. Ein innerstaatlicher Konflikt bestehe in Guinea nicht. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen gesundheitlicher Gründe könne nicht angenommen werden. Die hierfür vorgelegten Atteste erfüllten nicht die gesetzlichen Anforderungen.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 20.08.2021 Klage erhoben.

Zu deren Begründung macht sie geltend, bei der Zwangsverheiratung handele es sich um geschlechtsspezifische Verfolgung. Sie habe keine innerstaatliche Fluchtalternative und der Staat verfolge weder die Zwangsverheiratung noch die Vergewaltigung während der Ehe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 29.07.2021 zu verpflichten,

der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, bezogen auf Guinea, vorliegen.

Die Beklagte beantragt,dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist in mündlicher Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass diese ihr die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt. Der dem entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 29.07.2021 ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - Qualifikationsrichtlinie - (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.

Es obliegt bei alledem dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 - 9 C 32/87; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90, jeweils zitiert nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405/89, juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90, juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84, zitiert nach juris).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Gemessen an diesen Vorgaben, steht der Klägerin ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zur Seite. Anders als die Beklagte, hält der Einzelrichter das Vorbringen der Klägerin zu ihrem Verfolgungsschicksal für glaubhaft. Die Klägerin vermochte in der mündlichen Verhandlung etwaige Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer bisherigen Aussagen auszuräumen. Das Gericht geht deshalb von folgendem Sachverhalt aus:

Die Klägerin hatte in Paris studiert und wurde am 14.07.2019 unter dem Vorwand, ihre Mutter sei schwer krank in ihre Heimat Guinea zurückgelockt. Sie hatte in diesem Zusammenhang mit ihrem Vater und ihrer großen Schwester in Conakry telefoniert, die ihr glaubhaft versicherten, ihre Mutter befinde sich im Krankenhaus. Angekommen in Conakry, stellte die Klägerin erfreut fest, dass ihre Mutter zuhause und offenbar aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Erst in der Folge der kommenden Ereignisse wurde der Klägerin klar, dass ihre Mutter nie in einem Krankenhaus gewesen und die Geschichte von Familienangehörigen der Klägerin ausgedacht worden war, um sie von Paris nach Guinea zu locken. Am 16.07.2019 besuchte die Klägerin ihren Onkel. Immer noch nichts ahnend, wurde sie auf Betreiben ihres Onkels und ihres Vaters und mit Hilfe einiger weiteren weiblichen Mitglieder der Familie gegen ihren Willen mit einem deutlich älteren Mann verheiratet, der bereits zwei Frauen hatte. Während der gesamten Hochzeitszeremonie war sie unter Beobachtung von Familienmitgliedern und konnte sich der Heirat nicht entziehen. Noch am selben Tag, den 16.06.2019 zog die Klägerin zu ihrem Ehemann, bei dem sie bis zu ihrer Flucht am 30.07.2019 blieb. Während dieser Zeit wurde sie von diesem Mann misshandelt und mehrfach missbraucht. Einen Einkauf nutzte die Klägerin zur Flucht, wobei ihr eine Freundin half. Diese besorgte ihr zunächst einen Arzt, weil es ihr sehr schlecht ging. Die Schwester dieser Freundin besorgte sodann ein Flugticket, mit dem sie am 02.08.2019 über Portugal nach Frankreich reisen konnte und nach einem zehntägigen Aufenthalt dort nach Deutschland kam. Von diesem Sachverhalt ist der Einzelrichter aufgrund der klägerischen Angaben bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 11.12.2019, vor allem aber aufgrund ihrer Äußerungen in der mündlichen Verhandlung überzeugt. In Anbetracht des erlittenen Verfolgungsschicksals verständlich, schilderte die Klägerin die Abläufe vor, während und nach ihrer Zwangsheirat sehr emotional und persönlich betroffen. Es entstand zu keinem Zeitpunkt der Eindruck, dass die Klägerin eine ausgedachte Geschichte wiedergibt. Insbesondere der Zwiespalt, in den ihre Familie sie getrieben hatte und hat, wurde immer wieder deutlich. So konnte die Klägerin klarmachen, dass nach der Tradition ihres Stammes, der Fulla, die Familie über allem stehe. Familie sei das Leben und habe das letzte Wort. Aus diesem Selbstverständnis heraus, wird deutlich, warum die Klägerin - unabhängig von den geringen Erfolgsaussichten, zu denen unten noch auszuführen sein wird - keine Polizei eingeschaltet hat, um sich gegen die Zwangsverheiratung und die Vergewaltigungen in der Ehe zur Wehr zu setzen. Für die Klägerin, die dies unter Tränen berichtete, ist klar, dass mit ihrer Flucht aus dieser Zwangsehe das familiäre Band zu den Personen, die ihr das meiste bedeuten unwiederbringlich zerschnitten ist. Denn sie hat sich dem Willen ihres Vaters und ihres - nach guineischem Moralverständnis rechtmäßigen - Ehemannes widersetzt. Dies geschah in Kenntnis der eintretenden familiären Folgen und zeigt, wie unerträglich die Situation der Klägerin in der Ehe hat sein müssen. Sie selbst beschreibt dies mit den Worten, sie sei lieber tot, als dass sie zu diesem Mann zurückgehe. Auch die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid angeführten Anhaltspunkt für die Unglaubwürdigkeit der Klägerin vermochte diese in mündlicher Verhandlung zu entkräften. So machte sie deutlich, dass ihre Mutter dagegen gewesen sei, sie zwangszuverheiraten. Deren Wille sei vom Vater mit der Drohung gebrochen worden, er ließe sich scheiden, wenn sie nicht mitspiele und mit der Zwangsehe der Tochter einverstanden sei. Dies ist ebenso nachvollziehbar wie die gegenüber dem der Klägerin ebenfalls eigentlich wohlgesonnenen Bruder ausgesprochene Drohung, ihn mit einem Voodoo-Zauber zu überziehen, sollte er der Klägerin etwas verraten und etwas gegen die Zwangsheirat unternehmen. Schließlich bedrohte der Vater der Klägerin nach deren auch insoweit detailreichen und schlüssigen Vorbringen sogar noch deren Freundin, die eine ganze Weile nach der Flucht der Klägerin noch den telefonischen Kontakt zwischen dieser und ihrer Mutter aufrechterhalten hatte, so dass die Klägerin seitdem zu keinem ihrer Familienmitglieder mehr Kontakt hat. Die Klägerin hat nachvollziehbar auch darlegen können, dass und mit welcher Motivation ihr Vater ihren Ehemann ausgesucht hat. Es waren dies nach dem überzeugenden Vorbringen der Klägerin rein geschäftliche Überlegungen, da der Ehemann und der Vater der Klägerin Geschäftspartner gewesen sind. Die Zerrissenheit der gesamten Familie in dieser Angelegenheit erklärt schließlich auch, warum die Eltern und Geschwister der Klägerin nicht bei der Hochzeitsfeier anwesend gewesen sind. Schließlich macht aus Sicht der Klägerin auch die Flucht aus Frankreich nach Deutschland sind. In Frankreich gibt es nach den glaubhaften Schilderungen zahlreiche Familienangehörige der Klägerin, was auch der Grund war, dass die Klägerin dort überhaupt hat studieren dürfen; denn diese waren in der Lage eine soziale Kontrolle über die Klägerin auszuüben. Sie wären auch in der Lage gewesen, den Vater der Klägerin zu informieren, wo sich die Klägerin aufhält, mit der Folge, dass er sie holen gekommen wäre, um sie wieder ihrem Ehemann zu übergeben. Die Klägerin hat sehr anschaulich und emotional betroffen geschildert, wie sie sich eines solchen Rückführungsversuchs ihres Vaters aus familiärem Pflichtbewusstsein heraus nicht hätte erwehren können. In Deutschland lebt indes kein Familienangehöriger der Klägerin, so dass eine solche Gefahr hier nicht existiert.

Die Klägerin war mithin Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3 a Abs. 2 Nr. 1 und 6 AsylG ausgesetzt. Diese Verfolgung knüpft an ein asylerhebliches Merkmal an, so dass der Anwendungsbereich des §§ 3 Abs. 1, 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG eröffnet ist. Zwangsehe und Vergewaltigung in der Ehe treffen die Klägerin als Angehörige einer sozialen Gruppe im Sinne der genannten Vorschriften. Das Gericht folgt der aktuellen Rechtsprechung des EuGH, der in seinem Urteil vom 16.01.2024 -C 621/21 -, zitiert nach juris ausgeführt hat:

Rn. 40

"Was insbesondere den Grund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" betrifft, ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 1, dass eine Gruppe als "bestimmte soziale Gruppe" gilt, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Erstens müssen die Mitglieder der betreffenden Gruppe zumindest eines der folgenden drei Identifizierungsmerkmale teilen, nämlich "angeborene Merkmale" oder "einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann", oder "Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung ..., die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten". Zweitens muss diese Gruppe im Herkunftsland eine "deutlich abgegrenzte Identität" haben, "da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird".

Rn. 41

Zudem wird in Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 2 u. a. erläutert, dass "[g]eschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, ... zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt [werden]". Diese Bestimmung ist im Licht des 30. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2011/95 zu lesen, wonach die geschlechtliche Identität mit bestimmten Rechtstraditionen und Bräuchen im Zusammenhang stehen kann, wie z. B. Genitalverstümmelungen, Zwangssterilisationen oder erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen.

Rn. 49

Was zweitens die in Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 vorgesehene und in Rn. 40 des vorliegenden Urteils wiedergegebene erste Voraussetzung für die Identifizierung einer "bestimmten sozialen Gruppe" betrifft, nämlich mindestens eines der drei in dieser Bestimmung genannten Identifizierungsmerkmale zu teilen, ist festzustellen, dass die Tatsache, weiblichen Geschlechts zu sein, ein angeborenes Merkmal darstellt und daher ausreicht, um diese Voraussetzung zu erfüllen.

Rn. 51

In Anbetracht der Angaben in der Vorlageentscheidung ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass Frauen sich einer Zwangsehe entzogen haben oder verheiratete Frauen ihre Haushalte verlassen haben, als "gemeinsamer Hintergrund, der nicht verändert werden kann", angesehen werden kann.

Rn. 52

Was drittens die zweite Voraussetzung für die Identifizierung einer "bestimmten sozialen Gruppe" angeht, die sich auf die "deutlich abgegrenzte Identität" der Gruppe im Herkunftsland bezieht, ist festzustellen, dass Frauen von der sie umgebenden Gesellschaft anders wahrgenommen werden können und in dieser Gesellschaft eine deutlich abgegrenzte Identität insbesondere aufgrund in ihrem Herkunftsland geltender sozialer, moralischer oder rechtlicher Normen zuerkannt bekommen können.

Rn. 53

Diese zweite Voraussetzung für die Identifizierung wird auch von Frauen erfüllt, die ein zusätzliches gemeinsames Merkmal teilen, wie eines der in den Rn. 50 und 51 des vorliegenden Urteils genannten, wenn die in ihrem Herkunftsland geltenden sozialen, moralischen oder rechtlichen Normen dazu führen, dass diese Frauen aufgrund dieses gemeinsamen Merkmals von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden.

Rn. 57

Folglich können Frauen insgesamt als einer "bestimmten sozialen Gruppe" im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 zugehörig angesehen werden, wenn feststeht, dass sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt und häuslicher Gewalt, ausgesetzt sind.

Rn. 58

Wie der Generalanwalt in Nr. 79 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können Frauen, die eine Zwangsehe ablehnen, in einer Gesellschaft, in der eine solche Praxis als eine soziale Norm angesehen werden kann, oder Frauen, die eine solche Norm brechen, indem sie diese Ehe beenden, als Teil einer sozialen Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität in ihrem Herkunftsland angesehen werden, wenn sie aufgrund solcher Verhaltensweisen stigmatisiert werden und der Missbilligung durch die sie umgebende Gesellschaft ausgesetzt sind, was zu ihrem sozialen Ausschluss oder zu Gewaltakten führt.

Rn. 59

Fünftens hat der betreffende Mitgliedstaat bei der Beurteilung eines auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gestützten Antrags auf internationalen Schutz zu prüfen, ob die Person, die sich auf diesen Verfolgungsgrund beruft, im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 in ihrem Herkunftsland wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe "begründete Furcht" vor Verfolgung hat.

Rn 61

Zu diesem Zweck sollten, wie in Rn. 36 Ziff. x der Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 1 ausgeführt wird, Informationen über das Herkunftsland eingeholt werden, die für Anträge von Frauen auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus von Bedeutung sind, zum Beispiel über die Rechtsstellung der Frau, ihre politischen Rechte, ihre bürgerlichen und wirtschaftlichen Rechte, die kulturellen und sozialen Sitten und Gebräuche des Landes und die Folgen, wenn sich eine Frau darüber hinwegsetzt, das Vorhandensein grausamer traditioneller Praktiken, Häufigkeit und Formen von Gewalt gegen Frauen und wie Frauen davor geschützt werden, die für solche Gewalttäter vorgesehenen Strafen und welche Risiken eine Frau möglicherweise erwarten, wenn sie in ihr Land zurückkehrt, nachdem sie einen solchen Antrag gestellt hat.

Rn. 62

Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen zu antworten, dass Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass je nach den im Herkunftsland herrschenden Verhältnissen sowohl die Frauen dieses Landes insgesamt als auch enger eingegrenzte Gruppen von Frauen, die ein zusätzliches gemeinsames Merkmal teilen, als "einer bestimmten sozialen Gruppe" zugehörig angesehen werden können, im Sinne eines "Verfolgungsgrundes", der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann.

Rn. 69

Eine solche Auslegung wird auch durch Rn. 21 der Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 1 bestätigt, in der es heißt: "Wenn die Gefahr der Verfolgung, die mit einem der [Gründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention] in Beziehung steht, von einem nichtstaatlichen Akteur ausgeht (z. B. dem Ehemann, dem Partner oder einem anderen nichtstaatlichen Akteur), ist der kausale Zusammenhang gegeben, gleichgültig, ob das Fehlen von staatlichem Schutz mit [der Genfer Flüchtlingskonvention] in Verbindung gebracht werden kann oder nicht. Umgekehrt ist der kausale Zusammenhang auch dann hergestellt, wenn das Verfolgungsrisiko durch einen nichtstaatlichen Akteur in keiner Beziehung zu einem Konventionsgrund steht, aber die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft des Staates, Schutz zu bieten, auf einem Konventionsgrund beruht."

Rn. 70

Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass es, wenn eine antragstellende Person angibt, in ihrem Herkunftsland Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu befürchten, nicht erforderlich ist, eine Verknüpfung zwischen einem der in Art. 10 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Verfolgungsgründe und solchen Verfolgungshandlungen festzustellen, wenn eine solche Verknüpfung zwischen einem dieser Verfolgungsgründe und dem Fehlen von Schutz vor diesen Handlungen durch die in Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Akteure, die Schutz bieten können, festgestellt werden kann."

Als Frau, die sich einer Zwangsehe entzogen hat und vor Misshandlungen während der Ehe geflohen ist und einem Land wie Guinea, in dem gegen Zwangsehen und eheliche Gewalt nicht vorgegangen wird, ist die Klägerin als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe anzusehen. Der guineische Staat ist, wie nachfolgend zu zeigen ist, nicht willens gegen derartige familienbezogene Missstände vorzugehen, so dass auch ein Verfolgungsakteur im Sinne von § 3 c Nr. 3 AsylG gegeben ist.

Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 7.4.21 (Stand: Januar 2021) heißt es auf Seite 10 dazu:

"1.8 Geschlechtsspezifische Verfolgung

Die Verfassung gewährleistet in Artikel 8 der Verfassung die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. Erfolgen im Bereich rechtlicher Gleichstellung stehen jedoch anhaltende diskriminatorische Praktiken und erhebliche kulturelle und gesellschaftliche Widerstände gegenüber. Zudem sind Frauen weit häufiger als Männer Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt, 92 % der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren waren mindestens einmal davon betroffen, die Rate häuslicher Gewalt liegt bei 63 %. Die steigende Anzahl von Vergewaltigungen minderjähriger Mädchen ist alarmierend, mehr als die Hälfte aller angezeigten Vergewaltigungen 2019 betrafen Mädchen im Alter zwischen 11 und 15 Jahren. Sexuell motivierte Taten, von Belästigungstatbeständen bis hin zur Vergewaltigung, werden den guineischen Strafverfolgungsbehörden kaum angezeigt und dann dort nur in Einzelfällen weiterverfolgt."

Das österreichische BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Guinea, v. 29.9.2023 führt aus:

"18. Relevante Bevölkerungsgruppen

18.1. Frauen

In Guinea herrscht nach wie vor eine erhebliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern (BS 23.2.2022). Das Gesetz sieht für Frauen nicht den gleichen Rechtsstatus und die gleichen Rechte vor wie für Männer, unter anderem in Bezug auf Erbschaft, Eigentum, Beschäftigung, Kredite und Scheidung (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023, BS 23.2.2023). Zudem sind Frauen sowohl im formellen als auch im traditionellen Rechtssystem mit weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung und Benachteiligung konfrontiert (FH 2023).

Das Gesetz stellt Vergewaltigung und häusliche Gewalt unter Strafe, aber beides kommt häufig vor, und die Behörden verfolgen die Täter nur selten. Das Gesetz geht nicht auf Vergewaltigungen in der Ehe oder auf das Geschlecht der Überlebenden ein. Vergewaltigung wird mit fünf bis 20 Jahren Gefängnis bestraft (USDOS 20.3.2023). Überlebende von Vergewaltigung werden nicht ausreichend geschützt und es existierten kaum medizinische Versorgung, sexuelle und reproduktive Gesundheitsdienste, psychologische Unterstützung sowie rechtliche und soziale Hilfen bzw. sind diese schlecht erreichbar. Trotz mehrerer Sensibilisierungskampagnen gelang es der Regierung nicht, Vergewaltigungen zu verhindern. Oft wurden Opfer zum Schweigen oder zu einer außergerichtlichen Einigung mit dem Täter gezwungen oder stigmatisiert (AI 28.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Studien zufolge zögern die Opfer auch deshalb, weil sie befürchteten, dass die Polizei die Überlebenden auffordern würde, für die Ermittlungen zu bezahlen (USDOS 20.3.2023).

Die Regierung gewährte Überlebenden sexueller Gewalt Zugang zu Diensten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Multisektorale Ausschüsse auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene befassten sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt. Zu den Ausschussmitgliedern gehörten Angehörige der Gesundheitsberufe, der Polizei und der Verwaltungsbehörden. Gesundheitsfachkräfte boten den Überlebenden sexueller und häuslicher Gewalt medizinische Versorgung, einschließlich sexueller und reproduktiver Gesundheitsdienste, an (USDOS 20.3.2023).

In Fällen häuslicher Gewalt können die Behörden Anklage wegen allgemeiner Körperverletzung erheben, die mit zwei bis fünf Jahren Gefängnis und Geldstrafen geahndet wird. Gewalt gegen eine Frau, die eine Verletzung verursacht, wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe geahndet. Führt die Verletzung zu einer Verstümmelung, Amputation oder einem anderen Verlust von Körperteilen, ist eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren vorgesehen; stirbt das Opfer, wird die Tat mit lebenslanger Haft bestraft. Körperverletzung stellt nach dem Zivilrecht einen Scheidungsgrund dar, aber die Polizei greift nur selten in häusliche Streitigkeiten ein, und die werden nur selten gerichtlich bestraft (USDOS 20.3.2023).

ACCORD, Guinea: COI Compilation S. 43 fasst seine Erkenntnisse am 01.12.2023 wie folgt zusammen:

"According to official data of 2017, "about 63 percent of women have experienced intimate partner violence (IPV) at least once in their lives" and 54.9 percent of women living or having lived in a union have experienced GBV at least once during their married life, with young women (including very young girls) and women without education being more vulnerable to physical violence/GBV:

"By age, young women aged 15-24 and women aged 25-34 face the highest risk of experiencing physical GBV [gender-based violence] (60.9 percent and 69.7 percent, respectively). Women with no education are also more vulnerable to GBV than those with at least some level of educational attainment. Furthermore, nationally, nearly 29.3 percent of women have experienced at least one form of sexual violence since the age of 15, with the share higher in urban (35.4 percent) than in rural (25.8 percent) areas. In recent years several disturbing cases of sexual violence against very young girls and even toddlers have been reported in the media, raising concerns over this type of event." (The World Bank, 9 May 2023, p. 76)

The USDOS notes in its Country Report on Human Rights Practices for the year 2022, that rape and domestic violence were prohibited by law, but nevertheless occurred frequently.

Moreover, in both cases, authorities often failed to prosecute perpetrators. The USDOS also points to the stigma related to rape and domestic violence:

"The law criminalizes rape and domestic violence, but both occurred frequently, and authorities rarely prosecuted perpetrators. The law does not address spousal rape or the gender of survivors. Rape is punishable by five to 20 years in prison. Survivors often declined to report crimes to police due to custom, fear of stigmatization, reprisal, and a lack of cooperation from investigating police or gendarmes. Studies indicated citizens also were reluctant to report crimes because they feared police would ask the survivor to pay for the investigation.

In domestic violence cases, authorities may file charges under general assault, which carries sentences of two to five years in prison and fines. Violence against a woman that causes an injury is punishable by up to five years in prison and a fine. If the injury causes mutilation, amputation, or other loss of body parts, it is punishable by 20 years of imprisonment; if the victim dies, the crime is punishable by life imprisonment. Assault constitutes grounds for divorce under civil law, but police rarely intervened in domestic disputes, and courts rarely punished perpetrators. (USDOS, 20 March 2023, section 6)

Physical, sexual and verbal violence and forced marriages were the main types of GBV experienced by women who participated in a series of focus group discussions in 2014, as Mamadou Dioulde Balde of the Center for Research in Reproductive Health in Guinea (Cellule de recherche en santé de la reproduction en Guinée, CERREGUI) and co-authors note in a secondary analysis of data from the 2014 study (Balde et al., 20 February 2022, p. 3). They also note the lack of knowledge of the existing legislation on GBV as well as the lack of training on how to deal with cases of GBV (Balde et al., 20 February 2022, p. 2). However, there is also a high level of acceptance of GBV in Guinea, according to the World Bank:

"Moreover, Guinea has a high prevalence of and wide social tolerance for GBV [genderbased violence]. Indeed, about 63 percent of women have experienced IPV [intimate partner violence] at least once in their lives, and between 40 percent and 58 percent of respondents (depending on the survey) justify wife-beating." (The World Bank, 9 May 2023, p. 13)

Similarly, Balde and co-authors note that according to a nationwide study of 2018, "48% of women think it is justified for a man to beat his wife if she refuses to have sexual intercourse with him and 54% when the woman goes out without her spouse's permission." (Balde et al., 20 February 2022, p. 6).

AI points to the role of key actors in campaigns to raise awareness about GBV, such as the judiciary and religious authorities (AI, 27 September 2022, pp. 30-31), but also notes that several state institutions that might contribute to preventing sexual violence, such as the National Observatory to Combat Gender-Based Violence or the Independent National Human Rights Institute (Institution Nationale Indépendante des Droits Humains, INIDH) are either ineffective or lack financial means. Following the military coup of September 2021, the INIDH was reportedly dissolved (AI, 27 September 2022, p. 32)."

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zwar staatliche Gesetze sowohl gegen Zwangsheirat als auch - das schon mit Einschränkungen - gegen Vergewaltigung während der Ehe gibt, diese aber nicht, oder nur in seltensten Ausnahmefällen angewendet werden. Insgesamt besteht in Guinea eine weit reichende gesellschaftliche Akzeptanz für geschlechterbasierte häusliche Gewalt. Der Staat bietet nicht den von § 3 c Nr. 3 AsylG vorausgesetzten effektiven und umfassenden Schutz dagegen.

Auf internen Schutz im Sinne von § 3 e AsylG kann die Klägerin nicht verwiesen werden. Sie ist in ihrer Heimat ohne familiäre Unterstützung nicht in der Lage, sich ihr wirtschaftliches Existenzminimum zu sichern. Unabhängig von der zu verneinenden Frage, ob sie überhaupt irgendwo im Land vor ihrer Familie sicher wäre, kann hiervon in Conakry, wo sie ihre wirtschaftliche Existenz vielleicht noch am ehesten sichern könnte, nicht die Rede sein. Die Klägerin stammt von hier, ihre Familie lebt hier und sie ist vor ihr nicht sicher.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.