Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 09.01.2023, Az.: 1 E 10/23

Abschiebung; Betreten; Durchsuchung; Antrag auf richterliche Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung zur Sicherung der Abschiebung hier: nicht zur Nachtzeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
09.01.2023
Aktenzeichen
1 E 10/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10829
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0109.1E10.23.00

[Gründe]

Der Antrag vom 09.01.2023,

eine richterliche Anordnung zur Durchsuchung der Wohnung des o. g. Ausländers jeweils mit allen eventuell vorhandenen zugehörigen Nebenräumen, Kellern oder Garagen sowie Kraftfahrzeugen zum Zwecke der Durchführung der bereits terminierten Abschiebung am 11.01.2023 zu erlassen,

ist zulässig.

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.10.2022 - 1 B 65.22 -, juris Rn. 3 ff.; Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 2). Die Antragstellerin ist als die für die Durchführung der beabsichtigten Abschiebung des betroffenen Ausländers B. zuständige Behörde (vgl. Beschlüsse d. Kammer v. 25.08.2022 - 1 E 189/22 -, juris Rn. 2; v. 19.10.2022 - 1 E 230/22 -, juris Rn. 2; Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 14) antragsberechtigt, § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG.

In der Sache hat der Antrag in dem im Tenor bezeichneten Umfang Erfolg, im Übrigen aber keinen Erfolg.

Dem Antrag ist hinsichtlich einer Durchsuchung der Wohnung und aller Nebengelasse im beantragten Umfang sowie hinsichtlich von Kraftfahrzeugen in dem aus dem Tenor ersichtlichen konkretisierten Umfang zu entsprechen, soweit die Durchsuchung zur Tagzeit (ab 6 Uhr morgens) stattfinden wird. Insoweit hat die Antragstellerin die hierfür erforderlichen Voraussetzungen glaubhaft gemacht.

Rechtsgrundlage für die Durchsuchung ist § 58 Abs. 6 Satz 1, 3 und Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Nach § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (§ 58 Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 5 Satz 2 AufenthG). Gemäß § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG dürfen Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden.

Der betroffene Ausländer B. ist abzuschieben, § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Er ist vollziehbar ausreisepflichtig ist, weil er nach erfolgloser Durchsuchung eines Asylverfahrens nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt, § 58 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Die Ausreisefrist aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 04.05.2022 ist abgelaufen und seine freiwillige Ausreise ist nicht gesichert. Dies folgt daraus, dass er wiederholt straffällig geworden ist und damit erkennbar gemacht hat, dass er nicht bereit ist, sich der Rechtsordnung zu unterwerfen.

Im Hinblick auf das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) erfordert der Zweck der Durchführung der Abschiebung des betroffenen Ausländers die Durchsuchung i. S. d. § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG und ist verhältnismäßig (vgl. zu diesem Prüfungsumfang der richterlichen Durchsuchungsanordnung BVerfG, Beschl. v.14.07.2016 - 2 BvR 2474/14 -, juris Rn 18). Die Durchsuchung der Wohnung, der Nebenräume und Kraftfahrzeuge ist zur Ergreifung des Ausländers B. geeignet, weil es sich um seine Wohnanschrift handelt. Sie ist auch erforderlich, weil der Ausländer nicht freiwillig nach Durchführung des Asylverfahrens aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist ist. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Die Kammer schließt sich der Auffassung der Antragstellerin an, dass vom betroffenen Ausländer kein kooperatives Verhalten zu erwarten ist. Er ist in der Vergangenheit wegen Diebstahlsdelikten verurteilt worden, gegen ihn sind außerdem nach dem Vortrag der Antragstellerin Ermittlungsverfahren wegen anderer Delikte (sexuelle Belästigung, vorsätzliche Körperverletzung, Verstoß gegen das BtMG) anhängig. Hieraus ergibt sich, dass der Ausländer nicht bereit ist, sich der Rechtsordnung zu unterwerfen. Es ist zu erwarten, dass er versuchen wird, sich seiner Abschiebung zu entziehen. Vor diesem Hintergrund muss die Antragstellerin nicht dartun, zunächst erfolglos eine Abschiebung versucht zu haben. Sie muss auch nicht darlegen, dass bereits einmal oder mehrfach ein Betreten der Wohnung nach § 58 Abs. 5 AufenthG, für die der Richtervorbehalt nicht gilt, für eine erfolgreiche Abschiebung nicht ausreichend war (vgl. VG Braunschweig, Beschl. v. 22.01.2021 - 5 E 21/21 -, juris Rn. 26).

Soweit die Antragstellerin implizit die Anordnung einer Durchsuchung der Wohnung des betroffenen Ausländers zur Nachtzeit - ausweislich der Begründung des Antrags soll die Durchsuchung am 11.01.2023 um 4:45 Uhr stattfinden - beantragt, bleibt der Antrag ohne Erfolg.

Nach § 58 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darf die Wohnung zur Nachtzeit (d. h. zwischen 21 und 6 Uhr, vgl. § 104 Abs. 3 StPO, § 173 VwGO i.V.m. § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO) nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1, § 58 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Die Antragstellerin trägt zur Begründung des beabsichtigten Zeitpunkts der Durchsuchung lediglich organisatorische Gründe vor. Sie macht geltend, dass der betroffene Ausländer um 07:30 Uhr der Bundespolizei in E. übergeben werden solle und der Flug ("Chartermaßnahme") nach Georgen um 13 Uhr starten werde. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Ausländer bereits um 07:30 Uhr und damit 4,5 Stunden vor dem geplanten Ablauf am Flughafen E., der der Kammer als übersichtlich bekannt ist, übergeben werden muss. Aber selbst wenn 4,5 Stunden Vorlauf zwingend erforderlich sein sollten, sind keine Gründe vorgetragen, die einer Verschiebung des Abflugs in den Nachmittag entgegenstünden, damit eine Ergreifung des betroffenen Ausländers nach 6 Uhr möglich wäre. Vor diesem Hintergrund kann hier offenbleiben, ob organisatorische Rahmenbedingungen, die weder durch die zuständige Behörde noch durch bei der Abschiebung beteiligte sonstige deutsche Behörden beeinflusst werden können und damit deren Organisationsspielraum begrenzen, organisatorische Gründe im Sinne von § 58 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind (verneinend OVG NW, Beschl. v. 18.03.2021 - 18 E 221/21 -, juris Rn. 18; zu von Georgien organisierten Rückholcharterflügen Sächs. OVG, Beschl. v. 13.08.2021 - 3 B 277/21 -, juris Rn. 25). Andere Gründe, aus denen die Ergreifung des B. bei einer Durchsuchung zur Tagzeit vereitelt werden könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich aus dem Hinweis der Antragstellerin, eine zügige Abwicklung der Maßnahme sei vor dem Hintergrund der vom Ausländer B. begangenen Straftaten im Interesse der Behörden, nichts.

Die geplante Durchsuchung zur Nachtzeit wäre nach § 24 Abs. 4 NPOG ebenfalls unzulässig, weil die in § 24 Abs. 2 Nrn. 3, 4 und Abs. 3 NPOG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.

In entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO ist die vorstehende Entscheidung ohne vorherige Anhörung der Antragsgegner zu treffen, weil eine Anhörung im vorliegenden Fall den Zweck der ergangenen richterlichen Anordnung gefährden würde (zu den Voraussetzungen eines Absehens von der Anhörung vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 8). Es ist hier davon auszugehen, dass der als nicht rechtstreu bekannte betroffene Ausländer sich im Fall der vorherigen Anhörung seiner Ergreifung entziehen würde. Er ist auf die nachträgliche Anhörung zu verweisen.

Die Anordnung der Zustellung durch die Antragstellerin im Wege der Amtshilfe erfolgt nach § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 168 Abs. 2 ZPO.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 10). Gerichtskosten fallen nicht an, da es an einem einschlägigen Gebührentatbestand fehlt. Die Auslagen der Antragstellerin sind nicht erstattungsfähig. Das gilt auch für allfällige Auslagen des betroffenen Ausländers, da es sich angesichts seiner fehlenden Beteiligung nicht um ein kontradiktatorisches Verfahren handelt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschl. v. 30.09.2019 - 2 S 262/19 -, juris Rn. 24).