Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 26.08.2021, Az.: 8 U 70/21

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.08.2021
Aktenzeichen
8 U 70/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70062
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 08.02.2021 - AZ: 2 O 188/20

In dem Rechtsstreit
- pp. -
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht Dr. ... im schriftlichen Verfahren mit einer Erklärungsfrist bis zum 13. August 2021 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 8. Februar 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Dieses Urteil und das landgerichtliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 118.560,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Die Parteien verbindet mit Wirkung ab dem 1. Januar 20xx eine Betriebsschließungsversicherung. Danach sind Betriebsschließungen in Höhe von kalendertäglich 2.964,00 € bei einer Haftzeit von maximal 40 Tagen versichert. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz - BSV 2008 (im Folgenden: AVB) zugrunde.

Gemäß Abschnitt A § 1 Nr. 1 Buchst. a) AVB leistet der Versicherer unter anderem Entschädigung,

"wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt (...)"

In Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB heißt es sodann:

"Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten ...

b) Krankheitserreger ...".

Hinsichtlich des weiteren Inhalts der AVB und des Versicherungsscheins vom 15. Juni 2018 wird auf die Anlage K 1 und Anlage K 2 Bezug genommen.

Der Kläger betreibt ein Restaurant in H.

Mit Allgemeinverfügung vom 20. März 2020 ordnete die Region Hannover angesichts der Corona-Epidemie und zum Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet der Region Hannover gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), § 3 Abs. 3 NKomVG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NGöGD unter anderem die Schließung von Restaurants, Speisegaststätten, etc. für den Publikumsverkehr an.

Gemäß § 5 Abs. 1 der Niedersächsischen Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte anlässlich der Corona-Pandemie vom 27. März 2020 (Nds. GVBl., S. 48) wurde mit Wirkung ab dem 28. März 2020 der Betrieb von Restaurationsbetrieben, insbesondere Restaurants, Gaststätten, Imbisse etc. untersagt.

Aufgrund dessen schloss der Kläger in der Zeit vom 23. März 2020 bis zum 10. Mai 2020 sein Restaurant.

Der Kläger hat gemeint, dass die Aufzählung der versicherten Krankheiten in den Versicherungsbedingungen nicht abschließend sei. Vielmehr seien die Versicherungsbedingungen so auszulegen, dass sich in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB eine dynamische Verweisung auf die jeweils im IfSG aufgeführten Krankheiten befinde. Zwar werde das Coronavirus SARS-CoV-2 im Infektionsschutzgesetz explizit erst ab dem 23. Mai 2020 aufgeführt. Allerdings sei das Virus bereits vor diesem Zeitpunkt als meldepflichtige Krankheit von der Generalklausel in § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG erfasst gewesen. Im Übrigen verstoße die Regelung gegen das sich aus § 307 Abs. 1 BGB ergebende Transparenzgebot und sei daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB enthalte eine versteckte Haftungsbeschränkung, weil die darin enthaltene Auflistung von Krankheiten und Krankheitserregern nicht mit denen in §§ 6 und 7 IfSG übereinstimme.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 118.560,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Mai 2020 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 2.084,40 € zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei bereits deshalb unbegründet, weil nicht die Schließung eines konkreten Betriebes, nämlich des Klägers, angeordnet worden sei, sondern die Schließung sämtlicher Betriebe. Insoweit reiche eine Allgemeinverfügung nicht aus. Unabhängig hiervon scheitere ein Anspruch des Klägers aber auch daran, dass eine Betriebsschließung wegen des Coronavirus SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei. Die in den Versicherungsbedingungen befindliche Auflistung der einen Versicherungsschutz begründenden Krankheiten und Krankheitserreger sei abschließend.

Mit Urteil vom 8. Februar 2021 (Bl.51 ff. d. A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Betriebsschließung wegen des Coronavirus SARS-CoV-2 stelle keinen Versicherungsfall dar. Aus dem Fehlen eines die Enumerativität der Auflistung zum Ausdruck bringenden Zusatzes könne im Ergebnis nicht darauf geschlossen werden, dass sämtliche Krankheiten und Krankheitserreger umfasst seien. Das Wort "namentlich" sei in dem Kontext als Adjektiv zu verstehen. Ansonsten ergäbe der gesamte Satz in Abschnitt A § 1 Ziffer 2 AVB keinen Sinn. Bei der Aufzählung handele es sich um eine "praktische Liste", die aufgrund der Verwendung des Wortes "genannten" abschließend zu verstehen sei. Die Regelung sei weder überraschend noch unklar und benachteilige den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Das Landgericht habe verkannt, dass die gesamte Aufmachung der Versicherungsbedingungen darauf ausgerichtet sei, eine Versicherung der Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zu vermitteln. Demnach reiche aus, dass eine Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erfolge. Eine andere Kammer des Landgerichts Hannover habe einen Anspruch aus den fast identischen Bedingungen hergeleitet. Aus der Tatsache, dass bereits zwischen den Kammern eines Landgerichts unterschiedliche Auffassungen über den Umfang des Versicherungsschutzes beständen, ergebe sich, dass die Versicherungsbedingungen nicht eindeutig formuliert seien. Zu berücksichtigen sei, dass in § 3 der AVB Ausschlüsse vom Versicherungsschutz enthalten seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 118.560,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Mai 2020 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.084,40 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler im Sinne von §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit Abschnitt A § 1 Nr. 1 Buchst. a), Nr. 2 AVB zu. Der Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Gemäß Abschnitt A § 1 Nr. 1 Buchst. a) AVB leistet der Versicherer unter anderem Entschädigung, wenn der Betrieb des Versicherungsnehmers durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne von Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB geschlossen wird. Die behördlichen Anordnungen betreffend das Coronavirus SARS-CoV-2 unterfallen im vorliegenden Fall nicht dem Versicherungsschutz gemäß Abschnitt A § 1 Nr. 1, Nr. 2 AVB.

1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 31. März 2021 - IV ZR 221/19; BGH, Urteil vom 18. November 2020 - IV ZR 217/19; BGH, Urteil vom 8. Januar 2020 - IV ZR 240/18; BGH, Urteil vom 20. Juli 2016 - IV ZR 245/15).

2. Der in erster Linie maßgebliche Bedingungswortlaut macht einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer klar, dass der Versicherer lediglich das Risiko bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger übernehmen will. Verhielte es sich anders, hätte die Beklagte es bei der Regelung in Abschnitt A § 1 Nr.1 AVB belassen können. Die ergänzende Aufzählung in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB wäre demgegenüber nicht nur sinnlos, sondern - aufgrund der nur teilweisen Aufzählung der in §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger - auch falsch gewesen. Eine um Beachtung des Sinnzusammenhangs bemühte Auslegung muss deshalb zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei der Aufzählung in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB um eine abschließende Darstellung der versicherten Risiken handelt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 - 7 U 335/20).

3. Auch die Bezugnahme auf die in §§ 6, 7 IfSG "namentlich" genannten Krankheiten führt nicht zu einer abweichenden Auslegung. Zwar wird das Adverb "namentlich" mit Begriffen wie "besonders", "vor allem" oder "hauptsächlich" gleichgesetzt (vgl. Duden, 28. Aufl., Stichwort "2namentlich"), was für eine nur beispielhafte Aufzählung sprechen könnte. Ein solches Wortverständnis würde der im vorliegenden Fall von der Beklagten gewählten Verwendung des Wortes allerdings nicht gerecht. Denn die Beklagte verwendete diesen Begriff nicht als Adverb, sondern als Adjektiv. Damit machte sie deutlich, lediglich die in den §§ 6 und 7 IfSG konkret mit Namen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger in den Versicherungsschutz einbeziehen zu wollen (vgl. Duden, 28. Aufl., Stichwort "1namentlich"). Das wird durch den Zusatz "die folgenden" nochmals besonders hervorgehoben. Hiermit erreichte sie zugleich eine zusätzliche Klarstellung dahingehend, dass nicht alle in §§ 6, 7 IfSG aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger dem Versicherungsschutz unterfallen sollten, sondern nur die von der Beklagten ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger (vgl. auch Rixecker in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 11, Rn. 61).

Soweit demgegenüber, wie auch hier vom Kläger, eingewendet wird (Griese, VersR 2021, S. 147 <149 f.>), die auf sprachwissenschaftlicher Ebene bestehende unterschiedliche Verwendungsmöglichkeit schließe die Eindeutigkeit der AVB aus, kann dem nicht gefolgt werden. Denn als adverbiale Verbindung ergibt das Wort "namentlich" in dem Nebensatz "im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" keinen Sinn (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 06. Mai 2021 - 1 U 10/21 -, Rn. 27 ff., juris).

4. Dem Verständnis einer abschließenden Aufzählung der vom Versicherungsschutz erfassten Krankheiten und Krankheitserreger steht nicht der in Abschnitt A § 3 Nr. 4 AVB geregelte Risikoausschluss entgegen. Danach haftet der Versicherer nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.

Zwar zählt zu den Prionenerkrankungen unter anderem die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 d) IfSG explizit erwähnte humane spongiforme Enzephalopathie (vgl. Ackermann, Medizinische Mikrobiologie, Infektiologie, 2. Aufl., Seite 61). Auch ist der stellenweise in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Fortmann, RuS 2020, 665; Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., AVB BS 2002, Rn. 11) zuzustimmen, dass es dieses Risikoausschlusses angesichts der abschließenden Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB grundsätzlich nicht bedurft hätte. Auf der Grundlage des Ausschlusses von Prionenerkrankungen kann allerdings keine den Versicherungsnehmer begünstigende Auslegung der versicherten Risiken gemäß § 305c Abs. 2 BGB vorgenommen werden. Denn eine solche Auslegung setzt immer einen gewissen Auslegungsspielraum voraus. Das ist angesichts der eindeutig abschließenden Formulierung in Abschnitt A § 1 Nr. 1 und Nr. 2 AVB aber nicht der Fall. Vielmehr ist die Definition der versicherten Risiken klar auf die aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger begrenzt und auch für einen nicht juristisch ausgebildeten Laien nicht misszuverstehen. Wenn aber die Beschreibung des versicherten Risikos keine vernünftigen Zweifel an dessen Umfang aufkommen lässt, dann fehlt es bereits an der Grundlage für eine Auslegung der entsprechenden Klausel zugunsten des Versicherungsnehmers.

5. Mit der Risikoausschlussklausel in Abschnitt A § 3 AVB lässt sich auch kein Verstoß gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und auf dieser Grundlage eine Unwirksamkeit der abschließenden Aufzählung in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB begründen. Insbesondere stellt die Risikoausschlussklausel in Abschnitt A § 3 AVB keinen Widerspruch zu der eindeutig abschließenden Definition des versicherten Risikos in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB dar.

a. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgt aus dem für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Transparenzgebot, dass die Rechtsposition des Vertragspartners nicht unklar geregelt sein darf. Bereits die Klauselfassung muss der Gefahr vorbeugen, dass der Kunde von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Durch eine unzutreffend oder missverständlich formulierte Klausel darf der Vertragspartner nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2007 - V ZR 283/06; BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 - VIII ZR 121/04).

b. Im vorliegenden Fall wird der Versicherungsnehmer durch die Definition der versicherten Risiken und den nachfolgenden Risikoausschluss aber nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten. Dabei ist bereits fraglich, inwieweit ein durchschnittlicher, medizinisch in der Regel nicht spezialisierter Versicherungsnehmer zwischen der in Abschnitt A § 3 Nr. 4 AVB erwähnten Prionenerkrankung einerseits und den in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB aufgeführten Krankheiten und Krankheitserregern zu differenzieren vermag, zumal die nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige humane spongiforme Enzephalopathie nur eine von mehreren Erscheinungsformen der Prionenerkrankung darstellt (vgl. Mattle/Mumenthaler, Neurologie, 13. Aufl., Seite 100, 101). Doch selbst wenn das der Fall wäre, käme er im Ausgangspunkt zu keinen widersprüchlichen Ergebnissen. Denn die Risikoausschlussklausel beinhaltet lediglich eine Bestätigung der dem Versicherungsnehmer ohnehin bereits vermittelten Informationen dahingehend, dass über die in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger hinaus kein Versicherungsschutz besteht und dass das auch - erst recht - bei einer Prionenerkrankung nicht der Fall ist.

Auf der Grundlage einer solchen Lesart besitzt die Risikoausschlussklausel lediglich eine klarstellende Bedeutung. Von einer Intransparenz der abschließenden Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB kann im Lichte eines solchen Verständnisses der Versicherungsbedingungen keine Rede sein.

c. Weitergehende Rückschlüsse könnte ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer aus der Risikoausschlussklausel nur dann ziehen, wenn ihm bekannt wäre, dass Versicherer in ihren Versicherungsbedingungen üblicherweise um die Vermeidung von Redundanzen bemüht sind. Nur in dem Fall würde sich für ihn die Frage stellen, ob die Risikoausschlussklausel nicht nur als eigentlich überflüssige Klarstellung zu verstehen ist, sondern möglicherweise eine weitergehende Leistungspflicht des Versicherers wieder einschränken soll.

Eine solche Überlegung setzt allerdings genau die versicherungsrechtlichen Spezialkenntnisse voraus, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen nicht herangezogen werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 - IV ZR 235/19; BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 - IV ZR 292/14; BGH, Urteil vom 25. Juli 2012 - IV ZR 201/10; BGH, Urteil vom 19. Mai 2004 - IV ZR 29/03; BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92; BGH, Urteil vom 16. Juni 1982 - IVa ZR 270/80).

Doch selbst wenn man solche Spezialkenntnisse heranziehen wollte, würde ein Versicherungsnehmer dann lediglich zu dem Ergebnis kommen, dass neben der - eher ungewöhnlichen - Wiederholung einer bereits zuvor getroffenen Aussage auch die Möglichkeit eines Widerspruchs in Betracht zu ziehen wäre. Weil aber die vorangegangene Aufzählung der versicherten Risiken in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB erkennbar abschließend ist, wird ein Versicherungsnehmer im Anschluss der Möglichkeit einer lediglich klarstellenden Risikoausschlussklausel in Abschnitt A § 3 Nr. 4 AVB den Vorzug geben.

6. Die abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB stellt auch keinen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB dar.

a. Mit der abschließenden Aufzählung der versicherten Risiken verstoßen die Versicherungsbedingungen nicht gegen ein gesetzliches Leitbild im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Ob eine Formularbestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vereinbar ist oder nicht, beurteilt sich maßgeblich danach, ob die gesetzliche Regelung auf die Interessen beider Parteien berücksichtigenden Gerechtigkeitserwägungen beruht oder reinen Zweckmäßigkeitserwägungen folgt. Denn verdanken Vorschriften des dispositiven Rechts ihre Entstehung einem sich aus der Natur der Sache ergebenden Gerechtigkeitsgebot, so müssen bei einer abweichenden Regelung durch AGB regelmäßig Gründe vorliegen, die für die von ihnen zu regelnden Fälle das dem dispositiven Recht zugrundeliegende Gerechtigkeitsgebot infrage stellen und eine abweichende Regelung als mit Recht und Billigkeit vereinbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2017 - VIII ZR 13/17).

b. Im vorliegenden Fall stellt Abschnitt A § 1 Nr. 1 Buchst. a), Nr. 2 AVB bereits deshalb keinen Verstoß gegen ein gesetzliches Leitbild dar, weil es keine gesetzlichen Vorgaben zum Deckungsschutz einer Betriebsschließungsversicherung gibt. Das VVG selbst enthält keine speziellen Vorschriften zur Betriebsschließungsversicherung. Auch die allgemeinen Bestimmungen des VVG werden von der streitgegenständlichen Klausel nicht berührt. Ebenso wenig kann ein solches Leitbild aus §§ 6, 7 IfSG abgeleitet werden. Diese Vorschriften beruhen nicht auf einem Ausfluss von Gerechtigkeitserwägungen. Es handelt sich vielmehr um eine Vorschrift des öffentlichen Rechts, die ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten dient (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 - 7 U 335/20).

7. Durch die Klausel in Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB wird auch nicht die Erreichung des Vertragszwecks unzulässig gefährdet, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Dies ist nur dann der Fall, wenn AGB-Klauseln wesentliche Rechte oder Pflichten entgegen den vertragstypischen Erwartungen des redlichen Geschäftsverkehrs einschränken. Insoweit fehlt es aber bereits an typischen Erwartungen des Geschäftsverkehrs an eine Betriebsschließungsversicherung. Die enumerative Aufzählung dem versicherten Risiko unterfallender Krankheiten und Krankheitserreger ist vielmehr eine von mehreren typischen Ausprägungen einer solchen Versicherung (vgl. Rixecker in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl., § 11, Rn. 60, 61).

Insoweit mag aus Sicht des Versicherungsnehmers das berechtigte Interesse bestehen, auch zukünftig entstehende Krankheiten und Krankheitserreger, die noch nicht vom IfSG erfasst sind, in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Dass dieses Interesse nach den vorliegenden AVB nicht abgedeckt ist, stellt aber keine Gefährdung des Vertragszwecks dar. Denn jedenfalls aus Sicht des Versicherers besteht das Interesse, nur die bislang bekannten und kalkulierbaren Risiken auf der Grundlage der ihm bekannten Krankheiten und Krankheitserreger abzusichern. Soweit der Versicherungsnehmer einen darüberhinausgehenden Schutz erstrebt, bedürfte es angesichts der namentlichen Auflistung ganz bestimmter Krankheiten und Krankheitserreger einer ausdrücklichen Vereinbarung über den insoweit unbegrenzten Versicherungsschutz.

8. Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger stellt auch im Übrigen keine unangemessene Regelung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Zwar ist auch das Leistungsversprechen des Versicherers einer Inhaltskontrolle zugänglich, sofern die Unwirksamkeit der Klausel nicht aufgrund einer dann fehlenden Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts zur Unwirksamkeit des Vertrags insgesamt führen würde (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1994 - IV ZR 107/93).

Allerdings liegen die Voraussetzungen einer unangemessenen Benachteiligung nicht vor. Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Vertragsgestaltung die Eigeninteressen des Verwenders gegenüber den Interessen des Vertragspartners ohne rechtfertigenden Grund unverhältnismäßig stark zur Geltung bringt, ohne dass dies durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2004 - III ZR 293/03). Im vorliegenden Fall übernahm die Beklagte in ihren Versicherungsbedingungen in einem erheblichen Umfang die in §§ 6, 7 IfSG aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger und machte eine hierdurch bedingte Betriebsschließung zum Gegenstand des Versicherungsschutzes. Dass die Interessen des Klägers hierdurch unverhältnismäßig eingeschränkt wurden und in keinem vernünftigen Verhältnis zur Gegenleistung des Klägers stehen, hat der Kläger nicht vorgetragen und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich. Welche Erwartungen der Kläger seinerseits mit dem Abschluss des Vertrags verknüpfte und inwieweit diese Erwartungen enttäuscht wurden, spielt für die Frage der Wirksamkeit von Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB hingegen keine entscheidende Rolle.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen.