Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.08.2021, Az.: 7 U 460/21

Erwerb eines vermeintlich vom Dieselskandal betroffenen Porsche Cayenne; Unterschiedliche Hersteller von Fahrzeug und Motor; Voraussetzungen einer Kenntniszurechnung in Bezug auf unzulässige Abschalteinrichtungen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.08.2021
Aktenzeichen
7 U 460/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 64758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 19.04.2021 - AZ: 10 O 284/20

In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 18. August 2021 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 19. April 2021 (Az. 10 O 284/20) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieser Beschluss ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal" geltend.

Der Kläger erwarb am 30. Oktober 2013 von einem Kfz-Händler einen gebrauchten Porsche Cayenne mit einer seinerzeitigen Laufleistung von 62.000 km zu einem Kaufpreis von 59.890 km. Für einen Teil des Kaufpreises nahm der Kläger ein Darlehen bei der Mercedes-Benz Bank AG auf, für das Darlehenszinsen in Höhe von 6.319,84 € anfielen. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor verbaut, den die VW AG entwickelt und die Audi AG hergestellt und modifiziert hat und der der Beklagten zum Einbau zugeliefert wurde.

Am 6. März 2018 veräußerte der Kläger das Fahrzeug mit einer seinerzeitigen Laufleistung von 147.276 km zu einem Kaufpreis von 25.200 €.

Der Kläger hat behauptet, dass die Motorsteuerung des Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sei, weswegen das Fahrzeug mit der Unsicherheit des Fortbestands der Typengenehmigung und eines möglichen Verlusts der Betriebszulassung behaftet sei, was zu einem deutlichen Wertverlust des Wagens, nämlich rd. 20 % im Verhältnis zum Fahrzeugwert vor Bekanntwerden der Manipulationsmaßnahmen geführt habe.

Das Landgericht hat die auf Zahlung einer Schadensersatzforderung in Höhe von 20.801,31 € und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.744,64 (jeweils nebst Zinsen) gerichtete Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge verwiesen wird, abgewiesen. Eine deliktische Haftung der Beklagten scheide schon deswegen aus, weil nicht ersichtlich sei, dass diese bzw. ihren Vorstand der Vorwurf der Sittenwidrigkeit treffe; denn es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vorstand der Beklagten, die den gelieferten Motor lediglich endmontiert habe, Kenntnis von etwaigen, im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabt habe. Darüber hinaus fehle es jedenfalls auch an einem Schaden des Klägers, da dieser infolge Weiterverkaufs des Wagens nicht mehr mit einem ungewollten Vertrag belastet sei und den Eintritt eines Mindererlöses aufgrund der Implementierung vermeintlich unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht ausreichend dargelegt habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Schadensersatzbegehren weiterverfolgt.

Mit dieser rügt er im Wesentlichen, dass das Landgericht den Kern seines Vorbringens ausgeblendet habe, weil die Beklagte auch als Nichtherstellerin des Motors wegen dessen Inverkehrbringens zu haften habe.

Zudem habe sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der Kläger schon erstinstanzlich eine Kenntnis der maßgeblichen Entscheidungsträger der Beklagten von den Motormanipulationen, so insbesondere des Vorstandsmitglieds ..., vorgetragen habe, der diese Kenntnis als Generalbevollmächtigter der Konzern-Motorenentwicklung bei VW und als Chef der Aggregatentwicklung bei Audi erworben habe.

Schließlich sei auch die Annahme des Landgerichts falsch, dass beim Kläger kein Schaden bestehe. Insoweit habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Kläger als Differenzschaden bereits in der Klageschrift einen Minderwert des Fahrzeugs bei seiner Veräußerung in Höhe von mindestens 20 % im Verhältnis zum Fahrzeugwert vor Bekanntwerden der Softwaremanipulationen des Fahrzeugs vorgetragen habe.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 20.801,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 3. Juli 2020 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.744,64 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 3. Juli 2020 zu zahlen;

hilfsweise:

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze, insbesondere auf die Berufungsbegründung vom 18. Juni 2021 (Bl. 418 ff. d. A.), verwiesen.

Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 28. Juni 2021 (Bl. 500 ff. d. A.) angekündigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen zu wollen. Hierzu hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 17. August 2021 (Bl. 531 ff. d. A.) Stellung genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger steht kein An spruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.

Der Senat bleibt auch in seiner jetzigen Besetzung bei seinen Erwägungen in seinem Hinweisbeschluss vom 28. Juni 2021, auf den er zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, und denen der Kläger mit seiner Stellungnahme vom 17. August 2021 nicht in erheblicher Weise entgegengetreten ist. Denn auch unter Berücksichtigung der darin enthaltenen weiteren Ausführungen hat der Kläger nach wie vor nichts von Substanz dafür vorgetragen, das die Annahme rechtfertigte, die Beklagte habe das Kraftfahrtbundesamt und damit auch den Kläger als Erwerber über die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs getäuscht.

1. Nach der Entscheidung des BGH vom 8. März 2021 (Az. VI ZR 505/19) lässt sich der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber einem Fahrzeughersteller, der nicht zugleich auch der Hersteller des Motors ist, in den die unzulässigen Abschalteinrichtungen implementiert wurden, lediglich dann rechtfertigen, wenn sich tragfähige Feststellungen treffen lassen, dass auch der Fahrzeughersteller eine auf arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts und letztlich der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen hat oder die für ihn handelnden Personen an der vom Motorentwickler und -hersteller getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt waren (BGH, Urteil v. 8. März 2021 - VI ZR 505/19, juris-Rn. 20), wenigstens aber die für ihn handelnden Personen gewusst haben, dass die vom Motorhersteller gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Software ausgestattet waren, und die Fahrzeuge sodann trotz Kenntnis dieses Umstandes mit dem betreffenden Motor versehen und in den Verkehr gebracht haben (BGH, a. a. O., Rn. 21).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter des Fahrzeugherstellers die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat, trifft dabei den Anspruchsteller (BGH, a. a. O., juris-Rn. 25 m. w. N.).

Erst wenn dieser durch substantiierten Tatsachenvortrag etwa zu einer Beteiligung von Mitarbeitern des Fahrzeugherstellers (von welchen?) an der Entwicklung der Software, einem Informationsaustausch mit dem Motorhersteller (wann und zwischen wem?) über die Strategie zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte oder einer Überprüfung der Motorsteuerung seitens des Fahrzeugherstellers (durch wen konkret?) (vgl. BGH a. a. O, juris-Rn. 30) und Klarstellung, aus welchen genauen äußeren Umständen sich die jeweiligen Tatsachenbehauptungen herleiten, ausreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, die den Schluss auf eine Kenntnis der verfassungsmäßigen Vertreter des Fahrzeugherstellers von der Verwendung unzulässiger Abschaltvorrichtungen rechtfertigten, ist es dessen Sache, diesen Vortrag substantiiert zu bestreiten.

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist eine Haftung der Beklagten zu verneinen, weil der Tatsachenvortrag des Klägers - wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 28. Juni 2021 bereits ausgeführt hat - diesen Anforderungen nicht genügt. Denn entgegen der Auffassung des Klägers und der von ihm in Bezug genommenen Entscheidungen kommt auch eine Zurechnung etwaigen Wissens, das das Vorstandsmitglied ... (oder jedes andere Vorstandsmitglied) als verfassungsmäßig berufener Vertreter durch frühere Tätigkeiten bei der VW AG oder Audi AG erworben hat, wegen der Bestimmung des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG nicht in Betracht.

Auch im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. August 2021 hat der Kläger nichts von Substanz dafür dargetan, das geeignet wäre, die ihn treffende Darlegungslast zu erfüllen.

2. Soweit sich der Kläger stattdessen darauf beruft, dass die Beklagte jedenfalls deswegen zu haften habe, weil sie in der EG-Typenbescheinigung als Herstellerin des Fahrzeugs ausgewiesen werde, hilft ihm dieser Umstand nicht weiter.

Eine - vorliegend allenfalls aus § 826 BGB in Betracht kommende - Haftung der Beklagten knüpft nämlich daran am, ob diese aufgrund einer grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in den Verkehr gebracht hat, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Damit geht es also um eine Haftung für ein konkretes Tun, und nicht etwa für das Setzen eines Rechtsscheins.

Vor diesem Hintergrund ist daher für eine auf § 826 BGB gestützte Haftung ohne Relevanz, wer in der EU-Übereinstimmungsbescheinigung als Motorherstellerin ausgewiesen ist. Entscheidend ist allein der Umstand, wer tatsächlich Hersteller des Motors ist. Dabei vermag hier - anders als offensichtlich in dem vom Kläger in Bezug genommenen Rechtsstreit vor dem OLG Köln zum Az. 12 U 28/20 - die Tatsache der Ausweisung der Beklagten als Fahrzeugherstellerin in der EU-Übereinstimmungsbescheinigung auch nicht als Indiz dafür zu dienen, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs stamme in Wahrheit von der Beklagten. Denn dass die Beklagte den Motor weder entwickelt noch gebaut hat, ist zwischen den Parteien unstreitig.

3. Schließlich lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB auch nicht daraus herleiten, dass diese ohne eigenständige Untersuchung des Motors und seiner Software auf ihre Gesetzmäßigkeit hin die Typengenehmigung für das Fahrzeug beantragt habe.

Dabei erscheint schon zweifelhaft, ob sich - entgegen der vom Kläger zitierten, durch die Entscheidung des BGH vom 8. März 2021 (Az. VI ZR 505/19) im Ergebnis im Zweifel ohnehin überholten Entscheidung des OLG München vom 30. November 2020 (Az. 21 U 7310) - aus Art. 4 VO (EG) 715/2007 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG überhaupt eine Verpflichtung des Fahrzeugherstellers herleiten lässt, eingehende Prüfungen von solchen Fahrzeugbestandteilen wie hier des Motors einschließlich seiner Steuerung auf die Einhaltung der maßgeblichen Richtlinienbestimmungen vorzunehmen, die von Zulieferern eigenständig entwickelt und hergestellt und vom Fahrzeughersteller lediglich in das Fahrzeug eingebaut wurden. Hierauf kommt es aber nicht an, da selbst nach dem Vortrag des Klägers eine solche Prüfung zumindest auf dem Rollenprüfstand stattgefunden hat. Warum die Beklagte davon hätte ausgehen müssen, dass diese nicht ausreichend seien, erschließt sich dem Senat nicht.

Selbst dann aber, wenn diese Prüfung seitens der Beklagten den Anforderungen der gesetzlichen Vorgaben im Typengenehmigungsverfahren tatsächlich nicht genügt hätte, begründete sich hieraus jedenfalls kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten. Denn ein einfacher Gesetzesverstoß stellt noch keine Täuschung dar, und nach Maßgabe der vorstehenden Feststellungen zu einem (Nicht)Wissen der Beklagten um eine - mögliche - Ausstattung der Motorsteuerungssoftware mit unzulässigen Abschalteinrichtungen kann von einer solchen gerade nicht ausgegangen werden. Vor diesem Hintergrund hätte damit ein lediglich fahrlässiges Verkennen der Rechtslage durch Beklagte vorgelegen. In einem solchen Fall scheidet aber ein sittenwidriges Handeln gerade aus.

Nach alledem fehlt es damit im Ergebnis an den Tatbestandsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB, weswegen der Kläger auch nicht die von ihm beanspruchten Nebenforderungen verlangen kann.

Dementsprechend war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht aus Sicht des Senats nicht, da es sich dann, wenn eine Klage an einer nicht ausreichenden schlüssigen Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen scheitert wie im Streitfall, um eine Einzelfallentscheidung handelt.