Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 14.05.2002, Az.: L 4 KR 74/02 ER
Fehlen eines Anordnungsgrundes bei möglicher Vollstreckung eines erstintanzlichen Urteils
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 14.05.2002
- Aktenzeichen
- L 4 KR 74/02 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 22040
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0514.L4KR74.02ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 01.01.1000 - AZ: 6 KR 133/99
Fundstellen
- NZS 2002, 672
- SGb 2002, 501
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Kann eine Versicherte unmittelbar aus einem erstinstanzlichen Urteil vollstrecken, besteht für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kein Anordnungsgrund.
- 2.
Hat eine Versicherte nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht, dass sie wirtschaftlich nicht in der Lage ist, sich das begehrte Hilfsmittel zunächst auf eigene Kosten selbst zu beschaffen, fehlt der Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG.
In dem Rechtsstreit
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen
am 14. Mai 2002 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
den Richter Wolff
und den Richter Schreck
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin das verordnete Farblesegerät (CCD) mit Multicolorfunktion und Vollfarbbild sowie mit integriertem Autofokus und Videomatic Ec-MPR Autofokus zur Verfügung zu stellen, wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gerichtsgebühren sind nicht entstanden.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast) ist hochgradig sehbehindert. Sie erhob vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage gegenüber der Antragsgegnerin (Ag) auf Austausch des vorhandenen von der Ag geleisteten Zweifarbenkontrast-Lesegerätes gegen ein CCD-Farbgerät mit variabler Multicolorfunktion und Vollfarbbild. Mit Urteil vom 13. Dezember 2000 verpflichtete das SG die Ag antragsgemäß zum Austausch der Geräte (Az: S 6 KR 133/99). Hiergegen hat die Ag Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Das Verfahren L 4 KR 15/01 ist noch beim LSG Niedersachsen-Bremen anhängig.
Mit Schreiben vom 10. April 2002, eingegangen beim SG Oldenburg am 11. April 2002, hat die Ast im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die Ag zu verpflichten, das Farblesegerät (CCD) mit Multikolorfunktion und Vollfarbbild sowie mit integriertem Autofokus und Videomatik Ec-MPR Autofokus zur Verfügung zu stellen. Diesen Antrag hat das SG an das LSG mit dem Hinweis auf § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) weitergereicht, wonach für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Gericht der Hauptsache zuständig sei. Dies sei das LSG Niedersachsen-Bremen, weil dort unter dem Az.: L 4 KR 15/01 die Hauptsache anhängig sei.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Es fehlt bereits an einem Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach der Vorschrift des hier anzuwendenden § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in der ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung.
Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist grundsätzlich Voraussetzung, dass dem Ast unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Außerdem darf es keine zumutbarere oder einfachere Möglichkeit zur vorläufigen Wahrung oder Sicherung des betreffenden Rechts geben (vgl. Kopp/Schencke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., § 123 Rdnr 26).
Eine solche Möglichkeit ist hier jedoch gegeben. Denn die Ast kann unmittelbar aus dem Urteil des SG vom 13. Dezember 2000 gegenüber der Ag die Vollstreckung einleiten.
Gemäß § 199 Abs. 1 SGG wird aus gerichtlichen Entscheidungen vollstreckt, soweit nach den Vorschriften des SGG kein Aufschub eintritt. Das ist hier nicht der Fall. Denn die Berufung gegen das Urteil des SG vom 13. Dezember 2000 hat gemäß § 154 SGG keine aufschiebende Wirkung.
Nach § 154 Abs. 1 SGG haben die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung, soweit die Klage nach § 86 a SGG Aufschub bewirkt. Gemäß § 86 a Abs. 1 SGG haben nur Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. Bei der Klage auf Austausch des Gerätes handelt es sich nicht um eine Klage im Sinne von § 86 a Abs. 1 SGG. Die Voraussetzungen des § 86 a Abs. 1 bis 4 SGG liegen nicht vor. Die Voraussetzungen des § 154 Abs. 2 SGG liegen gleichfalls nicht vor. Gemäß § 154 Abs. 2 SGG bewirken die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs. 1 SGG eines Versicherungsträgers oder in der Kriegsopferversorgung eines Landes Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Bei der vorliegenden Klage handelt es sich jedoch nicht um Beträge, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen.
Mithin verbleibt es bei der Regel, dass die Berufung der Ag keine aufschiebende Wirkung hat. Die Ast kann deshalb aus dem Urteil des SG Oldenburg vom 13. Dezember 2000 gemäß § 199 Abs. 1 SGG vollstrecken. Es bedarf folglich nicht des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz.
Schließlich scheitert der Erlass einer einstweiligen Anordnung auch daran, dass die Ast es unterlassen hat, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen bzw. glaubhaft zu machen. Denn nur wenn sie wirtschaftlich nicht in der Lage wäre, sich das beantragte Gerät zunächst auf eigene Kosten selbst zu beschaffen, wäre eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile iSd § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nötig und damit ein Anordnungsgrund gegeben.
Die Kostenentscheidung erfolgt in analoger Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
Gerichtskosten sind nicht entstanden (§ 183 Satz 1 SGG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Wolff,
Schreck