Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.05.2002, Az.: L 7 AL 104/01

3 Monate; Abschaffung; Arbeitslosenhilfe; Arbeitslosenhilfeanspruch; Beamter; Eigentumsgarantie; Gleichbehandlung; Gleichheitssatz; Lehramt; Lehramtsanwärter; Lehramtsanwärter; Neuregelung; originäre Arbeitslosenhilfe; Rechtsstaatsprinzip; Referendar; Referendariat; Rückwirkung; Studienreferendar; unechte Rückwirkung; Verfassungsmäßigkeit; Verfassungswidrigkeit; Vertrauensschutz; Vorfrist; Wegfall; Änderung; Übergangsrecht; Übergangsregelung; Übergangsvorschrift

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.05.2002
Aktenzeichen
L 7 AL 104/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43764
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 10.07.2003 - AZ: B 11 AL 63/02 R

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger beansprucht Arbeitslosengeld (Alg) mit Wirkung vom 1. Mai 2000.

2

Der im Jahr 1962 geborene Kläger war vom 26. Mai bis 30. Oktober 1998 als LKW-Fahrer beschäftigt. Vom 1. November 1998 bis 30. April 2000 leistete er als Lehramtsanwärter ein Referendariat an einer Berufsbildenden Schule ab.

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Er meldete sich am 28. März 2000 zum 1. Mai 2000 arbeitslos. Seinen Antrag auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. März 2000 mit der Begründung ab, dass nach Art. 1 des 3. Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches Drittes Buch (SGB III) der Anspruch auf Alhi, der auf Beschäftigungszeiten als Beamter beziehungsweise Wehr- oder Zivildienstzeiten oder Zeiten des Bezuges von Sozialleistungen beruhe mit Wirkung vom 1. Januar 2000 entfallen sei. Daher könne er Alhi gemäß § 190 SGB III nicht beanspruchen.

4

Zur Begründung seines Widerspruches vom 11. April 2000 erklärte der Kläger, er halte es für rechtswidrig, Eingriffe in Sozialleistungen, die im Anschluss an die Ausbildung fällig würden, während einer begonnenen Ausbildung vorzunehmen. Da nach dem Referendariat ein unmittelbarer Übergang in ein Beschäftigungsverhältnis nicht möglich sei, sei die Kürzung beziehungsweise Einstellung von Sozialleistungen unrechtmäßig.

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Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Zusammenhang mit dem Wegfall der originären Alhi sei durch § 434b Abs. 1 SGB III eine Übergangsregelung geschaffen worden. Danach sei das bisherige Recht bis zum 31.03.2000 weiter anzuwenden gewesen, sofern die Voraussetzungen für einen Anspruch auf originäre Alhi in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 vorgelegen hätten. Die Voraussetzungen der Übergangsregelung lägen indes beim Kläger nicht vor, da sich dieser mit Wirkung vom 1. Mai 2000 arbeitslos gemeldet habe.

6

Der Kläger, der am 27. Juni 2000 hiergegen Klage erhoben hatte, bat die Beklagte unter dem 6. Februar 2001, seinen Antrag vom 28. März 2000 auch als Antrag auf Gewährung von Alg zu bescheiden. Durch Bescheid vom 27. Februar 2001 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, da der Kläger die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg nicht erfüllt habe.

7

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20. Februar 2001 abgewiesen. Die Beklagte habe die Bewilligung von Alhi aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen zu Recht abgelehnt. Verfassungsrechtliche Bedenken beständen gegen den Wegfall der originären Alhi nicht. Insbesondere sei Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht verletzt. Ein Eigentumsschutz für die originäre Alhi werde nicht anerkannt, da sie nicht auf eigenen Leistungen des Anspruchsstellers beruhe. Der Kläger könne auch nicht eine Verletzung von Vertrauensschutzgesichtspunkten geltend machen. Eine echte Rückwirkung werde durch die Regelung des § 432b Abs. 1 SGB III, wonach die am 1. Januar 2000 bereits laufenden Leistungsfälle nicht erfasst würden, vermieden.

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Gegen den am 21. Februar 2001 zugestellten Gerichtsbescheid führt der Kläger am 7. März 2001 Berufung. Obwohl die Lehramtsreferendare ebenso wie die Rechtsreferendare grundsätzlich abhängige Dienste erbringen müssten, wie dies in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis der Fall sei, seien sie gegen Arbeitslosigkeit nicht geschützt. Um zu gewährleisten, dass diese Gruppierungen im befristeten Beamtenverhältnis nicht vollständig aus dem System der Arbeitslosenversicherung herausfielen, seien diese in Anwendung einer grundrechtskonformen Auslegung in die Gruppe der Alg-Bezieher miteinzubeziehen.

9

Der Kläger beantragt schriftlich,

10

1.  den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 20. Februar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2000 und den Bescheid vom 27. Februar 2001 aufzuheben,

11

2.  die Beklagte zu verurteilen, ihm mit Wirkung vom 1. Mai 2000 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

12

Die Beklagte beantragt schriftlich,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie erwidert, der Kläger erfülle nicht die in § 190 SGB III geforderten Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alhi. Da ab 1. Januar 2000 ein Anspruch auf originäre Alhi aufgrund des 3. Gesetzes zur Änderung des SGB III nicht mehr bestehe, habe der Kläger ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Alhi, der auf seiner Tätigkeit als Beamter beruhe. Er erfülle auch nicht die Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 434b Abs. 1 SGB III.

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Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Die den Kläger betreffenden Leistungsakten ... haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat entscheidet gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind.

17

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 SGG statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet.

18

Der Kläger hat schon deshalb keinen Anspruch auf Alhi mit Wirkung vom 1. Mai 2000, da er die Voraussetzungen des § 190 Abs. 1 Nr. 4 SGB III nicht erfüllt. Der Kläger hat in der einjährigen Vorfrist (§ 192 SGB III) kein Alg bezogen; er war während dieser Zeit als Referendar im Lehramt tätig.

19

Der Kläger kann den Anspruch mit Wirkung vom 1. Mai 2001 auch nicht mit Erfolg auf die Übergangsregelung des § 434b Abs. 1 SGB III stützen, denn die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi nach § 191 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 oder 4 SGB III lagen für den Kläger im Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 nicht vor, weil er in diesem Zeitraum sein Referendariat als Lehramtsanwärter ableistete.

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Alhi mit Wirkung vom 1. Mai 2000 kann der Kläger schließlich auch nicht mit der Erwägung beanspruchen, dass die Streichung des § 191 SGB III durch Art. 1 Nr. 9 des 3. SGB III-Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl I, S 2624) gegen Verfassungsrecht verstößt und daher nichtig ist. Ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Regelungen ist nicht ersichtlich.

21

Art. 14 Abs. 1 GG ist durch die Streichung dieser Vorschrift nicht verletzt, denn der Alhi-Anspruch unterfällt nach ständiger Rechtsprechung nicht der Eigentumsgarantie. Es handelt sich nicht um eine aus Beitrags- sondern gemäß § 363 Abs. 1 SGB III aus Steuermitteln finanzierte Leistung. Der Anspruch geht im Unterschied zum Anspruch auf Alg von seiner Konzeption her nicht von einer eigenen Leistung aus (BSG, Urteil vom 18.09.1997 -- 7 RAr 32/96 --; Urteil vom 29.01.1997 -- 11 RAr 43/96 --, SozR 3-4100 § 242q Nr. 1).

22

Die Regelung verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Regelung wirkt, soweit originäre Alhi im Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1999 bezogen ist, für die Zukunft. Sie verkürzt die Dauer der Gewährung bis zum 31. März 2000. Solche Eingriffe mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl BVerfG 1. Senat 1. Kammer, Beschluss vom 14.03.2001 -- 1 BvR 2402/97 --, DVBl 2001, 896). Hinsichtlich der gebotenen Abwägung zwischen den Bestandsinteressen der Betroffenen und den öffentlichen Belangen an der Anpassung der Sozialausgaben an einer geänderten Haushaltslage hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung der Bezugdauer von originärer Alhi durch § 242q AFG unter anderem ausgeführt, dass das Interesse des Betroffenen am Fortbestand einer über lange Zeit bestehenden Rechtslage grundsätzlich hoch einzuschätzen ist; andererseits sei gerade in einer langfristig bestehenden Rechtsposition von vornherein die Möglichkeit der Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt. Die mit der Anpassung der Sozialausgaben an eine geänderte Haushaltslage verfolgten wichtigen Gemeinwohlinteressen rechtfertigten auch den Eingriff in eine langfristig gewährte Rechtsposition. Die dort vorgesehene dreimonatige Übergangsfrist erlaube es den Betroffenen, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen und gegebenenfalls Sozialhilfe zu beantragen.

23

Soweit, wie hier, der Kläger zum Zeitpunkt der Streichung der Regelungen über die originäre Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosenhilfe (noch) nicht bezogen hat, handelt es sich nicht um einen Eingriff mit unechter Rückwirkung im oben genannten Sinn. Vielmehr bestand beim Kläger lediglich die Erwartung nach Abschluss des Referendariats (originäre) Arbeitslosenhilfe, beziehen zu können, falls die gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen vorgelegen hätten. Derartige Erwartungen sind indes verfassungsrechtlich nicht geschützt, da es sich hierbei nicht um eine geschützte Rechtsposition handelt.

24

Schließlich verstößt die Streichung des § 191 SGB III auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG; insoweit wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 20. Februar 2001 verwiesen.

25

Arbeitslosengeld kann der Kläger mit Wirkung vom 1. Mai 2000 ebenfalls nicht beanspruchen, da er die gesetzlichen Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 123 SGB III nicht erfüllt.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

27

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).