Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.08.2018, Az.: 1 B 462/18
amtliche Pressemitteilung; eigener Wirkungskreis; einstweilige Anordnung; Neutralitätsgebot; Ortsbezogenheit; Protestaufruf; spezifische Ortsbezogenheit; Verbandszuständigkeit; Versammlung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.08.2018
- Aktenzeichen
- 1 B 462/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74199
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 21 Abs 1 S 1 GG
- Art 28 Abs 2 S 1 GG
- Art 8 Abs 2 GG
- § 23 Abs 1 S 2 KomVerfG ND
- § 123 Abs 1 S 1 VwGO
- § 61 Nr 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Allein das Kriterium der räumlichen Nähe ist - selbst wenn damit die unmittelbare Nachbarschaft gemeint ist - ungeeignet zur Begründung eines spezifischen örtlichen Bezugs, soweit damit Sachverhalte erfasst werden sollen, die außerhalb des Hoheitsgebiets einer Gebietskörperschaft liegen.
2. Das Neutralitätsgebot ist verletzt, wenn kommunale Organe aktiv zur Unterstützung von Gegenveranstaltungen oder Protestaktionen gegen nicht verbotene Versammlungen politischer Parteien aufrufen; dies gilt in Ansehung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - auch für Versammlungen eines Kreisverbands der NPD.
Gründe
Die Antragstellerin begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Entfernung einzelner Passagen aus einer Pressemitteilung von der Internetseite des Antragsgegners.
Die Antragstellerin ist der Kreisverband Eichsfeld der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Sie veranstaltet am 1. September 2018 im thüringischen Leinefelde den sogenannten „Eichsfeldtag“. Hierbei handelt es sich um eine seit dem Jahr 2011 jährlich stattfindende öffentliche Versammlung. Der diesjährige Eichsfeldtag findet unter freiem Himmel auf einer Wiese neben dem Fußballplatz „F.“ unter dem Motto „Das Eichsfeld im Herzen, Deutschland im Sinn“ statt. Zum Veranstaltungsprogramm gehören unter anderem Redebeiträge von Mitgliedern der NPD sowie Livemusik von Musikern aus der rechten Szene (vgl. http://eichsfeldtag.info/). Die Antragstellerin rechnet selbst mit einer Teilnehmerzahl von 200 Personen. Sie meldete ihre diesjährige Veranstaltung am 17. April 2018 als öffentliche Versammlung bei der örtlich zuständigen Versammlungsbehörde, dem Nachbarlandkreis Eichsfeld, an; diese verfügte mit Bescheid vom 21. August 2018 verschiedene Auflagen.
Bereits am 19. Juni 2018 tagte der Kreisausschuss des Antragsgegners in nichtöffentlicher Sitzung. In diese brachten die im Kreistag des Antragsgegners vertretenen Gruppen SPD/Bündnis 90/DIE GRÜNEN/FWLG und Die Linke/Piraten/Partei sowie die Fraktionen von CDU und FDP einen interfraktionellen Antrag „Solidarisch gegen den sogenannten Eichsfeldtag der NPD in Leinefelde“ ein. Der Beschlussvorschlag lautete wie folgt:
„Der Kreisausschuss ruft die Bewohner*innen des Landkreises Göttingen, wie 2013 der Altkreis Göttingen, auf, sich an den Protestaktionen gegen den sogenannten „Eichsfeldtag“ der NPD am 1. September 2018 in Leinefelde zu beteiligen.
Leinefelde liegt keine 35 Kilometer Luftlinie und keine Stunde Fahrzeit von Göttingen entfernt. Mit Bedauern stellen wir fest, dass jetzt rechtsextreme Kreise wieder umfangreich mobilisieren und versuchen, diese rechtsextreme Veranstaltung als familienfreundliches Event zu tarnen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese gewaltbereite rechtsextreme Szene wieder in unserer Region stärker Fuß fasst!
Der Kreisausschuss des Landkreises Göttingen bittet daher seine Einwohner*innen, das örtliche Bündnis bei den Protestaktionen gegen diese Veranstaltung zu unterstützen. Der Landrat wird gebeten, zu gegebener Zeit in diesem Sinne die Medien zu informieren.“
Die damalige Beschlussfassung auf Vorrat wurde mündlich dahingehend erläutert, dass zum Zeitpunkt der Sitzung nicht bekannt sei, ob der „Eichsfeldtag“ tatsächlich durchgeführt werde. Sollte die Veranstaltung stattfinden, könne jedoch zeitnah reagiert werden.
Am 20.08.2018 veröffentlichte der Antragsgegner auf seiner Homepage unter der Adresse
https://www.landkreisgoettingen.de/pics/medien/1_1534767407/2018_08_20_PM_Eichsfeldtag.pdf
eine Pressemitteilung mit folgendem Wortlaut:
„Interfraktionellen Antrag beschlossen
Solidarisch gegen sogenannten Eichsfeldtag
Der Kreisausschuss ruft nach einem Beschluss in der letzten Sitzung die Einwohnerinnen und Einwohner des Landkreises Göttingen auf, sich an den Protestaktionen gegen den sogenannten „Eichsfeldtag“ der NPD am 01.09.2018 in Leinefelde zu beteiligen. Mit einem überparteilichen Antrag haben sich die Gruppe SPD/ Die Grünen/ FWLG, die Gruppe Die Linke/ Piraten/ Partei sowie die Fraktionen von CDU und FDP dazu geäußert: „Leinefelde liegt keine 35 Kilometer Luftlinie und keine Stunde Fahrzeit von Göttingen entfernt. Mit Bedauern stellen wir fest, dass jetzt rechtsextreme Kreise wieder umfangreich mobilisieren und versuchen, diese rechtsextreme Veranstaltung als familienfreundliches Event zu tarnen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese gewaltbereite rechtsextreme Szene wieder in unserer Region stärker Fuß fasst!“ Der Kreisausschuss des Landkreises Göttingen bittet daher seine Einwohnerinnen und Einwohner, das örtliche Bündnis bei den Protestaktionen gegen diese Veranstaltung zu unterstützen.“
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin zunächst außergerichtlich. Mit Schreiben vom 23. August 2018 mahnte sie den Antragsgegner ab und forderte ihn zur Entfernung seiner Pressemitteilung von seinem Internetauftritt sowie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung unter Fristsetzung bis Montag, den 27. August 2018, 12:00 Uhr, auf.
Nach erfolglosem Ablauf der Frist hat die Antragstellerin das erkennende Gericht am 27. August 2018 um einstweiligen Rechtsschutz ersucht.
Sie ist der Auffassung, sie könne die Entfernung der streitgegenständlichen Pressemitteilung im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Folgebeseitigungsanspruches beanspruchen. Die Beschlussfassung durch den Kreisausschuss des Antragsgegners sei rechtswidrig. Die verfahrensgegenständlichen Äußerungen verstießen gegen die Verpflichtung des Antragsgegners zu parteipolitischer Neutralität sowie gegen das Sachlichkeitsgebot. Darüber hinaus fehle es dem Antragsgegner an der Kompetenz, sich zu Vorgängen in einem anderen Bundesland zu äußern, diesbezüglich Resolutionen zu erlassen und seine Einwohner aufzufordern, Gegenveranstaltungen zu unterstützen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die auf seiner Homepage veröffentlichte Pressemitteilung vom 20. August 2018 insoweit von dort zu entfernen, als darin behauptet wird:
- „Der Kreisausschuss ruft nach einem Beschluss in der letzten Sitzung die Einwohnerinnen und Einwohner des Landkreises Göttingen auf, sich an den Protestaktionen gegen den sogenannten „Eichsfeld Tag“ der NPD am 01.09.2018 in Leinefelde zu beteiligen.“
- „Der Kreisausschuss des Landkreises Göttingen bittet daher seine Einwohnerinnen und Einwohner, das örtliche Bündnis bei den Protestaktionen gegen diese Veranstaltung zu unterstützen.“
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Bei dem Beschluss seines Kreisausschusses handele es sich um eine politische Stellungnahme. Durch die Veröffentlichung der Pressemitteilung sei sein Landrat nur dessen Verpflichtung zur Ausführung von Beschlüssen seines Kreisausschusses nachgekommen. Insoweit sei in der Pressemitteilung kein Aufruf zur Teilnahme an Gegendemonstrationen durch seinen Landrat selbst zu sehen.
Der von seinem Kreisausschuss gefasste Beschluss sei rechtmäßig. Seine Verbandskompetenz ergebe sich vorliegend aus dem Umstand, dass sich das Veranstaltungsmotto an seine Einwohnerinnen und Einwohner richte und sich damit auf sein Gebiet beziehe.
Der Aufruf zur Teilnahme an Gegendemonstrationen sei schließlich deshalb zurecht erfolgt, weil die NPD vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsfeindlich erklärt worden sei. Aus der Möglichkeit, verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Finanzierung auszuschließen, folge, dass auch mildere Maßnahmen, wie Aufrufe zur Teilnahme an Gegendemonstrationen, zulässig seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zur Gerichtsakte befindlichen Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet, denn die Antragstellerin hat für ihr Begehren einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dazu ist gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. den §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen, dass der Antragsteller zur Abwendung dieses Nachteils auf sofortige gerichtliche Hilfe angewiesen ist (sog. Anordnungsgrund) und dass bei summarischer Prüfung ein materieller Anspruch auf Sicherung des bisherigen Zustands („status quo“) besteht (sog. Anordnungsanspruch). Zudem darf die vorläufige Regelung zur Sicherung des bestehenden Zustands regelmäßig nicht dazu führen, dass die Hauptsache rechtlich oder zumindest faktisch vorweggenommen wird. Solchen, die Hauptsache vorwegnehmenden Anträgen ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 6 VR 3/13 –, juris Rn. 5 m. w. N.).
Hiervon ausgehend hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich aus dem Umstand, dass sich der Aufruf des Antragsgegners auf ein termingebundenes, unmittelbar bevorstehendes Ereignis – den „Eichsfeldtag“ der Antragstellerin, der am kommenden Samstag stattfindet – bezieht und damit Rechtsschutz in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig zu erlangen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil vom 13. September 2017 – 10 C 6/16 – (Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 193, allgemein abrufbar unter: https://www.bverwg.de/de/130917U10C6.16.0), das zu dem damaligen Aufruf des Düsseldorfer Oberbürgermeisters „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz“ ergangen ist, unter anderem darauf hingewiesen, dass amtliche Äußerungen eines Organs der Kommunalverfassung im politischen Meinungskampf, wie sie hier in Rede stehen, typischerweise in einem engen Zusammenhang mit der von der Antragstellerin angezeigten Versammlung rechtlich zu bewerten sind. Derartige Äußerungen erledigen sich typischerweise so kurzfristig, dass gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 13; vgl. auch VG Köln, Beschluss vom 12. Oktober 2017 – 4 L 4065/17 –, juris Rn. 37). Die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gebietet daher, im vorliegenden Sachverhalt eine vorläufige Regelung zu treffen, die jedenfalls in zeitlicher Hinsicht die Hauptsache teilweise vorwegnimmt; ein Abwarten auf eine Entscheidung in einem noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren würde für die Antragstellerin unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge haben. Die Pressemitteilung des Antragsgegners zur Beteiligung an den Protestaktionen gegen die Versammlung der Antragstellerin lässt sich nach deren Durchführung zwar noch vom Internetauftritt entfernen, hätte bis dahin aber seine volle Wirkung entfaltet (vgl. zur Gewährung einstweiligen Rechtschutzes bei Beeinträchtigungen der Versammlungsfreiheit BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, BVerfGE 110, 77, juris Rn. 28).
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Ihr Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren kann sich aller Voraussicht nach auf den ungeschriebenen, richterrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch stützen. Dieser Anspruch entsteht, wenn durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist. Der Anspruch ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein rechtswidriger Verwaltungsakt vorzeitig vollzogen wurde; er gilt bei rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, auch solchen durch schlichtes Verwaltungshandeln (Verwaltungsrealakt). Gerichtet ist der Folgenbeseitigungsanspruch auf die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands; zu beseitigen sind alle der handelnden Behörde zuzurechnenden rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 – 1 C 13/14 –, juris Rn. 24 m. w. N.).
Die Voraussetzungen für das Bestehen eines Folgenbeseitigungsanspruchs hat die Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht. Der Anspruch ist auf Entfernung der streitgegenständlichen Pressemitteilung von der Internetseite des Antragsgegners gerichtet, soweit diese die von der Antragstellerin beanstandeten Passagen umfasst. Er hat damit ein schlicht-hoheitliches Handeln des Antragsgegners zum Gegenstand. Unerheblich ist, dass die veröffentlichte Pressemitteilung auf einen Beschluss des Kreisausschusses zurückgeht, den er in seiner Sitzung vom 19. Juni 2018 zu TOP 4.7 aufgrund eines überparteilichen Antrags seiner Gruppen und Fraktionen gefasst hat, und dass dessen Umsetzung in Form einer medialen Veröffentlichung (u.a. über den Internetauftritt des Antragsgegners) gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NKomVG „zu gegebener Zeit“ dem Landrat des Antragsgegners aufgegeben wurde. Im Außenverhältnis zur Antragstellerin muss sich der Antragsgegner aufgrund des allgemeinen Rechtsträgerprinzips das Handeln seiner Organe zurechnen lassen; er allein ist gemäß § 61 Nr. 1 VwGO zweite Alternative beteiligtenfähig. Die kreisverwaltungsinternen Verantwortlichkeiten sind daher im vorliegenden Verfahren nicht weiter zu bewerten. Insofern ist die vorliegende prozessuale Konstellation von kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeiten abzugrenzen, in denen sich die Beteiligungsfähigkeit einzelner Organe oder Organteile aus § 61 Nr. 2 VwGO ergibt (zur Abgrenzung vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 1987 – 4 B 145/87 –, juris).
Durch die Veröffentlichung der streitbefangenen Pressemitteilung am 20. August 2018 ist ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, den die Antragstellerin nicht zu dulden hat. Die veröffentlichte Pressemitteilung verletzt schon deshalb geltendes Recht, weil dem Antragsgegner – und damit den für seine Willensbildung und -äußerung verantwortlichen Organen – die erforderliche Verbandskompetenz fehlt, um zur Unterstützung eines im Nachbarlandkreis gebildeten „örtlichen Bündnisses“ bei den geplanten Protestaktionen gegen die von der Antragstellerin angezeigte und vom Nachbarlandkreis als örtlich zuständige Versammlungsbehörde nicht verbotenen Versammlung unter freiem Himmel aufzurufen.
Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Reichweite der Zuständigkeit von Kommunen in Selbstverwaltungsangelegenheiten nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes geklärt. Bereits in seinem Urteil vom 30. Juli 1958 – 2 BvG 1/58 – (BVerfGE 8, 122) zur Frage der Zulässigkeit von Volksbefragungen hessischer Gemeinden über die Stationierung von Atomwaffen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, zwar stehe den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung zu; sie seien auch Gebietskörperschaften mit "Allzuständigkeit", insofern als sie sich aller Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft annehmen könnten. Gleichwohl sei diese ihre Zuständigkeit nicht grenzenlos; die Gemeinde sei als hoheitlich handelnde Gebietskörperschaft, soweit ihr nicht Auftragsangelegenheiten vom Staat zugewiesen worden sei, von Rechts wegen darauf beschränkt, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen. Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises seien nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzelten oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug hätten und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden könnten (BVerfG, a. a. O., juris Rn. 16).
Im Anschluss an das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Erfordernis eines spezifisch örtlichen Bezugs hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem vorstehend zitierten Urteil vom 13. September 2017 (a. a. O., Rn. 16 f.) wiederholt klargestellt, dass ein kommunaler Amtsträger nur befugt ist, sich im Rahmen seines Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern. Zur Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleiste der Gemeinde das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Daraus erwachse der Gemeinde die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Gewalt überantwortet seien, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes seien diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzelten oder auf sie einen spezifischen Bezug hätten, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam seien, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde beträfen. Die Stellungnahme eines kommunalen Amtsträgers müsse demnach in spezifischer Weise ortsbezogen sein (a. a. O., Rn. 17 m. w. N.).
In dem vom 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (a. a. O.) zitierten Urteil seines 7. Senats vom 14. Dezember 1990 – 7 C 37/89 – (BVerwGE 87, 228) wird zu den durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gezogenen Grenzen des kommunalen Betätigungsfeldes weiter ausgeführt, die Stellungnahme eines Organs der Kommunalverfassung müsse demnach auch und gerade, wenn sie den Kompetenz- und Zuständigkeitsbereich sonstiger Stellen der vollziehenden Gewalt betreffe, in spezifischer Weise ortsbezogen sein. Der bloße Umstand, dass die Gemeindevertretung nur für die eigene Gemeinde spreche, genüge dem Anspruch spezifischer Ortsbezogenheit schon deshalb nicht, weil sie sonst unter Berufung auf die im Selbstverwaltungsrecht wurzelnde Allzuständigkeit der Gemeinde auch allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit machen könne. Die Gemeinde erlange jedoch aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes nur ein kommunalpolitisches, jedoch kein allgemeines politisches Mandat, ebenso wie sie selbst weder Inhaberin grundrechtsgeschützter politischer Freiheit noch Sachwalterin der grundrechtlichen Belange ihrer Bürger sei. Die von einer Gemeindevertretung gefassten Beschlüsse ergingen vielmehr, auch soweit sich die Vertretung in der Form "appellativer" oder "symbolischer" Entschließungen äußere, in Ausübung gesetzlich gebundener öffentlicher Gewalt und bedürften daher einer nur durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelten Rechtsgrundlage (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1990, a. a. O., juris Rn. 20 m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG).
Diese verfassungsrechtlichen Grenzen seines kommunalpolitischen Mandats hat der Antragsgegner mit der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Pressemitteilung verkannt. Ein spezifisch örtlicher Bezug lässt sich weder im Hinblick auf das von der Antragstellerin gewählte Motto ihrer Versammlung am 1. September 2018 in Leinefelde („Das Eichsfeld im Herzen – Deutschland im Sinn“) begründen, noch ist die Argumentation mit der räumlichen Nähe oder der Nachbarschaft des Versammlungsortes zum Kreisgebiet des Antragsgegners dazu geeignet. Letzteres gibt der Text des fraktions- und gruppenübergreifend gefassten Beschlusses des Kreisausschusses vom 19. Juni 2018 – Drs.-Nr. 0179/2018 – zu erkennen. Einen Anknüpfungspunkt liefert insoweit die darin enthaltene Passage „Leinefelde liegt keine 35 Kilometer Luftlinie und keine Stunde Fahrzeit von Göttingen entfernt“, die auch die hier streitgegenständliche Pressemitteilung enthält.
Soweit der Antragsgegner seine Verbandszuständigkeit unter Berufung auf das gewählte Motto der Versammlung zu begründen versucht, hat er damit weder nachvollziehbar dargelegt, noch ist sonst für die Kammer ersichtlich, dass sich die Antragstellerin mit dem von ihr gewählten Motto „gezielt an die Einwohnerinnen und Einwohner“ des Antragsgegners wende. Die Kammer kann dem Motto lediglich einen Bezug hinsichtlich der Einwohnerinnen und Einwohner des gleichnamigen Nachbarlandkreises sowie darüber hinaus eine Ansprache an all diejenigen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger entnehmen, die das Gedankengut der Antragstellerin teilen. Damit mag sie vereinzelt auch Einwohnerinnen und Einwohner im Gebiet des Antragsgegners ansprechen wollen oder sich diese von ihr angesprochen fühlen. Die Betroffenheit des Antragsgegners unterscheidet sich insoweit jedoch nicht von derjenigen aller anderen kommunalen Gebietskörperschaften im Bundesgebiet. Die Kammer berücksichtigt dabei auch, dass ein Teil des Gebietes des Antragsgegners (sog. „Untereichsfeld“) historisch und kulturell als zum Eichsfeld – hier gemeint als Bezeichnung für eine bundesländerübergreifende Region – zugehörig angesehen wird. Tragfähige Anhaltspunkte für eine spezifische Ansprache der Einwohnerinnen und Einwohner des Antragstellers, die in den im „Untereichsfeld“ gelegenen kreisangehörigen Kommunen leben, sind vom Antragsgegner jedenfalls nicht nachvollziehbar vorgetragen und glaubhaft gemacht worden, noch sonst ersichtlich. Dies gilt auch wegen der eigenen örtlichen Beschränkung der Antragstellerin, deren parteiinterne Zuständigkeit sich auf das Gebiet des Landkreises Eichsfeld beschränkt und das historische Eichsfeld gerade nicht umfasst.
Die Verbandszuständigkeit des Antragsgegners lässt sich auch nicht mit einer räumlichen Nähe zum Versammlungsort Leinefelde begründen. Allein das Kriterium einer räumlichen Nähe, selbst wenn sie wie vorliegend die unmittelbare Nachbarschaft meint, ist ungeeignet zur Begründung eines spezifisch örtlichen Bezugs. Dies gilt jedenfalls, soweit damit Sachverhalte erfasst werden sollen, die sich außerhalb des Gebiets des Antragsgegners zutragen. Im Ansatz hat sich das Tätigwerden einer Kommune und ihrer Organe auf das Gemeindegebiet zu beschränken. Die Verbandskompetenz einer kommunalen Gebietskörperschaft endet daher grundsätzlich an der eigenen Gemeinde- bzw. Kreisgrenze (Schwind in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen – NKomVG, Stand: 47. Erg.lfg. April 2018, § 23 NKomVG Rn. 23). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur für besondere Sachverhaltskonstellationen anzuerkennen, bei denen weitere Umstände hinzutreten, die einen spezifisch örtlichen Bezug zu vermitteln vermögen. In der Rechtsprechung und Literatur werden exemplarisch Sachverhalte interkommunaler Zusammenarbeit im Anwendungsbereich des Niedersächsischen Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (NKomZG) oder etwaiger staatsvertraglicher Regelungen sowie im Anwendungsbereich des sog. interkommunalen Abstimmungsgebotes angeführt, das auf den Gebieten der Raumordnung und Bauleitplanung Geltung beansprucht (vgl. Schwind, a. a. O., Rn. 27). Eine damit vergleichbare Sachlage, die kreisgebietsübergreifend kommunalpolitische Belange auch des Antragsgegners berührt, liegt hier nicht vor.
Darüber hinaus – dies trägt die Entscheidung selbstständig – verletzt der veröffentlichte Aufruf des Antragsgegners das Neutralitätsgebot. Dieses Gebot ergibt sich aus dem aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Grundsatz der Chancengleichheit. Hiervon umfasst wird das Recht der Parteien, durch Demonstrationen und Versammlungen an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Ein Eingriff in den Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und damit einhergehend eine Verletzung des Gebots staatlicher Neutralität liegt vor, wenn staatliche Organe auf die Ankündigung oder Durchführung politischer Kundgebungen in einseitig parteiergreifender Weise reagieren und damit auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken (vgl. hierzu ausführlich: BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2018 – 2 BvE 1/16 –, juris Rn. 39 ff., m. w. N.). Das Neutralitätsgebot gilt auch auf kommunaler Ebene und ist nicht auf die Zeiten des Wahlkampfes beschränkt; vielmehr gilt es für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2017, a. a. O., Rn. 24, m. w. N.). Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet dabei insbesondere statt, wenn sich ein Amtsinhaber unter Inanspruchnahme seiner Amtsautorität oder unter Nutzung amtlicher Ressourcen durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs erklärt (vgl. VG Köln, Beschluss vom 12. Oktober 2017 – 4 L 4065/17 –, juris Rn. 24, m. w. N.)
Die im Tenor wiedergegebenen Äußerungen – der konkrete Aufruf zur Beteiligung an Protestaktionen – greifen im oben beschriebenen Sinn unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität und Nutzung amtlicher Ressourcen zulasten der Antragstellerin in den politischen Meinungskampf und Wettbewerb ein. Die Veröffentlichung der Pressemitteilung erfolgte unter Verwendung des amtlichen Briefkopfes auf dem amtlichen Internetauftritt des Antragsgegners.
Eine Verletzung der Neutralitätspflicht scheidet vorliegend auch nicht deshalb aus, weil es sich bei der Antragstellerin um einen Kreisverband der NPD handelt. Zwar hat der Antragsgegner zurecht darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 – festgestellt hat, dass die NPD die Grundprinzipien missachte, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar seien. Danach verstießen Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger gegen die Menschenwürde, den Kern des Demokratieprinzips und wiesen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf (juris Rn. 634). Wie das Bundesverfassungsgericht jedoch ebenfalls ausgeführt hat, sei bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin ausgeschlossen, möge diese sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch noch so feindlich verhalten. Die Partei dürfe zwar politisch bekämpft werden, solle aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein (juris Rn. 526). Dies Zugrunde gelegt geht die Kammer davon aus, dass die NPD und ihre Verbände (weiter) unter das Neutralitätsgebot fallen. Dieses ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich die Äußerungen von Amtsträgern nicht bloß auf die Wiedergabe der Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts beschränken, sondern wie hier darüber hinaus aktiv zur Unterstützung von Gegenveranstaltungen oder Protestaktionen aufgerufen wird.
Die Grenzen der Verbandskompetenz des Antragsgegners sowie das staatliche Neutralitätsgebot beschränken allerdings nicht die im Kreisausschuss des Antragsgegners vertretenen Politikerinnen und Politiker, außerhalb ihrer Funktion als Mitglieder des Kreisausschusses am politischen Meinungskampf teilzunehmen. Die Übernahme eines Amtes in einem kommunalen Organ soll im Parteienstaat des Grundgesetzes nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris Rn. 50 ff., m. w. N.). Grenzen eines solchen politischen Engagements, das sich auch durch den Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration zur Versammlung der Antragsgegnerin am 1. September 2018 im Landkreis Eichsfeld zeigen kann, ergeben sich lediglich aus den Strafgesetzen sowie aus dem staatlichen Neutralitätsgebot; letzteres verbietet es - wie ausgeführt -, die Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, die ein öffentliches Amt einräumt. Es wäre den Mitgliedern des Kreisausschusses des Antragsgegners im konkreten Fall also jederzeit möglich, den Aufruf selbst oder über ihre Parteien öffentlich zu äußern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt gemäß den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit der Empfehlung in Ziff. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai / 1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (abgedruckt bei Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 21. Auflage, Anh § 164, Rn. 14). Danach ist der Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,- Euro zugrunde zu legen. Da die von der Antragstellerin erstrebte Regelung die Hauptsache zeitlich vorwegnimmt, sieht die Kammer von einer Halbierung dieses Wertes ab.