Finanzgericht Niedersachsen
v. 16.02.2022, Az.: 4 K 113/20
Einordnung der Fernuniversität in Hagen als erste Tätigkeitsstätte eines Steuerpflichtigen für die Anwendung der Entfernungspauschale
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 16.02.2022
- Aktenzeichen
- 4 K 113/20
- Entscheidungsform
- Entscheidung
- Referenz
- WKRS 2022, 18186
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VI R 7/22
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 EStG
Fundstellen
- GStB 2022, 343
- StX 2022, 374
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Fernuniversität in Hagen die erste Tätigkeitsstätte des Klägers i.S. des § 9 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist.
Die Kläger wurden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger schloss im Jahr 2008 ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuniversität in Hagen mit Diplom ab. Ab dem Wintersemester 2016/17 belegte er einen weiteren Studiengang "Diplom-II/Uni BWL/Wirtschaftswissenschaften" an der Fernuniversität in Hagen. Ausweislich der vorgelegten Studienbescheinigungen ist er während der gesamten (bisherigen) Studienzeit als "Teilzeitstudent" eingeschrieben.
Auf der Website der Fernuniversität in Hagen (https://www.fernuni-hagen.de/studium/fernstudieren/hoererstatus.shtml, abgerufen am 18. November 2021, 21:11 Uhr) heißt es:
"Vollzeitstudierende haben eine entsprechende Hochschulzugangsberechtigung und studieren den geplanten Studiengang in einem zeitlichen Umfang von etwa 40 Stunden wöchentlich. Dieser Status entspricht dem Status eines Studierenden an einer Präsenzhochschule und ist Voraussetzung für die Förderung durch BAföG. Vollzeitstudierende erhalten einen Studienausweis und sind Mitglieder der Hochschule. (...)
Teilzeitstudierende sind ebenfalls Studierende eines Studienganges und müssen eine entsprechende Hochschulzugangsberechtigung nachweisen, studieren aber überwiegend berufsbegleitend in einem zeitlichen Umfang von etwa 20 Stunden wöchentlich. Die Studiendauer verlängert sich. Teilzeitstudierende erhalten einen Studienausweis und sind Mitglieder der Hochschule."
Im Streitjahr 2017 übte der Kläger keine Erwerbstätigkeit aus.
In der gemeinsamen Steuererklärung machte er bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen für Fahrtkosten für 29 Hin- und Rückfahrten zwischen seiner Wohnung und der Fernuniversität in Hagen zu je 277 km i.H. von insg. 4.819,80 € als Werbungkosten geltend. Die Berechnung der Fahrkosten hatte der Kläger nach Reisekostengrundsätzen, mithin mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer, durchgeführt und begründete dies damit, dass es sich um "ein Studium neben dem Beruf" handele.
Das beklagte Finanzamt berücksichtigte die Fahrtkosten im Bescheid vom 4. Juni 2019 nur unter Anwendung der Entfernungspauschale i.H. von insg. 2.410 € und führte dazu aus, dass eine Bildungseinrichtung, die - wie im Streitfall - außerhalb eines Arbeitsverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht werde, eine erste Tätigkeitsstelle darstelle und somit nur die Entfernungspauschale berücksichtigt werden könne.
Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und vertraten die Auffassung, die Entfernungspauschale sei nicht anzuwenden, weil es sich bei dem Fernstudium nicht um eine vollzeitige Bildungsmaßnahme handele. Das Studium werde zu Hause und üblicherweise neben einer Berufstätigkeit ausgeübt und die Universität werde lediglich für Klausuren, zum Besuch der Bibliothek oder für Lerngemeinschaften mit Studienkollegen aufgesucht. Im Streitfall seien darüber hinaus die Diplomarbeiten gegengelesen worden. Der Umstand, dass er, der Kläger, im Streitjahr arbeitslos gewesen sei, ändere an der steuerlichen Behandlung nichts. Das ergebe sich auch aus Tz. 33 des BMF-Schreibens vom 24. Oktober 2014 (BStBl. I 2014, 1412). In den Vorjahren habe er während des Studiums mehr als geringfügig gearbeitet, sodass kein Vollzeitstudium vorliege. Der "Hauptpunkt des Studiums" habe sich in seiner Wohnung befunden. Zur Universität sei er lediglich 29-mal, also weniger als einmal pro Woche, gefahren.
Durch Einspruchsentscheidung vom 3. April 2020 wies das Finanzamt den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Die Fernuniversität in Hagen sei die erste Tätigkeitsstätte des Klägers i.S. des § 9 Abs. 4 EStG, sodass die Fahrten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG mit der Entfernungspauschale abgegolten seien. Nach § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG gelte als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Gemäß Tz. 34 des BMF-Schreibens vom 25. November 2020 (BStBl. I 2020, 1228) liege ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme insbesondere dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Rahmen des Studiums oder im Rahmen der Bildungsmaßnahme für einen Beruf ausgebildet wird und daneben entweder keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder während der gesamten Dauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen erfüllt. Es sei dabei irrelevant, dass die Fernuniversität in Hagen das Studium als "Teilzeitstudium" bezeichne. Auch sei es unerheblich, ob das Studium als Erstausbildung oder als Fortbildung betrieben werden. Jedenfalls stelle es eine Berufsausbildung dar, weil es zu einem Abschluss führe. Der Kläger sei neben in dem Zeitraum des Studiums arbeitslos und damit nicht erwerbstätig gewesen.
Hiergegen haben die Kläger ihre Klage erhoben und zur Begründung auf ihre bisherigen Ausführungen verwiesen.
Sie betonen, dass das von dem Kläger durchgeführte Studium an der Fernuniversität in Hagen "grundsätzlich neben einer hauptberuflichen Tätigkeit" erfolge. Im Streitjahr sei er jedoch arbeitslos gewesen und habe sich um die Haushaltsführung mit drei Kindern gekümmert. Zuvor habe er jedoch "längere Zeit mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von rd. 40 Stunden gearbeitet". Damit liege nur ein Teilzeitstudium vor. Außerdem liege keine "Berufsausbildung" vor, wie sie von dem BMF als Voraussetzung einer Bildungsmaßnahme gefordert werde. Vielmehr habe er seine Berufsausbildung bereits 2008 mit dem Diplom abgeschlossen und sei danach bereits in dem erlernten Beruf tätig geworden. Das jetzige Studium diene nur der Erweiterung seiner beruflich notwendigen Kenntnisse.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Bescheides für 2017 über Einkommensteuer vom 4. Juni 2019 und der Einspruchsentscheidung vom 3. April 2020 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten i.H. von 2.410 € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Einspruchsverfahren.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das beklagte Finanzamt hat die Fahrten des Klägers zwischen seiner Wohnung und seinem Studienort zu Unrecht nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 EStG. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 € im Kalenderjahr. Als erste Tätigkeitsstätte gilt nach § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird.
2. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für die Anwendung der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht vor. Die Fernuniversität in Hagen galt nicht als erste Tätigkeitsstätte des Klägers.
Bei der von dem Kläger im Streitfall aufgesuchten Fernuniversität in Hagen handelt es sich fraglos um eine Bildungseinrichtung. Diese suchte der Kläger, da er arbeitslos war und somit kein Dienstverhältnis bestand, außerhalb eines Dienstverhältnisses auf.
Streitig ist allein die Frage, ob der Kläger die Bildungseinrichtung "zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme" aufsuchte. Das ist jedoch nicht der Fall.
a) Der Kläger ist an der Fernuniversität in Hagen ausdrücklich nur für ein Teilzeitstudium eingeschrieben, das nach der eigenen Beschreibung der Fernuniversität "in einem zeitlichen Umfang von etwa 20 Stunden wöchentlich" stattfindet. Er sucht die Fernuniversität daher gerade nicht für ein Vollzeitstudium auf, dass dort "in einem zeitlichen Umfang von etwa 40 Stunden wöchentlich" ebenfalls angeboten wird. Der Wortlaut des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG verlangt für die Anwendung der Entfernungspauschale ein "Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme", die im Streitfall jedenfalls nach der eigenen Abgrenzung der Fernuniversität in Hagen nicht gegeben war.
b) Das Bundesministerium der Finanzen - und ihm folgend das beklagte Finanzamt - vertritt allerdings die Auffassung, ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme liege "insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige im Rahmen des Studiums oder im Rahmen der Bildungsmaßnahme für einen Beruf ausgebildet wird und daneben entweder keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder während der gesamten Dauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses i. S. des. §§ 8 und 8a SGB IV ausübt" (BMF, Schreiben vom 25. November 2020, BStBl. I 2020, 1228, Tz. 34). Hiernach wäre im Streitfall von einem Vollzeitstudium auszugehen, weil der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.
c) Nach der Definition des Bundesfinanzhofs liegt eine vollzeitige Bildungsmaßnahme dagegen "in Abgrenzung zu einer nur in Teilzeit durchgeführten Maßnahme vor, wenn die berufliche Fort- oder Ausbildung typischerweise darauf ausgerichtet ist, dass sich der Steuerpflichtige ihr zeitlich vollumfänglich widmen muss und die Lerninhalte vermittelnden Veranstaltungen jederzeit besuchen kann" (BFH, Urteil vom 14. Mai 2020 - VI R 24/18, BStBl. II 2020, 770). Danach liegt im Streitfall keine vollzeitige Bildungsmaßnahme vor, weil das Teilzeitstudium des Klägers gerade nicht darauf ausgerichtet ist, dass sich der Steuerpflichtige sich ihr vollumfänglich widmen muss. Vielmehr ist das Teilzeitstudium nach der eigenen Beschreibung der Fernuniversität Hannover gerade zur Ausübung neben einer Berufstätigkeit angelegt.
d) Das Verständnis des Bundesfinanzministeriums, wonach ein Studium oder eine Bildungsmaßnahme im Falle einer Erwerbslosigkeit stets ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme gegeben ist, lässt sich aus § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG nicht herleiten. Der Senat folgt dieser Auffassung nicht.
aa) Der Wortlaut der Vorschrift spricht ausdrücklich von einem "Vollzeitstudium" und von einer "vollzeitigen" Bildungsmaßnahme. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden diese Begrifflichkeiten im Gegensatz zu einem Teilzeitstudium bzw. zu einer in Teilzeit erfolgenden Bildungsmaßnahme verwendet, wobei sich die Abgrenzung nach dem zeitlichen Umfang des Studiums oder der Bildungsmaßnahme richtet. Dies zeigt sich beispielhaft an der entsprechenden Darstellung der Fernuniversität in Hagen, nach der das Vollzeitstudium in einem zeitlichen Umfang von etwa 40 Stunden wöchentlich und das Teilzeitstudium in einem zeitlichen Umfang von etwa 20 Stunden wöchentlich stattfindet.
Auch die Rechtsprechung der Verwaltungs- und Sozialgerichte unterscheidet bei der Anwendung des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (BaFöG) in dieser Weise. Dessen § 2 Abs. 5 Satz 1 stellt für die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung darauf ab, dass sie "die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt". Das wird dann angenommen, wenn die Ausbildung in Vollzeitform geführt wird, also nach den Ausbildungsbestimmungen oder der allgemeinen Erfahrung insgesamt 40 Wochenstunden erfordert. Ein "Teilzeitstudium" ist dagegen nicht förderungsfähig, weil es die Arbeitskraft des Studierenden nicht voll in Anspruch nimmt (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 28/93; Hessisches LSG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - L 9 AS 535/20 B ER). Dabei ist es irrelevant, ob die Immatrikulation für das Teilzeitstudium wegen einer gleichzeitig ausgeübten beruflichen Tätigkeit oder einer gleichartigen zeitlichen Belastung, etwa wegen familiärer Verpflichtungen, erfolgt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juni 2008 - L 9 KR 1041/05).
bb) Der Zweck der Vorschrift spricht ebenfalls gegen die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach ein während einer Erwerbslosigkeit durchgeführtes Studium oder eine währenddessen ausgeübte Bildungsmaßnahme stets als Vollzeitmaßnahme angesehen werden muss.
Mit § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG verfolgte der Gesetzgeber den Zweck, Steuerpflichtige im Fall einer außerhalb eines Dienstverhältnisses ausgeübten Bildungsmaßnahme mit Arbeitnehmern steuerlich gleichzustellen, die einer betrieblichen Einrichtung dauerhaft zugeordnet sind. Denn "außerhalb eines Dienstverhältnisses" unterlägen die Steuerpflichtigen keinem Direktionsrecht, sondern träfen selbst die Entscheidung für die jeweilige Bildungseinrichtung und hätten daher die Möglichkeit, sich auf die ihnen entstehenden Wegekosten einzurichten und deren Höhe aufwandmindernd zu beeinflussen (s. BT-Drs. 17/10774, S. 15; s. auch BFH, Urteil vom 14. Mai 2020 - VI R 3/18, BStBl. II 2021, 302). Diese Überlegung des Gesetzgebers ist jedoch nur sachgerecht, wenn das Studium oder die Bildungsmaßnahme wenigstens einen Großteil der (regelmäßigen) Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt. Entsprechend geht auch der Bundesfinanzhof davon aus, dass der Gesetzgeber mit der Regelung die steuerliche Lastengleichheit zwischen Arbeitnehmern und "Vollzeitauszubildenden" im Hinblick auf den Werbungskostenabzug beruflich veranlasster Aufwendungen herstellen wollte (so BFH, Urteil vom 14. Mai 2020 - VI R 24/18, BStBl. II 2020, 770). Die Auffassung der Finanzverwaltung führte hingegen dazu, dass jede zeitlich noch so geringfügige Bildungsmaßnahme in einer Zeit der Erwerbslosigkeit als vollzeitige Bildungsmaßnahme und jede Art von Studium als Vollzeitstudium einzuordnen wäre. Hinzu kommt, dass bei diesem Verständnis auch etwaige familiäre Verpflichtungen des Steuerpflichtigen - wie sie etwa im Streitfall von dem Kläger vorgetragen werden - völlig außer Betracht bleiben.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte spricht dafür, dass für die Bestimmung des Vollzeitstudiums bzw. der vollzeitigen Berufsmaßnahme auf den zeitlichen Umfang des Studiums bzw. der Berufsmaßnahme und nicht auf die daneben ausgeübte Tätigkeit ankommt.
Mit der Einführung des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG wollte der Gesetzgeber einer kurz zuvor geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entgegenwirken (s. auch BFH, Urteil vom 14. Mai 2020 - VI R 24/18, BStBl. II 2020, 770; eingehend dazu auch Maciejewski, FR 2021, 154). Weil unter "regelmäßiger Arbeitsstätte" bis dahin nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers und damit regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb verstanden worden war, hatte der Bundesfinanzhof eine arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung - "unabhängig davon, ob die Bildungsmaßnahme die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt oder neben einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird" - nicht als regelmäßige Arbeitsstätte eingeordnet (BFH, Urteil vom 9. Februar 2012 - VI R 42/11, BStBl. II 2013, 236). Während der Bundesfinanzhof somit Bildungsmaßnahme unabhängig von ihrem zeitlichen Umfang aus dem Anwendungsbereich der Entfernungspauschale ausgenommen hatte, stellte die gesetzliche Regelung für die Beschränkung der Reisekosten ausdrücklich nur auf vollzeitige Studien und Bildungsmaßnahmen ab.
3. Die steuerliche Berücksichtigung der Fahrtkosten des Klägers ist daher nicht auf Entfernungspauschale beschränkt. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger die Fahrten zu der Fernuniversität in Hagen selbst oder zu privaten Arbeitsgemeinschaft in Wohnungen von Kommilitoninnen und Kommilitonen getätigt hat. Bei Letzteren ist die Beschränkung auf die Entfernungspauschale schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich nicht um eine Bildungseinrichtung handelt. Vielmehr können die von dem Kläger in tatsächlicher Höhe geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit angesetzt werden. Der Senat schließt sich dabei der im Ergebnis vom Kläger - in Übereinstimmung mit den Verwaltungsvorschriften - vorgenommenen Schätzung in Höhe 0,30 € pro gefahrenem Kilometer an.
II. Die Revision wurde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil der Senat entgegen der in Tz. 34 des BMF-Schreibens vom 25. November 2020, BStBl. I 2020, 1228, aufgestellten Abgrenzungskriterien entschieden hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.