Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.05.2004, Az.: 19 UF 238/03
Bedarfsbemessung; Berücksichtigung; Ehegattenunterhalt; Ehescheidung; Familiensache; nachehelicher Unterhalt; Scheidungsfolge; Scheidungszeitpunkt; Unterhaltsanspruch; Unterhaltsbemessung; Unterhaltsmaß; Unterhaltsschuldnervermögen; Verbindlichkeitenbestand; Verbraucherinsolvenzverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.05.2004
- Aktenzeichen
- 19 UF 238/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 51078
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 05.11.2003 - AZ: 2 F 479/01
Rechtsgrundlagen
- § 1570 BGB
- § 1578 BGB
- § 240 ZPO
- § 38 InsO
- § 87 InsO
- § 89 InsO
- § 286 InsO
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Osterholz-Scharmbeck vom 5. November 2003 für den Unterhaltszeitraum ab dem 1. September 2003 unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels geändert und wie folgt neu gefasst:
Der am 10. Januar 2001 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Osterholz-Scharmbeck zum Aktenzeichen 2 F 79/00 abgeschlossene Vergleich wird dahingehend abgeändert, dass der Kläger ab September 2003 an die Beklagte einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 241 € und ab Juni 2004 in Höhe von 269 € zu zahlen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Beklagte zu 80 % und der Kläger zu 20 %. Die Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Beklagte zu 60 % und der Kläger zu 40 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 14. April 2004 auf 6.348,- € und für die Zeit ab dem 15. April 2004 auf 3.468,- € festgesetzt. Der Streitwert für die erste Instanz wird in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck vom 10. Dezember 2003 auf 7.372,73 € festgesetzt.
Gründe
I. Wegen des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO zunächst auf die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Am 29. August 2003 hat das Amtsgericht - Insolvenzgericht - ... (14 IK 24/02 ) über das Vermögen des Klägers das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet, ohne dass dies bis zur Verkündung des hier angefochtenen Urteils erstinstanzlich zu den Gerichtsakten bekannt geworden wäre.
Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger zunächst beantragt, den vor dem Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck am 10. Januar 2001 abgeschlossenen Vergleich dahingehend abzuändern, dass er für die Zeit vom 18. September 2001 bis Dezember 2001 lediglich noch 536,22 DM monatlich, für die Monate Januar 2002 bis Mai 2002 lediglich noch 273,09 € monatlich, für die Monate Juni bis August 2002 lediglich noch 261,70 € monatlich und für die Zeit ab September 2002 keinen nachehelichen Ehegattenunterhalt mehr schulde. Durch Beschluss des Senates vom 15. April 2004 ist der Rechtsstreit, soweit Unterhaltsforderungen für die Zeit bis zum 31. August 2003 betroffen sind, im Hinblick auf das Verbraucherinsolvenzverfahren abgetrennt worden (§ 145 ZPO). Im vorliegenden Verfahren beantragt der Kläger nunmehr für die Zeit ab September 2003 unter Zurücknahme des weiter gehenden Rechtsmittels Abänderung des Vergleichs vom 10. Januar 2001 auf einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 240 €.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
Wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz im Einzelnen wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers hat hinsichtlich des für die Zeit nach Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens fällig gewordenen Unterhalts in der Sache überwiegend Erfolg.
Soweit das Verfahren den Unterhalt bis August 2003 betrifft, ist es gemäß § 240 ZPO aufgrund der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens unterbrochen. Da nur die bis zur Eröffnung fälligen Unterhaltsrenten (einschließlich des zum Monatsbeginn des Eröffnungsmonats fälligen Unterhaltsbetrages, § 1585 Abs. 1 BGB) Insolvenzforderungen geworden sind (§ 38 InsO), kann der Rechtsstreit wegen der Unterhaltsrenten für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also für die Zeit ab September 2003 weitergeführt werden. Dem steht nicht entgegen, dass ein Verfahren grundsätzlich einheitlich unterbrochen wird, wenn nur Teile des Streitgegenstandes die Masse betreffen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Auflage, Rdnr. 8 zu § 240). Denn dies gilt jedenfalls nicht für Unterhaltsforderungen, die nicht einheitlich, sondern laufend aufgrund eines familienrechtlichen Tatbestandes neu entstehen (vgl. OLG Celle, FamRZ 2003, 1116; OLG Koblenz, FamRZ 2003, 109 ff.; OLG Naumburg InVo 1999, 283; vgl. weiter Weisbrodt FamRZ 2003, 1240; Hoppenz FF 2003, 158 ff; Kleffmann FuR 2004, 9, 15).
Der Berechnung des vom Kläger im Hinblick auf das gemeinsame, am 19. Juni 1996 geborene Kind P. gemäß § 1570 BGB ab September 2003 geschuldeten nachehelichen Unterhaltes sind die von ihm seit Februar 2003 aus der Tätigkeit bei der Firma ...-Betriebe in Z. bezogenen Einkünfte zugrunde zu legen. Die von ihm bis August 2002 als Fahrer bei der -AG erzielten Einkünfte sind entgegen der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht fiktiv fortzuschreiben.
Voraussetzung für eine Fiktion unterhaltsrechtlich erheblicher Einkünfte ist ein verantwortungsloses, zumindest leichtfertiges unterhaltsbezogenes Fehlverhalten des Unterhaltsschuldners (BGH FamRZ 2000, 815.). Wie die durch den Senat durchgeführte Beweisaufnahme ergeben hat, ist dem Kläger die Beendigung seines Arbeitsverhältnis bei der -AG und der Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber unterhaltsrechtlich nicht vorzuwerfen. Die Zeugen W. und G. haben übereinstimmend bestätigt, dass der Kläger bereits seit 2001 überdurchschnittlich hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten zu verzeichnen hatte; mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages sei er einer krankheitsbedingten Kündigung zuvorgekommen. Die Möglichkeit einer betriebsinternen Umsetzung habe nicht bestanden. Auch der schriftlichen Stellungnahme des Dr. med. L. ist zu entnehmen, dass der Kläger im ersten Halbjahr 2002 unter erheblichen psychosomatischen Beschwerden gelitten hat und ihm von ärztlicher Seite ein Verzicht auf Schichtarbeit angeraten worden war.
Das somit der Unterhaltsberechnung zugrundezulegende Einkommen des Klägers bei der -B belief sich ausweislich der Verdienstbescheinigung für Dezember 2003 in der Zeit von Februar 2003 bis Dezember 2003 auf
brutto | 21.577,73 € |
./. Lohnsteuer | 3.035,81 € |
./. Solidaritätszuschlag | 32,06 € |
./. Krankenversicherungsbeitrag | 1.497,72 € |
./. Rentenversicherungsbeitrag | 2.076,80 € |
./. Arbeitslosenversicherung | 692,25 € |
./. Pflegeversicherung | 181,04 € |
14.062,05 € | |
./. 11 monatlich | 1.278,37 € |
Die Versteuerung des Einkommens beruht auf der Steuerklasse IV mit 3 Kinderfreibeträgen, so dass entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung ein Splittingvorteil nicht herauszurechnen ist. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die Unterhaltszahlungen an die Beklagte im Wege des begrenzten Realsplittings geltend machen kann. Da für die Zeit nach Erlass des Urteils in der Berufungsinstanz die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten der Höhe nach feststeht, ist der Kläger gehalten ist, sich insoweit einen Freibetrag in die Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen. Bereits unter Berücksichtigung eines monatlichen Unterhaltsbetrags in Höhe von 200 € ergibt sich eine steuerliche Entlastung in einer Größenordnung von 50 €, so dass der Unterhaltsberechnung für die Zeit ab Juni 2004 ein monatliches Einkommen in Höhe von gerundet 1.330 € zugrunde zu legen ist.
Da die Gläubiger der vor Insolvenzeröffnung begründeten Verbindlichkeiten gemäß §§ 38, 87 89 InsO Befriedigung nur noch im Insolvenzverfahren suchen können, steht der pfandfreie Teil des Einkommens ungeschmälert zur Unterhaltsbemessung zur Verfügung. Kreditraten sind angesichts des Verbraucherinsolvenzverfahrens mit angestrebter Restschuldbefreiung (§§ 286 ff InsO) nicht mehr in Abzug zu bringen. Unter Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber drei Personen ergibt sich bei einem Einkommen von 1.278 € bzw. von 1.330 € nach § 850 c ZPO kein pfändbarer Betrag. Über dem angemessenen Selbstbehalt in Höhe von 840 € stehen somit zur Verteilung für die Unterhaltsberechtigten, die Beklagte, den am 19. Juni 1996 geborenen gemeinsamen Sohn und die am 18. September 2001 geborene Tochter aus zweiter Ehe für die Zeit von September 2003 bis Mai 2004 438 € und für die Zeit ab Juni 2004 490 € zur Verfügung.
Der Unterhaltsbedarf der Beklagten bestimmt sich nach den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers, also nach seinen Einkünften bei der -B unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Insolvenzverfahrens. Zwar sind für den nachehelichen Unterhaltsanspruch grundsätzlich die ehelichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung maßgebend. Ebenso wie nach der Scheidung eingetretene Einkommensverbesserungen, die zum Zeitpunkt der Scheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren, sich bedarfssteigernd auswirken, sind nacheheliche Einkommensminderungen bei der Bedarfsbemessung zu berücksichtigen, sofern sie nicht auf einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen beruhen (BGH, FamRZ 2003, 590; FamRZ 2003, 848). Auch die Einleitung des Insolvenzverfahrens stellt hier keine unerwartete und vom Normalverlauf erheblich abweichende Entwicklung dar. Bei Ehescheidung bestanden bereits erhebliche Verbindlichkeiten, so dass es im Falle einer Einkommensreduzierung auch bei bestehender Ehe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Insolvenzverfahren gekommen wäre.
Der Bedarf der Beklagten beträgt somit 1.278,- € (1.330,- €) ./. Unterhalt Ph. 241 € x 3/7 = 444,43 € (466,71 €). Die Beklagte hat durch Vorlage der Bescheinigung vom 13. Dezember 2002 belegt, dass sie monatlich lediglich 45 € durch ihre Tätigkeit in der Gaststätte L. erzielt. Soweit der Kläger geltend macht, sie verfüge über Einkünfte aus einer weiteren Putzstelle, hat er konkrete Beträge nicht genannt, so dass ein über 45 € hinausgehendes Einkommen nicht angesetzt werden kann. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte den 1996 geborenen gemeinsamen Sohn betreut und somit grundsätzlich zu einer Erwerbstätigkeit nicht verpflichtet ist. Gleichwohl erzielte Einkünfte sind nur teilweise anzurechnen und / oder ein Betreuungsbonus abzusetzen (vgl. Wendl/Gerhardt, Unterhaltsrecht, 6. Auflage, § 1 Rdnr. 545 b).
Die Verteilungsmasse von 438 € bis Mai 2004 und von 490 € ab Juni 2004 reicht nicht aus, um den Unterhaltsbedarf der Beklagten und der beiden minderjährigen Kinder zu decken. Im Rahmen der somit erforderlichen Mangelfallberechnung wird unter besonderer Berücksichtigung des Einzelfalles für die Beklagte hier unter Außerachtlassung der geringfügigen Einkünfte aber auch nur der notwendige Eigenbedarf eines Nichterwerbstätigen mit 730 € angesetzt. Die Einsatzbeträge für die minderjährigen Kinder nach Gruppe 6 der Düsseldorfer Tabelle betragen 326 € und 269 €, so dass sich ein Gesamtbedarf von 1.325 € errechnet. Für die Zeit von September 2003 bis Mai 2004 kann der Bedarf aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen zu 33,06 % (438 € x 100 ./. 1.325 €) gedeckt werden. Der Unterhaltsanspruch der Beklagten errechnet sich hiernach mit 33,06 % von 730 €, also mit gerundet 241 € monatlich. Für die Zeit ab Juni 2003 errechnet sich eine Quote von 36,98 % (490 € x 100 ./. 1.325), so dass sich ein Unterhaltsbetrag in Höhe von gerundet 269 € ergibt.
Die Kostenentscheidung, die sich ebenso wie die Streitwertfestsetzung lediglich auf den nach Abtrennung hier entschiedenen Teil (Unterhaltsansprüche ab September 2003) bezieht, folgt aus §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Ziffer 8 und 10, 713 ZPO.