Sozialgericht Lüneburg
v. 13.11.2002, Az.: S 9 KR 144/00

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
13.11.2002
Aktenzeichen
S 9 KR 144/00
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2002, 35752
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2002:1113.S9KR144.00.0A

In dem Rechtsstreit

...

gegen

Krankenkasse,

vertreten durch den Geschäftsführer,

hat das Sozialgericht Lüneburg - 9. Kammer -

am 13. November 2002

durch den Vorsitzenden, Direktor des Sozialgerichts Taubert

gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Beteiligten haben einander

    keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

1

I.

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine hyperbare Sauerstofftherapie.

2

Im Juni 2000 beantragte die Klägerin durch ihren behandelnden Arzt, Dr. M, bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine hyperbare Sauerstofftherapie. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom

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08. Juni 2000 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2000 zurück.

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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Sie ist der Auffassung, der generelle Ausschluss der hyperbaren Sauerstofftherapie aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei rechtswidrig.

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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2000 aufzuheben und

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die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die hyperbare Sauerstoffbehandlung

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des Klägers zu übernehmen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie vertritt weiterhin die Auffassung, es handele sich nicht um eine Behandlungsmethode im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.

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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

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Die Beteiligten wurden darauf hingewiesen, dass die Kammer in zwei Urteilen vom 08. August 2002 - S 9 KR 45/00 und S 9 KR 95/00 - bei vergleichbaren Sachverhalten die Klagen zurückgewiesen hatte und sie beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Beteiligten haben dagegen keine Einwände erhoben.

Gründe

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II.

Das Gericht kann in diesem Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht zu

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beanstanden, denn die Beklagte hat sich zu Recht geweigert, die Kosten für die hyperbare Sauerstofftherapie zu übernehmen.

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Nach § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. auch die ärztliche Behandlung. Nach § 12 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Eine Kostenerstattung anstelle der Sachleistung darf nach § 13 Abs. 3 SGB V nur dann erfolgen, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

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Für den Fall, dass es sich um neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden handelt, ist darüber hinaus § 135 SGB V zu berücksichtigen. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben haben über

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1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie über deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu Lasten der Krankenkassen erbrachter Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,

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2. die notwendige Qualifikation der Ärzten, die apparativen Anforderungen sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern und

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3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.

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Die hyperbare Sauerstofftherapie gehört, jedenfalls für die Behandlung von hals-nasen-ohrenärztlichen Erkrankungen, nicht zu den Therapien, die im Rahmend der vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden dürfen. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkasse hatte bereits unter Geltung der früheren Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) mit Beschluss vom 22. November 1994 entschieden, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für eine

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Anerkennung der hyperbaren Sauerstofftherapie als vertragsärztliche Behandlungsmethode nicht ausreichen. Bei der Einführung der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien) hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zunächst diese Entscheidung übernommen und die hyperbare Säuerstofftherapie die Anlage A der BUB-Richtlinien eingeordnet. Dort sind die Methoden aufgeführt, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden dürfen. Er hat sich dann erneut mit der hyperbaren Sauerstofftherapie auseinandergesetzt und die vorliegenden wissenschaftlichen Unterlagen über die Wirksamkeit dieser Therapie ausgewertet. Er ist dabei wiederum zu dem Beschluss gekommen, es lägen keine hinreichenden Nachweise für eine Wirksamkeit der hyperbaren Sauerstofftherapie vor. Durch Beschluss vom 10. April 2000 hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen seine frühere Entscheidung bestätigt.

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Das Bundessozialgericht - BSG - hat seit 1997 in inzwischen ständiger Rechtsprechung diese Richtlinien grundsätzlich für rechtmäßig und für die Krankenkassen verpflichtend erachtet (vgl. z.B. Urteil des BSG vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 4/00 R - betr. implantologische Leistungen). Dieser Rechtsprechung hat sich die Kammer angeschlossen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten käme daher nur dann in Betracht, wenn ein sog. Systemversagen vorläge. Für ein derartiges Systemversagen gibt es im Falle der hyperbaren Sauerstofftherapie jedoch keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Insbesondere ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen innerhalb von 5 Jahren zweimal mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die hyperbare Sauerstofftherapie in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden muss und zu diesem Zweck die zu dem jeweiligen Zeitpunkt vorliegenden medizinischen Erkenntnisse berücksichtigt hat. Für eine fehlerhafte Entscheidung oder ein pflichtwidriges Handeln des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Ein derartiger Anhaltspunkt kann insbesondere nicht sein, dass die Methode im europäischen Ausland oder in den Vereinigten Staaten von Amerika eingesetzt und dort von den gesetzlichen Krankenkassen auch gezahlt wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Krankenversicherungssysteme zum Teil sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, einschließlich zum Teil erheblicher Zuzahlungsverpflichtungen der Versicherten bei der Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen. Im übrigen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die hyperbare Sauerstofftherapie als ärztliche Leistung auch in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden darf, so dass die ärztliche Therapiefreiheit nicht tangiert ist. Es besteht lediglich keine Möglichkeit, diese Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen. Diese Einschränkung ist, wie oben dargelegt, nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden.

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Die Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur hyperbaren Sauerstofftherapie verstößt nach Überzeugung der Kammer auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen die Bestimmungen des SGB V. Vielmehr ist es so, dass die Tätigkeit des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen in § 135 SGB V ausdrücklich vorgesehen ist. Er schränkt durch seine Entscheidungen grundsätzlich die ärztliche Versorgung auch nicht entgegen den gesetzlichen Bestimmungen ein, sondern konkretisiert vielmehr nur die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Er tut dies, wie aus § 135 SGB V ausdrücklich hervorgeht, durch Prüfung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen insoweit eingeräumte Entscheidungskompetenz ist nicht zu beanstanden. Problematisch wird die in der Literatur und auch vom

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4. Senat des Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen aufgeworfene Frage der Entscheidungen und der demokratischen Legitimation des Gremiums nur in den Fällen, in denen nicht nur bestimmte Methoden, sondern ganze Krankheitsbilder aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen werden, wie es z.B. bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion der Fall ist. Problematisch wird es weiter dann, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen neben den Problemen des therapeutischen Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit, noch andere Erwägungen anstellt bzw. Gesichtspunkte berücksichtigt, die nicht innerhalb seines Kompetenzrahmens liegen, wie dies offenbar bei der Entscheidung über die sog. ICSI-Therapie der Fall war. In Fällen der hier vorliegenden Art bei denen grundsätzlich zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Behandlungsmethoden existieren, spielt das Problem der demokratischen Legitimation des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach Auffassung der Kammer keine entscheidende Rolle. Keine entscheidende Bedeutung kann in diesem Zusammenhang auch der Frage zukommen, ob in einem einzelnen Fall die anerkannten vertragsärztlichen Methoden nicht zu einer Heilung oder Linderung der Krankheit geführt haben. Dies schon deswegen nicht, weil auch die hyperbare Sauerstofftherapie nicht in jedem Fall zu einer Heilung oder Linderung der Beschwerden führt. In Anbetracht dessen konnte die Klage keinen Erfolg haben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.