Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 06.07.2006, Az.: 1 A 136/05

Anwärter; Auswahlkriterium; Beamter auf Probe; Beamter auf Widerruf; Bestenauslese; Beurteilungsmaßstab; Eignungsmerkmal; Entlassung; Ermessen; Gesamtnote; Laufbahnprüfung; Leistungsmerkmal; Maßstab; Personal- und Befähigungsnachweis; Widerrufsgrund

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.07.2006
Aktenzeichen
1 A 136/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der am 19. Juni 1985 in H. geborene Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf.

2

Er wurde durch Urkunde vom 5. Juni 2002 mit Wirkung vom 1. August 2002 - unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf - in F. zum Justizsekretäranwärter ernannt. Er erhielt von diesem Tage an Anwärterbezüge gemäß BesGr. A 6 BBesO. Den erweiterten Realschulabschluss erwarb er kurz darauf an der Sekundarschule „G.“ in H. mit weit überwiegend sehr guten Noten. Den 1. Ausbildungsabschnitt (1. August bis 30. November 2002) absolvierte er beim Amtsgericht I. mit „gut“ (11, 11 Pkt). Den Lehrgang für den mittleren Justizdienst bei dem Landgericht J. schloss er ebenfalls mit „gut“ (12 Pkt) ab. Auch im 3. Ausbildungsabschnitt beim Amtsgericht I. (1. Juni 2003 bis 31. Juli 2003) erreichte er die Note „gut“ (12,65 Pkt). Die Ausbildungsnote wurde mit 11,94 Pkt. („gut“) ermittelt. Die Prüfung im Prüfungsamt für den Mittleren Justizdienst bei dem Landgericht J. bestand er am 10. August 2004 mit der Note „gut“ (11,29 Pkt.).

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Der Kläger wurde hierauf mit Wirkung vom 11. August 2004 an die Staatsanwaltschaft L. versetzt und als „Justizsekretäranwärter mit bestandener Prüfung“ im mittleren Justizdienst verwendet. Bei Bewährung sollte diese Zeit auf seine Probezeit angerechnet werden.

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Mit Erlass vom 15. April 2005 wurde der Beklagten mitgeteilt, dass folgende Ausnahme vom Einstellungsstopp erteilt werde:

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„Im mittleren Justizdienst können nach erfolgter Bestenauslese bis zu 40 Anwärterinnen und Anwärter dauerhaft übernommen werden…“

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Durch Schreiben vom 21. April 2005 teilte die Beklagte der gen. Staatsanwaltschaft hierauf mit, dass der Kläger zum 30. Juni 2005 zeitgerecht entlassen werden solle, da er nach Auswertung der vorliegenden Beurteilungen und unter Berücksichtigung des Leistungsgrundsatzes nicht im Justizdienst des Landes Niedersachsen verbleiben könne.

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Im Personal- und Befähigungsnachweis vom 22. März 2005 waren dem Kläger zwar „gute theoretische Kenntnisse“ und eine „sehr gründliche, manchmal umständliche Arbeitsweise“ attestiert worden, insgesamt eine „gute Basis“. Die Gesamtnote lautete jedoch auf

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„befriedigend (unterer Bereich) mit Tendenz zum mittleren Bereich“.

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Durch die angefochtene Verfügung vom 12. Mai 2005 - ausgehändigt am 17. Mai 2005 - wurde der Kläger aus seinem Beamtenverhältnis mit der Begründung entlassen, wegen der angespannten Haushaltslage stünden bei der Beklagten nur 5 Stellen zur Verfügung, so dass nach dem Grundsatz der Bestenauslese vorzugehen sei. Der Kläger aber habe im Personal- und Befähigungsnachweise des Ltd. Oberstaatsanwalts in L. vom 22. März 2005 nur die Note „befriedigend (unterer Bereich) mit Tendenz zum mittleren Bereich“ erhalten, so dass ihm andere, besser beurteilte Bewerber vorzuziehen seien.

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Zur Begründung seiner am 24. Mai 2005 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, die von der Beklagten getroffene Auswahlentscheidung sei aus verschiedenen Gründen rechtswidrig. So sei ihm bei der Eröffnung des Personal- und Befähigungsnachweises gesagt worden, die Bewertung sei im Vergleich zu den anderen im Haus tätigen Mitarbeitern erstellt worden, so dass es unangemessen gewesen wäre, einem Anfänger eine gute Leistung zu bescheinigen, während „alteingesessene Kollegen“ im Leistungsvergleich nur mit „befriedigend“ abschlössen. Hiermit sei der Maßstab verkannt und ein zu hoher Maßstab angelegt worden: Er sei mit Anwärterinnen und Anwärtern zu vergleichen, nicht jedoch mit eingearbeiteten Kollegen. Die noch wenig erfahrene Geschäftsleiterin, die erst seit Dezember 2004 in ihrem Amt sei, habe an Fortbildungsmaßnahmen zu Beurteilungen nicht teilgenommen und bisher nur wenige Berufsanfänger zu beurteilen gehabt. Sie habe einen zu hohen Maßstab angelegt. Im Übrigen sei kein landesweiter Vergleich durchgeführt worden, sondern nur ein solcher innerhalb des C. Bezirks. Es seien aber die 40 landesweit besten Bewerber zu ermitteln, nicht nur die des Bezirks C..

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie legt dar, es stelle keinen Ermessensfehler dar, nur eine Auswahl unter den Anwärterinnen und Anwärtern des Bezirks und keinen landesweiten Vergleich durchgeführt zu haben: Die personalrechtlichen Befugnisse seien den Mittelbehörden übertragen worden, so dass sie nicht befugt sei, andere Bewerber in einen Vergleich einzubeziehen. Sie habe eine Bestenauslese durchgeführt, zu deren Einzelheiten sie auf die entsprechenden Unterlagen verweise. Das Ergebnis sei gewesen, dass der Kläger habe entlassen werden müssen.

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Die Kammer hat gem. Beschluss vom 2. Februar 2006 Beweis zu dem von der Geschäftsleiterin der Staatsanwaltschaft L. angelegten Beurteilungs- und Vergleichs-maßstab erhoben. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 1. März 2006 Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Der Kläger wird durch die Entlassungsverfügung vom 12. Mai 2005 in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 VwGO.

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1. Ein Widerspruchsverfahren brauchte hier gem. §§ 126 Abs. 3 Nr. 4 BRRG, 8a Nds AG VwGO nicht stattzufinden, da ein Gesetz, nämlich das Nds. AG VwGO idF v. 1.7.1993 (Nds.GVBl. S. 175), zuletzt geändert d. Art. 2 des Gesetzes v. 5.11.2004 (Nds.GVBl. S. 394) ein Widerspruchsverfahren nicht mehr vorschreibt und Ausnahmen insoweit nicht vorgesehen sind.

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2. Rechtsgrundlage der Entlassungsverfügung vom 12. Mai 2005 ist § 40 Abs. 1 NBG, demzufolge Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden können (vgl. für Bundesbeamte § 32 BBG ). Die Vorschrift verleiht dem Dienstherrn die Befugnis, Beamte auf Widerruf aus jedem nicht ermessenfehlerhaften Grund entlassen zu können.

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3. Die sachliche Besonderheit des vorliegenden Falles liegt allerdings darin, dass der Kläger, der seine Laufbahnprüfung mit „gut“ bestanden hatte, trotz des dadurch nachgewiesenen Erwerbs der Befähigung iSv § 7 Abs. 1 S. 1 NLVO (idF der Bekanntm. v. 25.5.2001 / Nds GVBl. S. 315, zuletzt geänd. D. VO v. 9.11.2005 / Nds GVBl. S. 338) nicht im August 2004 zum Beamten auf Probe ernannt worden, sondern unter Fortführung seines Beamtenverhältnisses auf Widerruf - als „Justizsekretäranwärter mit bestandener Prüfung“ - in eine einjährige Erprobungsphase bei der Staatsanwaltschaft K. überführt worden ist. Die Folge hiervon war, dass die besonderen Entlassungsgründe für Beamte auf Probe (§ 39 NBG) auf den Kläger mangels Überführung in den Status eines Probebeamten nicht anwendbar wurden.

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Grundlage hierfür war ein Personal- und Übernahmekonzept, das auf dem Hintergrund des im März 2003 erlassenen Einstellungsstopps den Anwärterinnen und Anwärtern in einem Schreiben des Niedersächsischen Justizministeriums vom März 2004 erläutert und in dem angekündigt worden war, dass nur diejenigen „für eine Übernahme auf die besetzbaren Stellen im Servicebereich der Gerichte und Staatsanwaltschaften“ überhaupt in Betracht kämen, „die die Prüfung mit ´befriedigend´ oder besser ablegen“. Erst im Frühjahr des nächsten Jahres werde dann in einem weiteren Schritt „im Rahmen einer Bestenauslese“ entschieden, „wer endgültig auf die besetzbaren Stellen übernommen“ werde (Bl. 58 d. GA). Im Ergebnisprotokoll der Dienstbesprechung vom 26. Februar 2004 heißt es insoweit u.a.:

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„Im Gegensatz zu den Anwärterinnen und Anwärtern des gehobenen Dienstes und den Auszubildenden besteht für die Anwärterinnen und Anwärter des mittleren Justizdienstes auch nach Ablegen der Prüfung (Juli 2004) das Beamtenverhältnis fort. Dies eröffnet die Möglichkeit , die qualifizierten Anwärterinnen und Anwärter (befriedigend und besser) im Anschluss an die Prüfung vorübergehend (längstens für 1 Jahr) weiter als Anwärterin bzw. Anwärter mit bestandener Prüfung auf ihren, nicht zur Personalkostenbudgetierung zählenden und damit auch nicht budgetrelevanten Anwärterstellen zu beschäftigen.

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Die schwächeren Kandidatinnen bzw. Kandidaten (Prüfung: ausreichend) werden zum 30.9.2004 zu entlassen sein.“ (S. 3)

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Da der Kläger zu der Gruppe der besser qualifizierten Anwärter gehörte, wurde er nach diesem Konzept auch nach Bestehen der Laufbahnprüfung im Beamtenverhältnis auf Widerruf weiterbeschäftigt. Für die dann zu treffende Auswahl unter den Anwärtern sollte gemäß dem gen. Ergebnisprotokoll wie folgt verfahren werden:

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„Etwa im April nächsten Jahres wird sodann unter dem Gesichtspunkt der Bestenauslese zu entscheiden sein, welche Personen dauerhaft übernommen werden können. Es bestand Einvernehmen, dass die Mittelbehörden sich insoweit auf einheitliche Auswahlkriterien verständigen.“ (S. 4)

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Auch bei der Dienstbesprechung vom 21. Januar 2005 bestand trotz einer veränderten Ausgangslage noch Einvernehmen darüber,

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„…dass gleichwohl entsprechend dem im vergangenen Jahr erstellten Übernahmekonzept zwischen den Anwärter/innen sowie den Angestellten des Prüfungsjahrgangs 2004 eine Bestenauslese durchgeführt werden soll. Die Auswahlentscheidungen sind auf Grund aktueller Beurteilungen zu treffen, wobei…

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…Die Mittelbehörden treffen Vorsorge, dass bei der Vergabe der Beurteilungsnoten und der jeweils 3 Abstufungen innerhalb einer Note ausreichend differenziert wird. Als geeignete Maßnahmen werden Beurteilerkonferenzen zur Vorbereitung der Beurteilungen und sodann nach Fertigstellung der Beurteilungsentwürfe angesehen.“ (Bl. 62 GA).

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Durch dieses Übernahme- und Einstellungskonzept hatte sich die hier entscheidungs-befugte Beklagte in ihrem Ermessen aus § 40 Abs. 1 NBG allerdings sehr stark festgelegt und gebunden: Sie konnte eine Entlassung jedenfalls nur noch auf der Grundlage einer sachlich fundierten Bestenauslese aussprechen - nicht mehr jederzeit (§ 40 Abs. 1 NBG). Diese Auslese stand unter dem Gebot des Art. 33 Abs. 2 GG - als einer speziellen Verbürgung des „gleichen Zugangs“ zum öffentlichen Dienst, der eine Vervollständigung des Gleichheitsgebotes aus Art. 3 GG darstellt.

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4. Zu den ermessensgerechten Widerrufsgründen zählte somit zwar - gemäß Art. 33 Abs. 2 GG und aufgrund der Ermessensbindung allein - noch das Fehlen der erforderlichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung iSv Art. 33 Abs. 2 GG, was sachlich eine Annäherung an § 39 NBG darstellt. Der mit diesen unbestimmten Rechtsbegriffen eröffnete Beurteilungsspielraum erforderte aber eine verantwortungsvolle Handhabung durch die jeweilige Einstellungsbehörde, zumal verfassungsrechtlich jedem Deutschen ein „gleicher Zugang“ verbürgt ist. Art. 33 Abs. 2 GG gibt jedem Bewerber ein subjektives öffentliches Recht gegen den Staat, das sich nicht im Recht auf Bewerbung oder Teilnahme an einem Einstellungsverfahren erschöpft (Maunz/Dürig/Herzog, Art. 33 Rdn. 11, 16 m.w.N.), sondern auch inhaltliche Verbürgungen enthält. Die rechtsstaatliche Bedeutung der gen. Kriterien und ihre Einwirkung auf Einstellungs- und Übernahmeverfahren (auch der hier dargestellten Art) wird nicht dadurch geringer, dass sie zugleich einen besonders weiten Beurteilungs-spielraum eröffnen. Abzustellen ist auf verantwortlich und sachgerecht gewichtete Eignungs- und Leistungsmerkmale des jeweiligen Bewerbers, um die verfassungsrechtlich gebotene Gleichheit des Zugangs zum öffentlichen Dienst ohne jede Diskriminierung zu garantieren.

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5. Eine solche Bestenauslese mit entsprechenden Verfahrensgarantien, die im Lichte des Art. 33 Abs. GG eine verantwortliche Sichtung und Gewichtung von Eignungs- und Leistungsmerkmalen sicherstellen, hat unter den Bewerbern des Bezirks der Beklagten nicht stattgefunden. Vor allem ist auf den Kläger im Rahmen der Auslese ein unzutreffender, den Vergleich unter den Anwärtern nicht mehr garantierender, ihn vielmehr verzerrender Maßstab angewandt worden.

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5.1 Zunächst fehlt es hier an einer verfahrensmäßigen Vorsorge dafür, dass von den jeweiligen Beurteilern der verschiedenen Serviceeinheiten bei Gerichten und Staatsanwaltschaften sachlich vergleichbare Maßstäbe tatsächlich verwandt und bei Abfassung der Personal- und Befähigungsnachweise mit Umsicht verantwortlich umgesetzt wurden.

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Nach den Aussagen der Geschäftsleiterin L., die den Personal- und Befähigungsnachweis vom 22. März 2005 gefertigt hat, gibt es seit dem 1. Mai 2005 ein neues Beurteilungssystem, bei dem zu jedem Kriterium ein Fragenkatalog vorhanden ist, den die Zeugin auch „im Hinterkopf“ gehabt haben will. Allerdings ist der hier streitige Nachweis noch vorher - im März 2005 - gefertigt worden, so dass der Fragenkatalog für die Geschäfts-leiterin noch keine Hilfe darstellen konnte. Nach ihren Angaben hatte die Zeugin bis zum März 2005 (und auch danach) „an echten Fortbildungsveranstaltungen noch gar nicht“ teilgenommen (S. 3 des Protokolls v. 1.3.2006) und daneben nur an einer einzigen Beurteilungskonferenz. Damit war die Zeugin gezwungen, neben einer Rundverfügung für den mittleren Dienst (Braunschweiger Modell) auf ihre eigenen Maßstäbe zurückgreifen, was in ihren Worten wie folgt zum Ausdruck kam:

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„Im Übrigen muss ich sagen, dass ich Geschäftsleiterin bin und ´ich mir auch nicht vorschreiben lasse, wie ich jemanden zu beurteilen habe´. Ich habe das von oben ´trocken herunter bekommen´ und dann ´habe ich das eben so gemacht´.“ (S. 4 d. Protokolls).

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Es ist damit nicht erkennbar, dass die Mittelbehörden sich auf „einheitliche Auswahlkriterien“ verständigt und diese an die Verfasser von Nachweisen weitervermittelt haben. Offenkundig sind die Verfasser von Personalnachweisen bei der Erstellung der Nachweise auch nicht hinsichtlich der anzulegenden Vergleichsmaßstäbe unterstützt worden.

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5.2 Vom Fehlen einer entsprechenden Vorsorge, die nach den gen. Dienstbesprechungen hinsichtlich einheitlicher Auswahlkriterien - zumindest in dem jeweiligen Bezirk der Mittelbehörde - getroffen werden sollte, abgesehen, ist es hier vor allem so, dass die Verfasserin des Personal- und Befähigungsnachweises vom 22. März 2005 den anzulegenden (Vergleichs-) Maßstab verkannt hat.

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Sie hat den Kläger nicht - wie das möglicherweise bei Beurteilungen in anderen Serviceeinheiten der Fall gewesen sein mag - als Anwärter mit einem entsprechenden Leistungsvermögen beurteilt, sondern sie hat den Kläger daran gemessen, wie die Arbeit im mittleren Dienst nach ihren (persönlichen) Erwartungen zu erledigen ist, u.zw. von älteren und erfahrenen Mitarbeitern. Lediglich hinsichtlich des Zeitfaktors sei Nachsicht angebracht, weil Anfänger eine „gewisse Einarbeitungszeit“ benötigten. Aber

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„nach einer gewissen Einarbeitungszeit muss der von mir genannte Maßstab auch für Anfänger gelten. ´Das mach ich auch so´.“ (S. 2 des Protokolls).

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Damit hat die Verfasserin des Nachweises vom 22. März 2005 einen für den Quervergleich unter den miteinander konkurrierenden Anwärtern ungeeigneten, nicht mehr sachgerechten (Vergleichs-) Maßstab angewandt. So wie es einen Bewertungsfehler darstellt, eine dienstliche Beurteilung auf Grund allgemeiner, für einen größeren Dienstbereich entwickelter Kriterien abzugeben, obgleich die besondere Eigenart des vom Beurteilten innegehaltenen Amtes auf diese Weise nicht erfasst werden kann (Schnellenbach, aaO. Rdn. 489 mit Bezug auf OVG Münster, DÖD 1972, 226; ebenso VGH Kassel, ESVVGH 29, 40 / 43), so stellt es auch einen Fehler dar, einen Anwärter nach Kriterien zu beurteilen, die auf ihn nicht zutreffen und passen. So aber ist die Geschäftsleiterin hier verfahren.

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Das wird durch die Beweisaufnahme vom 1. März 2006 bestätigt, in welcher die Geschäftsleiterin als Zeugin ausgeführt hat, wer „ordentlich arbeite“, erhalte die Note „befriedigend“, u.zw. im einfachen, mittleren und gehobenen Dienst. Für Berufsanfänger - also einen Anwärter wie den Kläger - gelte das alles „ganz genau so“.

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Der Kläger steht - als Anwärter - außerhalb der von der Geschäftsleiterin hier nebeneinander gestellten und von ihr vergleichend betrachteten Mitarbeiter. Denn diese gehören nicht derselben Laufbahn und Besoldungsgruppe an wie der Kläger (A 6). So wie ein beförderter Beamter aus dem Kreis der zuvor mit ihm vergleichbaren Beamten heraustritt und in den Kreis der Beamten des Beförderungsamtes eintritt (vgl. Schnellenbach, NJW-Schriften Bd. 40, 5. Auflage, Rdn. 436 Fußn. 28 m.w.N.), so kann auch ein Anwärter nur mit seinesgleichen, also mit Anwärtern verglichen werden. Der angesprochene Unterschied ist hier nicht in den Personal- und Befähigungsnachweis vom 22. März 2005 einbezogen worden, wie die Formulierungen im Nachweis zeigen. So ist dem Kläger beispielsweise bei der Kooperation (Nr. 21) von der Geschäftsleiterin zwar attestiert worden, dass er „stets sehr höflich“ sei, aber dennoch entspreche die Kooperation den Anforderungen „weniger“, weil ihm - was dann jedoch zum Absenken der Bewertung geführt hat - noch die „nötige Lockerheit und Gelassenheit“ fehle, die sich aber „mit wachsender Lebens- und Berufserfahrung“ noch einstellen sollte.

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Dahinstehen mag, ob aufgetragene Amtsaufgaben stets mit der „nötigen Lockerheit“ oder der „nötigen Souveränität“ zu erfüllen sind. Jedenfalls handelt es sich um Kriterien, die eine starke subjektive Bandbreite haben und in einem sehr hohen Maße interpretationsfähig sind. Dabei sind die von der Verfasserin im Personal- und Befähigungsnachweis verwendeten Adjektive deshalb bemerkenswert, weil sie aufzeigen, dass sie die substantivisch gefassten Merkmale für notwendig hält und sie auch schon dem Kläger als Anwärter abverlangt - obwohl sie sich auch nach Einschätzung der Geschäftsleiterin regelmäßig erst mit entsprechender Lebens- und Berufserfahrung einstellen.

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Ein solcher Maßstab erlaubt es nicht, die Anwärterinnen und Anwärter mit- und untereinander sachgerecht zu vergleichen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass alle miteinander konkurrierenden Anwärterinnen und Anwärter an einem derartigen Maßstab gemessen worden wären.

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6. Indiz dafür, dass die von der Geschäftsleiterin hier vergebene Gesamtnote möglicherweise nicht einmal mit Blick auf die älteren und erfahrenen Mitarbeiter zu tragen vermag, ist der Prüfbericht des Justizamtsinspektors M. vom 12. April 2005. Dieser hatte 42 Akten des Klägers zum Gegenstand. Er enthält die Feststellungen, dass „die Akten … sehr zügig und mit großer Sorgfalt bearbeitet (werden)“, und der Kläger „Fristvorlagen… pünktlich erledigt“.

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Nur in zwei Verfahren waren Berichtigungen erforderlich.

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Die Geschäftsleiterin will mit dem Verfasser des Prüfberichts, nachdem sie zunächst ausgesagt hatte, das habe sie nicht getan, dann doch noch gesprochen, von ihm aber jedenfalls keinen schriftlichen Beitrag erhalten haben (so Protokoll v. 1.3.06, S. 4). Inwieweit das angebliche Gespräch im Personalnachweis seinen Niederschlag gefunden hat, ist nicht erkennbar.

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Die Heranziehung anderer Mitarbeiter war für eine sachlich fundierte und Art. 33 Abs. 2 GG genügende Beurteilung unsystematisch und z.T. unverbindlich: Die Gruppenleiterin - Frau Hauptsekretärin N. - hat gar keinen Beurteilungsbeitrag abgeliefert. Stattdessen hat nur eine „sehr kurze Rücksprache“ stattgefunden - die war „auch wirklich nur kurz“ (so Protokoll v. 1.3.06, S. 3). Zwei weitere Mitarbeiter haben einen gemeinsamen schriftlichen Beitrag verfasst, ein weiterer Mitarbeiter (JHS O.) dann noch einen eigenen Beitrag. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Verfahrensweise bei allen anderen Anwärtern auch eingeschlagen worden ist.

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Da es damit an einem sachgerechten Vergleich der einzustellenden und der zu entlassenden Anwärter fehlt, ist die Entlassung nicht sachlich getragen und im Lichte des Art. 33 Abs. 2 GG ermessensfehlerhaft. Dabei sei unterstrichen, dass sämtliche Anwärterinnen und Anwärter - auch die, die dann übernommen wurden - nur die Note „befriedigend“ erhalten haben, also die entscheidenden Unterschiede lediglich in der Tendenz zum oberen Bereich oder zum unteren Bereich lagen (Bl. 97 / Plastikhülle der Beiakten A). Dass die bei sämtlichen Anwärterinnen und Anwärtern verwandten Beurteilungsmaßstäbe und -verfahrensweisen derart feine Unterschiede auf eine im vertretbaren Rahmen noch sachlich zuverlässige Weise hervorgebracht haben, ist nicht feststellbar.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Gründe, die Berufung nach § 124 a iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 zuzulassen, liegen hier nicht vor.