Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 07.01.2004, Az.: 5 B 69/03

Ankündigung als Verwaltungsakt; fehlende Rechtsverordnung als mangelnde Rechtsgrundlage; Verhältnismäßigkeit im Berufsrecht; Widerruf der Bestellung zum Sachverständigen; öffentliches Interesse an sofortiger Vollziehung; örtliche Zuständigkeit des Sachverständigen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
07.01.2004
Aktenzeichen
5 B 69/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50466
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

An der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Bestellung eines öffentlich vereidigten Sachverständigen nach dem Vieh- und Fleischgesetz bestehen schon deshalb erhebliche Bedenken, weil dazu bisher in Niedersachsen keine Rechtsverordnung gem. § 36 Abs. 3 GewO erlassen worden ist.

Vor dem Widerruf wegen angeblicher Pflichtverletzungen ist regelmäßig zunächst eine Verwarnung auszusprechen.

Gründe

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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.

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Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag gegen die gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Antragsgegnerin angeordnete sofortige Vollziehung des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2003. Der vom Antragsteller dagegen gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. Die am 6. September 2002 verfügte Ankündigung, dass eine Verlängerung der Sachverständigenbestellung über den 15. Dezember 2002 hinaus nicht erfolgen wird, ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG. Zwar enthält die Ankündigung für einen später zu erlassenden Verwaltungsakt grundsätzlich keine eigene Regelung und ist damit regelmäßig kein Verwaltungsakt. Hier besteht aber die Besonderheit, dass sich gemäß Nr. 5.5 des Erlasses des ML über „Maßnahmen zur Markt- und Preistransparenz auf dem Gebiet der Vieh- und Fleischwirtschaft“ vom 7. Mai 1980 (Nds. MBl. S. 835) die gegenüber dem Antragsteller befristet verfügte Bestellung zum Sachverständigen auf die Dauer von drei Jahren durch die Bestellungsurkunden vom 16. Dezember 1987 und 18. März 1988 jeweils um drei Jahre verlängert, „sofern nicht die Bezirksregierung spätestens drei Monate vor Ablauf die Nichtverlängerung ankündigt.“ Die genannte Ankündigung ist damit in der Sache als Ablehnung der Verlängerung der Sachverständigenbestellung zu verstehen. Sie ist damit eine Regelung mit Außenwirkung und ist deshalb ein Verwaltungsakt. Der außerdem erstmals erklärte Widerruf der Bestellungen des Antragstellers zum vereidigten Sachverständigen in dem Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 1. Oktober 2003 ist ebenfalls ein Verwaltungsakt, sodass auch gegen dessen Anordnung der sofortigen Vollziehung vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO begehrt werden kann.

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Der Antrag ist in der Sache begründet.

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An der rechtmäßigen Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bestehen schon deshalb erhebliche Zweifel, weil die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht hinlänglich begründet hat. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung darauf gestützt, dass der Antragsteller den ihm überlassenen Sachverständigenstempel zweckwidrig verwendet habe und seit Jahren nicht mehr als Klassifizierer auf niedersächsischen Schlachthöfen tätig gewesen sei. Diese Gründe, die die angefochtenen Verfügungen selbst tragen, lassen nicht ansatzweise erkennen, worin das besondere öffentliche Interesse bestehen soll, dass der Bescheid sofort vollzogen werden muss. Es ist weder erkennbar, welche möglichen Gefahren von der nach Auffassung der Antragsgegnerin „zweckwidrigen“ Verwendung des Sachverständigenstempels für den Handelsverkehr mit Fleischwaren oder den Verbraucher ausgehen sollen noch ist ein weitergehendes besonderes Interesse der Allgemeinheit dargelegt, das es erforderlich macht, dem Antragsteller bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die von ihm offenbar seit vielen Jahren unbeanstandet praktizierte Verwendung des Sachverständigenstempels im Rahmen seiner Sachverständigentätigkeit mit sofortiger Wirkung zu unterbinden.

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Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, weil der Antrag auch im Übrigen begründet ist. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers ist wiederherzustellen, weil bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür spricht, dass die angefochtenen Bescheide der Antragsgegnerin aus mehreren Gründen offensichtlich rechtswidrig sind.

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Zunächst bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die Antragsgegnerin für den Erlass der angefochtenen Bescheide örtlich zuständig ist. Der Antragsteller ist am 16. Dezember 1987 von der Antragsgegnerin zum öffentlich bestellten Sachverständigen für die Einreihung von Schweinehälften in Handelsklassen und die Gewichtsfeststellung bestellt und vereidigt worden. Diese Bestellung ist am 18. März 1988 um die Einreihung von Rindfleisch in Handelsklassen und deren Gewichtsfeststellung erweitert worden. Der Antragsteller übt jedoch seit Februar 1996 die Klassifizierung und Verwiegung von geschlachtetem Vieh in der Firma {D.} mit Sitz in {E.} bei {F.} aus. Er hat offenbar auch seinen privaten Wohnsitz in {F.}. Für die Frage der Verlängerung der Bestellung zum Sachverständigen und ggf. für deren Widerruf dürfte daher seit diesem Zeitpunkt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG die Bezirksregierung Lüneburg und nicht die Antragsgegnerin örtlich zuständig sein. Die Verlegung des Betriebssitzes ist auch nicht im Laufe eines anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens gemäß § 3 Abs. 3 VwVfG erfolgt, sodass auch nach Maßgabe dieser Vorschrift die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht begründet werden kann. Ob dieser Verfahrensfehler gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich ist, kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, weil offen ist, ob die Voraussetzungen des § 46 VwVfG für die Annahme dieser Rechtsfolge vorliegen.

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Erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen weiterhin, weil schon bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage höchst fraglich ist, ob in Niedersachsen eine hinreichende Rechtsgrundlage für die gegen den Antragsteller verfügten Maßnahmen vorhanden ist. Der Antragsteller ist gemäß § 14 c Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Vieh und Fleisch vom 21. März 1977 (BGBl. I S. 477) - Vieh- und Fleischgesetz- i.V.m. § 36 Abs. 2 und Abs. 1 GewO zum Sachverständigen für die oben genannten Tätigkeiten öffentlich bestellt und vereidigt worden. Die Ablehnung, die befristeten Bestellungen zu verlängern und der ergänzend erklärte Widerruf der Bestellungen ist von der Antragsgegnerin nach Maßgabe des genannten Erlasses vom 7. Mai 1980 und unter Zugrundelegung des Erlasses des ML über „Maßnahmen zur Markt- und Preistransparenz auf dem Gebiet der Vieh- und Fleischwirtschaft; Bestellung von Sachverständigen“ vom 14.11.2002 (Nds. MBl. S. 1045) verfügt worden. Es bestehen erhebliche Bedenken, ob die in den genannten Erlassen aufgeführten Voraussetzungen für die Verlängerung und den Widerruf der gemäß § 36 GewO erfolgten Bestellungen überhaupt anwendbar sind. Gemäß § 36 Abs. 3 GewO können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung die zur Durchführung der nach § 36 Abs. 1 und 2 GewO erforderlichen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Bestellung sowie über die Befugnisse und Verpflichtungen der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit erlassen. Daraus ergibt sich, dass die im Zusammenhang mit der Bestellung zum öffentlichen Sachverständigen erforderlichen Regelungen auf Landesebene allein durch Rechtsverordnung, nicht aber durch ministerielle Erlasse oder sonstige Verwaltungsvorschriften getroffen werden können. Die Ausschlussvorschrift des § 36 Abs. 5 GewO findet keine Anwendung, weil besondere bundes- oder landesrechtliche Vorschriften für die entsprechenden Sachverständigen fehlen und § 14 c Abs. 2 Vieh- und Fleischgesetz ausdrücklich auf die entsprechende Anwendung des § 36 GewO für die Bestellung der Sachverständige verweist. Weil es in Niedersachsen an der geforderten einschlägigen Rechtsverordnung fehlt, begründen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die genannten und diesem Verfahren zugrundeliegenden Erlasse keine ausreichenden Grundlagen für die von der Antragsgegnerin verfügte Maßnahmen zur Aufhebung oder zum Widerruf der Bestellungen des Antragstellers zum Sachverständigen. Ob die Voraussetzungen des § 49 VwVfG für die verfügten Maßnahmen vorliegen, muss evtl. im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

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Selbst wenn man von der Anwendbarkeit der genannten Erlasse ausgeht, bestehen jedoch erhebliche rechtliche Bedenken daran, ob der Antragsteller seine Pflichten als Sachverständiger erheblich verletzt hat. Die Antragsgegnerin hält dem Antragsteller zur Begründung ihrer Anordnungen im Wesentlichen vor, dieser habe seinen Sachverständigenstempel für Gutachten außerhalb seiner Bestellung verwendet, weil er seine Gutachtentätigkeit nur in Schlachtbetrieben in Niedersachsen mit unmittelbar anschließender Gewichtsfeststellung ausüben dürfe. Bei seiner Kontrolltätigkeit im Ausland verwende er die ihm überlassenen Sachverständigenstempel außerhalb des zugelassenen Sachgebietes.

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Maßgeblich für den Inhalt und den Umfang des Sachgebietes, in denen der Antragsteller als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger tätig sein darf, sind die von der Antragsgegnerin erstellten und dem Antragsteller ausgehändigten Bestellungsurkunden. Nach den Bestellungsurkunden vom 16. Dezember 1987 und 18. März 1988 ist der Antragsteller zum „öffentlich bestellten Sachverständigen für die Einreihung von Schweinehälften, Rindfleisch in Handelsklassen und die Gewichtsfeststellung vereidigt worden“. Aus dem Inhalt der Bestellungen ergibt sich die Art der Tätigkeiten, für die der Antragsteller als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger tätig werden darf. Aus den genannten Bestellungsurkunden ergeben sich keine örtlichen Beschränkungen für die Ausübung der Sachverständigentätigkeit durch den Antragsteller. In den Bestellungsurkunden wird die Sachverständigentätigkeit weder auf eine Tätigkeit nur in Schlachtbetrieben noch auf eine Tätigkeit nur in Schlachtbetrieben in Niedersachsen beschränkt. Die von der Antragsgegnerin behaupteten Beschränkungen der Bestellungen ergeben sich auch nicht durch einen Verweis auf die oben genannten Erlasse, weil in der Bestellungsurkunde an keiner Stelle auf diese Erlasse verwiesen und sie zum Inhalt der Bestellung gemacht worden sind. Im Übrigen ergibt sich auch weder aus dem Erlass von 1980 noch durch dessen Verweis auf § 9 Abs. 2 der 4. Durchführungsverordnung zum Vieh- und Fleischgesetz vom 28. Juni 1994 (BGBl. I, 1303) die von der Antragsgegnerin behauptete Beschränkung auf eine Sachverständigentätigkeit nur auf niedersächsischen Schlachthöfen. Vielmehr ergibt sich aus § 14 c Abs. 2 Vieh- und Fleischgesetz und § 9 Abs. 2 der 4. Durchführungsverordnung lediglich, dass die Einreihung in Handelsklassen und die Gewichtsfeststellung „von den hierfür öffentlich bestellten Sachverständigen vorzunehmen sind.“ Eine örtliche Beschränkung ist auch in diesen Vorschriften nicht vorgesehen. Deshalb kann der Antragsteller nach dem Inhalt der ihm ausgehändigten Bestellungsurkunden und den genannten Vorschriften örtlich unbeschränkt für die Bereiche, für die er bestellt und vereidigt worden ist, als Sachverständiger tätig werden. Ob die offenbar erstmalig in Nr. 6 des Erlasses vom 14. November 2002 aufgeführte Beschränkung der Bestellung auf den „Einsatz in Schlachtbetrieben im Gebiet des Landes Niedersachsen“ Auswirkungen auf die Bestellungen des Antragstellers hat, erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil dafür die dem Antragsteller ausgehändigten Bestellungsurkunden bisher nicht entsprechend geändert worden sind. Außerdem bestehen aber erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der örtlichen Beschränkung der Einsatzorte des Antragstellers in Niedersachsen, weil die Bestellung zum Sachverständigen gem. § 36 GewO grundsätzlich bundesweite Geltung hat (vgl. Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Kommentar, § 36 RdNr. 124; Friauf, Kommentar zur Gewerbeordnung, § 36 RdNr. 88). Ob die entsprechende Sachverständigentätigkeit auch im Ausland ausgeübt werden kann, ist offenbar bisher nicht geregelt, ist aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen.

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Auch die von der Antragsgegnerin weiterhin aufgeführten sogenannten Pflichtverletzungen sind keinesfalls so schwerwiegend, dass sie die Ablehnung der Verlängerung oder den Widerruf der Bestellung rechtfertigen könnten. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er auch in den genannten Erlassen seinen Niederschlag gefunden hat, ist bei Verstößen gegen die Berufspflicht grundsätzlich vor dem Widerruf zunächst eine schriftliche Verwarnung auszusprechen. In ihr muss der Widerruf angekündigt werden, wenn die im Einzelnen genannten Pflichtverletzungen künftig nicht abgestellt werden. Die Antragsgegnerin hat vor dem Erlass ihrer Verfügung den Antragsteller weder förmlich aufgefordert, die Verwendung des Sachverständigenstempels im Ausland zu unterlassen noch hat sie ihn aufgefordert, nur in niedersächsischen Schlachtbetrieben seine Sachverständigentätigkeit auszuüben. Sie hat ihn auch nicht zur Teilnahme an den jährlich erforderlichen Klassifizierungslehrgängen aufgefordert. Weiter ist die Frage der Unterzeichnung von zwei der Antragsgegnerin vorgelegten Gutachten durch den Antragsteller geklärt, wobei allerdings das anfängliche Bestreiten, die Gutachten erstellt zu haben, dem Antragsteller als mögliche Pflichtverletzung vorgehalten werden könnte. Die Pflichtverletzungen, die Gegenstand des vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg geschlossenen Vergleichs vom 6. August 1996 in dem Verwaltungsrechtsstreit 12 A 2490/94 waren, können dem Antragsteller in diesem Verfahren nicht mehr vorgehalten werden, weil sie erledigte Sachverhalte betreffen und die Antragsgegnerin in dem Vergleich die entsprechenden Bescheide aufgehoben hat. Nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit hätte der Antragsteller deshalb zunächst auf die vermeintlichen Pflichtwidrigkeiten hingewiesen und ggf. eine Verwarnung ausgesprochen werden müssen. Der Antragsteller hätte sodann die Gelegenheit gehabt, im Rechtsweg klären zu lassen, ob die Beanstandungen zu Recht erfolgt sind. Falls dies der Fall gewesen wäre, hätte die Antragsgegnerin bei dann weiterhin auftretenden einschlägigen Verstößen die Möglichkeit gehabt, die Verlängerung der Bestellung abzulehnen oder die Bestellung zu widerrufen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.