Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 30.01.2014, Az.: 2 A 425/12

Baugenehmigung; Baugrundstück; Eigentum; Klagebefugnis; Notwegerecht; Realverband; Verbandsweg; Zugänglichkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
30.01.2014
Aktenzeichen
2 A 425/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42676
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Realverband ist klagebefugt, wenn die Bauaufsichtsbehörde einem Dritten, der nicht Mitglied des Realverbandes ist, durch die Erteilung einer Baugenehmigung die Eröffnung eines Verkehrs mit Kraftfahrzeugen auf Verbandswegen ermöglicht.

Tenor:

Die Baugenehmigung des Beklagten an Frau K. L. vom 03.02.2011 und der Widerspruchsbescheid vom 02.03.2012 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kostenforderung der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin, ein Realverband im Sinne des Nds. Realverbandsgesetzes vom 04.11.1969 (Nds. GVBl. S. 187), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.09.2012 (Nds. GVBl. S. 395) – RealVbG -, wendet sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beklagte der Schwester und Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilt hat.

Die Beigeladene ist als Rechtsnachfolgerin ihrer Schwester Eigentümerin des im Außenbereich gelegenen und bisher landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Flur x, Flurstück M. der Gemarkung D.. Dieses Grundstück liegt nicht unmittelbar an einer öffentlichen Straße; die Zuwegung zu ihm erfolgt über Interessentenwege, die im Eigentum der Klägerin stehen. Die Beigeladene ist, ihre Schwester war Mitglied der Klägerin.

Die Schwester der Beigeladene verpachtete das streitbefangene Grundstück für die Zeit vom 15.04.2010 bis zum 15.10.2025 (mit der Option der Verlängerung) an den Modellflugverein „N. O. am P. e.V.“ und erteilte in dem Pachtvertrag die Erlaubnis, dass Gelände als Modellfluggelände herzurichten und Modellflug auf diesem Gelände zu betreiben. Am 03.08.2010 erhielt der Modellflugverein von der Nds. Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr eine Aufstiegserlaubnis für Flugmodelle.

Auf den Antrag vom 17.11.2010 erteilte der Beklagte der Schwester der Beigeladenen unter dem 03.02.2011 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Modellfluggeländes als Nutzungsänderung auf dem oben bezeichneten Grundstück, wobei er sich den Erlass weiterer Nebenbestimmungen im Zusammenhang mit der Zugänglichkeit des Grundstücks (§ 5 NBauO) ausdrücklich vorbehielt. Die Klägerin legte gegen diese Baugenehmigung, die ihr nicht bekanntgegeben worden war, am 29.03.2011 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2012 als unzulässig zurückwies, weil zwar die Widerspruchsfrist eingehalten worden sei, der Klägerin jedoch die Widerspruchsbefugnis fehle, weil § 5 NBauO nicht nachbarschützend sei.

Die Klägerin hat am 30.03.2012 Klage erhoben. Sie macht geltend: Die Interessentenwege seien nicht öffentlich gewidmet; der durch das Modellfluggelände veranlasste Verkehr übersteige den Gemeingebrauch an diesen Wegen, die bisher ausschließlich zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt worden seien; nötig sei hier die Eintragung einer Baulast, die mit einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Nutzer der Wege einhergehen solle.

Die Klägerin beantragt,

die Baugenehmigung des Beklagten an Frau K. L. vom 03.02.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 02.03.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheides und hält die Klage nach wie vor für unzulässig.

Die Beigeladene, die ihre am 04.12.2011 verstorbene Schwester beerbt hat, äußert sich nicht zur Sache und stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und auf den Inhalt der Gerichtsakte 2 B 324/10 Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat das Aktivrubrum von Amts wegen berichtigt, nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihm am 29.01.2014 die Satzung der Klägerin übermittelt hat, aus der sich ergibt, dass sie nicht – wie bisher angegeben – „A. D.“ heißt, sondern so wie jetzt im Rubrum angegeben.

Die Klage ist zulässig.

Die Zulässigkeit scheitert nicht daran, dass § 5 der Nds. Bauordnung in der Fassung vom 10.02.2003 (Nds. GVBl. S. 89), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.11.2011 (Nds. GVBl. S. 415) – NBauO - nicht nachbarschützend ist. Die NBauO ist für das vorliegende Verfahren noch in der genannten Fassung anwendbar, was sich aus § 86 der NBauO in der Fassung vom 03.04.2012 (Nds. GVBl. S. 46) ergibt. § 5 NBauO verlangt, dass Baugrundstücke (als solches gilt das von dem Modellflugverein genutzte Grundstück der Beigeladenen, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 13 i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 NBauO) so an einer mit Kraftfahrzeugen befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen oder einen solchen Zugang zu ihr haben, dass der von der baulichen Anlage ausgehende Zu- und Abgangsverkehr und der für den Brandschutz erforderliche Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten jederzeit ordnungsgemäß und ungehindert möglich ist. Ist das Baugrundstück nur über Flächen zugänglich, die nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, so muss ihre Benutzung für diesen Zweck gem. § 5 Abs. 2 S. 1 NBauO durch Baulast oder Miteigentum gesichert sein... Zweifellos ist diese Vorschrift nicht in der Weise nachbarschützend, dass Eigentümer von Nachbargrundstücken die mangelnde Zugänglichkeit eines Baugrundstückes rügen könnten (OVG Lüneburg, Urteil vom 12.03.1997 - 1 M 1023/97 - BRS 59, Nr. 108). Die Klägerin ist auch nicht Eigentümerin eines Nachbargrundstücks in diesem Sinne, sondern Eigentümerin der Wegeflächen, welche Nutzer und Besucher des Modellfluggeländes zwangsläufig befahren müssen, um mit Kraftfahrzeugen zu dem Gelände zu gelangen. Das ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 RealVbG, wonach u.a. die zu den gemeinschaftlichen Angelegenheiten gehörenden Wege Verbandsvermögen sind (vgl. dazu Thomas/Tesmer, Nds. Realverbandsgesetz, 9. Aufl., § 2 Anm. 4.1). Als Eigentümerin dieser Wege ist die Klägerin klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), denn sie kann geltend machen, in ihrem Eigentumsrecht an den Wegen dadurch verletzt zu sein, dass der Beklagte durch die Erteilung der Baugenehmigung an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen gegen ihren Willen auf den ihnen gehörenden Wegen einen Verkehr zugelassen hat.

Die Zulässigkeit der Klage scheitert auch nicht daran, dass die Klägerin – wie der Beklagte – Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Zwar können juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht Träger von Grundrechten sein, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen, weil die Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht Ausprägung von Rechten, sondern von Kompetenzen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982 – 1 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, S. 82,101). Eine Ausnahme gilt jedoch für solche juristische Personen des öffentlichen Rechts, die den Menschen auch zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte dienen (BVerfG, a.a.O., S. 103). Dazu gehören nach Auffassung des Gerichts auch Realverbände, soweit sie die Aufgabe haben, zum Nutzen ihrer Mitglieder zu handeln. Das ist in Bezug auf die dem Realverband gehörenden Wege der Fall, die zum Zweckvermögen gehören (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 RealVbG), welches der Realverband im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit zum Nutzen der Mitglieder zu verwalten hat (§ 3 RealVbG).

Die Klage ist auch begründet, denn die angefochtene Baugenehmigung und der sie bestätigende Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

Die Baugenehmigung für die Nutzung eines bisher landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Grundstücks als Modellfluggelände ist rechtswidrig, weil der von diesem Gelände ausgehende Zu- und Abgangsverkehr nur über Flächen erfolgen kann, die weder dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind noch deren Benutzung für diesen Zweck durch Baulast oder Miteigentum gesichert ist. Die Prozessbeteiligten haben übereinstimmend vorgetragen, dass die Interessentenwege nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind; das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass dieser Vortrag zutrifft. Eine Baulast (§ 92 NBauO) zugunsten der Beigeladenen bzw. ihrer Rechtsvorgängerin oder zugunsten des Modellflugvereins besteht nicht. Weder der Nutzer des Grundstücks noch die Eigentümerin (die Beigeladene) sind Miteigentümer der Wegeflächen. Bereits oben ist erwähnt worden, dass Eigentümer der Interessentenwege der Realverband selbst ist und nicht dessen Mitglieder (in Gesamthandsgemeinschaft), welche gem. § 7 Abs. 1 RealVbG lediglich zur anteiligen Nutzung des Verbandsvermögens berechtigt sind. Ein derartiges Nutzungsrecht genügt nicht den strengen Anforderungen von § 5 Abs. 2 NBauO. Der Beklagte war und ist der Auffassung, dass dem Eigentümer eines Grundstücks im Verbandsgebiet ein eigentumsähnliches Recht an den Verbandswegen zusteht. Dieser Überlegung könnte man näher treten, wenn es um die Nutzung der Interessentenwege durch Mitglieder des Realverbandes selbst ginge, weil diese - da die Wegenutzung durch die Satzung der Klägerin nicht eingeschränkt ist - sich nach Treu und Glauben und den bisher üblichen Gepflogenheiten richtet (vgl. Thomas/Tesmer, a.a.O., § 7 Anm. 3), während der Realverband Nichtmitgliedern die Nutzung ohne Weiteres untersagen oder von einem Entgelt abhängig machen kann (vgl. Thomas/Tesmer, a.a.O., § 29 Anm. 3). Zwar wurde die streitbefangene Baugenehmigung der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilt, diese hatte jedoch nicht vor, sie persönlich auszunutzen, sondern die Nutzung (sowohl der Baugenehmigung wie auch der Zuwegung zu dem Baugrundstück) aufgrund eines Pachtvertrages dem Modellflugverein „N. O.“ überlassen.

Die angefochtene Baugenehmigung verletzt das Eigentums(grund)recht der Klägerin auch tatsächlich. Sie gestattet den Zu- und Abgangsverkehr zu dem Baugrundstück über Wege der Klägerin, den diese - wie oben ausgeführt - nicht dulden muss. Zwar hat die Klägerin - wie ebenfalls bereits oben ausgeführt – grundsätzlich auch die Möglichkeit, eine Nutzung ihrer Interessentenwege durch Fremde zu untersagen und - sogar mit öffentlich-rechtlichen Mitteln - zu unterbinden, allerdings besteht diese Möglichkeit hier nur theoretisch, denn einer entsprechenden Verfügung der Klägerin könnte die Beigeladene (die gegenüber dem Modellflugverein „N. O.“ aus dem Pachtvertrag heraus dazu verpflichtet sein dürfte) entgegensetzen, dass die Klägerin ihr in Anwendung von § 917 BGB ein Notwegerecht einräumen müsste. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung geduldet werden muss, wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Die Klägerin – die im Sinne des § 917 BGB Nachbarin der Beigeladenen ist - hätte dann nicht die Möglichkeit einzuwenden, die Benutzung ihrer Wege durch Fahrzeuge, die das Modellfluggelände erreichen oder von ihm abfahren wollen, sei nicht ordnungsgemäß, weil sich die Beigeladene insoweit auf die hier angefochtene Baugenehmigung berufen könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1976 - IV C 7.74 -, BVerwGE 50, 282 und Beschluss vom 11.05.1998 - 4 B 45.98- BRS 60, S. 631 sowie Palandt-Bassenge, BGB, 72. Auflage, § 917, Rn. 4 m.w.N.).

Der Konflikt zwischen den Beteiligten ließe sich - das sei ergänzend angemerkt - dadurch lösen, dass der Beklagte (wie in der Baugenehmigung vorbehalten) mit Zustimmung der Klägerin auf deren Wegegrundstücken eine Baulast einträgt, nachdem die Klägerin zuvor mit dem Modellflugverein die Bedingungen der Wegenutzung vertraglich festgelegt hat. Das setzt allerdings voraus, dass die Klägerin diese Nutzung überhaupt dulden will.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.