Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 30.06.2020, Az.: 12 B 1649/20
Ausweisung; Ausweisungsinteresse; Bleibeinteresse; örtliche Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 30.06.2020
- Aktenzeichen
- 12 B 1649/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72063
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 12. April 2011 (Aktenzeichen: 42.21-12230/1-8 (§ 71), Nds. MBl. 2011 Nr. 16, S. 290, kann eine vom Gesetz abweichende Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden nicht wirksam treffen.
2. Von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr kann nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens durch eine drogen- und straffreie Lebensführung über einen erheblichen Zeitraum außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs glaubhaft gemacht hat.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az.: 12 A 1648/20) gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer IV. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 3. Februar 2020 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 7/8 und die Antragsgegnerin zu 1/8.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz, nachdem die Antragsgegnerin ihn unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgewiesen, ihm die Abschiebung angedroht sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und auf sieben Jahre befristet hat.
Der Antragsteller wurde im Jahr 1978 in Belgrad/Serbien geboren und ist serbischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Mai 1993 in das Bundesgebiet ein, erhielt erstmals am 2. Juni 1994 eine Aufenthaltserlaubnis und am 14. Januar 1999 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im Jahr 1994 begann er eine Ausbildung zum Elektromaschinenbauer, die er erfolgreich abschloss. Anschließend ging er bis zum Jahr 2003 einer Beschäftigung in seinem erlernten Beruf nach. Nach eigenen Angaben ist der Antragsteller seit Silvester 2002 Konsument von Kokain.
Am 23. September 2003 verurteilte ihn das Landgericht B-Stadt wegen des Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe ohne Erlaubnis, vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss berauschender Mittel, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung, Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe ohne Erlaubnis, Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe ohne Genehmigung, vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss berauschender Mittel und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe ohne Erlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Ab Dezember 2003 unterzog sich der Antragsteller aufgrund der gerichtlichen Anordnung erstmals einer Drogentherapie.
Zwischen 2005 und 2013 pendelte der Antragsteller zwischen Serbien und Deutschland hin und her, da seine Mutter, Großmutter und Ehefrau in Serbien lebten. Ausweislich eines Berichts der Justizvollzugsanstalt C. vom 1. Februar 2017 verfügt der Antragsteller über Freunde in beiden Ländern.
Am 26. November 2013 verurteilte das Amtsgericht Lehrte den Antragsteller wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls mit Waffen zu einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung und am 17. Februar 2014 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 5,00 Euro wegen eines vorsätzlichen Vergehens nach dem Pflichtversicherungsgesetz. Zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls gegen den Antragsteller stellte die Staatsanwalt Hildesheim gemäß § 154 StPO ein.
Am 18. Juni 2014 verurteilte das Amtsgericht Braunschweig den Antragsteller wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls mit Waffen zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und bildete unter Einbeziehung der durch das Amtsgericht Lehrte abgeurteilten Taten nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten.
Mit Schreiben vom 11. September 2014 sprach die Antragsgegnerin aufgrund der Vielzahl und Schwere der begangenen Straftaten gegenüber dem Antragsteller eine „Verwarnung“ aus und erklärte, dass sie letztmalig von einer Ausweisung Abstand nehme.
Das Amtsgericht B-Stadt verurteilte den Antragsteller am 19. Mai 2016 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe.
Mit Schreiben vom 15. August 2016 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu der von ihr beabsichtigten Ausweisung an, der daraufhin erklärte, er habe sämtliche Straftaten aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen. Er bemühe sich um die Teilnahme an einer Drogenentzugstherapie. Nach deren Durchführung sei davon auszugehen, dass er ein straffreies Leben führen werde. Er habe in Serbien seine Ehefrau und einen Sohn, zu diesen jedoch keinen Kontakt mehr. Seine einzige Bezugsperson sei sein in Lehrte lebender Vater. Er bitte um eine letzte Chance und sei bereit, einer aufgrund weiterer Straftaten erfolgenden Abschiebung bereits jetzt zuzustimmen, weil er überzeugt davon sei, nicht erneut straffällig zu werden.
Vom 17. Oktober 2016 an wurde die Vollstreckung der Freiheitsstrafe des Antragstellers aus dem Urteil des Amtsgerichts B-Stadt vom 19. Mai 2016 gemäß § 35 BtMG zurückgestellt, um dem Antragsteller die Teilnahme an einer Therapie in der Fachklinik D. zu ermöglichen. Die Klinik geht in ihrem Bericht zum Therapieverlauf vom 13. Februar 2017 von einer sehr guten Prognose in Bezug auf die Drogenabstinenz und von einer sehr guten Sozialprognose aus. Obwohl die Justizvollzugsanstalt C. ausweislich ihres Berichts vom 1. Februar 2017 nicht von einer positiven Legalprognose ausging, wurde der Antragsteller daraufhin am 27. Februar 2017 entlassen und seine Restfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Bereits am E. August 2017 beging der Antragsteller mehrere weitere Wohnungseinbruchsdiebstähle und wurde noch an diesem Tag vorläufig festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt F. verbracht.
Das Amtsgericht Celle verurteilte den Antragsteller am 18. Dezember 2017 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls mit Waffen in zwei Fällen, davon in einem Fall im Versuch, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Das Amtsgericht Burgdorf verurteilte den Antragsteller am 6. Februar 2019 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgerichts Celle zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten und ordnete erneut die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Die damalige Lebensgefährtin des Antragstellers wurde wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Celle und des Amtsgerichts Burgdorfs kehrte der Antragsteller nach seiner Entlassung aus der Fachklinik D. in sein altes Umfeld in B-Stadt zurück und begann zeitnah erneut, täglich Kokain zu konsumieren.
Seit dem 15. Februar 2018 befindet sich der Antragsteller in der Psychiatrischen Klinik G.. Die Klinik bewertete die Suchtmittelabstinenz des Antragstellers in Stellungnahmen vom 24. Juni 2019 und vom 26. September 2019 als „stabil“, wies aber darauf hin, dass suchttherapeutische Themen wie die Erarbeitung eines Rückfallvermeidungsplanes, eine Rehabilitationsplanung und weitere deliktsspezifische Inhalte noch ausstünden.
Mit Schreiben vom 16. September 2019 und 9. Oktober 2019 nahm der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung zu der beabsichtigten Ausweisung dahingehend Stellung, dass er seit mehr als 26 Jahren im Bundesgebiet lebe und sämtliche Straftaten ausschließlich auf seine langjährige Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen seien. Den letzten Taten habe ein nur wenige Tage dauernder Rückfall zugrunde gelegen, der sein Leben erneut komplett über den Haufen geworfen habe. Als ihm klar geworden sei, welchen großen Fehler er begangen habe, habe er einen Suizidversuch begangen. Seine Therapie verlaufe sehr positiv, so dass er bereits seit einiger Zeit Lockerungen genieße. Halt gebe ihm seine Lebensgefährtin, die in Essen wohne und mit der er sich im April 2018 verlobt habe. Nach seiner Entlassung wolle er zu ihr ziehen, auch um sein altes Umfeld hinter sich zu lassen. In Serbien verfüge er über keine nennenswerten Bindungen mehr.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2020 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus (I.), ordnete die sofortige Vollziehung der Ausweisung an (II.), stellte das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Antragstellers fest (III.), erließ ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das sie auf sieben Jahre ab erfolgter Ausreise befristete (IV.) und drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Serbien aus der Haft heraus und für den Fall an, dass eine Abschiebung aus der Haft nicht möglich ist und der Antragsteller nicht innerhalb einer Frist von einem Monat nach Haftentlassung freiwillig ausreist (V., VI.). Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, aufgrund der begangenen Straftaten liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Der Antragsteller sei nicht einmal ein Jahr nach seiner Entlassung erneut aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit straffällig geworden und es sei aufgrund seiner Vorgeschichte zu erwarten, dass er erneut straffällig werde. Darüber hinaus bestehe auch ein generalpräventives Interesse an der Ausweisung, denn andere Ausländer könnten nur dann erfolgreich zur Einhaltung der Rechtsordnung angehalten werden, wenn sie wüssten, dass ihnen bei entsprechenden Verstößen die Ausweisung drohe. Zwar könne sich der Antragsteller angesichts seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland und des Besitzes einer Niederlassungserlaubnis auch auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse berufen. Weitere besonders schützenswerte wirtschaftliche oder persönliche Bindungen im Bundesgebiet bestünden aber nicht. Weder die Verbindung zu seinem Vater noch die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin fielen unter den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK. Es sei auch zu erwarten, dass sich der Antragsteller in die Lebensumstände in seinem Heimatland wieder einfügen könne. Im Ergebnis überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung das private Interesse des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Unter Berücksichtigung aller in Frage kommenden Umstände sei eine Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren angemessen.
Der Antragsteller hat am 4. März 2020 Klage erhoben (Az.: 12 A 1648/20) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er wiederholt und vertieft seine in der Anhörung vorgebrachten Gründe und trägt weiter vor, generalpräventive Gründe könnten die Ausweisung nicht rechtfertigen, weil jedem außenstehenden Ausländer klar sei, dass nur die einschneidende Veränderung in seinem Leben eine Ausweisung verhindert habe. Darüber hinaus lägen die Taten mittlerweile zweieinhalb Jahre zurück. Das lange Zuwarten der Antragsgegnerin mit der Ausweisungsentscheidung verstoße gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Sein rechtmäßiger Aufenthalt übersteige den nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Zeitraum um mehr als des Vierfache, so dass sein Bleibeinteresse besonders erheblich sei. Er habe nahezu 2/3 seines Lebens in Deutschland verbracht und sei als faktischer Inländer zu behandeln. Die Begründung des Sofortvollzugs genüge nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, sie habe unmittelbar nach Bekanntwerden der rechtskräftigen Verurteilung das Urteil und die Strafakte bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angefordert, so dass ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz nicht gegeben sei. Der Antragsteller habe überdies schon bei seiner letzten Entlassung im Jahr 2017 eine positive Prognose für die weitere Lebensführung gehabt und dennoch bereits kurz nach seiner Entlassung einen Rückfall erlitten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin sowie des bei der Staatsanwaltschaft Hildesheim geführten Vollstreckungsheftes Bezug genommen; sämtlicher Akteninhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Soweit die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgewiesen hat, ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO zulässig, aber unbegründet.
Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung von der Antragsgegnerin ausgeführte Begründung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung wird bereits genügt, wenn überhaupt eine schriftliche, einzelfallbezogene und nicht lediglich formelhafte Begründung vorhanden ist, die die von der Behörde getroffene Interessenabwägung erkennen lässt. Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin entsprochen, indem sie ausgeführt hat, dass eine weitere Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet die Belange der Bundesrepublik Deutschland erheblich beeinträchtige, weil aufgrund des bisherigen Verhaltens des Antragstellers die Gefahr weiterer Verstöße gegen strafrechtliche Bestimmungen bestehe und es auch aufgrund des gewünschten Abschreckungseffekts der Ausweisung nicht hingenommen werden könne, dass sich der rechtswidrige Aufenthalt bis zur Beendigung eines möglicherweise langen Klageverfahrens hinziehe.
In der Sache kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung einer Maßnahme verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Maßgebliches Kriterium für diese Abwägung sind grundsätzlich die im Rahmen einer summarischen Prüfung zu beurteilenden Erfolgsaussichten der Klage. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO muss zudem ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegeben sein, welches das Gericht anhand der Umstände des konkreten Falles ohne Bindung an die Begründung der Behörde positiv festzustellen muss.
Nach diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der Ausweisungsverfügung zunächst verschont zu bleiben.
Nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten wird die insoweit erhobene Anfechtungsklage des Antragstellers aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben.
Allerdings geht das Gericht davon aus, dass die Ausweisungsentscheidung formell rechtswidrig ist, weil die Antragsgegnerin nicht die für die Ausweisungsentscheidung örtlich zuständige Behörde war. In Niedersachsen bestehen keine gesetzlichen Vorschriften, mit denen ausdrücklich die örtliche Zuständigkeit der Behörden zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes bestimmt ist. Zurückzugreifen ist deshalb auf § 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG, es sei denn, dass nach § 1 Abs. 2 Nds. VwVfG Rechtsvorschriften des Landes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Geht es – wie im vorliegenden Fall – um die Ausweisung eines in Strafhaft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindlichen Ausländers und damit um eine Aufgabe der Gefahrenabwehr, hat allerdings die gemäß § 1 Abs. 2 Nds. VwVfG gegenüber § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG speziellere Regelung des § 100 Nds. POG Vorrang. Wegen der Regelungen in § 100 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nds. POG ist für Ausländer, die sich in Strafhaft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befinden und ausgewiesen werden sollen, die Ausländerbehörde als Gefahrenabwehrbehörde zuständig, in deren Bezirk der Ausländer untergebracht ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.4.2007 – 11 ME 53/07 –, S. 4 – V.n.b.; Beschl. v. 1.3.2006 – 11 ME 48/06 –, juris Rn. 6). Damit ist die Ausländerbehörde der Hansestadt A-Stadt für die Ausweisung des Antragstellers örtlich zuständig, weil der Antragsteller seit dem 15. Februar 2018 in ihrem Bezirk untergebracht ist.
Eine örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin, die daneben (fort-)besteht oder die örtliche Zuständigkeit der Hansestadt A-Stadt verdrängt, ist nicht ersichtlich. Sie folgt insbesondere nicht aus dem Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 12. April 2011 (Aktenzeichen: 42.21-12230/1-8 (§ 71), Nds. MBl. 2011 Nr. 16, S. 290; im Folgenden: Erlass vom 12. April 2011), wonach bei Ausländern, die sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichem Gewahrsam befinden, die Ausländerbehörde örtlich zuständig bleibt, in deren Bezirk sich der Ausländer vor der Hafteinweisung oder der Ingewahrsamnahme gewöhnlich aufgehalten hat, auch wenn der Ausländer in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Ausländerbehörde verlegt wird.
Diese Bestimmung kann wegen entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften eine örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht wirksam begründen.
Dies folgt zwar nicht bereits daraus, dass Art. 56 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung eine Regelung der örtlichen Zuständigkeiten der Behörden durch Gesetz fordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 –, juris Rn. 28; a.A. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 3 Rn. 7c). § 1 Abs. 2 Nds. VwVfG sieht jedoch eine von § 3 VwVfG abweichende Regelung der örtlichen Zuständigkeit nur durch „Rechtsvorschriften“ des Landes vor. „Rechtsvorschriften“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Nds. VwVfG sind nach dem ausdrücklichen Willen des Landesgesetzgebers nur Gesetze und Verordnungen, nicht dagegen sonstige Bestimmungen ohne Rechtsnormcharakter wie Satzungen oder Verwaltungsvorschriften (LT-Drs. 8/1909, S. 6; vgl. auch Weidemann, Nds. Verwaltungsverfahrensgesetz-Kommentar in: Praxis der Kommunalverwaltung, A 15 Nds., Mai 2013, § 1 Nr. 1.4.1.2 m.w.N.). Eine solche Rechtsvorschrift stellt der Erlass vom 12. April 2011 nicht dar. Es ist auch keine Rechtsvorschrift ersichtlich, die als Rechtsgrundlage für eine Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit durch Erlass in Betracht käme. Insbesondere ist § 100 Abs. 4 Satz 1 Nds. POG nicht einschlägig. Diese Vorschrift erlaubt eine Bestimmung der örtlich zuständigen Behörde durch die Fachaufsichtsbehörde, wenn es um eine Aufgabe geht, die die Bezirke mehrerer Verwaltungsbehörden berührt und zweckmäßig nur einheitlich wahrgenommen werden kann. Bei der Ausweisung eines Ausländers handelt es nicht um eine solche Aufgabe. Im Übrigen weist das Gericht – ohne dass es für die Entscheidung darauf ankommt – darauf hin, dass der Erlass vom 12. April 2011 ausweislich seines Wortlauts den Anspruch hat, die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörden nicht nur für den Bereich der Gefahrenabwehr, sondern umfassend zu regeln. In ausländerbehördlichen Angelegenheiten, die nicht die Gefahrenabwehr betreffen, ist aber § 100 Nds. POG nicht einschlägig (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 29.5.2020 – 13 ME 170/20 –, S. 2 ff. – V.n.b.; Beschl. v. 19.2.2009 – 13 PA 159/08 –, juris Rn. 3; Beschl. v. 18.4.2007 – 11 ME 53/07 –, S. 4 – V.n.b., Beschl. v. 1.3.2006 – 11 ME 48/06 –, juris Rn. 6) und damit auch § 100 Abs. 4 Nds. POG jedenfalls insoweit keine taugliche Rechtsgrundlage für den Erlass.
Dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG vorliegen, ist nicht ersichtlich.
Dieser Mangel der örtlichen Zuständigkeit wird der Klage gegen die Ausweisung aber voraussichtlich nicht zum Erfolg verhelfen und kann daher insoweit auch nicht zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage führen. Nach § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nämlich nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Vorliegend ist offensichtlich, dass der Zuständigkeitsmangel die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, weil es sich bei der Ausweisung um eine gebundene Entscheidung handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.2017 – 1 C 3/16 –, juris Rn. 21) und die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ausweisungsverfügung, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, vorgelegen haben. Damit hätte auch von der zuständigen Behörde keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden können.
Die Ausweisung des Antragstellers erweist sich, abgesehen von der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin, als offensichtlich rechtmäßig.
Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei dieser Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Dabei wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Die gesetzlich typisierten Interessen können jedoch im Einzelfall mehr oder weniger Gewicht entfalten. Daher verbietet sich auch eine normative Addition der vertypten Interessen; vielmehr kann es beispielsweise erforderlich und verhältnismäßig sein, dass auch bei mehreren vertypten Bleibeinteressen das Ausweisungsinteresse überwiegt (Bay. VGH, Beschl. v. 2.5.2017 – 19 ZB 16.186 –, juris Rn. 11). Die Katalogisierung in den §§ 54, 55 AufenthG schließt im Übrigen die Berücksichtigung weiterer Bleibe- oder Ausweisungsinteressen im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus.
Für die Feststellung, dass der Aufenthalt eines straffällig gewordenen Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, können sowohl spezialpräventive als auch generalpräventive Gründe maßgeblich sein (BVerwG, Urt. v. 9.5.2019 – 1 C 21/18 –, juris Rn. 17). Vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann also auch dann eine Gefahr ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen.
Für ein spezialpräventiv begründetes Ausweisungsinteresse bedarf es einer Prognose zur Wiederholungsgefahr. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (Nds. OVG, Urt. v. 6.5.2020 – 13 LB 190/19 –, juris Rn. 38).
Hiernach geht von dem Antragsteller eine erhebliche Gefahr weiterer Straftaten aus, so dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG gefährdet.
Die letzten Verurteilungen des Antragstellers aus den Jahren 2013, 2014, 2016, 2017 und 2019 zeigen die hohe Rückfallgeschwindigkeit des Antragstellers und belegen, dass er sich in der Vergangenheit von Vorverurteilungen und auch von laufenden Bewährungen nicht nachhaltig hat beeindrucken lassen. Auch die positive Prognose der Fachklinik D. vom 13. Februar 2017 hat sich schon nach nur wenigen Monaten als unzutreffend erwiesen. Bei Straftaten, die – wie im Fall des Antragstellers – auf der Suchterkrankung eines Ausländers beruhen, kann im Übrigen von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie gestattet angesichts der erfahrungsgemäß hohen Rückfallquote noch nicht die Prognose, dass von dem Betroffenen eine ordnungsrechtlich relevante Wiederholungsgefahr nicht mehr ausgeht. Eine solche Prognose ist erst nach drogen- und straffreier Lebensführung über einen erheblichen Zeitraum gerechtfertigt. Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 3.4.2019 – 19 ZB 18.1011 –, juris Rn. 14 m.w.N.; Nds. OVG, Beschl. v. 13.8.2012 – 11 ME 158/12 – n.v.; OVG NRW, Beschl. v. 14.12.2007 – 17 B 775/06 –, juris Rn. 23). Gemessen daran ist die von dem Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr für weitere Straftaten weiterhin als erheblich einzuschätzen. Der Antragsteller hat weder die zuletzt begonnene Therapie erfolgreich abgeschlossen noch hat er sich außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt. Nach der letzten Stellungnahme der Psychiatrischen Klinik G. vom 13. Februar 2020 stehen im Übrigen suchttherapeutische Themen wie die Erarbeitung eines Rückfallvermeidungsplanes, eine Rehabilitationsplanung und weitere deliktsspezifische Inhalte noch aus, insbesondere auch der Umgang mit den problematischen Persönlichkeitsanteilen, und eine Entlassung kann nicht empfohlen werden. Vor diesem Hintergrund reichen weder die sozialen Bindungen des Antragstellers zu seinem Vater und seiner jetzigen Lebensgefährtin noch der vorgetragene positive Verlauf der Unterbringung in der psychiatrischen Klinik auch nur ansatzweise aus, um von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgehen zu können.
Die bei Vorliegen dieser tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Der Antragsteller erfüllt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Die Tatsache, dass die letzten abgeurteilten Taten im August 2017 begangen wurden und damit bereits knapp drei Jahre zurückliegen, stellt das schwerwiegende Ausweisungsinteresse nicht in Frage, zumal der Antragsteller sich seit der Tat in Haft bzw. öffentlichem Gewahrsam befand. Die von dem Antragsteller ausgehende Gefahr weiterer Straftaten ist, wie oben dargelegt, auch zum heutigen Zeitpunkt noch als erheblich einzustufen, so dass auch ein Ausweisungsinteresse nach wie vor besteht.
Weder die diesem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gegenüberstehenden besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen noch sonstige Umstände vermögen das öffentliche Interesse an der Ausreise des Antragstellers aufzuwiegen.
Der Antragsteller kann zwar ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für sich geltend machen, weil er bereits als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, sich seit seiner Einreise im Jahr 1993 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und bereits seit dem Jahr 1999 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis besitzt. Auch ist zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass er eine Lebensgefährtin und Verlobte hat, die im Bundesgebiet lebt, wobei die Beziehung allerdings erst seit seiner letzten Haft bzw. Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik G. besteht und das Paar bisher noch keine Lebensgemeinschaft im Alltag geführt hat.
Im Ergebnis überwiegen jedoch die für eine Ausweisung des Antragstellers sprechenden Gesichtspunkte. Der Antragsteller ist mehrfach erheblich und über einen längeren Zeitraum hinweg strafrechtlich in Erscheinung getreten. Es steht, wie oben ausgeführt, zu befürchten, dass der Antragsteller, der noch nicht einmal seine Drogentherapie beendet hat, auch zukünftig wieder in ähnlich erheblicher Weise straffällig werden wird. Er hat sich außerdem während seines nunmehr 27-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet kaum integriert. So lassen sich keine wirtschaftlichen Bindungen des Antragstellers feststellen, da dieser bereits seit dem Jahr 2003 keiner geregelten Beschäftigung im Bundesgebiet mehr nachgegangen ist. Persönliche Bindungen bestehen zu seiner Lebensgefährtin und zu seinem Vater; diese Beziehungen haben aber nicht das Gewicht, um ein Überwiegen der Bleibeinteressen des Antragstellers zu begründen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers steht seiner Ausweisung auch nicht der Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegen. Insbesondere ist er nicht als „faktischer Inländer“ anzusehen. Im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann, er mithin ein „faktischer Inländer“ ist. Fehlt es hieran, liegt schon kein Eingriff in die Rechte des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor; einer Rechtfertigung nach den Maßgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK bedarf es nicht. Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension „Verwurzelung“) und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland (Dimension „Entwurzelung“) ab (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschl. v. 28.2.2018 – 8 ME 1/18 –, juris R. 17 m.w.N.).
Gemessen hieran ist die Verwurzelung des Antragstellers im Bundesgebiet nach den obigen Ausführungen als gering einzustufen. Auf der anderen Seite kann eine Reintegration des Antragstellers in Serbien erwartet werden, da dieser erst mit knapp 15 Jahren nach Deutschland übergesiedelt ist, noch seine Muttersprache verwendet und in Serbien noch Bindungen hat, an die er wieder anknüpfen kann. Außerdem ist der Antragsteller bereits zwischen 2005 und 2013 regelmäßig in seinem Heimatland gewesen, wo sich ein Teil seiner Familie weiterhin aufhält und wohin er auch weiterhin den Kontakt gehalten hat. So hat er bei der Beschuldigtenvernehmung durch die Polizeiinspektion F. im August 2017 noch angegeben, zehn Tage zuvor seinen Sohn in Serbien besucht zu haben.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch nach Auffassung des Gerichts als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich. Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Ausweisung zutreffend von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 14.3.2019 – 19 CS 17.1784 –, juris Rn. 23; Nds. OVG, Beschl. v. 16.12.2011 – 8 ME 76/11 –, juris Rn. 40). Von solchen schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention ist angesichts der dargelegten erheblichen Wiederholungsgefahr auch hier auszugehen. Dass der Antragsteller sich in Strafhaft bzw. öffentlichen Gewahrsam befindet, schließt das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht aus. Zum einen eröffnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung die Möglichkeit einer Abschiebung des Antragstellers aus der Haft heraus. Zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren aus der Strafhaft entlassen wird und dann die beschriebene konkrete Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten droht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 16.12.2011 – 8 ME 76/11 –, juris Rn. 41 ff.).
Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller weiterhin die Abschiebung nach Serbien angedroht hat, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO und § 70 Abs. 1 Nds. VwVG, § 64 Abs. 4 Nds. POG statthaft, allerdings ebenfalls unbegründet. Der Antragsteller ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da seine Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch die verfügte Ausweisung von Gesetzes wegen erloschen ist. Da es sich auch bei der Abschiebungsandrohung um eine gebundene Entscheidung handelt und deren Voraussetzungen vorgelegen haben, ist der oben dargelegte Mangel der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin auch insoweit nach § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG unbeachtlich, weil offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Hinsichtlich der Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO zulässig, weil die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers insoweit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kraft Gesetzes entfällt (vgl. VGH BW, Beschl. v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 –, juris Rn. 41-52, und Beschl. v. 21.1.2020 – 11 S 3477/19 –, juris Rn. 74).
Der Antrag ist insoweit auch begründet. Die Anordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind voraussichtlich formell rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin hierfür nicht örtlich zuständig war. Nach dem mit Wirkung vom 21.8.2019 neu eingefügten § 11 Abs. 5c AufenthG ist die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlässt, auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig. Da die Antragsgegnerin, wie oben ausgeführt, für die Ausweisung nicht zuständig ist, ist sie es auch nicht für die Anordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Der Mangel der örtlichen Zuständigkeit ist auch nicht nach § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG unbeachtlich. Bei einer auf der Grundlage des § 11 AufenthG in der durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. S. 1294) geänderten Fassung getroffenen Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt, der nicht zwischen der Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespalten werden kann (Nds. OVG, Urt. v. 6.5.2020 – 13 LB 190/19 –, juris Rn. 54). Da über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden wird und eine Ermessensreduzierung auf Null nicht ersichtlich ist, kann nicht festgestellt werden, dass die Verletzung der Zuständigkeitsvorschrift die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht geht dabei für die Kostenquote davon aus, dass die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots an dem Streitwert einen Anteil von einem Achtel hat (vgl. VGH BW, Beschl. v. 17.8.2018 – 11 S 1776/18 –, juris Rn. 20; VG Göttingen, Beschl. v. 23.1.2019 – 1 B 346/18 –, juris Rn. 66).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 8.2 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Werden in einem Verfahren gegen eine Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung und die Entscheidung über die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots angegriffen, wirkt sich dies nicht streitwerterhöhend aus (vgl. VGH BW, Beschl. v. 17.8.2018 – 11 S 1776/18 –, juris Rn. 20; OVG RP, Beschl. v. 20.9.2016 – 7 B 10406/16 –, juris Rn. 50).