Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.06.2020, Az.: 12 A 1293/18
Asylantrag; Asylgesuch; Familienasyl; Familienflüchtlingsschutz; Minderjähriger; Unverzügliche Antragstellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.06.2020
- Aktenzeichen
- 12 A 1293/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71765
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs 1 AsylVfG 1992
- § 26 Abs 3 AsylVfG 1992
- § 26 Abs 5 AsylVfG 1992
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der unverzüglich zu stellende „Asylantrag“ im Sinne des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist nicht (nur) der förmliche, beim Bundesamt zu stellende Asylantrag im Sinne von § 14 AsylG, sondern jeder Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG.
2. Wann das Bundesamt von dem Asylgesuch Kenntnis erlangt, ist unerheblich.
3. Selbst wenn man den Zeitpunkt des Asylantrags nach § 14 AsylG für maßgeblich erachten würde, liegt eine die Unverzüglichkeit ausschließende schuldhafte Verzögerung nicht vor, solange ein minderjähriger Asylsuchender nicht handlungsfähig ist und auch keinen gesetzlichen Vertreter hat.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2018 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger, ein im Jahr 2000 geborener irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit aus dem Distrikt Sindjar in der Provinz Ninive, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Dem im Jahr 2004 geborenen und bereits im Juni 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Bruder des Klägers erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2017 (Az.: C.) die Flüchtlingseigenschaft zu.
Der Kläger selbst stellte am 29. August 2016 in Griechenland einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes und reiste am 19. Juli 2017 im Rahmen einer Dublin-Überstellung, der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (im Folgenden: Bundesamt) zugestimmt hatte, auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Noch am selben Tag erklärte der Kläger gegenüber der Bundespolizeidirektion des Flughafens D., in Deutschland Schutz vor Verfolgung zu suchen. Die Bundespolizeidirektion nahm eine erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers vor und stellte ihm eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 AsylG aus.
Am 21. Juli 2017 meldete sich der Kläger bei der Ausländerbehörde des Landkreises E., die ihm eine Anlaufbescheinigung für Asylsuchende ausstellte.
Am 25. Juli 2017 beantragte ein sich in Deutschland befindlicher Onkel des Klägers beim Amtsgericht E., das Ruhen der elterlichen Sorge beider Elternteile des Klägers wegen deren Aufenthalt im Irak festzustellen, eine Vormundschaft anzuordnen und ihn zum Vormund zu bestellen.
Am 1. August 2017 sprach der Kläger bei der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen – Standort F. – vor, die ihm mitteilte, dass er aufgrund seiner Minderjährigkeit nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufgenommen werden könne.
Mit Schreiben vom 10. August 2017 forderte die Ausländerbehörde den Kläger auf, sich bei der Polizei E. erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, und wies darauf hin, dass der Kläger „erkennungsdienstliche Maßnahmen zu dulden (§ 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylG)“ habe. Weiter heißt es in dem Schreiben unter anderem: „Sollten Ausländer im Asylverfahren Aufforderungen gemäß § 15 AsylG nicht nachkommen, wird vermutet, dass das Asylverfahren nicht betrieben wird und der Asylantrag als zurückgenommen gilt (vgl. § 33 AsylG).“
Am 14. August 2017 ließ sich der Kläger bei der Polizei E. erkennungsdienstlich behandeln. Die Polizei stellte hierüber unter Verweis auf die Vorschriften des § 19 Abs. 2 Satz 1 AsylG, § 16 Abs. 1 AsylG eine Bescheinigung aus, die ausweislich des ausländerbehördlichen Vorgangs der Ausländerbehörde und dem Bundesamt übermittelt wurde.
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2017, unter dem 7. November 2017 übersandt, stellte das Amtsgericht E. das Ruhen der elterlichen Sorge beider Elternteile des Klägers fest, übertrug die elterliche Sorge einem Vormund und bestellte den Onkel des Klägers zum Vormund. Die Bestallungsurkunde stellte das Amtsgericht E. am 23. November 2017 aus.
Am 28. November 2017 stellte der Vormund des Klägers bei der Ausländerbehörde einen Asylantrag, den die Ausländerbehörde nebst Bestallungsurkunde an das Bundesamt weiterleitete. Beim Bundesamt ging der Asylantrag am 1. Dezember 2017 ein.
Zur Begründung seines Asylantrags gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe im Distrikt Sindjar gelebt. Am 3. August 2014 habe der IS die Region überfallen und sie seien geflohen. Von August 2014 bis Juni 2016 habe er sich in einem Flüchtlingscamp in Zaxo aufgehalten, danach für ca. ein Jahr in Griechenland.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2018 stellte das Bundesamt das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG fest und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung der ablehnenden Entscheidung führte es aus: Der Kläger habe eine ihn betreffende individuelle Verfolgung nicht vorgetragen. Der IS sei in der Heimatregion des Klägers nicht mehr präsent. Eine Gruppenverfolgung der Yeziden finde, abgesehen vom IS, nicht statt. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft über § 26 Abs. 3 AsylG scheide aus, da der Kläger nicht unverzüglich nach der Einreise einen Asylantrag gestellt habe. Dem Kläger drohe auch kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG.
Am 13. Februar 2018 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, Mitgliedern der yezidischen Glaubensgemeinschaft drohe im Irak weiterhin Verfolgung durch den IS. Außerdem habe er bereits am 19. Juli 2017 sein Asylgesuch kundgetan, so dass er einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 8. Februar 2018 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf ihren Bescheid,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, es komme hinsichtlich der unverzüglichen Asylantragsstellung darauf an, wann der Asylantrag förmlich bei ihr gestellt worden sei. Dies sei erst am 1. Dezember 2017 und damit nicht unverzüglich erfolgt. Zur damaligen Handlungsunfähigkeit des Klägers hat sich die Beklagte trotz gerichtlichen Hinweises nicht geäußert.
Die Kammer hat den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des beigezogenen ausländerbehördlichen Vorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die der nach § 76 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung berufene Einzelrichter im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2018 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 AsylG.
Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Art. 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist (Nr. 1), die Familie schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (Nr. 2), sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben (Nr. 3), die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (Nr. 4) und sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben (Nr. 5). Nach § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG gilt für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend. Nach § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG sind auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden; an die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz.
Diese Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Abs. 5 AsylG sind erfüllt.
Der minderjährige ledige Bruder des Klägers ist unanfechtbar als Flüchtling anerkannt, die Familie hat schon im Heimatstaat Irak bestanden, und der Kläger war sowohl zum Zeitpunkt seines ersten Asylgesuchs in Deutschland als auch zum Zeitpunkt seiner förmlichen Asylantragsstellung noch minderjährig. Es ist weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den minderjährigen Bruder des Klägers zurückzunehmen oder zu widerrufen ist.
Der erst nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für seinen Bruder eingereiste Kläger hat seinen Asylantrag gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 AsylG nach der Einreise auch unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern im Sinne von § 121 BGB, gestellt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss ein unverzüglicher Asylantrag zwar nicht sofort, aber – unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände – alsbald gestellt werden. Dabei ist einerseits eine angemessene Überlegungsfrist zuzubilligen, andererseits aber auch das von § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG als Ordnungsvorschrift verfolgte öffentliche Interesse, möglichst rasch Rechtsklarheit zu schaffen, zur Geltung zu bringen. Im Hinblick auf die im gesamten Asylverfahrensrecht verkürzten Fristen hält das Bundesverwaltungsgericht eine Frist von zwei Wochen in der Regel für angemessen und ausreichend. Ein späterer Antrag ist folglich regelmäßig nur dann rechtzeitig, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte. Von einem gewissenhaften Asylsuchenden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet vorläufig und nur zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet ist, ist zu erwarten, dass er sich, ggf. durch Einholung von Rechtsrat, Klarheit verschafft und den erforderlichen Antrag sodann stellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.5.1997 – 9 C 35/96 –, juris Rn. 10).
Das Gericht ist dabei der Auffassung, dass der unverzüglich zu stellende „Asylantrag“ im Sinne des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG nicht (nur) der förmliche, beim Bundesamt zu stellende Asylantrag im Sinne von § 14 AsylG ist, sondern jeder Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG (vgl. Nds. OVG, B. v. 1.7.2019 – 9 LA 87/19 –, juris Rn. 11; Bay VGH, B. v. 17.1.2019 – 20 ZB 18.32762 –, juris Rn. 10; und Urt. v. 16.10.2018 – 21 B 18.31010 –, juris Rn. 18; VG Aachen, Urt. v. 5.3.2020 – 5 K 2046/18.A –, juris Rn. 22; VG Hannover, Urt. v. 27.5.2019 – 3 A 1313/19 –, juris Rn. 12; VG Hamburg, Urt. v. 14.2.2019 – 8 A 1814/18 –, juris Rn. 55 ff. m.w.N.; VG Schwerin, Urt. v. 14.1.2019 – 3 A 2151/18 SN –, juris Rn. 28 ff.; für § 26 Abs. 2 AsylG auch VG Köln, Urt. v. 10.4.2018 – 14 K 4735/15.A –, juris Rn. 18 ff.).
Ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise gegenüber einer staatlichen Stelle geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG droht.
Einen solchen Asylantrag im Sinne von § 13 AsylG hat der Kläger bei der Bundespolizeidirektion am Flughafen D. bereits am Tag seiner Einreise und damit auf jeden Fall unverzüglich gestellt.
Selbst wenn man jedoch der Auffassung wäre, dass es auf die förmliche Asylantragsstellung gemäß § 14 AsylG beim Bundesamt ankomme, also hier auf den Zeitpunkt der nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG am 1. Dezember 2017 erfolgten Antragsstellung, kann dem Kläger eine schuldhafte Verzögerung der Antragsstellung nicht entgegengehalten werden.
Auch wenn der Kläger seinen Asylantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach seiner Einreise gestellt hat, ist das Gericht der Auffassung, dass der Kläger seinen Asylantrag aufgrund der Umstände seines Einzelfalls nicht früher stellen konnte.
Ein unmittelbar nach der Einreise von ihm persönlich gestellter förmlicher Asylantrag wäre aufgrund seiner Minderjährigkeit nach § 12 Abs. 1 AsylG nämlich mangels Handlungsfähigkeit unwirksam gewesen, hätte mithin ein Asylverfahren beim Bundesamt nicht in Gang setzen können. Der Kläger hätte auch – bis zur Bestellung seines Vormunds – bei der Stellung des Asylantrags nicht wirksam vertreten werden können. Gegenüber einem Handlungsunfähigen darf die Behörde ohne Einschaltung des gesetzlichen Vertreters auch kein Verwaltungsverfahren durchführen (BVerwG, Urt. v. 31.7.1984 – 9 C 156/83 –, juris Rn. 12). Aus der Tatsache, dass ein Handlungsunfähiger Handlungen nicht vornimmt, darf die Behörde in Anbetracht von dessen Handlungsunfähigkeit auch keine negativen rechtlichen Konsequenzen ziehen. Es besteht im Übrigen für das Bundesamt auch kein schützenswertes Interesse daran, dass möglichst bald nach der Einreise ein unwirksamer Asylantrag gestellt wird.
Konnte der Kläger folglich erst nach Kenntnis von dem unter dem 7. November 2017 übersandten familiengerichtlichen Beschluss über die Einrichtung der Vormundschaft und die Bestellung des Vormunds einen Asylantrag wirksam stellen, ist die am 1. Dezember 2017 erfolgte Asylantragsstellung noch als unverzüglich anzusehen.
Es spricht bereits Einiges dafür, dass die dem Ausländer für die Antragsstellung regelmäßig einzuräumende Frist von zwei Wochen erst ab dem 23. November 2017, also dem Tag der Ausstellung der Bestallungsurkunde, zu laufen begann, weil der Vormund sich erst zu diesem Zeitpunkt nach außen hin als gesetzlicher Vertreter des Klägers legitimieren konnte. Dann wäre auch der förmliche Asylantrag in der Frist gestellt worden, innerhalb derer nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in aller Regel von einem unverzüglichen Asylantrag auszugehen ist.
Selbst wenn man jedoch von einem früheren Fristbeginn ab Kenntnis von der Einrichtung der Vormundschaft ausginge, wäre der förmliche Asylantrag als unverzüglich gestellt anzusehen. Der Einzelfall des Klägers weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die es rechtfertigen, einer (unterstellten) geringfügigen Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer raschen Rechtsklarheit keine maßgebliche Bedeutung beizumessen.
Dies folgt bereits aus dem Verhalten des Klägers nach seiner Einreise, das von Beginn an deutlich erkennen ließ, dass er die Durchführung eines Asylverfahrens begehrt und dass er alles hierzu Erforderliche unternehmen will. Der Kläger hat unmittelbar nach seiner Einreise ein Asylgesuch gegenüber den deutschen Behörden kundgetan und die aus seiner Sicht für die Durchführung eines Asylverfahrens erforderlichen Schritte rasch unternommen. Er hat gegenüber der Bundespolizeidirektion und gegenüber der Ausländerbehörde geäußert, in Deutschland Schutz vor Verfolgung zu suchen, ist der ausländerbehördlichen Verfügung zur erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Polizei nachgekommen, hat sich um die Einrichtung einer Vormundschaft gekümmert und hat bei der Landesaufnahmebehörde vorgesprochen.
Hinzu kommt, dass bei einer Gesamtwürdigung des vorliegenden Sachverhalts auch das Verhalten der beteiligten staatlichen Stellen eine längere Frist für die Stellung des Asylantrags rechtfertigt. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es mehr als drei Monate gedauert hat, bis über den – unverzüglich nach der Einreise gestellten – Antrag auf Bestellung eines Vormunds entschieden worden war. Der weitaus größte Teil des Zeitraums, der zwischen Einreise und förmlicher Asylantragsstellung liegt, ist auf die Dauer dieses Verfahrens und nicht auf ein Verhalten des Klägers zurückzuführen. Dem Kläger auf Grundlage einer (unterstellten) geringfügigen Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist Familienflüchtlingsschutz zu verwehren, während er zugleich mehrmonatige Verzögerungen der förmlichen Asylantragsstellung erlebt hat, die der Sphäre staatlicher Stellen zuzuordnen sind, erscheint mit dem Grundsatz eines fairen Verfahrens nicht vereinbar. Auch darf nicht außer Betracht gelassen werden, dass die deutschen Behörden dem Kläger mehrere Dokumente ausgestellt haben, die wegen der Bezugnahme auf Vorschriften des Asylgesetzes den Eindruck erwecken konnten, der Kläger befinde sich bereits in einem Asylverfahren.
Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, dass der Vormund des Klägers die Aushändigung der Bestallungsurkunde abgewartet hat, um sich hiermit sogleich als gesetzlicher Vertreter legitimieren zu können; auch dies stellt einen sachlichen Grund für eine (unterstellte) geringfügige Verzögerung dar.
In Anbetracht all dieser Umstände erscheint es nicht vertretbar, dem Kläger vorzuhalten, er hätte im Interesse einer möglichst raschen Rechtsklarheit den Asylantrag im Sinne von § 14 AsylG noch früher stellen müssen.
Dem Kläger kann auch nicht vorgehalten werden, er hätte zumindest ein Asylgesuch – das keine Handlungsfähigkeit gemäß § 12 AsylG voraussetzt – beim Bundesamt früher stellen können. Soweit für die Definition des „Asylantrags“ i. S. v. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG weder auf § 13 AsylG noch auf § 14 AsylG zurückgegriffen wird, sondern auf die Kenntnis des Bundesamts von einem Asylgesuch gemäß § 13 AsylG abgestellt wird (VG Schwerin, Urt. v. 14.1.2019 – 3 A 2151/18 SN –, juris Rn. 35; vgl. auch VG Köln, Urt. v. 11.2.2019 – 21 K 10043/16.A –, juris Rn. 39 ff. im Rahmen von § 26 Abs. 2 AsylG), hält das Gericht dies für nicht überzeugend. Eine solche Betrachtung ist insbesondere nicht durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), und dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 26. Juli 2017 (– C-670/16 16 [Mengesteab] –, juris Rn. 75 ff.) geboten. Dieses Urteil bezieht sich ausschließlich auf die Regelungen der Antragstellung im sog. Dublin-Verfahren auf Grundlage der Dublin III-VO. Ausdrücklich weist der EuGH darauf hin, dass sich Art. 6 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie und Art. 20 Abs. 2 der Dublin III-VO hinsichtlich der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz zwar ähnelten, aber auch in wesentlichen Punkten unterschieden. Diese Vorschriften seien zudem Teil verschiedener Verfahren, die eigene Anforderungen aufwiesen und unterschiedlichen Regelungen unterlägen (EuGH, Urt. v. 26.7.2017, a.a.O., Rn. 99 ff.). Eine Übertragung der Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-VO auf das nationale Asylverfahrensrecht hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung scheidet mithin aus (vgl. Nds. OVG, B. v. 19.9.2018 – 13 ME 355/18 –, juris Rn. 8).
Da der Kläger sowohl ein Asylgesuch im Sinne von § 13 AsylG als auch den förmlichen Asylantrag im Sinne von § 14 AsylG unverzüglich gestellt hat, kann dahinstehen, ob und inwiefern die Einreise des Klägers im Rahmen einer Dublin-Überstellung bei der Anwendung oder Auslegung des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG Berücksichtigung zu finden hat. Da das Bundesamt nach Art. 18 Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO ohnehin verpflichtet war, den in Griechenland gestellten Antrag des Klägers auf internationalen Schutz zu prüfen, dürfte allerdings vorliegend das von § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG verfolgte Ziel einer raschen Rechtsklarheit selbst dann nicht berührt sein, wenn dem Kläger vorzuwerfen wäre, dass er einen (nach der Dublin III-VO gar nicht erforderlichen) Asylantrag in Deutschland früher hätte stellen können (vgl. zur unverzüglichen Asylantragsstellung bei einer Familienzusammenführung in Dublin-Verfahren auch VG Augsburg, Urt. v. 8.6.2018 – Au 5 K 17.31948 –, juris Rn. 27).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.