Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.06.2006, Az.: 11 K 45/04

Haftung eines GmbH-Geschäftsführers für nicht abgeführte Körperschaftssteuer und Umsatzsteuer; Steuerliche Pflichten des GmbH-Geschäftsführers

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.06.2006
Aktenzeichen
11 K 45/04
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2006, 25045
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2006:0602.11K45.04.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 01.02.2007 - AZ: I B 82/06

Fundstellen

  • EFG 2006, 1875-1876 (Volltext mit amtl. LS)
  • NWB 2008, 953-954
  • NWB direkt 2007, 2

Verfahrensgegenstand

Haftungsbescheid

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz: Zu den dem Geschäftsführer einer GmbH obliegenden steuerlichen Pflichten

Redaktioneller Leitsatz

Verletzt der Geschäftsführer einer GmbH seine steuerlichen Abgabe- oder Erklärungspflichten, haftet er hieraus persönlich.

Tatbestand

1

Streitig ist die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nach §§ 34, 69, 71 Abgabenordnung (AO).

2

Mit notariellem Vertrag vom 22. Januar 2001 errichteten der Kläger und B die X GmbH (GmbH). Der Kläger war mit einer Stammeinlage von 15.000 EUR und B mit 10.000 EUR an der Gesellschaft beteiligt. Noch am selben Tag bestellten die Gründungsgesellschafter den Kläger zum alleinigen Geschäftsführer der GmbH. Mit notariellem Vertrag vom 9. November 2001 (...) veräußerten der Kläger und B ihre Geschäftsanteile für 36.000 DM bzw. 24.000 DM an D, der im Rahmen der notariellen Verhandlung unter dem falschen Namen "..." auftrat und dem beurkundenden Notar einen gefälschten ... Pass vorlegte. Mit notarieller Urkunde vom selben Tag (...) wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen und der neue Gesellschafter D zum neuen Geschäftsführer bestellt. Die GmbH wurde am 23. September 2002 im Handelsregister gelöscht.

3

Mit dem so genannten Betriebseröffnungsbogen erklärte der Kläger dem Beklagten am 24. April 2001 voraussichtlich im Gründungsjahr 500.000 DM Gesamtumsatz zu erzielen. Der Jahresüberschuss werde für Zwecke der Vorauszahlungen im Gründungsjahr mit 5.000 DM geschätzt.

4

Ihren Steuererklärungspflichten kam die GmbH nur teilweise nach. Jahressteuererklärungen und einen Jahresabschluss auf den 31. Dezember 2001 legte sie nicht vor. Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen gab sie nur für die Monate Februar bis September 2001 ab. Die Summen der darin vorangemeldeten Umsätze betrugen 3.784.558 DM und 426.742 DM Vorsteuern.

5

Am 6. Dezember 2001 erhielt das Finanzamt durch einen Telefonanruf der damaligen steuerlichen Vertreterin der GmbH die Kenntnis davon, dass eine betriebswirtschaftliche Auswertung der GmbH einenÜberschuss von ca. 2,4 Mio. DM ausweise. Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2002 einen Erhöhungsbetrag zu den Körperschaftsteuervorauszahlungen 2001 in Höhe von 306.110,45 EUR fest. Zuvor waren die Körperschaftsteuervorauszahlungen auf der Grundlage der Angaben, die der Kläger im April 2001 gegenüber dem Beklagten gemacht hatte, durch Vorauszahlungsbescheid vom 17. Mai 2001 auf 416 DM ab II. Quartal festgesetzt worden.

6

Die GmbH kam ihren Zahlungsverpflichtungen aus dem Körperschaftssteuervorauszahlungsbescheid vom 17. Mai 2001 und den von ihr abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen Februar bis September 2001 im wesentlichen nach. Dagegen leistete sie nahezu keine Zahlungen mehr auf die Folgemonate. Die letzte Zahlung ging am 14. Dezember 2001 im Finanzamt ein.

7

Nach vergeblichen Vollstreckungsversuchen gegen die GmbH forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 6. Mai 2003 auf, Angaben zu seiner etwaigen Haftungsinanspruchnahme zu machen. Der Kläger ließ die Anfrage unbeantwortet. Am 16. Juni 2003 beschlagnahmte das Hauptzollamt ... in einem vom Kläger gesteuerten, aus Richtung Luxemburg kommenden Mercedes 100.000 EUR. Unter dem Schonbezug des Fahrersitzes war das Bargeld versteckt. Es wurde wegen des Verdachts der Geldwäsche beschlagnahmt.

8

Vor dem Hintergrund der vom Kläger nicht beantworteten Haftungsanfrage und den Angaben des Klägers am 16. Juni 2003 gegenüber den Zollbeamten nahm der Beklagte den Kläger zum Einen mit Bescheid vom 18. Juni 2003 als Haftungsschuldner gemäß §§ 69 und 71 AO für Abgabenrückstände der GmbH in Höhe von insgesamt 633.930,41 EUR in Anspruch, zum Anderen ordnete er zeitgleich den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Klägers an. Auf Grundlage dieser Arrestanordnung richtete er noch am 18. Juni 2003 eine Pfändungsverfügung an das Hauptzollamt ..., mit dem es einen Anspruch des Klägers auf Herausgabe des beschlagnahmten Bargeldes von 100.000 EUR pfändete.

9

Zeitgleich mit dem Ergehen des Haftungsbescheides an den Kläger erließ das beklagte Finanzamt auch gegenüber D einen auf§ 69 AO gestützten Haftungsbescheid über dieselben Abgabenrückstände der GmbH. Die Haftungsbescheide enthalten jeweils einen Hinweis auf die Mitinanspruchnahme des anderen Geschäftsführers.

10

Der Kläger legte gegen den Haftungsbescheid mit Schreiben vom 26. Juni 2003 Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren erhielt der Beklagte von der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer am 9. November 2001 Kenntnis. Auf ausdrückliche Nachfrage des Beklagten erklärte der Kläger, dass sich seine materiellen Einwendungen auf die Tatsache seiner Geschäftsführerabberufung am 9. November 2001 beschränke. Der Beklagte erließ daraufhin einen Einspruchsbescheid vom 30. Dezember 2003. Mit ihm wurde der Haftungsbescheid geändert und die Haftungssumme von 633.930,41 EUR auf 507.018,16 EUR herabgesetzt. Im Einzelnen erstreckte sich die Haftung nun auf folgende Abgabenrückstände:

SteuerartZeitraumBetrag in EUR
UmsatzsteuerJanuar 200116.361,34
UmsatzsteuerFebruar 200116.361,34
UmsatzsteuerMärz 200116.361,34
UmsatzsteuerApril 200116.361,34
UmsatzsteuerMai 200116.361,34
UmsatzsteuerJuni 200116.361,34
UmsatzsteuerJuli 200116.361,34
UmsatzsteuerAugust 200116.361,34
UmsatzsteuerSeptember 200116.361,34
UmsatzsteuerOktober 200127.712,02
Umsatzsteuer
(34.154,30 EUR x 8/30 Tage)
November 20019.107,81
Körperschaftsteuervorauszahlung4. Vj. 2001306.110,45
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuervorauszahlung4. Vj. 200116.835,82
Summe507.018,16
11

Gegen den Einspruchsbescheid erhob der Kläger Klage.

12

Der Kläger trägt vor, der Haftungsbescheid sei rechtswidrig. Der Beklagte gehe davon aus, dass durch den Verkauf an D eine "Firmenentsorgung" vorgenommen worden sei. Dies sei jedoch nicht richtig. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Der Kläger habe sich nur von der Firma getrennt, weil er ins Ausland habe verziehen wollen. Sämtliche Vertragsunterlagen der GmbH seien dem Käufer D am 9. November 2001übergeben worden. Zuvor hätten der Kläger sämtliche buchungs- und geschäftsrelevanten Unterlagen aus dem von ihm beauftragten Steuerbüro in ... abgeholt. Aus den mit größter Wahrscheinlichkeit von dem Steuerberater des Klägers zu beschaffenden Unterlagen werde sich ergeben, dass die Buchhaltung der GmbH bis zum 9. November 2001 ordnungsgemäß gewesen sei und dass es für die Monate Januar 2001 bis September 2001 zu keinen falschen Voranmeldungen gekommen sei. Im Übrigen habe der Kläger sämtliche Anweisungen des Steuerberaters befolgt. Sobald der Steuerberater ihm mitgeteilt habe, was zu bezahlen gewesen sei, habe er unmittelbar Zahlung geleistet.

13

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 18. Juni 2003 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 30. Dezember 2003 ersatzlos aufzuheben.

14

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Der Beklagte trägt vor, der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung sei rechtmäßig. Die steuerlichen Verpflichtungen des Klägers würden sich nicht darin erschöpfen, Zahlungsanweisungen des Steuerberaters zu befolgen. Zu den steuerlichen Verpflichtungen gehöre es vielmehr insbesondere, die objektiv verwirklichten Besteuerungsgrundlagen den Finanzbehörden gegenüber voll umfänglich zu erklären.

16

Die Beteiligten erklären übereinstimmend, mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden zu sein.

Entscheidungsgründe

17

Die Klage ist teilweise begründet.

18

Die Haftungsreduzierung ergibt sich aus den vom Steuerberater ... aus .... vorgelegten Buchführungsunterlagen (Betriebswirtschaftliche Auswertung - BWA -, Saldenlisten und Sachkontenabfragen) für den Zeitraum Februar bis September 2001. Im Übrigen ist der Haftungsbescheid vom 18. Juni 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Dezember 2003 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

19

Der Kläger wird zu Recht gemäß §§ 69, 34 AO in Haftung genommen. Nach§ 69 AO haften die in § 34 Abs. 1 AO genannten gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Der Kläger war gesetzlicher Vertreter der GmbH, einer juristischen Person. Er war bis zum 9. November 2001 Geschäftsführer.

20

Der Kläger ist der ihm obliegenden gesetzlichen Verpflichtung, die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen, nicht nachgekommen. Neben den ordnungsgemäßen Voranmeldungen gehören zu den steuerlichen Pflichten auch Erklärungspflichten (Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 1999, Tz. 47). So hatte der Kläger den Betriebseröffnungsbogen korrekt auszufüllen und Änderungen in der Folgezeit unverzüglich dem Beklagten mitzuteilen. Diese Berichtigungspflicht ergibt sich aus § 153 AO. Danach hat der Steuerpflichtige neben unrichtigen Steuererklärungen auch sonstige steuerlich relevante Erklärungen zu berichtigen. Insbesondere hatte der Steuerpflichtige die Pflicht bei Veränderungen der Einkommensverhältnisse, diese dem Finanzamt mitzuteilen, damit entsprechend geänderte Vorauszahlungsbescheide erlassen werden können (FG Düsseldorf Urteil vom 24. Mai 1989 4 K 397/83 AO, EFG 1989, 491).

21

Der Kläger hatte unterlassen, entsprechende Berichtigungen der voraussichtlichen Einkünfte vorzunehmen. Ebenso hatte er keine korrekten Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben.

22

Der Kläger hat auch mindestens grob fahrlässig gehandelt. Die Pflichtwidrigkeit indiziert im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit (BFH-Beschluss vom 14. September 1999 VII B 33/99, BFH/NV 2000, 303; BFH-Urteil vom 13. März 2003 VII R 46/02, BStBl II 2003, 556). Ein Irrtum über den Umfang seiner Pflichten entschuldigt den Kläger nicht. Wer sich zum gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person bestellen lässt, muss sich über die damit verbundenen steuerlichen Pflichten informieren. Der Kläger konnte sich daher nicht darauf verlassen, dass sein Steuerberater schon in korrekter Weise die steuerlich relevanten Meldungen und Erklärungen gegenüber dem Beklagten abgeben werde. Er war verpflichtet selbst die Tätigkeit des Steuerberaters zu überwachen und gegebenenfalls in seiner Person die Erklärungen, insbesondere hinsichtlich des zu erwartenden Gewinns und der abzuführenden Umsatzsteuer, gegenüber dem Beklagten abzugeben. Dies war umso mehr erforderlich, als er dem Steuerberater die Unterlagen und Buchführung im September entzogen hatte.

23

Das Finanzamt hat sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Es hat gegenüber allen zwei Geschäftsführern Haftungsbescheide erlassen. Soweit der Nachfolgegeschäftsführer D letztlich nur für Umsatzsteuer Oktober 2001 und November 2001 neben dem Kläger in Anspruch genommen wurde, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit durfte der Beklagte sich auf diese Haftung beschränken, weil D im Einspruchsverfahren erklärt hatte, dass es sich um eine"Firmenentsorgung" gehandelt habe. Damit durfte der Beklagte davon ausgehen, dass keinerlei Vermögenswerte mehr vorhanden waren. Insbesondere spiegelte sich darin der Verschuldensvorwurf gegenüber dem Kläger wieder, der für die entsprechenden Rückstände verantwortlich war, so dass ein Absehen von einer weitergehenden Haftung des D ermessensgerecht war.

24

Ob der Kläger auch gemäß § 71 AO als Steuerhinterzieher haftet, wovon das Finanzamt ausgeht, bedarf keiner Entscheidung.

25

Die Haftung des Klägers war aber auf Folgende Beträge herabzusetzen.

26

Die Reduzierung der Umsatzsteuerhaftung ergibt sich daraus, dass sich nach der BWA Umsätze mit 16 v.H. in Höhe von 5.911.362 DM feststellen lassen (hochgerechnet von 7 Monaten [= 3.448.295 DM] auf 12 Monate). Dem stehen Vorsteuerbeträge in Höhe von 582.414 DM gegenüber (hochgerechnet von 7 Monaten [339.742 DM Konto 1575] auf 12 Monate). Per Saldo besteht somit eine Zahllast von 363.403 DM. Erklärt bzw. berücksichtigt waren jedoch bisher nur 178.787 DM, so dass sich ein Haftungsbetrag von 184.616 DM (= 94.392 EUR) ergibt. Verteilt auf die Voranmeldungszeiträume Januar bis November 2001 ergibt sich für die Voranmeldungszeiträume Januar bis September 2001 eine Haftung von jeweils 8.581,09 EUR, für den Voranmeldungszeitraum Oktober 2001 14.873,89 EUR und für den Voranmeldungszeitraum November 2001 2.288,29 EUR.

27

Die Herabsetzung der Haftung für Körperschaftsteuervorauszahlungen ergibt sich daraus, dass sich nach der BWA ein Überschuss von 125.368,86 DM (= 64.100 EUR) feststellen lässt (hochgerechnet von 7 Monaten [= 292.527,34 DM] auf 12 Monate).

28

Die Herabsetzung der Haftung für Solidaritätszuschlag zur Körperschaftssteuervorauszahlung ergibt sich daraus, dass sich bei 5,5 v.H. Solidaritätszuschlag von der Körperschaftsteuer ein Betrag von 6.895,28 DM (= 3.525,50 EUR) feststellen lässt.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 137 Abs. 1, 138 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Kosten sind dem Kläger aufzuerlegen, weil die Haftungsreduzierung auf Tatsachen beruht, die der Kläger früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen (§ 138 Abs. 2 Satz 2, § 137 FGO). Der Kläger hätte bereits im Einspruchsverfahren vortragen können, dass sich aus den Unterlagen des Steuerberaters ... aus Braunschweig eine niedrigere Haftung ergebe. Im Einspruchsverfahren wurde nur geltend gemacht, dass der Kläger nicht mehr Geschäftsführer gewesen sei.