Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.06.2006, Az.: 11 K 11673/03

Fahrtkosten durch das Bringen der Kinder mit dem Pkw zur Großmutter als Aufwendungen für Dienstleistungen zur Kindesbetreuung.; Abzugsfähigkeit von Betreungskosten allein für Aufwendungen ohne Veranlassung durch die eigene Betreuung der Kinder; Abzugsfähigkeit von Fahrtkosten als Betreuungskosten allein für die Betreuungsperson selbst

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.06.2006
Aktenzeichen
11 K 11673/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 23671
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2006:0602.11K11673.03.0A

Fundstellen

  • EFG 2006, 1844 (Volltext mit amtl. LS)
  • NWB direkt 2006, 5
  • Jurion-Abstract 2006, 228626 (Zusammenfassung)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen dadurch erwachsen, dass er seine Kinder mit dem Pkw zur Betreuung zur Großmutter bringt, sind keine Aufwendungen für Dienstleistungen zur Kindesbetreuung.

  2. 2.

    Nur die Aufwendungen sind zu berücksichtigen, die der Steuerpflichtigen für Dritte leistet; Aufwendungen, die nicht für die Betreuungsperson geleistet werden, sind auch dann nicht abziehbar, wenn sie in irgendeiner Weise durch die Betreuung der Kinder veranlasst sind.

  3. 3.

    Im Ergebnis ist damit lediglich der Abzug von Fahrtkostenerstattungen möglich, die die Betreuungsperson selbst aufgewendet hat.

Tatbestand

1

Streitig ist die Berücksichtigung von Fahrtkosten als Kinderbetreuungskosten und ob der Beklagte berechtigt war, einen verbösernden Bescheid zu erlassen.

2

Die Kläger beantragten in ihrer Einkommensteuererklärung 2002 unter anderem Fahrtkosten zur Schwiegermutter (Betreuungsperson für die beiden minderjährigen Kinder der Kläger) wegen Hinbringen und Abholen der Kinder von Januar bis Juli sowie ab August bis Dezember nach der Kindergartenzeit wegen Abholen der Schwiegermutter zur weiteren Betreuung der Kinder am Nachmittag in der Wohnung der Kläger und Zurückbringen der Schwiegermutter für jedes Kind in Höhe von 1.584 EUR (220 Tage x 48 km x 0,30 EUR x ae pro Kind). Weiterhin beantragten die Kläger die Berücksichtigung eines Pflegepauschbetrages.

3

Im Einkommensteuerbescheid 2002 wurden die Fahrtkosten nicht berücksichtigt. Jedoch wurde der Pflegepauschbetrag antragsgemäß berücksichtigt. Gegen den Einkommensteuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren teilte der Beklagte durch seinen Mitarbeiter mit Schreiben vom 19. Mai 2003 u.a. Folgendes den Klägern mit:

"Aufgrund der im Zuge der im Einspruchsverfahren vorgeschriebenen Gesamtüberprüfung des Steuerbescheides habe ich festgestellt, dass der Pflege-Pauschbetrag nicht zu gewähren war.

Der Pflege-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 6 Einkommensteuergesetz kann nur gewährt werden, wenn die Hilflosigkeit des Pflegebedürftigen durch einen Ausweis nach dem Sozialgesetzbuch mit dem Merkzeichen H, einen entsprechenden Bescheid der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörde oder durch einen Bescheid über die Einstufung als Schwerstpflegebedürftiger - Pflegestufe III - nachgewiesen wird. Im hier vorliegenden Bescheid des Versorgungsamtes...vom 4. Januar 2001 ist das Merkmal H nicht bescheinigt. Ich bitte den aktuellen Bescheid vom 25. Januar 2002 zur Vervollständigung der Akte noch vorzulegen.

Pflichtgemäß mach ich darauf aufmerksam, dass eine Änderung zu ihrem Nachteil durchgeführt werden müsste. Die verbösernde Entscheidung können Sie durch Rücknahme Ihres Einspruches verhindern.

Ich bitte um Stellungnahme innerhalb von vier Wochen."

4

Da eine Rücknahme des Einspruches nicht erfolgte und auch eine Änderung des Einkommensteuerbescheides zu Gunsten der Kläger durch den Beklagten nicht in Betracht gezogen wurde, erging ein Einspruchsbescheid, mit dem der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen und eine Verböserung wegen Streichung des Pflege-Pauschbetrages vorgenommen wurde. Die Einkommensteuer 2002 wurde von 5.586,00 EUR auf 5.850,00 EUR heraufgesetzt. Entsprechend wurden auch die Kirchensteuer und der Solidaritätszuschlag erhöht. Gegen den Einspruchsbescheid erhoben die Kläger Klage.

5

Die Kläger tragen vor, dass eine Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten in Form der entstandenen Fahrtkosten zu erfolgen habe. Die Anerkennung ergebe sich daraus, dass nach einem Handbuch von Grimm/Weber diese Aufwendungen des Steuerpflichtigen anzuerkennen seien. Es handele sich nicht um eigene Fahrtkosten, sondern um die Anerkennung von Fahrtkosten, die für das Abholen/Wegbringen der betreuenden Person aufgewandt wurden. Darüber hinaus hätte keine verbösernde Entscheidung getroffen werden dürfen. Der Hinweis auf die bestehende Möglichkeit der Rücknahme des Einspruchs hätte nicht auf den gesamten Einspruch bezogen werden dürfen, sondern nur auf den streitigen Punkt. Es seien ja noch weitere Punkte angesprochen worden. Die Androhung sei daher rechtswidrig.

6

Die Kläger stellten keinen Antrag.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte trägt vor, dass die Voraussetzungen für eine Verböserung vorgelegen hätten. Auch seien die Fahrtkosten für die Fahrten wegen der Betreuung durch die Schwiegermutter nach der Rechtsprechung des BFH nicht zu berücksichtigen.

9

Die Beteiligten erklärten sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden.

Gründe

10

I.

Die Klage ist unbegründet.

11

Der Einkommensteuerbescheid 2002 vom 31. März 2003 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 20. Oktober 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Das beklagte Finanzamt durfte eine verbösernde Entscheidung treffen. Auch waren die Fahrtkosten zur Betreuungsperson und für das Abholen und Wegbringen der Betreuungsperson nicht abzugsfähig.

12

1.

Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) kann ein Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern.

13

Der Beklagte durfte danach einen verbösernden Bescheid erlassen. Das Finanzamt hat mit Schreiben vom 19. Mai 2003 darauf hingewiesen, dass eine verbösernde Entscheidung ergehen werde. Es hat auch darauf hingewiesen, warum eine Verböserung in Betracht kam. Ebenso hat es den Klägern Gelegenheit gegeben, zur beabsichtigten Verböserung innerhalb von vier Wochen Stellung nehmen zu können. Damit mussten die Kläger mit einer entsprechenden Reaktion rechnen. Der Hinweis auf die Rücknahmemöglichkeit des gesamten Einspruchs ist rechtmäßig. Nur durch Rücknahme des gesamten Einspruchs hätte die Verböserung verhindert werden können. Eine Rücknahme nur einzelner strittiger Punkte wäre insoweit nicht Erfolg versprechend gewesen, da ein Einspruch den Beklagten gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO berechtigt den Einkommensteuerbescheid im vollen Umfang zu überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn der Einspruch auf bestimmte Streitpunkte begrenzt wird (BFH-Beschluss vom 7. Juli 1994 XI B 3/94, BStBl II 1994, 785, 786; Bockmeyer in Klein, AO 8. Aufl. 2003, § 357 Tz. 10). Somit war der Hinweis, der Verböserung nur durch Rücknahme des gesamten Einspruchs entgehen zu können, rechtmäßig.

14

2.

Nach § 33c Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) können Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes im Sinne des § 32 Abs. 1 EStG erwachsen, als außergewöhnliche Belastungen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen abgezogen werden.

15

Die Aufwendungen, die den Klägern für Fahrten mit dem eigenen Kraftfahrzeug dadurch entstanden sind, dass ihre Kinder zur Betreuung in die Wohnung der Großmutter gebracht oder umgekehrt die Großmutter abgeholt und weggebracht werden musste, sind keine Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines Kindes. Als "Aufwendungen" werden allgemein alle beim Steuerpflichtigen abfließenden Güter angesehen, die in Geld oder Geldeswert bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 1982 VI R 67/79 , BFHE 136, 396 , BStBl II 1982, 744). Fallen danach zwar die Fahrtkosten grundsätzlich unter den Aufwendungsbegriff des § 33c Abs. 1 EStG, so ist dieser Begriff jedoch in Satz 1 dieser Vorschrift durch die Beifügung der weiteren Tatbestandsmerkmale "Dienstleistungen" und "Betreuung" erkennbar eingeschränkt. Für den Senat folgt dies aus einer am Wortsinn orientierten Auslegung der aus verschiedenen Einzelbegriffen zusammengesetzten Tatbestandsvoraussetzung "Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines Kindes", wonach nur die unmittelbar im Zusammenhang mit Dienstleistungen Dritter erbrachten Aufwendungen eines Steuerpflichtigen begünstigt sind. Zu berücksichtigen sind daher nur Aufwendungen, die der Steuerpflichtige für einen Dritten leistet; Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die nicht für die Betreuungsperson geleistet werden, sind auch dann nicht abziehbar, wenn sie in irgendeiner Weise durch die Betreuung der Kinder veranlasst sind. Damit kommt zwar der Abzug von Fahrtkostenerstattungen in Betracht, die die Betreuungsperson selbst aufgewendet hat (BFH-Urteil vom 4. Juni 1998 III R 94/96, BFH/NV 1999, 163 zur Erstattung der der Großmutter entstandenen Taxikosten); jedoch ist eine Berücksichtigung der Aufwendungen der Steuerpflichtigen selbst für Fahrtkosten nicht möglich (BFH-Urteil vom 10. April 1992 III R 184/90, BStBl II 1992, 814, 815 unter Gründe 2.a.; siehe auch Urteil vom 29. August 1986 III R 209/82, BFHE 148, 22, BStBl II 1987, 167 und Urteil vom 12. Juli 1991 III R 23/88, BFH/NV 1992, 172; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar (Loseblatt), § 33c Tz. 36). Letztere stehen nur mittelbar im Zusammenhang mit Dienstleistungen Dritter.

16

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.