Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 07.10.2005, Az.: 2 A 265/04

allgemeines Wohngebiet; Auflage; Ausflugeinrichtung; Baugenehmigung; Brieftaubenzucht; Drittanfechtungsklage; Ermessensreduzierung; Flugzeiten; Flügelschlagen; Freizeitbetätigung; Gebietsgewährleistungsanspruch; Gebot der Rücksichtnahme; Geräuschpegel; Kleintierhaltung; Nachbarklage; Nachbarrechte; Nebenanlage; Rücksichtnahmegebot; Taube; Taubenhaltung; Taubenschlag

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
07.10.2005
Aktenzeichen
2 A 265/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50791
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 29.09.2009 - AZ: 1 LB 258/07
BVerwG - 19.01.2010 - AZ: BVerwG 4 B 2.10

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, die Flugzeiten der 39 zugelassenen Tauben durch eine Auflage zu der Baugenehmigung vom 03.03.2003 zu beschränken, wobei nach den Angaben der Beigeladenen eine genaue zeitliche Festlegung auf maximal 3 Stunden täglich zu erfolgen hat.

Der Beklagte wird ferner verpflichtet, durch eine Auflage zu der Baugenehmigung vom 03.03.2003 den Beigeladenen den festen Einbau der bei der Beweisaufnahme durch das Landgericht Hildesheim am 17.03.2005 verwendeten Ausflugvorrichtung aufzugeben.

Die Baugenehmigung des Beklagten vom 03.03.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 19.04.2002 wird aufgehoben, soweit die Nutzung des Taubenschlages nicht in der vorstehenden Weise beschränkt ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die für erstattungsfähig erklärt werden, zu 3/4.

Der Beklagte und die Beigeladenen tragen die Gerichtskosten zu je 1/8;

sie tragen ihre außergerichtlichen Kosten zu je 1/4 selbst.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beteiligten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages jeweils abwenden, wenn nicht die übrigen Beteiligten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Kläger wenden sich gegen eine von dem Beklagten genehmigte Brieftaubenhaltung auf dem Grundstück der Beigeladenen.

2

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks F.. Mit Baugenehmigung vom 03.03.2003 genehmigte der Beklagte die Aufstockung der Garage auf dem Grundstück der Beigeladenen G.. Gleichzeitig genehmigte er die Nutzung des entstandenen Raumes als Stellfläche und zur Kleintierhaltung. Antragsgemäß ist die Art der Kleintierhaltung durch die Baugenehmigung vom 03.03.2003 auf Brieftauben beschränkt. Zugelassen sind 39 Tauben. Der Garagenaufbau hat eine Nutzfläche von 48,60 m².

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Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans H. der Gemeinde I.. Der Bebauungsplan setzt hier ein Allgemeines Wohngebiet fest.

4

Nach Abschluss der Baumaßnahme wurden erstmalig am 04.05.2003 Tauben in den als Taubenschlag ausgestatteten Garagenaufbau eingebracht. Die Ausflugöffnung weist in Richtung des klägerischen Grundstücks. Die Entfernung des Taubenschlags zum „Sitzplatz“ auf diesem Grundstück beträgt ca. 15 Meter; die Terrasse ist ca. 20 Meter entfernt.

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Am 29.08.2003 legten die Kläger Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19.04.2004 als unbegründet zurückgewiesen.

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Daraufhin haben die Kläger am 21.05.2004 Klage erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor, die Beigeladenen hielten sich nicht an die Beschränkung auf die Anzahl von 39 Tauben. In dem Taubenschlag der Beigeladenen würden vielmehr regelmäßig wesentlich mehr Tauben gehalten, etwa, wenn Jungtauben aufgezogen würden. Die Nutzung ihres Grundstücks, insbesondere der Terrasse und des Sitzplatzes mit dem Grill sei durch die Taubenhaltung erheblich eingeschränkt. Die Tauben nutzten ihr Grundstück als Ausflug- und Einflugschneise. Sie flögen in geringer Höhe über das Grundstück. Immer wieder komme es auch zu so genannten Sturzflügen. Das Grundstück werde durch Staub, Federn und Kot verunreinigt. Eine unzumutbare Lärmbelästigung entstehe durch das Flügelschlagen. Störend sei ferner das ständige Gurren, welches auch deutlich wahrgenommen werden könne, wenn sich die Tauben in dem Garagenaufbau befänden. Denn dieser sei nicht schallisoliert. Außerdem seien zumindest im Sommer die Fenster geöffnet. Eine störende Geräuschentwicklung gebe es auch durch ein Scharren der Tauben in der Dachrinne ihres Wohngebäudes. Dort ließen sich die Tauben wie auch anderswo auf ihrem Grundstück häufiger nieder. Sie fühlten sich überdies durch die Geräusche von den häufigen Reinigungsarbeiten und dem Pfeifen bzw. Rufen zum Anlocken der Tauben gestört. Der Freiflug der Tauben finde zu unterschiedlichen Zeiten statt. An einigen Tagen flögen die Tauben ganztägig immer wieder. Gerade darin liege für sie ein Problem, da sie nie vor den Tauben sicher sein könnten. In der Regel stünden ihnen lediglich 1 bis 1 1/2 Stunden Mittagspause zu . Die Taubenhaltung sei in der näheren Umgebung ihres Grundstücks keineswegs ortsüblich. Vielmehr handele es sich um ein ruhiges Wohngebiet, das faktisch den Charakter eines Reinen Wohngebiets habe.

7

Die Kläger beantragen,

8

den Baugenehmigungsbescheid des Landkreises Peine vom 03.03.2003 zum Aktenzeichen J. gegenüber den Eheleuten K. ebenso wie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19.04.2002 zum Aktenzeichen L. aufzuheben und den Landkreis Peine zu verpflichten, den Eheleuten M., N., die Nutzung der aufgestockten Räumlichkeiten oberhalb der Garage dieses Hausgrundstückes als Taubenschlag und zur Taubenhaltung zu untersagen,

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hilfsweise,

10

den Baugenehmigungsbescheid des Landkreises Peine vom 03.03.2003 zum Aktenzeichen O. gegenüber den Eheleuten K. ebenso wie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19.04.2002 zum Aktenzeichen L. aufzuheben und den Landkreis Peine zu verpflichten, den Eheleuten P. die Nutzung der aufgestockten Räumlichkeiten oberhalb der Garage dieses Hausgrundstückes als Taubenschlag und zur Taubenhaltung nur mit der Maßgabe einer baulichen Änderung des Taubenschlages dahingehend zu gestatten, dass sämtliche Ausflugsöffnungen auf der Westseite des Taubenschlages in Richtung des Nachbargrundstückes Q. der Kläger dauerhaft geschlossen werden und sämtliche Ausflugsöffnungen dieses Taubenschlages auf die dem klägerischen Grundstück R. entgegengesetzte Ostseite des Taubenschlages bzw. wiederum hilfsweise auf dessen Nord- oder Südseite auf Kosten der Eheleute K. zu verlegen sind,

11

hilfsweise,

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den Baugenehmigungsbescheid des Landkreises Peine vom 03.03.2003 zum Aktenzeichen O. gegenüber den Eheleuten K. ebenso wie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19.04.2002 zum Aktenzeichen S. aufzuheben und den Landkreis Peine zu verpflichten, den Eheleuten P. die Nutzung der aufgestockten Räumlichkeiten oberhalb der Garage dieses Hausgrundstückes als Taubenschlag und zur Taubenhaltung nur mit der Maßgabe zu gestatten, dass die Flugzeiten sämtlicher Tauben auf täglich maximal zwei Stunden zwischen 07:30 Uhr und 09:30 Uhr festgelegt werden bzw. wiederum hilfsweise nur mit der Maßgabe zu gestatten, dass von freitags, 12:00 Uhr, bis sonntags, 22:00 Uhr, ein Wochenendflugverbot ausgesprochen wird,

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wiederum hilfsweise den Baugenehmigungsbescheid des Landkreises Peine vom 03.03.2003 zum Aktenzeichen J. gegenüber den Eheleuten T. ebenso wie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19.04.2002 zum Aktenzeichen U. aufzuheben und den Landkreis Peine zu verpflichten, den Eheleuten V., die Nutzung der aufgestockten Räumlichkeiten oberhalb der Garage dieses Hausgrundstücks als Taubenschlag und zur Taubenhaltung nur mit der Maßgabe zu gestatten, dass maximal 10 Tauben gehalten werden dürfen,

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, die Taubenhaltung sei baurechtlich nicht zu beanstanden. Es handele sich um eine untergeordnete Nebenanlage i. S. des § 14 BauNVO, die auch nicht zu unzumutbaren Belästigungen oder Störungen i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO führe. Eine kleinere Brieftaubenzucht sei in einem Allgemeinen Wohngebiet zulässig. Nennenswerte Beeinträchtigungen durch Verunreinigungen und Flügelschlagen sowie Gurren seien allgemein nicht festzustellen. Das gelte, sofern von einem durchschnittlich empfindlichen Bewohner ausgegangen werde, auch für das Grundstück der Kläger. Bei zwei Ortsterminen sei keine Überschreitung der Höchstzahl von 39 Tauben festgestellt worden. Eine Brieftaubenhaltung sei in I. ortsüblich. Im Übrigen verweist der Beklagte auf die Begründung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig.

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Die Beigeladenen beantragen,

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die Klage abzuweisen.

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Sie tragen im Wesentlichen dieselben Argumente wie der Beklagte vor. Sie heben hervor, dass sich die Tauben bei dem Freiflug regelmäßig nicht auf dem Grundstück der Kläger niederließen, sondern sofort in den Schlag zurückkehrten. Im Flug ließen Tauben auch keine Ausscheidungen fallen. Der Flug der Tauben sei auf die Zeit von März bis September beschränkt. Lediglich in einem Zeitraum von 14 Tagen komme es zu einer vorübergehenden Erhöhung der Taubenzahl durch die Jungtauben.

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Die Kläger und die Beigeladenen verweisen auf ihr jeweiliges Vorbringen in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Hildesheim mit dem Aktenzeichen 3 O 104/04 (vgl. das Urt. v. 02.08.2005). Die Beigeladenen machen sich insbesondere das von dem Landgericht Hildesheim eingeholte Sachverständigengutachten des Herrn W. vom 22.03.2005 nebst Ergänzungsgutachten vom 08.06.2005 und der Befragung des Sachverständigen im Termin vom 12.07.2005 zu eigen. Die Kläger wenden sich gegen die Verwertbarkeit der Angaben des Sachverständigen. Beide Beteiligte haben nicht nur ihre Schriftsätze in dem Landgerichtsverfahren vorgelegt, sondern darüber hinaus weitere Unterlagen, auf deren Inhalt verwiesen wird.

21

Auch im Übrigen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Im Übrigen verweist das Gericht auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

22

Das Gericht hat Beweis erhoben durch eine Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 24.11.2004 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

24

Die Kläger haben einen Anspruch auf eine Beschränkung der Taubenhaltung in der tenorierten Weise durch Auflagen zu der Baugenehmigung des Beklagten vom 03.03.2003. Die Auflagen stellen im Sinne des § 36 Abs. 1 VwVfG sicher, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung erfüllt werden. Ohne eine Beschränkung der Flugzeiten und den Einbau der Ausflugeinrichtung verletzt die Baugenehmigung Nachbarrechte der Beigeladenen aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (Gebot der Rücksichtnahme). Insoweit erweist sich die Baugenehmigung vom 03.03.2003 als rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da die Genehmigung hinsichtlich der Flugzeiten und der geringfügigen baulichen Veränderung teilbar ist, war nach § 75 VwGO der gleichzeitig erhobenen Verpflichtungsklage der Kläger (vgl. die Hilfsanträge) auf Ergänzung der Baugenehmigung zur Sicherung ihrer Nachbarrechte stattzugeben. Das dem Beklagten in § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG für die Erteilung einer Auflage eingeräumte Ermessen ist auf Null reduziert. Die Kläger haben insoweit einen Anspruch auf Einschreiten nach § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO wegen einer unzumutbaren Beeinträchtigung (vgl. allg. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, Komm., 7. Aufl. § 89 Rnrn. 61, 63).

25

Eine Baugenehmigung ist nach § 75 Abs. 1 Satz 1 NBauO zu erteilen, wenn die Baumaßnahme dem öffentlichen Baurecht entspricht. Die Übereinstimmung mit dem öffentlichen Baurecht ist hier nur hinsichtlich der geschützten Rechte der Kläger als Nachbarn zu überprüfen. Insofern erweist sich das Bauvorhaben Aufstockung der Garage und Nutzung als Taubenschlag als weitgehend rechtmäßig.

26

Das Bauvorhaben verletzt nicht den Gebietsgewährleistungsanspruch der Kläger. Die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass in dem Allgemeinen Wohngebiet, das der Bebauungsplan X. festsetzt, nur die Bauvorhaben verwirklicht werden, die der Bebauungsplan und die zu dessen Auslegung heranzuziehende Baunutzungsverordnung gestatten (vgl. § 30 Abs. 1 BauGB). Die Taubenhaltung der Beigeladenen in dem genehmigten Taubenschlag ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zulässig. Nach dieser Vorschrift sind außer den in §§ 2 - 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstück oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 des § 14 Abs. 1 BauNVO auch solche für die Kleintierhaltung. Tauben sind Kleintiere i. S. des § 14 BauNVO.

27

Der Taubenschlag der Beigeladenen gehört mit dem Höchstbesatz von 39 Brieftauben noch zu den untergeordneten Nebenanlagen. Der Taubenschlag ist räumlich - gegenständlich aufgrund seiner gegenüber dem Wohnhaus der Beigeladenen deutlich geringeren Größe „untergeordnet“ i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Er ist auch funktionell untergeordnet. Dafür ist erforderlich, dass die Kleintierhaltung den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprengen darf (BVerwG, Beschl. v. 15.10.1993 - 4 B 195.93 -, BRS 55 Nr. 51). Ob dies für eine Taubenzucht in einem Allgemeinen Wohngebiet anzunehmen ist, lässt sich nicht allgemein festlegen. Dieser Umstand ist auch von der Verkehrsüblichkeit abhängig, die lokal oder regional unterschiedlich sein kann (BVerwG, Beschl. v. 05.01.1999 - 4 B 131.98 -, NVwZ-RR 1999, 426). Danach ist hier festzustellen, dass die Brieftaubenzucht in Y. als verkehrs- bzw. ortsüblich bezeichnet werden kann. Nach den unwidersprochenen Angaben der Beigeladenen gibt es in I. insgesamt derzeit 15 Brieftaubenzüchter (vgl. die Übersicht Bl. 89 GA sowie die Beschreibung der Brieftaubenzucht auf den einzelnen Grundstücken im Vorbringen der Beigeladenen, Bl. 90-119 GA). Da der Ort mit ca. 5.000 Einwohnern nicht allzu groß ist, kann von einer verkehrsüblichen Freizeitbetätigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ausgegangen werden.

28

Auch die genehmigte Zahl von nur 39 Brieftauben spricht dafür, dass es sich um eine typische, der Wohnnutzung ungeordnete Freizeitbetätigung handelt. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist eine kleinere Brieftaubenzucht auch in einem Reinen Wohngebiet grundsätzlich zulässig (Nds. OVG, Urt. v. 26.09.1980 - 6 A 188/78 -, ZfBR 1981, 98: 30 Tauben; Nds. OVG, Beschl. v. 08.10.1985 - 1 B 71/85 -, BRS 44 Nr. 67: 50 Tauben in Allgemeinem Wohngebiet; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 30.08.2004 - 9 ME 101/04 -, Rspr.-Datenbank des Nds. OVG im Internet). Nach den Angaben des Sachverständigen für das Brieftaubenwesen W. in dem für das Landgericht Hildesheim erstellten Gutachten vom 22.03.2005 liegt eine Stückzahl von 36 Tauben für einen Brieftaubenzüchter an der untersten Grenze. Danach muss hier angenommen werden, dass die Beigeladenen mit ihrer kleinen Brieftaubenzucht lediglich ein Hobby ausüben, das die Grundstücksnutzung nicht dominiert, sondern untergeordnet ist.

29

Die Brieftaubenhaltung entspricht auch noch der Eigenart des Baugebiets, in dem sich die Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen befinden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO). Im Gegensatz zu der Bewertung der Verkehrsüblichkeit ist hier auf das durch den Bebauungsplan H. festgesetzte Allgemeine Wohngebiet Bezug zu nehmen. Im Plangebiet gibt es nur eine weitere Taubenzucht auf dem Grundstück Z.. Dort werden in einem ca. 12 m² großen Taubenschlag und in zwei Volieren ca. 100 Tauben gehalten. In welche Himmelsrichtung der Schlag für die Ausflüge geöffnet werden kann, ist hier nicht entscheidend. Das Vorhandensein einer weiteren Taubenzucht zeigt zusammen mit der aufgelockerten Bebauung auf mittelgroßen Grundstücken in dem Gebiet AA. und H., dass eine Kleintierhaltung im Garten mit dem durch Wohnnutzung geprägten Charakter des Baugebiets vereinbar ist. Bei dem Ortstermin konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass eine Nutzung der Grundstücke für eine kleinere Taubenzucht nicht zu einem unverträglichen Miteinander von Wohnnutzung und Ausübung eines solchen Hobbys führt. Eine Würdigung der örtlichen Verhältnisse im Einzelfall ergibt im Hinblick auf die Art der Taubenhaltung der Beigeladenen, dass die Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gewahrt werden (vgl. zu den Voraussetzungen: BVerwG, Beschl. v. 01.03.1999 - 4 B 13.99 -, BRS 62 Nr. 85).

30

Die durch die Baugenehmigung vom 03.03.2003 zugelassene Taubenhaltung verstößt damit auch nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Danach ist eine Nebenanlage nach § 14 BauNVO unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Die Taubenzucht der Beigeladenen weist im Hinblick auf das Allgemeine Wohngebiet H. keine Besonderheiten auf.

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Allerdings wird das aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO herzuleitende baurechtliche Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme durch eine zeitlich unbeschränkte Nutzung des Taubenschlags für Freiflüge verletzt. Eine Nebenanlage ist nach dieser Bestimmung unzulässig, wenn von ihr Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Sofern die Beigeladenen die Tauben zu jeder Tageszeit fliegen lassen dürfen, geht von der baulichen Nutzung eine i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzumutbare Belästigung und Störung der Wohnnutzung des Grundstücks der Kläger aus.

32

Die Kläger haben schriftlich und in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar vorgetragen, dass der Freiflug der Tauben nicht zu bestimmten, eng begrenzten Zeiten stattfindet, sondern unregelmäßig und teilweise auch über Zeiträume von mehreren Stunden. Mit der Anlage K 8 zum Schriftsatz vom 14.01.2005 haben die Kläger beispielsweise für einige Tage im September und Oktober 2003 die Öffnungszeiten des Taubenschlages angegeben, womit sie nicht nur auf die Öffnung der Ausflugklappe, sondern auch auf den tatsächlich stattfindenden Freiflug hinweisen. In der mündlichen Verhandlung haben sie ohne Übertreibung geschildert, dass die Flugzeiten sehr unterschiedlich seien. Die Beigeladenen haben hingegen zu den Flugzeiten keine konkreten Angaben gemacht. Auf ein bestimmtes Zeitfenster, das täglich eingehalten wird, haben sie sich nicht festgelegt (was sie nach der derzeitigen Rechtslage auch nicht müssen). Sie haben vielmehr im Ortstermin und in der mündlichen Verhandlung von 1 bis 1 1/2 Stunden morgens oder abends gesprochen. Im Gutachten des Sachverständigen AB. vom 22.03.2005 ist von einer Stunde morgens und abends von montags bis freitags morgens in der Zeit von Ende April bis Anfang September die Rede. Samstags und sonntags werde bei Wettkämpfen nicht geflogen.

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Die Unsicherheit, wann die Tauben fliegen, ist für die Kläger unzumutbar. Das Gericht ist nach dem umfangreichen schriftsätzlichen Vorbringen und dem in zwei Terminen gewonnenen Eindruck davon überzeugt, dass das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis durch die Ausübung des Hobbys der Beigeladenen insoweit in einer nicht hinnehmbaren Weise beeinträchtigt wird. Dabei kann offen bleiben, wie häufig die Tauben sich im so genannten Tiefflug oder im Sturzflug über dem Grundstück der Kläger bewegen. Die Lautstärke des durch die Tauben verursachten Lärms ist gering. Tatsache ist aber, dass die Tauben - auch in geringer Höhe - über das Grundstück der Kläger fliegen, während sich diese im Garten, auf der Terrasse oder auf ihrem Freisitz aufhalten. Dann aber müssen die Kläger zumindest die Gewissheit haben, dass der Freiflug nur zu den unbedingt notwendigen Zeiten stattfindet. Das muss durch eine Auflage zur Baugenehmigung gesichert werden.

34

Nach den Angaben der Beigeladenen ist eine Gesamtflugzeit von täglich drei Stunden ausreichend. Die Beigeladenen müssen durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Beklagten selbst angeben, ob diese drei Stunden für eine bestimmte Tageszeit am Vormittag oder am Nachmittag festgesetzt werden sollen. Möglich ist auch eine u. U. aus beruflichen Gründen oder im Interesse einer effektiven Taubenzucht notwendige Aufteilung der drei Stunden auf je eineinhalb Stunden vormittags und nachmittags bzw. am frühen Abend. In der Auflage sind konkrete Uhrzeiten anzugeben, damit die Kläger überprüfen können, ob die Beigeladenen ihr Grundstück hinsichtlich der Taubenhaltung rechtmäßig nutzen, also die zu erteilende Auflage beachten. Erforderlich ist die Tageszeitangabe auch wegen der Gewissheit, zu bestimmten Tageszeiten keine Tauben vorzufinden (s.o.). Ungeachtet der vollständigen oder zeitweisen Nutzung der Wochenenden zur Teilnahme an Brieftaubenwettkämpfen ist ein Zeitraum von täglich drei Stunden auch für den Samstag und den Sonntag festzusetzen. Soweit die Rechtsprechung eine Taubenhaltung in Allgemeinen Wohngebieten als zulässig und nachbarverträglich angesehen hat, unterlag diese hinsichtlich der Flugzeiten im Übrigen in einigen Fällen ebenfalls einer Beschränkung durch Auflagen (vgl. insbes. Nds. OVG, Beschl. v. 08.10.1985 - 1 B 71/85 -, BRS 44 Nr. 67, VG Gelsenkirchen, Urt. v. 09.05.2003 - 10 K 1305/00 - Juris).

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Dem Hilfsantrag zu 3.) war mithin teilweise stattzugeben.

36

Darüber hinaus ist es zur Wahrung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) erforderlich, die derzeit nur teilweise genutzte Ausflugvorrichtung dauerhaft zu installieren. Die Tatsache, dass die Beigeladenen die Ausflugvorrichtung weiterhin zumindest zeitweilig benutzen (was die Kläger in der mündlichen Verhandlung geschildert haben), zeigt, dass sie die Ausflugvorrichtung nicht nur am 17.03.2005 verwendet haben, um das Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht Hildesheim zu verfälschen. Vielmehr sind die Beigeladenen wie die jederzeit vergleichsbereiten Kläger offenbar gewillt, im Interesse des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses eine Maßnahme zu ergreifen, die verhindert, dass die Tauben zumindest beim Abflug sofort über das Grundstück der Kläger fliegen. Dieses hat nun dauerhaft zu geschehen. Die Beigeladenen müssen zudem baulich sicherstellen, dass die Tauben nicht über die Ausflugvorrichtung hüpfen und dennoch in Richtung des klägerischen Grundstücks fliegen. Die Verpflichtung des Beklagten ergibt sich als Minus aus dem Hilfsantrag zu 2.), mit dem eine Änderung der Abflugrichtung erreicht werden soll.

37

Auf weitere bauliche Veränderungen, wie mit dem Hilfsantrag zu 2.) beantragt, sowie auf eine Reduzierung der Taubenzahl auf maximal 10 Tauben (Hilfsantrag zu 4.) oder gar eine vollständige Untersagung der Taubenhaltung haben die Kläger hingegen keinen Anspruch. Vielmehr ist die Baugenehmigung vom 03.03.2003 insoweit rechtmäßig.

38

Eine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung findet durch die Taubenhaltung nicht statt. Die durch das Flügelschlagen und das Gurren der Tauben entstehenden Geräusche haben die Kläger hinzunehmen, zumal diese Geräusche außerhalb des Taubenschlags zukünftig nur in einem Zeitraum von täglich drei Stunden auftreten können. Beim Freiflug werden die Tauben das Grundstück der Kläger überwiegend in größerer Höhe überfliegen, wie auch bei der Beweisaufnahme durch das Landgericht Hildesheim am 13.03.2005 geschehen. Die durch das Flügelschlagen verursachte Geräuschentwicklung ist im Übrigen nicht generell geeignet, die Wohnruhe zu stören. Sie liegt deutlich unter dem Geräuschpegel, der etwa beim Zuschlagen von Autotüren oder beim Abfahren eines Kraftfahrzeugs erreicht wird (OVG Lüneburg, Urt. v. 26.09.1980 - 6 A 188/78 -, ZfBR 1981, 98, vgl. entspr. Sachverständigengutachten AB. v. 22.03.2005). Welche Geräusche Tauben verursachen, ist gerichtsbekannt, zumal im städtischen Bereich auch Wildtauben sowohl einzeln als auch in Gruppen vorzufinden sind, so dass die Emissionen von Flügelschlagen und Gurren auch ohne Sachverständigengutachten bewertet werden können. Davon geht auch das Bundesverwaltungsgericht aus (Beschl. v. 01.03.1999 - 4 B 13/99 -, BRS 62 Nr. 85). Daher waren eine gerichtliche Beweisaufnahme in Form einer Inaugenscheinnahme des Freiflugs oder eine Zeugenvernehmung nicht erforderlich. Die Belästigungen - auch „psychische“ Störungen -, die durch das Vorhandensein der Tauben an sich und das auch nur leise wahrzunehmende Flügelschlagen auftreten, werden durch die Flugzeitbeschränkung minimiert. Ein gelegentliches (artfremdes) Scharren in der Dachrinne ist von den Klägern ebenso hinzunehmen wie die nur selten auftretenden Pfiffe und Rufe des Beigeladenen zu 1.). Beides wird zukünftig nur noch innerhalb eines Zeitfensters oder zweier Zeitfenster von insgesamt drei Stunden geschehen. Deswegen sind auch ein Gutachten bzw. eine Inaugenscheinnahme zum Flugverhalten gerade der Tauben der Beigeladenen entbehrlich. Tauben gewinnen außerdem schnell an Höhe, so dass erfahrungsgemäß von einer geringen Belastung der Nachbarn bei Freiflügen auszugehen ist (vgl. Landgericht München, Urt. v. 27.02.1991 - 31 S 8905/90 -).

39

Ein Sachverständigengutachten war ebenso wenig zur Ermittlung des Umfangs der Verunreinigungen notwendig (vgl. auch hierzu BVerwG, Beschl. v. 01.03.1999, a.a.O.). So ist allgemein bekannt, dass nennenswerte Verschmutzungen durch Tauben nur in unmittelbarer Nähe des Schlages auftreten. Brieftauben verlassen im Gegensatz zu Wildtauben grundsätzlich sofort die Umgebung des Schlages, den sie nach ihrer Rückkehr umgehend wieder aufsuchen. Sie werden auch dadurch dressiert, dass sie den Schlag hungrig verlassen und die Fütterung erst nach dem Freiflug erfolgt. Tauben, die zu spät einspringen, bekommen weniger Futter und werden so daran gewöhnt, unmittelbar in den Schlag einzuspringen (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 09.05.2003, a.a.O., m.w.N.; Nds. OVG, Urt. v. 26.09.1980 - 6 A 188/78 -, a.a.O.). Tauben setzen ihren Kot nur dann ab, wenn sie festen Boden unter den Füßen haben (Gutachten Prof. Dr. med. vet. J. Kösters, Oberschleißheim, für Landgericht Passau - 3 S 340/98 - v. 28.10.1999). Es ist nicht ersichtlich, warum sich die Brieftauben der Beigeladenen anders verhalten sollten. Das Entleeren des Darminhalts in Schrecksituationen (vgl. Prof. Dr. med. vet. J. Kösters, a.a.O.) stellt eine zumutbare Ausnahme dar.

40

Die Kläger haben nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass ihr Grundstück durch Staub und Federn in einem nennenswerten Umfang verunreinigt wird. Im Gegensatz zu den erst in der mündlichen Verhandlung vom 07.10.2005 vorgelegten Fotos über eine Verschmutzung durch Taubenkot, die auf Tauben der Beigeladenen zurückzuführen sein könnte, haben die Kläger zu weiteren Verunreinigungen keine Fotos oder andere Belege überreicht. Die allgemein gehaltene Schilderung, es entstünden durch den Taubenflug so unhygienische Zustände, dass ein Aufenthalt und die Einnahme von Speisen auf Terrasse und Freisitz nicht mehr möglich sei, genügt nicht.

41

Eine Geruchsbelästigung findet bereits nach dem Vorbringen der Kläger nur gelegentlich statt. Dass insofern insgesamt ein unzumutbarer Zustand erreicht wird, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Kläger in einem Allgemeinen Wohngebiet leben, müssen sie in einem kleinen Ort wie I. dorftypische Gerüche hinnehmen. Dazu gehört auch der Geruch von einem Taubenschlag.

42

Das Gericht stellt derzeit keine Rechtsbeeinträchtigung wegen der nach dem Vorbringen der Kläger aus dem Taubenschlag wahrzunehmenden Geräusche fest. Dabei soll es sich nach dem Vorbringen der Kläger um das Gurren der im Taubenschlag befindlichen Tiere und die Geräusche durch Reinigungsarbeiten handeln. Der Beigeladene zu 1) ist jedoch im Interesse des nachbarlichen Ausgleichs gehalten, die Öffnungen des Taubenschlags so oft wie möglich geschlossen zu halten und nachbarstörenden Lärm durch Reinigungsarbeiten zu vermeiden. Der Beklagte hat gleichwohl zu erwägen, ob insofern weitere Auflagen ermessensgerecht sind. In Betracht kommt vornehmlich die Auflage, schalldämmende Maßnahmen durchzuführen (vgl. als Beispiel VG Gelsenkirchen, Urt. v. 09.05.2003 - 10 K 1305/00 -, wobei die Bauausführung konkret vorzugeben wäre).

43

Angesichts der auf drei Stunden reduzierten Flugzeit erweisen sich die beantragten baulichen Änderungen sowie die Reduzierung der Taubenzahl als unverhältnismäßig. Die Beeinträchtigungen erreichen nunmehr nämlich nicht mehr einen Grad, der die beantragten Eingriffe in die freie bauliche Nutzung des Grundstücks der Beigeladenen rechtfertigt. Die Beigeladenen könnten den Brieftaubensport mit 10 Tieren nicht mehr ausüben.

44

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig. Nach § 154 Abs. 3 VwGO können ihnen Kosten auferlegt werden, weil sie einen klageabweisenden Antrag gestellt haben.

45

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

46

Bei der Festsetzung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG hat das Gericht berücksichtigt, dass die von den Klägern vorgetragenen Beeinträchtigungen sich ganz überwiegend auf die Nutzung ihres Grundstücks außerhalb des Wohngebäudes beziehen. Nach dem Streitwertkatalog der Bausenate des Nds. OVG (Nds. VBl. 2002, 192) ist bei einer Beeinträchtigung von Gartenteilen von einem Streitwert zwischen 2.000 und 10.000 Euro auszugehen (Ziff. 8 c). Das Gericht nimmt hier den Mittelwert an.