Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.10.2005, Az.: 2 B 247/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 10.10.2005
- Aktenzeichen
- 2 B 247/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 42806
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2005:1010.2B247.05.0A
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.09.2005 (Verfügung zu 1. und 3.) wird wiederhergestellt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Verfahrenskosten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der einstweilige Rechtsschutzantrag hat ganz überwiegend Erfolg. Die Anträge zu Ziffer 1) der Antragsschrift vom 12.09.2005 sind dahin auszulegen, dass der Antragsteller lediglich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.09.2005 begehrt. Dieser Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu stellen, wenn - wie hier - die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet wird. Ein Antrag, die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben, hat hingegen von vornherein keine Erfolgsaussichten, da die Vollziehungsanordnung kein Verwaltungsakt ist und deshalb hiergegen ein isolierter Rechtsschutz nicht in Betracht kommt (Kopp, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rn. 78).
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht hat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist zwischen dem Interesse eines Antragstellers, vorläufig von den Folgen des Vollzugs eines Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsaktes abzuwägen. Die Entscheidung hat sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren. Darüber hinaus sind weitere Gesichtspunkte in die Betrachtung einzubeziehen, sofern dies im Einzelfall geboten ist. In dem Verfahren u. a. der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers über eine Verfassungsbeschwerde in Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 7 des Luftsicherheitsgesetzes (v. 11.01.2005, BGBl. I 78, zul. geänd. d. Art. 49 des Ges. v. 21.06.2005, BGBl. I 1818 - LuftSiG -) hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 17.03.2005 (1 BvR 470/05) ausgeführt, in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes seien die Folgen, die das vorübergehende Fehlen der Lizenz für den Lizenzinhaber mit sich brächte, in die vorzunehmende Abwägung einzubeziehen. Vorliegend steht zwar nicht die Erteilung einer Lizenz für Luftfahrer, sondern deren Widerruf nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 3 LuftVG n. F. im Streit. Die rechtliche Ausgangslage ist aber vergleichbar.
Nach diesen Grundsätzen geht die erkennende Kammer zunächst davon aus, dass die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens offen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den Urteilen vom 15.07.2004 (BVerwG 3 C 33.03) und 11.11.2004 (BVerwG 3 C 8.04) im Hinblick auf den Begriff der Zuverlässigkeit i. S. von § 29 d Abs. 1 LuftVG a. F. auf die hochrangigen Rechtsgüter, die bei Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs gefährdet werden können, hingewiesen und eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens für die Begründung von Zweifeln an der Zuverlässigkeit ausreichen lassen. Die vom Bundesverwaltungsgericht hervorgehobene Gewichtung der betroffenen Rechtsgüter ist auch bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit und Anwendung des § 7 LuftSiG und des (geänderten) § 4 Abs. 1 Nr. 3 LuftVG zu berücksichtigen (vgl. auch OVG Münster, Urt. vom 28.04.2005 - 20 A 4721/03 zum Entschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers). Das kann hier auf sich beruhen.
Die erkennende Kammer hat nach summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits Zweifel daran, ob das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11.01.2005 (BGBl. I, 78) welches in Art. 1 das Luftsicherheitsgesetz und in Art. 2 Änderungen des Luftverkehrsgesetzes enthält, ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Der Bundesrat hat in seiner 803. Sitzung am 24.09.2004 beschlossen, dem vom Bundestag am 18.06.2004 verabschiedeten Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben nicht zuzustimmen und nur für den Fall, dass das Gesetz nicht zustimmungsbedürftig sein sollte, Einspruch gemäß Art. 77 Abs. 3 des Grundgesetzes eingelegt (BT-Drs. 15/3759). Sofern das Gesetz zustimmungsbedürftig ist, ist es nicht nach Art. 78 GG zustande gekommen. Die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen ist im Grundgesetz enumerativ geregelt. Nach Art. 87 d Abs. 2 GG können durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen werden. Durch die Zuweisung von Aufgaben sowie allgemeinen und besonderen Befugnissen in §§ 2, 3 und 5 LuftSiG werden den Ländern Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung als Auftragsverwaltung übertragen (§ 16 Abs. 2 LuftSiG). Diese Frage wird im Hauptsacheverfahren vertiefend zu behandeln sein.
Im Rahmen einer über die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hinausreichenden Interessenabwägung gebührt dem Interesse des Antragstellers an einer zumindest vorläufigen Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse. Der Antragsteller benötigt die Lizenz für Berufspiloten (Hubschrauber, CPL (H)), um weiterhin als Testpilot und Prüfer bei der Firma D. GmbH arbeiten zu können. Dem Antragsteller wurde am 29.01.1969 erstmalig eine luftverkehrsrechtliche Erlaubnis, damals ein Militärluftfahrzeugführerschein, erteilt. Seit dem 23.04.1980 ist er Inhaber eines Luftfahrerscheins für Berufsluftfahrzeugführer (CPL (H)). Der Luftfahrerakte des Antragstellers, die dem Gericht vorgelegen hat, sind für die Zeit bis zur gerichtlichen Entscheidung keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Antragsteller unzuverlässig i. S. des § 4 Abs. 1 Nr. 3 LuftVG sein könnte. Die Kammer hält es deshalb für gerechtfertigt, das von der Antragsgegnerin vertretene öffentliche Interesse an der Sicherheit des Luftverkehrs zurücktreten zu lassen, zumal die Antragsgegnerin außer der Weigerung des Antragstellers, den Antrag nach § 7 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG zu stellen, keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit vorträgt.
Die im Einzelfall des Antragstellers im Rahmen einer Abwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgenommene Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung lässt keinen Schluss darauf zu, ob eine Interessenabwägung bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit des § 4 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 3 LuftVG zu dem selben Ergebnis führen würde, ob es also im Hinblick auf die Berufsfreiheit von Lizenzinhabern nach Art. 12 GG erforderlich und angemessen ist, die Lizenz schon bei einer Weigerung, einen Antrag nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Luft SiG zu stellen, zu widerrufen.
Der Antrag zu Ziffer 2) ist unzulässig, weil für eine Feststellung der nicht bestehenden Verpflichtung, die Lizenz an die Antragsgegnerin zu übersenden, kein Rechtsschutzinteresse besteht. Insofern hat die Antragsgegnerin den Sofortvollzug nicht angeordnet.
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erstreckt sich hingegen auf die Untersagung jeder fliegerischen Tätigkeit nach § 29 Abs. 1 LuftVG (Verfügung zu 3. des Bescheides vom 08.09.2005).
Eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist erst im Hauptsacheverfahren möglich. Erforderlich ist, dass sich an das Vorverfahren ein Hauptsacheverfahren angeschlossen hat. Ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO genügt insofern nicht (Kopp, VwGO, Kommentar, 13. Aufl., § 162 Rn. 16).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich des Antrags zu 2) sind die Kosten ebenfalls der Antragsgegnerin aufzuerlegen, da der Antragsteller insofern nur zu einem sehr geringen Teil unterlegen ist (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
Der Streitwert ist in Anwendung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Hälfte des Wertes einer Erlaubnis für Berufsflugzeugführer festgesetzt worden (Ziff. 26.2 des Streitwertkatalogs, §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG).