Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 05.10.2005, Az.: 5 A 248/05

Abschiebung; Abschiebungskosten; Beförderungskosten; Ermessen; Ermessensausübung; finanzielle Belastbarkeit; geringere Unterbringungskosten; individuelle Leistungsfähigkeit; Kosten der Abschiebung; Kosten des Polizeigewahrsams; Kostenansätze; Kostenschuldner; Regelfall; Reisekosten; Sicherungshaft; Tagessätze; Unterbringungskosten; unzumutbare Belastung; vollendete Abschiebung; vollzogene Abschiebung; Vorbereitungshaft; Vorbereitungsmaßnahmen; wirtschaftliche Gründe

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
05.10.2005
Aktenzeichen
5 A 248/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50792
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Geltendmachung von Abschiebungskosten setzt eine vollzogene Abschiebung nicht voraus.

2. Zur Höhe der Abschiebungskosten unter Berücksichtigung des Urteils des BVerwG vom 14. Juni 2005 - 1 C 15.04 -.

3. Zur Frage, wann unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 108,1) eine Ermessensentscheidung zu treffen ist.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.780,37 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zur Erstattung von Abschiebungskosten.

2

Der am E. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Am 24. Juni 2002 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 24. Juli 2002 wurde er festgenommen und in Abschiebungshaft genommen. Aus der Abschiebungshaft heraus stellte er am 25. Juli 2002 einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde durch den Bescheid des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 14. März 2003 abgelehnt. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen und der Kläger unter Abschiebungsandrohung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Dieser Bescheid wurde am 21. April 2003 bestandskräftig. In der Folgezeit wurden Abschiebungsmaßnahmen eingeleitet. Die Abschiebung wurde im Ergebnis jedoch nicht durchgeführt, weil der Kläger am 22. Juli 2004 die deutsche Staatsangehörige F. heiratete.

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Nach vorheriger Anhörung forderte die Bezirksregierung Braunschweig durch Bescheid vom 19. November 2004 den Kläger auf, die anlässlich der Vorbereitung seiner Abschiebung in die Türkei entstandenen Kosten in Höhe von zusammen 1.780,37 Euro zu zahlen. Diese Kosten setzen sich wie folgt zusammen:

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Kosten der Polizei Hessen vom 24.07. - 06.08.2002767,68 Euro
Abschiebungshaft vom 06.08. - 09.08.2002130,20 Euro
Abschiebungshaft vom 09.08. - 22.08.2002270,59 Euro
Botschaftsvorführung am 20.07.2003611,90 Euro
5

Wegen der näheren Aufschlüsselung dieser Kosten wird auf den Verwaltungsvorgang verwiesen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass für die Unterbringung im Polizeigewahrsam ein Tagessatz von 38,34 Euro und für die Unterbringung in den Justizvollzugsanstalten in Frankfurt am Main ein Tagessatz von 15,34 Euro zugrunde gelegt wurde.

6

Hiergegen legte der Kläger am 23. November 2004 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass er keine Abschiebungskosten zu tragen habe, weil es nicht zu einer Abschiebung gekommen sei. Dieser Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 zurückgewiesen.

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Hiergegen hat der Kläger am 10. März 2005 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung seiner Klage führt er weiterhin aus, dass eine Kostentragungspflicht deshalb nicht bestehe, weil die vorbereitenden Abschiebungsmaßnahmen nicht zu einer Abschiebung geführt hätten.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19. November 2004 i.d.G. des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 10. Februar 2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt sie aus, dass der Kläger nicht freiwillig ausgereist sei und sich der Ausreise wiederholt und beharrlich widersetzt habe. Aus diesem Grunde sei die Abschiebung rechtmäßig vorbereitet worden. Die Abschiebung sei letztlich nicht durchgeführt worden, um ihm die bevorstehende Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen zu ermöglichen. Auch die Kosten für die Vorbereitung der Abschiebung seien als Abschiebungskosten anzusehen. Dieses gelte auch dann, wenn es im Ergebnis nicht zu einer Abschiebung gekommen sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechte (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Gemäß § 82 AuslG (in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) hat der Ausländer die Kosten zu tragen, die durch die Abschiebung entstehen. Im vorliegenden Fall ist nicht der ab dem 1. Januar 2005 geltende § 66 Abs. 1 AufenthG, der im Übrigen inhaltsgleich ist, anwendbar, weil die geltend gemachten Kosten vor dem 1. Januar 2005 entstanden waren. Gemäß § 83 Abs. 1 AuslG umfassen die Kosten der Abschiebung 1.) die Beförderungs- und sonstigen Reisekosten für den Ausländer innerhalb des Bundesgebietes und bis zum Zielort außerhalb des Bundesgebietes, 2.) die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme erstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft und der Übersetzungskosten sowie die Ausgaben für die Unterbringung, Verpflegung uns sonstige Versorgung des Ausländers sowie 3.) sämtliche durch eine erforderliche amtliche Begleitung des Ausländers entstehende Kosten einschließlich der Personalkosten.

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Unbestritten sind die geltend gemachten Kostenpositionen von dieser Aufzählung erfasst. Auch hinsichtlich der Höhe sind keine Einwendungen gegen die Kostenansätze erhoben worden und im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass insoweit überhöhte Kosten angesetzt worden sind. Dies gilt insbesondere für die zugrunde gelegten Kosten im Rahmen des Polizeigewahrsams (Tagessatz 38,34 €) und der Unterbringung in der JVA Frankfurt a.M. (Tagessatz 15,34 €), denn durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2005 - 1 C 15.04 - ist geklärt, dass die tatsächlichen Unterbringungskosten als Abschiebungskosten geltend gemacht werden dürfen. Die hier geltend gemachten Tagessätze liegen jedoch ganz offensichtlich unter den tatsächlichen Unterbringungskosten, weil bezüglich der tatsächlichen Unterbringungskosten Tagessätze in der Größenordnung von ca. 70,00 € diskutiert werden. Dadurch, dass die Beklagte im vorliegenden Fall geringere als die tatsächlichen Unterbringungskosten zugrundegelegt hat, wird der Kläger jedoch nicht in seinen Rechten verletzt.

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Soweit der Kläger meint, dass Abschiebungskosten nur geltend gemacht werden dürfen, wenn es tatsächlich zu einer Abschiebung gekommen ist, folgt das erkennende Gericht dieser Auffassung nicht. Mit dem Bay. Verwaltungsgerichtshof (Urt. vom 15.12.2003 -24 B 03.1049 -, rech. in juris) ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass der Wortlaut des Gesetzes nichts für die Auffassung hergibt, dass nur bei einer vollendeten Abschiebung die Kosten in vollem Umfang zu erstatten sind. Die Anordnung der Vorbereitungs- und Sicherungshaft diente ausschließlich dem Ziel, die Abschiebung des Klägers zu verwirklichen bzw. ihre Vereitelung durch Untertauchen zu verhindern. Zwischen der Inhaftierung des Klägers und dem Ziel bestand ein direkter innerer Zusammenhang. Die Tatsache, dass es letztendlich nicht zu einer tatsächlich vollendeten Abschiebung kam, weil der Kläger im Rahmen der Vorbereitung seiner Abschiebung eine deutsche Staatsangehörige heiratete, führt nicht dazu, dass der Kläger für die Kosten der Abschiebungshaft und sonstiger Vorbereitungsmaßnahmen als Kostenschuldner nicht in Betracht kommt.

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Die angefochtenen Bescheide sind auch nicht wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Zwar sieht der Wortlaut des § 82 Abs. 1 AuslG vor, dass die anspruchsberechtigte öffentliche Stelle den Verpflichteten heranzuziehen hat. Doch ist nach der zu § 84 AuslG ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 24.11.1998, BVerwGE 108, 1 = NVwZ 1999, 779) in dieser Vorschrift nicht geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zuständige Behörde von der Heranziehung zur Kostentragung absehen kann. Da die strikte Anwendung der Gesetze Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar sind, ist die individuelle Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Besonderheiten des Einzelfalles sind bereits bei der Geltendmachung der Forderung von rechtlicher Bedeutung und kommen nicht erst in vollstreckungsrechtlichen Verfahren, sei es durch Stundung, Niederschlagung oder Erlass der Forderung, zum Tragen. Der Verpflichtete ist im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es entsprechender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall ist gegeben, wenn die finanzielle Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden ist und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte (BVerwG, aaO.). Selbst wenn man diese Rechtsprechung - wie der Bay. VGH im angegebenen Urteil - auf den Regelungsbereich des § 82 Abs. 1 AuslG überträgt, ist vorliegend kein Fall gegeben, in dem die Beklagte Ermessenserwägungen hinsichtlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten hätte anstellen müssen. Hier liegt ein Regelfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, denn auf Grund der Angaben des Klägers im Anhörungsverfahren und auch im Widerspruchsverfahren, in dem er nicht einmal ansatzweise eine fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit andeutet, hatte die Beklagte keine Veranlassung, insoweit weitere Nachforschungen anzustellen. Denn angesichts des hier streitigen Betrages von (nur) 1.780,37 Euro sind keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger nicht in absehbarer Zeit in der Lage wäre, zumindest in Teilbeträgen diese Forderung zu begleichen. Hinzu kommt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz Übersendung des o.a. Urteils des Bay. Verwaltungsgerichtshofs auch nicht geltend gemacht hat, dass der Kläger aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage wäre, die geltend gemachten Abschiebungskosten zu tragen.

19

Deshalb ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

20

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

21

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.