Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 10.09.2003, Az.: 2 B 1262/03
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 10.09.2003
- Aktenzeichen
- 2 B 1262/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 40809
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2003:0910.2B1262.03.0A
Tenor:
...
Tatbestand:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Unter dem 20. Dezember 2002 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Wirtschaftsgebäudes zu einem Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten auf dem Grundstück C. (Gemarkung D., Flur 4, Flurstück 170/2).
Unter dem 9. Januar 2003 versagte die Antragstellerin die Erteilung ihres Einvernehmens zu dem Vorhaben mit der Begründung, das Grundstück liege im Außenbereich gemäß § 35 BauGB und das Vorhaben könne weder gemäß § 35 Abs. 1 BauGB noch gemäß § 35 Abs. 2 BauGB zugelassen werden. Das Vorhaben werde zu einer unerwünschten Zersiedelung des Außenbereichs führen und widerspreche auch der Darstellung von "Flächen für die Landwirtschaft" des Flächennutzungsplans. Das östlich von dem zur Umnutzung vorgesehenen landwirtschaftlichen Gebäude auf dem Grundstück vorhandene Wohnhaus sei 1896 als Landarbeiterhaus zu einem damaligen landwirtschaftlichen Betrieb genehmigt worden.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2003 teilte der Antragsgegner dem Beigeladenen zunächst mit, dass die Baugenehmigung wegen der Außenbereichslage und der von einem benachbarten Betrieb ausgehenden Immissionen nicht erteilt werden könne. An der rechtlichen Beurteilung habe sich gegenüber dem Baugenehmigungsverfahren aus dem Jahre 1991 nichts geändert. Im Übrigen habe die Antragstellerin ihr Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 1 BauGB versagt. Hierauf teilte der Beigeladene mit, eine Änderung der Verhältnisse sei sehr wohl eingetreten, denn in der Nachbarschaft finde eine landwirtschaftliche Nutzung inzwischen nicht mehr statt. Nachdem die Antragstellerin mit Schreiben vom 25. Februar 2003 mitgeteilt hatte, sie halte wegen der Außenbereichslage des Grundstücks an der Versagung des Einvernehmens fest, wurde ihr mit Schreiben vom 4. März 2003 die Ersetzung des Einvernehmens durch den Antragsgegner in Aussicht gestellt.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2003 ersetzte der Antragsgegner das Einvernehmen der Antragstellerin gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB und ordnete gleichzeitig die sofortige Vollziehung der Verfügung an. In der Begründung heißt es, das Vorhaben könne gemäß § 35 Abs. 2 BauGB zugelassen werden. Die Errichtung eines Wohnhauses an der geplanten Stelle beeinträchtige öffentliche Belange nicht, denn hierdurch werde die vorhandene Splittersiedlung nicht in unerwünschter Weise erweitert. Das Vorhaben verfestige lediglich die Splittersiedlung und schließe sie ab. Eine Vorbildwirkung für nachfolgende Verfahren sei nicht gegeben. Da das Vorhaben genehmigungsfähig sei, habe der Beigeladene Anspruch auf die Erteilung der beantragten Genehmigung.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 28. Juli 2003 Widerspruch ein, den sie damit begründet, nach ihrer Auffassung führe die Zulassung des Vorhabens zur Erweiterung einer Splittersiedlung. Anders als in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen gehe es hier nicht um die Auffüllung einer historisch gewachsenen Splittersiedlung, sondern allenfalls um die Erweiterung eines nur im Ansatz (ein Wohnhaus) vorhandenen Siedlungssplitters. Für den Betrachter entstehe der Eindruck, dass dieser Siedlungssplitter nunmehr Anschluss an den historisch gewachsenen Ortskern erhalte. Darüber hinaus widerspreche das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans. Über den Widerspruch wurde bisher nicht entschieden.
Zur Begründung ihres am 29. Juli 2003 eingegangenen Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nimmt die Antragstellerin auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren und die Widerspruchsbegründung Bezug.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Ersetzungsentscheidung des Antragsgegners vom 15. Juli 2003 wieder herzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Eilrechtsschutzantrag abzulehnen.
Die Antragstellerin habe zu Unrecht die Erteilung des Einvernehmens versagt. Die Zulassung des Vorhabens führe nicht zu einer unorganischen Zersiedelung des Außenbereichs. Vielmehr stelle es sich als zulässige und maßvolle Auffüllung eines Siedlungssplitters dar, der nicht als Berufungsfall herangezogen werden könne.
Der Antragsgegner hat mitgeteilt, dass die beantragte Baugenehmigung noch nicht erteilt worden sei.
Der Beigeladene hat sich im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt die Kammer auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragstellerin und des Antragsgegners ergänzend Bezug.
Gründe
II.
Der Eilrechtsschutzantrag hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs wiederherstellen, wenn das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Aufschub der Vollziehbarkeit eines ihn belastenden Verwaltungsaktes gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers ist indessen zu verneinen, wenn die im Eilrechtsschutzverfahren allein gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich unbegründet ist und deshalb aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. In diesem Fall steht dem Antragsteller kein schutzwürdiges Interesse daran zu, die Vollziehung eines rechtmäßigen Bescheides bis zur Hauptsacheentscheidung über seinen offensichtlich unbegründeten Rechtsbehelf zu verzögern. Ergibt die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen sind, ist die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit gleichwohl gerechtfertigt, wenn aus der Abwägung der widerstreitenden Interessen folgt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts das Interesse des Widerspruchsführers an dem vorläufigen Aufschub der Vollziehung überwiegt.
Nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage kommt die Kammer zu dem Ergebnis, das die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin offen sind. § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB bestimmt, dass das Einvernehmen der Gemeinde nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden darf. Nur wenn die Versagung des Einvernehmens rechtswidrig erfolgt ist, darf die dafür zuständige Behörde das Einvernehmen ersetzen (§ 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB). Die Antragstellerin hat die Versagung ihres Einvernehmens auf zwei selbständige Gründe gestützt. Soweit sie allerdings meint, die Zulassung des Vorhabens führe zu einer nach § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB unzulässigen Erweiterung einer Splittersiedlung im Außenbereich, kann dies aller Voraussicht nach ihrem Widerspruch nicht zum Erfolg verhelfen. Nach Aktenlage spricht vielmehr Überwiegendes für die Auffassung des Antragsgegners und der Bezirksregierung, dass hier nur ein bereits vorhandener Siedlungssplitter maßvoll aufgefüllt wird. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die zur Bebauung vorgesehene Fläche bereits mit einer sogenannten Kartoffelscheune bebaut ist. Diese Scheune soll zwar durch ein Wohnhaus ersetzt werden, damit ist eine vom Gesetz nicht gewünschte Erweiterung des Siedlungssplitters indes nicht verbunden. Die Kammer vermag auch nicht erkennen, dass das Vorhaben des Beigeladenen als Berufungsfall dienen könnte. Nach den Maßstäben der vom Antragsgegner zutreffend zitierten Rechtsprechung sind weder im Bereich des hier streitigen Siedlungssplitters noch in dessen Nähe Vergleichsfälle erkennbar.
Demgegenüber ist offen, ob die Antragsstellerin die Versagung des Einvernehmens zu Recht auch auf die Erwägung gestützt hat, die Darstellungen des Flächennutzungsplans stünden dem Vorhaben entgegen (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB). Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass der Flächennutzungsplan für das zur Bebauung vorgesehene Grundstück "Flächen für die Landwirtschaft" darstellt. Eine solche Darstellung steht der Errichtung eines reinen, nicht der Landwirtschaft dienenden Mehrfamilienhauses, wie es hier geplant ist, grundsätzlich entgegen. Auszugehen ist hierbei davon, dass - wie hier - bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines sonstigen Vorhabens im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 2 i. V. mit Abs. 3 BauGB die Darstellungen des Flächennutzungsplans als Konkretisierung der bauplanerischen Absichten der Gemeinde grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Dies soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumindest dann gelten, wenn der Planungswille der Gemeinde in den Darstellungen hinreichend konkretisiert ist, wenn also der Plan mit seinen Darstellungen positiv eine mit dem Vorhaben nicht zu vereinbarende Bestimmung trifft bzw. ein negativer Planungswille mit der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1969 - IV C 23.67 - BRS 22 Nr. 77). Etwas anderes gilt dann, wenn die örtlichen Gegebenheiten (natürliche Beschaffenheit des Geländes, soziale Struktur etc.) von vornherein der Verwirklichung dieser planerischen Vorstellungen entgegenstehen oder die Entwicklung des Baugeschehens nach Inkrafttreten des Flächennutzungsplans unter Förderung oder Duldung durch die Baugenehmigungsbehörde oder Gemeinde dessen Darstellungen in einem sowohl qualitativ wie quantitativ so erheblichem Maße zuwiderläuft, dass die Verwirklichung der ihnen zugrunde liegenden Planungsabsichten entscheidend beeinträchtigt ist (BVerwG, Urt. v. 15. 03.1967 - IV C 205.65 - BVerwGE 26, 287-297).
Der Antragsgegner hat den im Flächennutzungsplan getroffenen Darstellungen von "Flächen für die Landwirtschaft" allgemein den Charakter einer Verlegenheitsplanung zugeschrieben, ohne diese Behauptung allerdings im konkreten Fall zu belegen. Zwar mag es zutreffen, dass Gemeinden die Darstellung von Flächen für die Landwirtschaft als Mittel benutzen, um die weitere Konkretisierung ihrer Planungsabsichten zu "vertagen". Dies lässt sich jedoch nicht ohne weiteres verallgemeinern. Der mit der Ersetzung des Einvernehmens gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB verbundene schwerwiegende Eingriff in die gemeindliche Planungshoheit kann auf solch allgemeine Erfahrungssätze nicht gestützt werden. Vielmehr ist die Aufsichtsbehörde gehalten im Rahmen der von ihr anzustellenden Ermessenserwägungen im konkreten Fall eine solche "Verlegenheitsdarstellung" zu belegen. Im vorliegenden Fall dürfte insbesondere zu berücksichtigen sein, dass die Darstellung "Flächen für die Landwirtschaft" ein Grundstück betrifft, das sich, nur getrennt durch einen Wirtschaftsweg, unmittelbar an die für Bebauung vorgesehenen Flächen anschließt. Die Gemeinde hat hier offensichtlich eine bewusste Grenzziehung zwischen den Flächen, die für die weitere bauliche Entwicklung des Ortes und denjenigen, die für landwirtschaftliche Nutzung vorgesehen sind, getroffen. Es spricht nach summarischer Überprüfung daher Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin diese Grenze als Begrenzung der baulichen Entwicklung verstanden wissen will und die Darstellung der Landwirtschaftsflächen in diesem Bereich auf einer bewussten Planungsentscheidung beruht, mit der das Ziel verfolgt wird, eine weitere nicht-landwirtschaftliche Bebauung in diesem Bereich zu verhindern.
Es ist auch nicht ohne weiteres feststellbar, dass die Darstellungen des Flächennutzungsplanes nicht mehr verwirklicht werden könnten. Das Grundstück ist sogar nach wie vor mit einem landwirtschaftlichen Gebäude bebaut und die Bebauung in der Umgebung lässt, auch wenn die dort früher befindlichen landwirtschaftlichen Betriebe inzwischen aufgegeben wurden, nicht den zwingenden Schluss zu, dass landwirtschaftliche Nutzung aufgrund der Siedlungsentwicklung nicht mehr möglich wäre.
Bei der hier festzustellenden Offenheit der Erfolgsaussichten des Widerspruchs fällt die anzustellende Abwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus, weil eine Ablehnung ihres Eilrechtsschutzantrages zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung und damit zur Schaffung vollendeter Tatsachen führen würde.
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