Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.08.2002, Az.: 1 B 38/02
aktuelle Beurteilung; Auswahlentscheidung; Auswahlermessen; Auswahlverfahren; Beförderung; Beurteilerkonferenz; Bewerbungsverfahrensanspruch; Dienstposten; Dienstposten Ausschreibung; Leistungsprinzip; Orientierungsliste; Rangfolgeliste; Regelbeurteilung; Stehzeit / Standzeit; Topfwirtschaft
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 19.08.2002
- Aktenzeichen
- 1 B 38/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43535
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs 1 S 1 VwGO
- Art 33 Abs 2 GG
- § 8 BG ND
- § 4 Abs 2 Abs 1 BLV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Grundsätzlich kann für eine Auswahlentscheidung bei Beurteilungsgleichstand von Bewerbern auf eine "Rangfolgeliste" / "Orientierungsliste" zurückgegriffen werden, die mehrere Kriterien miteinander verbindet.
2. Bei mehr als 2 Jahre zurückliegenden Regelbeurteilungen und hieraus resultierendem Gleichstand sämtlicher Mitbewerber darf allerdings die bloße "Standzeit" auf dem Dienstposten nicht zum dominanten Auswahlkriterium werden.
3. Zur Wahrung des Leistungsprinzips aus Art. 33 Abs. 2 GG sind bei unergiebigen Regelbeurteilungen und zwecks Meidung einer "Standzeit"-Dominanz aktuelle, sämtliche Leistungsaspekte berücksichtigende Bedarfsbeurteilungen zu erstellen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten in einem Konkurrentenverfahren um die Vergabe einer Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 - K -BBesO, die nach Zuweisung durch das Nds. Innenministerium seit dem 1. Juni 2002 für eine Beförderung genutzt werden kann.
Der Antragsteller ist Kriminalhauptkommissar und Fortbildungsbeauftragter für den Regierungsbezirk Lüneburg. Er bekleidet einen A 12-wertigen Dienstposten, wird aber wie der Beigeladene auch, der als Kriminalhauptkommissar im ADV-Bereich ebenfalls auf einem A-12-wertigen Dienstposten tätig ist, bislang nach BesGr. A 11 BBesO besoldet. Zum 1. Juni 2002 wurde der Antragsgegnerin beförderungshalber eine Planstelle der BesGr. A 12 - K - BBesO zugewiesen, für die unter 35 Kriminalhauptkommissaren, die bereits A-12-wertige Dienstposten bekleiden, eine Auswahl zu treffen war. Bei der Antragsgegnerin wird für solche Zwecke eine sog. "Rangfolgeliste" geführt, die von 5 Kriminalhauptkommissaren angeführt wird, die in ihren A-10-Ämtern zum 1. November 1999 mit der Wertungsstufe 5 benotet worden sind. Ihnen folgen auf der Liste 30 Beamte in A-11-Ämtern, die 1999 allesamt mit der Wertungsstufe 4 benotet worden sind. Auch der Antragsteller und der Beigeladene wurden zum 1. November 1999 mit der Wertungsstufe 4 beurteilt, beide haben sich gegen diese Notenstufen durch Klageverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, bei der Kammer zur Wehr gesetzt. Dem Antragsteller wurde ein nach BesGr. A 12 bewerteter Dienstposten am 1. Oktober 1997 übertragen, dem Beigeladenen am 1. Oktober 1992.
Im Juni 2002 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, der Beigeladene solle die gerade neu zugewiesene Planstelle nach A 12 BBesO erhalten und auf diese Weise befördert werden; die entsprechende Einweisungsverfügung werde vorbehaltlich der Zustimmung des Personalrates noch im Juni 2002 ausgehändigt.
Mit Schreiben vom 12. Juni 2002 erhob der Antragsteller dagegen Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.
Am 17. Juni 2002 beantragte er bei der Kammer die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung, gegen die ihm für den Stichtag 1. Nov. 1999 zuerkannte Notenstufe 4 klage er, u.zw. mit Aussicht auf Erfolg, weil er ein sog. "Quotenopfer" sei: Seine Note sei nur wegen des Zwanges zur Einhaltung von Quoten, nicht aber wegen seiner Leistungen festgesetzt worden. Er könne die Grundlage der jetzt getroffenen Auswahlentscheidung, nämlich die ihm zuerkannte Note 4, "zu Fall bringen", so dass es auf die von der Antragsgegnerin verwandten Hilfskriterien - vor allem das leistungsfremde Kriterium der "Standzeit" - nicht mehr ankomme. Bei einer inzidenten Überprüfung seiner Note 4 werde diese Grundlage der Auswahlentscheidung keinen Bestand haben können. Er beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Beigeladenen vorläufig nicht zum Kriminalhauptkommissar - BesGr. A 12 BBesO - zu ernennen und über die Besetzung des Dienstpostens erneut zu entscheiden.
Die Antragsgegnerin beantragt
den Antrag abzulehnen.
Sie betont, dass die derzeit aktuelle Regelbeurteilung vom November 1999 nicht zu beanstanden sei und dass selbst bei gravierenden Rechtsfehlern dieser Beurteilung mit einer solchen der höheren Wertungsstufe 5 nicht zu rechnen sei. Demzufolge kämen Hilfskriterien zum Zuge, die in einer Dienstvereinbarung mit den Personalvertretungen festgelegt worden seien und denen zufolge der Zeitraum seit Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens ausschlaggebend sei.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag und äußert sich nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II. Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - in der Form der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO - ist begründet. Der Antragsteller hat Anspruch auf den Erlass der begehrten Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Es ist offenkundig, daß ein Sicherungsgrund, wie er für den Erlaß einer Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO Voraussetzung ist, hier gegeben ist. Denn die Besetzung der Planstelle mit dem Beigeladenen steht an und ist nur mit Rücksicht auf das rechtshängige Antragsverfahren unterblieben.
Nach Vorlage und Prüfung der Verwaltungsunterlagen und -vorgänge ist auch davon auszugehen, dass ein Sicherungsanspruch, der im Rahmen von § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO weitere Voraussetzung für den Erlass einer Sicherungsanordnung ist, vorliegt. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwGO iVm §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), dass die Auswahlentscheidung auf einer rechtsfehlerhaften Grundlage getroffen worden ist. Zugleich hat er nachvollziehbar darlegen und glaubhaft machen können, dass er künftig in einem ordnungsgemäßen Auswahlverfahren im Sinne einer "hinreichenden Wahrscheinlichkeit" (Beschl. d. Nds. OVG v. 18.3.1999 - 5 M 4824/98 -) eine "realistische, nicht nur entfernte" Chance hätte, selbst ausgewählt zu werden (Nds. OVG, Beschl. v. 9.2.2000, NdsVBl. 2001, S. 19; Bracher ZBR 1989, 139/ 140; Wagner ZBR 1990, 120; Günther ZBR 1990, 284/293; Nds. OVG, Beschluß v. 3.10. 1989 - 2 M 35/89 -; vgl. auch OVG Schleswig, ZBR 1996, 339 [OVG Schleswig-Holstein 30.05.1996 - 3 M 36/96]; VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 347 und ZBR 1995, 109). Damit kommt sein Bewerbungsverfahrensanspruch hier als sicherungsfähige Rechtsposition aus Art. 33 GG zum Zuge. Dieses Recht mit seiner grundrechtsgleichen Komponente ist als "subjektiver grundrechtsähnlicher Anspruch" zu qualifizieren (BVerfG NJW 1990, S. 501 [BVerfG 19.09.1989 - 2 BvR 1576/88]; OVG Lüneburg, S. 9 d. Beschl. v. 3.12.1997 - 5 M 667/97 -), dem auf dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG durch Verfahrensgestaltung angemessen Rechnung zu tragen ist (Battis, aaO., Rdn. 22 m.w.N.; OVG Lüneburg, aaO; BVerfGE 53, 30/ 65 u. 71 ff.). Diese Pflicht zur Verfahrensgestaltung kann u.a. darin bestehen, ergänzende Vorkehrungen zugunsten des Leistungsprinzips (Art. 33 Abs. 2 GG) und gegen die Dominanz unergiebiger, die Bestenauslese nicht mehr tragender Hilfskriterien zu treffen.
Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin unterliegt als Akt wertender Erkenntnis grundsätzlich zwar nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (vergl. Nds. OVG, Beschluß vom 11.8. 1995 - 5 M 2742/95 - m.w.N.), hat sich jedoch - wegen der Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG - an dem das gesamte Beamtenrecht prägenden Leistungsgrundsatz (§ 8 NBG, 7 BRRG, § 1 BLV) in herausragender Weise zu orientieren (vgl. Battis, aaO., Rdn. 2 und Nds. OVG, Beschluß vom 2.6.1995 - 5 M 262/ 95). Der Dienstherr kann nicht durch Beförderungsrichtlinien oder seine Ausschreibungspraxis eine dem gesamten (Leistungs-) Beurteilungssystem (mit Richtlinien, Schulungen, interner Überwachung der zuständigen Beurteiler sowie schließlich einer gerichtlichen Kontrolle) zuwider laufende Mindestbewährungszeit oder "Stehzeit" in Fallgestaltungen einfordern, die leistungsfähige Bewerber möglicherweise behindert oder ausschließt (Nds. OVG, Beschl. v. 14.10.1999 - 5 M 3503/99 -). Eine derartige Praxis widerspricht dem verfassungsrechtlich verankerten Leistungsprinzip (Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 NBG, § 1 BLV) und ist rechtlich unzulässig.
Die hier getroffene Auswahlentscheidung genügt diesem Verfassungsprinzip und den daraus abzuleitenden Anforderungen (§ 8 NBG) nicht.
1. Das hier praktizierte System der Zuweisung einer Planstelle an einen Verwaltungsbereich mit einer Vielzahl von Dienstposten, die nach ihrer Wertigkeit allesamt die mit der Planstellenzuweisung verbundene Beförderung (ohne Änderung der Amtsbezeichnung, § 12 Abs. 1 S. 2 BLV) rechtfertigen, ähnelt dem System der "Topfwirtschaft" bzw. dem Prinzip der "fliegenden Stellen", so wie es vom OVG Münster NVwZ 86, 773 [OVG Nordrhein-Westfalen 30.08.1985 - 1 B 319/85] bzw. OVG Rheinland-Pf . DÖD 1997, 162 [OVG Rheinland-Pfalz 14.03.1997 - 10 B 13183/96] beschrieben worden ist. Das OVG Münster hat sich dazu wie folgt geäußert:
"Erst bei Freiwerden einer Planstelle, die bewertungsmäßig dem übertragenen Dienstposten entspricht, findet ein Bewerbervergleich statt, allerdings ausschließlich auf der Ebene derjenigen Beamten, die bereits einen entsprechend bewerteten Dienstposten innehaben, also zu einem früheren Zeitpunkt ohne Beachtung des (umfassenden) Leistungsgrundsatzes von der Ag. einen höherbewerteten Dienstposten übertragen erhalten haben."
Das OVG Rheinland-Pf . (aaO.) ist der Ansicht, der Dienstherr könne "die Auswahl unter mehreren Konkurrenten auf diejenigen beschränken, die bereits einen der Dienstposten innehaben, auf denen die Beförderung erfolgen soll." Das setze jedoch neben einer aussagekräftigen Dienstpostenbewertung vor allem voraus, "daß die Dienstposten ihrerseits nach den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung vergeben werden (Beschl.....)" Die Gefahr, dass beim Mangel oder "Wegfall von Planstellen" sich die Auswahl "auf einen stellenplantechnisch beliebig eingrenzbaren Kreis von Dienstposteninhabern" beschränke (so OVG Rheinland-Pf . aaO, S. 162), es so also zu einer "Abschottung von Verwaltungseinheiten gegeneinander" käme, die den Landesbeamten "nur noch im Bereich ihrer gegenwärtigen Verwendung den Zugang zu einem Auswahlverfahren ermöglichen würde", ist auch im vorliegenden Fall naheliegend, so dass möglicherweise schon die Dienstpostenvergabe selbst - und nicht erst die Auswahl anlässlich der Planstellenvergabe - nach Leistungskriterien zu erfolgen hätte. Das ist hier ersichtlich jedoch nicht geschehen.
Der aufgezeigten Gefahr ist durch eine weitgehende Pflicht zur Ausschreibung (Art. 33 Abs. 2 GG, § 87 NBG, vgl. die Sollvorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 BLV) und außerdem durch eine strikte Anwendung des Leistungsgrundsatzes aus Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zutragen.
1.1. Das Erfordernis der geeigneten Ausschreibung (etwa in Hausmitteilungen der Bezirksregierungen) durfte die Ag. daher nicht außer Acht lassen. Denn ohne Ausschreibung ist der Kreis der Bewerber von vorneherein allein durch die Antragsgegnerin eingrenzbar, was dem Sinn und Zweck der Ausschreibung, mit der alle potentiellen Bewerber angesprochen werden sollen, widerspricht. Die Ausschreibung ist das Prinzip, welches das Leistungsprinzip des Grundgesetzes verwirklichen und der Chancengleichheit aller im Wettbewerb untereinander dienen soll (Battis, BBG, 2. Aufl. 1997, § 8 Rdn. 5). Es ist als Sollvorschrift gefasst, daher im Regelfall bindend, und überlagert wegen seiner grundgesetzlichen Wurzel das allgemeine Organisationsermessen des Dienstherrn (vgl. Günther, ZBR 1987, 321). Denn die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber allen seinen Beamten gebietet es, nach Möglichkeit auch alle in Betracht kommenden Beamten anzusprechen und in den Bewerberkreis einzubeziehen, nicht nur die einer bestimmten, durch Zuweisung der Beförderungsplanstelle zufällig eingegrenzten Verwaltungseinheit.
Im Beschl. des Nds OVG v. 13.1.1997 - 2 M 6201/96 - heißt es demgemäß:
Der Antragsteller als Inhaber des Dienstpostens hat keinen Anspruch darauf, dass von der Ausschreibung im Zusammenhang mit der Höherbewertung abgesehen wird. Die Sollvorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 der Bundeslaufbahnverordnung (BLV), Beförderungsdienstposten innerhalb der Dienststelle auszuschreiben, bezieht sich auf höherbewertete Dienstposten, mit deren Übertragung bezweckt ist, nach Bewährung (§ 11 BLV) eine Beförderung vorzunehmen (§ 12 Abs. 1, 2 BLV).
1.2. Daneben erscheint es fehlerhaft, die Orientierungsliste in der Form anzuwenden, dass - wegen der gleichen Beurteilung der hier einbezogenen Dienstposteninhaber - vor allem (und nur noch) die sog. "Standzeit", also die Zeit, die auf dem Dienstposten bereits verbracht wurde, für die Auswahlentscheidung ausschlaggebend wird. Es ist zwar grundsätzlich - im Rahmen des dienstherrlichen Ermessens - möglich, eine solche "Standzeit" bei gleicher Eignung als Hilfskriterium heranzuziehen, wobei allerdings angemerkt sei, dass es sich bislang um "Standzeiten" in der Laufbahn oder im Beförderungsamt, nicht jedoch um "Standzeiten" lediglich auf Dienstposten handelte, weil deren Übertragung sehr zufallsbedingt sein kann. Jedoch hat diese "Standzeit" eine zu geringe Nähe zum Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und im vorliegenden Fall ein zu gravierendes Übergewicht.
Denn angesichts dessen, dass das leistungsnähere Kriterium der Beurteilungen hier wegen der undifferenzierten Vergabe der Wertungsstufe 4 an eine große Vielzahl von Beamten wenig bzw. schon gar keine Aussagekraft mehr besitzt (vgl. dazu Pkt 3 des Widerspruchs v. 6.11.2000 im Klageverfahren 1 A 193/01, demzufolge rd. 60 % der Vergleichsgruppe die Wertungsstufe 4 erhalten haben sollen), kommt der "Standzeit" bei der Auswahlentscheidung ein derart großes Gewicht zu, das diesem bloßen Zeit- und Hilfskriterium mit seiner Leistungsferne unter dem Art. 33 Abs. 2 GG nicht zukommen kann. Denn die "Standzeit" weist nur geringe Bezüge zur Leistungsfähigkeit auf: Sie lässt nur vage vermuten, dass die betroffenen Beamten in früherer Zeit einmal - vor vielen Jahren -, seit der sich ihre Leistungen erheblich verändert haben dürften, sich früher oder eben später als geeignet erwiesen haben könnten, höher bewertete Dienstposten auszufüllen. Da anlässlich der Übertragung der Dienstposten kein Leistungsvergleich gem. Art. 33 Abs. 2 GG stattgefunden haben dürfte, kann die Übertragung der Dienstposten auch von völlig anderen als gerade Leistungsgesichtspunkten bestimmt gewesen sein. Zufälligkeiten aller Art können zur Übertragung eines Dienstpostens geführt haben. Das Kriterium der somit zufallsbedingten "Standzeit" gewinnt bei der hier unter 30 Beamten getroffenen Auswahlentscheidung wegen der Unergiebigkeit der Beurteilungen jedoch entscheidende Bedeutung, so dass allein die leistungsfernere Übertragung von Dienstposten in der Vergangenheit Richtschnur der Auswahl wird. Das steht nicht mit Art. 33 Abs. 2 GG im Einklang. Ohne dass es als Absicht gewertet werden muss, wird durch die Praxis der Antragsgegnerin erreicht, dass nicht mehr die Beurteilungsnoten und -stufen für eine Auswahlentscheidung maßgeblich sind, sondern die Verbringung einer kürzeren oder längeren Zeit auf einem entsprd. bewerteten Dienstposten, ohne dass dabei eine Rolle spielt, wie der Dienstposten im einzelnen ausgefüllt wurde. Eine in den Differenzierungen maßgeblich nur noch von solcher "Standzeit" geprägte Orientierungsliste findet somit ihre Grenze am Grundsatz der Bestenauslese, demzufolge mögliche Eignungs- und Leistungsunterschiede nicht durch die Dominanz leistungsferner Hilfskriterien überdeckt werden dürfen. In einem solchen Fall ist durch verfahrensmäßige Vorkehrungen vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass Eignungsunterschiede zur Geltung kommen können - etwa durch Einholung aktueller dienstlicher (Bedarfs-) Beurteilungen, die gegenüber der bloßen "Standzeit" eine höhere Aussagekraft bezüglich der Leistungsfähigkeit der Bewerber (Art. 33 Abs. 2 GG) besitzen.
Im Beschl. des Nds. OVG Beschl. v. 21.1.1994 - 2 M 4622/93 - heißt es demzufolge:
Mithin findet die Anwendung einer so gestalteten "Orientierungsliste" ihre Grenze, wenn eine Dominanz der Hilfskriterien wesentliche Eignungsunterschiede verdeckt und dadurch besser geeignete Bewerber nicht zum Zuge kommen. Die Antragsgegnerin muß deshalb bei Anhaltspunkten dafür, daß wahrscheinlich als "sehr gut geeignet" zu beurteilende Bewerber nach dem System der "Orientierungsliste" von weniger geeigneten Bewerbern überflügelt werden, darauf bedacht sein, durch ergänzende Vorkehrungen sicherzustellen, daß deren Anwartschaft auf bevorzugte Auswahl nicht beeinträchtigt wird. Ein hierfür geeignetes Mittel ist es, die Bewerber, die nach der Orientierungsliste in die engere Wahl für eine Beförderung kommen, bei einer nach dem "aktuellen Leistungsstand" bestehenden erheblichen Notendifferenz aufgrund dienstlicher Beurteilungen in ihrer Beförderungseignung zu vergleichen.
1.3 Solche Vorkehrungen zwecks Abschwächung sonst dominanter, aber wenig sachgerechter Hilfskriterien sind ganz besonders dann geboten, wenn - wie im vorliegenden Fall - genügend aktuelle Beurteilungen der konkurrierenden Bewerber fehlen, sondern diese schon mehr als 2 Jahre zurückliegen (hier nahezu 3 Jahre: 2 Jahre und 8 Monate). Unter diesen Umständen überholter Beurteilungen vermag die bloße "Standzeit" eine Auswahlentscheidung nicht mehr zu tragen. Im Beschl. des Nds. OVG v. 22.2.00 - 2 M 3526/99 - heißt es demgemäß:
Der Leistungsgrundsatz und der Grundsatz der Chancengleichheit gebieten es, der Auswahlentscheidung zeitnahe Beurteilungen der Bewerber zu Grunde zu legen und seit der letzten Beurteilung dokumentierte Leistungssteigerungen zu berücksichtigen. Unter welchen Voraussetzungen zurückliegende Regelbeurteilungen nach diesem Maßstab noch eine hinreichend verlässliche Grundlage für eine Auswahlentscheidung darstellen, lässt sich nicht generalisierend, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles beantworten. Dabei können diese Umstände eine erneute aus Anlass der Bewerbung zu erstellende Beurteilung auch dann gebieten, wenn Beurteilungsrichtlinien, wie die hier maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien für den Polizeivollzugsdienst des Landes Niedersachsen vom 4. Januar 1996 (- BRLPol -, Nds. MBl. S. 169) eine Anlassbeurteilung grundsätzlich nicht vorsehen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.11.1999, a.a.O.; Beschl. v. 5.8.1999 - 2 M 2045/99 -). Eine starre Grenze, bei der die erforderliche Aktualität einer Beurteilung verloren geht, lässt sich nicht generell festlegen. Je länger der Beurteilungszeitraum allerdings zurückliegt und je kürzer er ist, um so eher besteht die Gefahr, dass die betreffende Beurteilung keine hinreichende Aussagekraft mehr für den Vergleich der miteinander konkurrierenden Bewerber hat (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 5.8.1999, a.a.O.)...
... Es kann offenbleiben, ob der Umstand, dass der Stichtag der genannten Regelbeurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen (1.6.1997) im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (Mai 1999) nahezu zwei Jahre zurücklag, allein schon ausreicht, die Verlässlichkeit der Beurteilungen als Grundlage der Auswahlentscheidung in Frage zu stellen (vgl. zu dieser Problematik auch Nds. OVG, Beschl. v. 19.1.2000 - 5 M 3424/99 -; Beschl. v. 18.11.1999, a.a.O.; Beschl. v. 11.11.1999 - 5 M 3912/99 -; Beschl. v. 5.8.1999, a.a.O.; Beschl. v. 18.3.1999 - 5 M 4824/98 -). Denn die zu diesem Zeitablauf noch hinzutretenden weiteren besonderen Umstände dieses Einzelfalles gebieten es, neue Beurteilungen zu erstellen, weil die der Auswahlentscheidung zu Grunde gelegten Beurteilungen eine vergleichbare Bewertung der Qualifikation der Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung nicht mehr ermöglichen.
Für die somit zu erstellenden (aktuellen) Bedarfsbeurteilungen sind alle mündlichen, schriftlichen und sonstigen (nachprüfbaren) Angaben heranzuziehen (Beschl. des Nds OVG v. 28.5.97 - 2 M 2609/97 - ), da der Dienstherr verpflichtet ist, seiner Auswahlentscheidung nicht etwa einen lückenhaften, sondern einen nach den Umständen vollständigen, das Persönlichkeitsbild der miteinander konkurrierenden Beamten insgesamt zutreffend erfassenden Sachverhalt zugrunde zu legen:
Grundlage des Leistungsvergleichs bei der Auswahlentscheidung über eine Beförderung sind in erster Linie die letzten dienstlichen Beurteilungen der Bewerber (vgl. Beschlüsse des Senats v. 2.9.1994 - 2 M 2742/94 - und 5.3.1997 - 2 M 1073/97 -). Zusätzlich sind jedoch auch alle nachprüfbaren Angaben zu berücksichtigen, die sich auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung beziehen und aus denen sich das aktuelle Leistungsbild der Bewerber ergibt. Denn der Dienstherr muß seiner Auswahlentscheidung einen vollständigen Sachverhalt zugrundelegen (vgl. Beschlüsse des Senats v. 25.10.1995 - 2 M 1478/95 - und 9.12.1994 - 2 M 6865/94 -).
1.4 Im vorliegenden Fall ergibt sich das Gebot, durch geeignete Vorkehrungen Art. 33 Abs. 2 GG in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen, auch daraus, dass im anhängigen Klageverfahren 1 A 193/01, in dem die vergebene Notenstufe 4 vom Antragsteller angegriffen wird, der zuständige Erstbeurteiler sich in der Weise geäußert hat, dass er als Erstbeurteiler "trotz dieser sehr positiven Einschätzung" deshalb zu "keiner anderen Entscheidung kommen" könne, weil der Beurteilungsmaßstab im Amt A 11 BBesO "durch die Zweitbeurteiler" abgestimmt worden sei (Vermerk v. 21.3. 00 unter 9.4 der Dienstl. Beurteilung). Hierbei sei darauf verwiesen, dass es gerichtsbekannt ist, dass in Beurteilerkonferenzen der Antragsgegnerin konkrete Noten einzelner Beamter verbindlich festgelegt und die zuständigen Beurteiler anschließend bei Androhung "dienstrechtlicher Maßnahmen" verpflichtet werden, diese Noten durch "Leistungsbeschreibungen" umzusetzen. Im Urteil der Kammer v. 20.3.02 - 1 A 8/00 - wird dieses Verfahren wie folgt beschrieben:
Danach sei von der Beurteilerkonferenz die Note für die zu beurteilenden Beamten im Einzelnen verbindlich festgelegt worden. Diese habe der Erstbeurteiler umzusetzen gehabt, auch wenn er sich mit seinem Notenvorschlag in der Konferenz nicht durchgesetzt habe. Für den Fall der Abweichung von der festgelegten Notenstufe seien ihm zum Teil "dienstrechtliche" Maßnahmen angedroht worden, da in der Abweichung von den Ergebnissen der Beurteilerkonferenz eine Weigerung liege, die Beurteilungsrichtlinien ordnungsgemäß anzuwenden und hierin ein Dienstvergehen zu sehen sei.
Auch der Zweitbeurteiler des Antragstellers hat sich lt. Vorgängen des Klageverfahrens 1 A 193/01 dahingehend geäußert, dass er sehe, "welche Spitzenleistungen" der Antragsteller - "trotz erheblicher persönlicher Belastungen" - erbringe (Stellungn. v. 22.3.2000), dass es aber die "rigiden Vorgaben bei der Vergabe der Spitzennote" nicht zuließen, dem zu begegnen, er vielmehr "gehalten" sei, sich "an der Quote zu orientieren", obwohl es ihm beim Antragsteller "ausgesprochen schwer" falle.
Diese Vermerke indizieren - ohne den Ausgang des Verfahrens vorweg nehmen zu wollen - eine Bindung der zuständigen Beurteiler an vorgegebene Quoten und könnten anzeigen, dass hier möglicherweise ein durchaus leistungsfähiger Beamter allein durch die Orientierungsliste mit ihrer dominanten "Standzeit" in seiner Anwartschaft auf eine leistungsgerechte Auswahl gem. Art. 33 Abs. 2 GG beeinträchtigt wird. Daran ändert es nichts, dass - wie die Antragsgegnerin hervorhebt - auch der Beigeladene sich in einem Klageverfahren gegen seine Beurteilung mit der Wertungsstufe 4 zur Wehr setzt. Vielmehr signalisiert das noch deutlicher, dass die Antragsgegnerin verfahrensmäßig gehalten ist, im vorliegenden Fall einer wenig aussagekräftigen, weil hinsichtlich der Notenstufen undifferenzierten Orientierungsliste zeitnahe Bedarfsbeurteilungen über die beiden Konkurrenten einzuholen hat und sie erst dann auf der Leistungsebene eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung treffen kann.
1.5 Erst dann, wenn hinreichend aktuelle Beurteilungen auf möglichst vollständiger Erkenntnisgrundlage vorliegen, kann zudem entschieden werden, welchem Kriterium - ob dem der "Standzeit" oder dem von Leistungsvergleichen anhand von Beurteilungen - nach dem Ermessen des Dienstherrn der Vorzug gegeben werden soll. Jede andere, noch ohne aktuelle Beurteilungen getroffene Entscheidung erginge dagegen auf einer zu knappen Sachverhalts- und Ermessensbasis und wäre schon deshalb ermessensfehlerhaft. Im Beschl. des Nds. OVG v. 10.10. 1996 - 2 M 4675/96 - heißt es diesbezüglich :
Diese Bedeutung der dienstlichen Beurteilungen im Rahmen der Auswahlentscheidungen erfordert es, auch unter Berücksichtigung des im Rahmen des Leistungsgrundsatzes zu beachtenden Grundsatzes der Chancengleichheit, daß der Auswahlentscheidung dienstliche Beurteilungen zugrunde gelegt werden, die hinsichtlich aller Bewerber einen etwa gleichen Zeitraum erfassen und in zeitlicher Nähe zu der Auswahlentscheidung erstellt worden sind. Stehen Regelbeurteilungen, die diesen Anforderungen gerecht werden, nicht zur Verfügung, sind im Rahmen des Bewerbungsverfahrens Anlaß (Bedarfs-)beurteilungen zu erstellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.3.1993 - 5 M 180/93 -, Beschl. v. 30.1. 1995 - 5 M 7651/94 -; OVG Bremen, Beschl. v. 9.1.1994 - 2 B 123/83 -, DÖD 1985, 240; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.8.1991 - BS I 27/91 -, DÖD 1991, 257; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.8.1993 - 2 B 11694/93.OVG -, DÖD 1994, 38, jeweils m.w.N.). Dem hat der Antragsgegner nicht Rechnung getragen, da er ...
... Der Dienstherr k a n n geringe Eignungsunterschiede, die sich aus den zuletzt erteilten dienstlichen Beurteilungen u n d den früheren dienstlichen Beurteilungen ergeben können, ausschlaggebend sein lassen. Er muß dies aber nicht tun, sondern kann stattdessen eine Auswahl nach nachrangigen und leistungsbezogenen Auswahlkriterien wie etwa der Stehzeit in der Laufbahn oder in dem letzten Beförderungsamt treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.6.1986 - 2 C 41.84 -, GVBl. 1986, 1156; Beschl. v. 28.1.1987 - 2 B 143.86 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts, 237.6 § 8 NdsLBG Nr. 3; OVG Lüneburg Beschl. v. 11.7.1996 - 2 M 404/96 -, jeweils m.w.N.).
Diese Ermessensentscheidung darüber, welche der möglichen Auswahlkriterien entscheidungserheblich zu berücksichtigen sind, ist auf der Grundlage eines richtigen und damit auch vollständigen Sachverhalts zu treffen. Dies ist jedoch solange nicht möglich, solange eine aktuelle dienstliche Beurteilung nicht vorliegt.
Die Entscheidung zugunsten des Beigeladenen ist somit entgegen Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 NBG auf einer weitgehend leistungsfremden Grundlage, nämlich mit Rücksicht auf eine längere "Standzeit" des Beigeladenen gefallen. Dieser zeitliche Aspekt, die "Standzeit" in einem Einsatzbereich, vermag gegenüber dem Antragsteller, der seinen Dienstposten anerkanntermaßen gut ausfüllt (vgl. die Vermerke seiner zuständigen Beurteiler), nicht durchzugreifen. Die auf diesem Wege getroffene Auswahlentscheidung ist somit wegen Verstoßes gegen den Leistungsgrundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG, §§ 7 BRRG, 1 BLV) rechtswidrig.
2. Es steht angesichts der beschriebenen Leistungsfähigkeit des Antragstellers auch gar nicht mehr in Frage, dass er eine durchaus realistische, nicht nur entfernte Möglichkeit und Chance hat, nach aktuellen Beurteilungen und einer erneuten Auswahlentscheidung selbst ausgewählt zu werden.