Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 02.08.2002, Az.: 3 B 56/02
Gewaltschutzgesetz; Platzverweisung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 02.08.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 56/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43478
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 17 GefAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Zulässigkeit einer Platzverweisung nach dem NGefAG wird durch das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) nicht ausgeschlossen. Die Platzverweisung durch die Polizei ist vielmehr eine notwendige Ergänzung des Gewaltschutzgesetzes, um Regelungen für die Zeit bis zu einer Entscheidung durch das Familiengericht zu treffen.
Tenor:
1. Der Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Platzverweis der Antragsgegnerin vom 1. August 2002 wird abgelehnt mit folgenden Maßgaben:
- Der bis zum Ablauf des 7. August 2002 ausgesprochene Platzverweis verliert seine Wirkungen, sobald innerhalb der Frist eine Entscheidung des Familiengerichts aufgrund des Gewaltschutzgesetzes ergeht.
- Der Antragsteller ist berechtigt, nach Absprache mit der Polizei und unter Polizeibegleitung seine Geschäftsräume im oberen Geschoss des Hauses zweimal am Tag für jeweils eine Stunde aufzusuchen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig. Zwar hat der Antragsteller gegen den Platzverweis noch keinen Widerspruch eingelegt, weil die Bezirksregierung den Antragsteller zum Verwaltungsgericht geschickt hat, ohne einen Widerspruch gegen die Verfügung aufzunehmen. Dies kann nicht zu Lasten des Antragstellers und der ihm zu eröffnenden Rechtsschutzmöglichkeit gehen.
Der Antrag ist unter den im Tenor geregelten Maßgaben abzulehnen. Der Platzverweis erweist sich dem Grunde nach als rechtmäßig.
Nach § 17 Abs. 1 NGefaG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten; betrifft die Maßnahme eine Wohnung, so ist die Maßnahme gegen den Willen der berechtigten Person nur zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zulässig.
Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift wird nicht ausgeschlossen durch das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) vom 11. Dezember 2001. Nach dem Gewaltschutzgesetz kann das Familiengericht auf Antrag einer verletzten Person unter anderem regeln, dass der Täter die Wohnung der verletzten Person nicht betritt und sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung nicht aufhält. Damit obliegt es regelmäßig der verletzten Person - etwa der Ehefrau - selbst, sich um Schutz vor Gewalttaten einer anderen Person - etwa des Ehemannes - zu bemühen. Die Anwendbarkeit des Gewaltschutzgesetzes, das die eigenverantwortliche Gestaltung gewaltverbundener ehelicher und anderer Beziehungen betont, hat jedoch nicht zur Folge, dass ein polizeilicher Platzverweis unzulässig ist, um die Fortführung häuslicher Gewalt zu unterbinden. Vielmehr stellt ein Platzverweis nach § 17 NGefaG eine sinnvolle und notwendige Ergänzung des Gewaltschutzgesetzes dar, um Regelungen für die Zeit bis zu einer Entscheidung durch das Familiengerichts zu treffen. Naturgemäß ist die Polizei bei handgreiflichen familiären Auseinandersetzungen der erste Ansprechpartner. Der Schutz der verletzten Person würde unterlaufen, wenn es die Polizei unter Hinweis auf die familiengerichtliche Zuständigkeit nach dem Gewaltschutzgesetz ablehnte, Körperverletzungen einstweilen wirksam zu unterbinden, bis das Familiengericht entscheidet. Ein Platzverweis ist deshalb als vorübergehende Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 NGefaG anzusehen, die Geltung beansprucht, bis das Familiengericht nach dem Gewaltschutzgesetz zu entscheiden in der Lage ist. Dabei genügt es noch dem Verhältnismäßigkeitsgebot, wenn der Platzverweis - wie hier - auf eine Woche beschränkt wird. Zur Klarstellung ist im Tenor geregelt, dass der bis zum Ablauf des 7. August 2002 ausgesprochene Platzverweis seine Wirkungen verliert, sobald innerhalb der Frist eine Entscheidung des Familiengerichts aufgrund des Gewaltschutzgesetzes ergeht.
Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 17 Abs. 1 NGefaG liegen vor. Aufgrund der überreichten Unterlagen hat die Antragsgegnerin den Platzverweis gegenüber dem Antragsteller zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr im Sinne ausgesprochen. Denn:
Am Abend des 31. Juli schlug der Antragsteller nach den Feststellungen der Polizei zum wiederholten Male auf seine Frau ein, so dass diese ärztlich behandelt werden musste. Der Antragsteller schlug seine Ehefrau, riss ihr an den Haaren und stieß sie gegen ein Treppengeländer. Die Ehefrau erlitt hierdurch Verletzungen und wurde zur Kontrolle ins Krankenhaus verbracht. Beide Beteiligten standen erheblich unter Alkoholeinfluss. Nach den Feststellungen in den Polizeiprotokollen sind die Auseinandersetzungen nicht einmaliger Natur, vielmehr gebe es "jeden Tag Probleme in irgendeiner Form". Weiter heißt es: "Heute sei eigentlich nur passiert, was sonst auch immer passieren würde". Wenn die Beamten das Haus verlassen würden, würde es weitergehen und es würde weiter aufeinander eingeprügelt. Bei der Vernehmung des Antragstellers zeigte sich dieser äußerst aggressiv, nach Einschätzung der Polizeibeamten ist seine Gewaltbereitschaft "erschreckend". Aufgrund der ausführlichen Polizeiprotokolle ist der ausgesprochene Platzverweis geeignet, aber auch erforderlich, um eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für Körper und Gesundheit insbesondere der Ehefrau des Antragstellers vorläufig abzuwenden.
Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist dem Antragsteller zu gestatten, nach Absprache mit der Polizei und unter Polizeibegleitung seine Geschäftsräume im oberen Geschoss des Hauses zweimal am Tag für jeweils eine Stunde aufzusuchen. Der Antragsteller hat vorgetragen, im oberen Geschoss befänden sich seine Geschäftsräume, er beschäftige sechs Mitarbeiter, die ohne ihn nicht arbeiten könnten. Er müsse Aufträge bekommen und seine Leute zur Arbeitsstätte schicken. Nach Auffassung des Vorsitzenden ist aufgrund des vorgetragenen Sachverhaltes die getroffene Regelung ausreichend, um die Rechte des Antragstellers zu wahren.