Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.09.2005, Az.: 11 U 83/05
Pflicht eines Frachtführers zur Sicherung transportierter Lautsprecher im Hinblick auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch; Voraussetzungen der Verpflichtung eines Fahrers zur Sicherung der Ladung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.09.2005
- Aktenzeichen
- 11 U 83/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 23639
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0922.11U83.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 01.03.2005 - AZ: 3 O 311/00
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 412 HGB
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2005, 751-753
Amtlicher Leitsatz
Solange die Ladung i. S. d. § 425 HGB noch nicht abgeliefert ist, trifft den für den Frachtführer tätigen Fahrer keine Pflicht zur Ladungssicherung.
Nach § 412 HGB obliegt die Herbeiführung der beförderungssicheren Verladung dem Absender.
Haben Mitarbeiter der Klägerin die ursprüngliche Ladungssicherung durch die teilweise Entladung aufgehoben, obliegt es der Klägerin nach § 412 HGB wiederum, für die restliche Transportstrecke wieder für die beförderungssichere Verladung zu sorgen.
In dem Rechtsstreit
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 8. September 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 1. März 2005 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin hatte einen Frachtführer, den früheren Arbeitgeber des Beklagten, zum Transport u. a. von Lautsprecherboxen von einem Veranstaltungsort zum Sitz der Klägerin beauftragt. Fahrer des Transportes war der Beklagte. Bei der Klägerin vor Ort wurde die Sendung von deren Mitarbeitern teilweise entladen, sodann wurde der Beklagte aufgefordert bzw. gebeten, die auf der Ladefläche verbliebene Lautsprecherboxen mit dem Lkw zu einer anderen Rampe auf dem Betriebsgelände der Klägerin zu verbringen. Eine Sicherung der Lautsprecherboxen erfolgte hierfür nicht. Bei dem Rangiervorgang purzelten die auf Rollen stehenden Boxen durcheinander und wurden beschädigt, insbesondere deshalb, weil ein Mitarbeiter der Klägerin durch lautes Rufen den Beklagten zum Bremsen aufforderte. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung der Reparaturkosten sowie Erstattung von Aufwendungen in Anspruch.
Das Landgericht hat Beweis über die Behauptung der Klägerin erhoben, ihre Mitarbeiter hätten den Beklagten darauf hingewiesen, dass er die Lautsprecherboxen zu sichern habe. Es hat sodann der Klage hinsichtlich der Hauptforderung in vollem Umfang stattgegeben.
Es hat gemeint, der Anspruch rechtfertige sich aus § 823 Abs. 1 BGB. Der Beklagte habe es entgegen seiner Verpflichtung als Fahrer unterlassen, die Ladung zu sichern. Das Unterlassen der Sicherung sei fahrlässig im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Der Beklagte habe leichtfertig und in dem Bewusstsein gehandelt, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Er habe Kenntnis davon gehabt, dass sich die Lautspecherboxen auf Rollen befunden hätten. Es habe sich aufgedrängt, eine Sicherung vorzunehmen. Ein Haftungsausschluss nach § 427 Abs. 1 Nr. 3 HGB liege nicht vor, der Schaden sei nicht beim bzw. durch das Entladen des Gutes entstanden. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht ersichtlich.
Mit der hiergegen eingelegten Berufung macht der Beklagte insbesondere geltend, zu dem Schaden sei es im Sinne des § 425 HGB nach Ablieferung gekommen, weshalb die Gefahr für eine etwaige Beschädigung des Gutes allein in der Risikosphäre der Klägerin und ihrer Mitarbeiter gelegen habe. Es greife der Haftungsausschluss des § 427 Abs. 1 Nr. 3 HGB, da der Schaden während des Entladens des Lkw entstanden sei. Es gelte die gesetzliche Vermutung des § 427 Abs. 2 HGB. Kein Zeuge habe den Vortrag der Klägerin bestätigt, dass der Beklagte von Mitarbeitern der Klägerin zur Ladungssicherung aufgefordert worden sei. Die Klägerin treffe zumindest ein erhebliches Mitverschulden.
Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie trägt neu vor, von einer Ablieferung im Sinne des § 425 HGB könne nicht ausgegangen werden, da sie hinsichtlich der auf der Ladefläche verbliebenen Lautsprecherboxen die Sachherrschaft erst auf der zweiten Laderampe habe erwerben wollen und können. Denn nur auf dieser Rampe hätten die Boxen ausgeladen werden können. Der Beklagte habe gewusst, dass eine Ablieferung der Boxen erst an der zweiten Laderampe erfolgen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Sicherung des Frachtguts allein ihm oblegen.
Auf die Frage, ob die Klägerin ihrer Pflicht zur beförderungssicheren Verladung im Sinne des § 412 HGB nachgekommen sei, komme es nicht an, weil diese Pflicht nur die Verladephase zu Beginn des Frachtvertrages betreffe. Da der Frachtvertrag noch nicht beendet gewesen sei, habe den Beklagten die Verantwortung für das Gut in Bewegung nach § 425 HGB getroffen. Aus diesem Grunde hätte der Beklagte eine Anweisung an die Mitarbeiter der Klägerin zur Sicherung der Boxen erteilen oder selbst die Boxen sichern müssen. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass die ursprünglich vorhandene Ladungssicherung der Boxen aufgehoben worden sei. Er und nicht die Klägerin habe daher für eine erneute Sicherung vor der Rangierfahrt Sorge tragen müssen.
Entgegen dem Beweisergebnis erster Instanz habe es tatsächlich eine Aufforderung an den Beklagten zur Sicherung der Ware gegeben, was sich aus der Telefonnotiz einer Rechtsanwältin, die seinerzeit den Zeugen hierzu befragt habe, ergebe.
Ein Mitverschuldensvorwurf könne der Klägerin somit nicht gemacht werden.
II.
Die Berufung des Beklagten hat Erfolg. Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB, der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, zu.
1.
Entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts kann die zu einer Eigentumsverletzung führende Pflichtverletzung des Beklagten nicht darin gesehen werden, dass er gegen eine Verpflichtung verstoßen hätte, die Lautsprecherboxen vor der Rangierfahrt zu sichern. Denn eine solche Pflicht traf den Beklagten nicht. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich, ob eine Ablieferung des Beförderungsgutes im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bereits erfolgt war oder nicht; eine Pflicht zur Sicherung der Lautsprecher traf den Beklagten in keinem Fall.
a)
Dass der Arbeitgeber des Beklagten als Frachtführer durch den Frachtvertrag das Entladen des Sendungsgutes übernommen hätte, behauptet die Klägerin nicht. Hierfür spricht auch nichts, nachdem unstreitig allein die Mitarbeiter der Klägerin die Entladung übernommen hatten. Sollte daher eine Ablieferung erfolgt sein, wofür im Streitfall nach dem Vortrag der Parteien in erster Instanz vieles spricht, wäre der Schaden während des von der Klägerin durchzuführenden Entladevorgangs eingetreten. Hierbei wäre der Beklagte bei der Rangierfahrt als Erfüllungsgehilfe des Absenders und damit der Klägerin tätig geworden (vgl. Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 412 Rn. 34), eine Pflicht zur Sicherung der Ladung hätte zunächst einmal allein für die Klägerin, nicht aber für den Beklagten bestanden.
Bestand danach eine frachtrechtlich begründete Verpflichtung des Beklagten zur Ladungssicherung nicht, könnte ihn eine Verpflichtung zur Sicherung der Ladung allenfalls dann getroffen haben, wenn die Mitarbeiter der Klägerin ihn aufgefordert hätten, die Ladung vor dem Rangiervorgang zu sichern und der Beklagte sich damit einverstanden erklärt hätte. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz lässt sich aber bereits nicht einmal feststellen, dass es überhaupt zu einer Aufforderung an den Beklagten zur Ladungssicherung gekommen ist. Soweit die schriftlich vernommenen - Zeugen überhaupt noch Erinnerung an den Vorgang hatten, haben sie lediglich bekundet, davon ausgegangen zu sein, dass der Beklagte die Ladung sichern würde, weil dieser nach ihrer Ansicht hierzu verpflichtet gewesen sei.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang in der Berufungsinstanz beantragt, den Zeugen V., der sich nach seiner schriftlichen Aussage an den Vorgang überhaupt nicht mehr erinnern konnte, mündlich zu vernehmen vor dem Hintergrund, dass dieser in einem Telefonat mit einer Rechtsanwältin gesagt haben soll, der Beklagte sei mehrfach zur Sicherung der Ladung aufgefordert worden, war dem nicht nachzukommen. Dies allein schon deshalb nicht, weil dieser Vortrag sowie der Antrag auf mündliche Vernehmung bereits in erster Instanz hätten erfolgen können und müssen.
b)
Sollte die Ladung i. S. d. § 425 HGB noch nicht abgeliefert gewesen sein, hätte den Beklagten als für den Frachtführer tätiger Fahrer gleichfalls eine Pflicht zur Ladungssicherung nicht getroffen. Nach § 412 HGB obliegt die Herbeiführung der beförderungssicheren Verladung, um die es im Streitfall geht, dem Absender. Absender und Empfänger der Sendung war im Streitfall die Klägerin selbst. Ihre Mitarbeiter hatten die ursprüngliche Ladungssicherung durch die teilweise Entladung aufgehoben. Dann oblag es auch der Klägerin nach § 412 HGB wiederum, für die restliche Transportstrecke wieder für die beförderungssichere Verladung zu sorgen. Die Ansicht der Klägerin, nach der teilweisen selbst vorgenommenen Entladung sei die Verpflichtung zur Ladungssicherung für die restliche Transportstrecke auf den Frachtführer und damit faktisch auf den Beklagten übergegangen, findet im Gesetz keine Stütze.
2.
Gleichwohl hat der Beklagte nach dem unstreitigen Sachverhalt fahrlässig das Eigentum der Klägerin an den Lautsprecherboxen verletzt und könnte der Klägerin daher dem Grunde nach gem. § 823 BGB auf Zahlung von Schadensersatz haften.
Der Beklagte wusste darum, dass die Lautsprecherboxen auf Rollen standen. Damit musste sich ihm als erfahrenem Fahrer geradezu aufdrängen, dass es auch bei noch so vorsichtiger Fahrweise zu Bewegungen der Lautsprecherboxen und damit zu Schäden bei der Rangierfahrt kommen könnte, falls diese nicht gesichert sind. Traf den Beklagten auch nicht die Verpflichtung, die Ladungssicherung selbst vorzunehmen, hatte er gleichwohl vor Beginn der Rangierfahrt die Mitarbeiter der Klägerin auf das Erfordernis einer Sicherung hinzuweisen und sie zur Tätigkeit anzuhalten. Auch wenn ein Fahrer nach der gesetzlichen Regelung sich um die Beförderungssicherheit der Verladung nicht zu kümmern braucht, darf er gleichwohl dann, wenn er Mängel der Verladung für möglich hält, sich dem nicht verschließen und muss vielmehr den Sicherungspflichtigen auf solche Mängel hinweisen.
Allerdings beruht das Schadensereignis im Wesentlichen auf dem nicht nachvollziehbaren Verhalten der Mitarbeiter der Klägerin. Aus den schriftlichen Aussagen der Mitarbeiter der Klägerin, soweit die Zeugen sich noch an den Vorfall erinnern konnten, folgt, dass sie alle gewusst haben, dass es dann, wenn der Beklagte losfährt, sicher zu Schäden kommt, weil der Beklagte eine Sicherung nicht vorgenommen hatte. In der sicheren Erwartung eines schädigenden Ereignisses haben die Mitarbeiter der Klägerin den Beklagten - nur so können die Aussagen gewertet werden - absichtlich losfahren lassen, kopfschüttelnd über diesen Fahrer, der nicht sichert, in völliger Verkennung ihrer eigenen Verpflichtung.
Nicht nur das. Ein Mitarbeiter der Klägerin hat sogar, nachdem der Beklagte losgefahren war, laut "Halt!" gerufen. Dabei musste er damit rechnen, dass der Beklagte, der den Grund des Rufes nicht kannte, in der Annahme einer Gefahrensituation heftig bremsen würde, was der Beklagte dann auch getan hat und was, wie die Klägerin selbst vorträgt, den eigentlichen Schaden verursacht hat.
Angesichts dieses Fehlverhaltens der Mitarbeiter der Klägerin wiegt das Mitverschulden des Beklagten so gering, dass eine Haftung des Beklagten letztlich nicht in Betracht kommt.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung sie nicht erfordert; die Parteien haben insoweit auch keine Anhaltspunkte aufgezeigt, die zu anderer Entscheidung Anlass gäben.