Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 09.06.2023, Az.: 12 B 3141/23

Abhängigkeitsverhältnis; Ehegatten; Freizügigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
09.06.2023
Aktenzeichen
12 B 3141/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 21300
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0609.12B3141.23.00

Amtlicher Leitsatz

Kein Recht aus Art. 20 AEUV von Ehegatten ohne außergewöhnliches Abhängigkeitsverhältnis, kein Ausschluss von drittstaatsangehörigen von Unionsbürgern, die von Freizügigkeit noch nie Gebrauch gemacht haben

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung des Gerichts über die Klage gegen den Bescheid vom 15.11.2022 - 12 A 5316/22 - vorübergehend auszusetzen,

ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO (vgl. dazu den Beschluss der erkennenden Kammer im vorangegangenen Eilverfahren des Antragstellers vom 30.01.2023 - 12 B 5317/22 -, n.v., Abdruck S. 2 f.).

Er hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dazu muss der Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass ihm der in der Hauptsache verfolgte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass die begehrte Anordnung zur Sicherung seiner Rechtsverwirklichung erforderlich ist (Anordnungsgrund). Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Aussetzung seiner Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

1. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung wegen eines etwaigen Anspruchs auf Ausstellung eine Bescheinigung über das Bestehen eines Aufenthaltsrechts nach Art. 20 AEUV. Unbeschadet der Frage, ob die Erteilung einer Verfahrensduldung in einer derartigen Konstellation überhaupt in Betracht kommt, scheidet sie hier aus, weil dem Antragsteller offenkundig kein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV zusteht. Zwar kann sich in Ausnahmefällen ein Recht aus Art. 20 AEUV auch für einen drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers ergeben, der von seiner Freizügigkeit nie Gebrauch gemacht hat. Ein derartiger Ausnahmefall kann aber nur vorliegen, wenn zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem Unionsbürger, der sein Familienangehöriger ist, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 27.02.2020 - C-836/18 -, juris Rn. 33 ff.). Die Gewährung eines aus Art. 20 AEUV abgeleiteten Aufenthaltsrechts für ein drittstaatsangehöriges Familienmitglied eines Unionsbürgers kann generell nur "ausnahmsweise" oder bei "Vorliegen ganz besondere(r) Sachverhalte" erfolgen. Verhindert werden soll nämlich nur eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen oder sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 34). Die Anerkennung eines entsprechenden Abhängigkeitsverhältnisses zwischen zwei Erwachsenen kommt nur in außergewöhnlichen Fällen in Betracht, in denen die betreffende Person in Anbetracht aller relevanten Umstände keinesfalls von dem Familienangehörigen getrennt werden darf, von dem sie abhängig ist. Allein der Umstand, dass der Unionsbürger und der Drittstaatsangehörige miteinander verheiratet sind und dass es für den Unionsbürger aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Unionsgebiet wünschenswert erscheinen könnte, dass der Drittstaatsangehörige sich mit ihm zusammen im Unionsgebiet aufhalten kann, reicht dafür nicht aus (vgl. EuGH, Urt. v. 27.02.2020 - C-836/18 -, juris Rn. 56 ff.). Für eine außergewöhnliche rechtliche, wirtschaftliche oder affektive Abhängigkeit zwischen dem Antragsteller und seiner deutschen Ehefrau, die nicht einmal einen gemeinsamen Wohnsitz haben, ist nichts vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

2. Dass dem Antragsteller für die angestrebte Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine Verfahrensduldung erteilt werden kann und dass auch kein Duldungsgrund aus Art. 6 GG besteht, hat das Gericht bereits im rechtskräftigen Beschluss vom 30.01.2023 ausgeführt (- 12 B 5317/22 -, n.v., Abdruck S. 4).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 und Nr. 8.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).